Lieber charly,
Ich m uss das nun doch mal loswerden:
Der von Dir gern zitierte Dr. BARTENS hat immerhin zwei Jahreklinische Erfahrung in einer internistischen Klinik aufzuweisen, danach hat er sich vorwiegend mit Journalistik und seinen Nebenwissenschaften beschäftigt.
Seine Studienzeit in den USA, wo er auch ein amerikanisches Staatsexamen abgelegt hat, hat er massgeblich mit Forschungstaetigkeiten auf dem Gebiet der Fettstoffwechselkrankheiten ausgefüllt.
Hier liegt offensichtlich sein Steckenpferd. Nun, warum auch nicht...
Eine Taetigkeit als Arzt hat sich ausser in seiner Assistenzarztzeit, waehrend der er ja nur unter Aufsicht arbeiten durfte, hernach nie mehr ergèben.
Vieles bleibt daher bei ihm Theorie (die ja durchaus nicht falsch sein muss), der alltägliche Umgang mit Patienten in selbstverantworteter Tätigkeit geht ihm einfach ab. Das merkt man bei seinen Beiträgen denn auch immer wieder recht deutlich.
Die bisweilen grosse Lücke, die zwischen (richtiger) Theorie und gelebter Praxis klafft, wird da gern übersehen.
Niemand verschreibt aus Jux und Dollerei Medikamente, insbesondere keine teuren. Das selbst notwendige Verordnen teurer Medikamente bringt den verordneneden Arzt ganz leicht in eine für ihn bedrohliche Zwickmühle: Überschreitet er das ihm von der kassenärztljchen Vereinigung zugemessene Arzneimittelbudget, wird er persönlich für die Mehrkosten zur Kasse gebeten. Dabei gehts dann garantiert nicht um Kleingeld!
Ein niedergelassener Arzt wird also prinzipiell immer versuchen, Verschreibung von Arzneimitteln zu vermeiden.
Warum geht das nicht immer wie gewünscht?
Ist eine Diagnose erst einmal erstellt, setzt sie auch den behandelnden Arzt unter Druck.
Zum einen muss er nun zwangsläufig dem Patienten eine Behandlung anbieten, dieser Behandlung muss der Patient aber auch zustimmen. Dabei darf der Arzt eine mögliche für den Patienten bequemere Alternativbehandlung nicht verschweigen geschweige denn vorenthalten. Er darf aber auch eine gegebene Diagnose nicht ignorieren, nur weil er ganz persönlich Zweifel an der Bedeutung mancher Messwerte haben mag. Tut er das nämlich und erleidet der Patient einen Schaden, der aus dem Ignorieren erhobener Werte hergeleitt werden kann, droht dem Arzt der Kunstfehlerprozess mit allen daraus resultierenden möglichen Folgen.
Der Arzt wird also, allein auch um Kosten für Arzneimittel und daraus mögliche Regressansprüche zu vermeiden, dem fettstoffwechselgestörten Patienten eine strikte Diät anbieten.
Diese Anmutung wird erfahrungsgemäss in etwa 10% der Fälle gern und willig akzeptiert und befolgt, meistens mit dem gewünschten Erfolg.
Die übrigen 90% werden nach einem möglichen Alternativprogramm fragen, nach einer passenden Pille, die ihnen die lästige und lustlose Diät erspart.
Es gibt nun einmal dafür Pillen, der Arzt muss sie auf Wunsch des Patienten verordnen. Tut er das nicht, setzt er sich dem Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung aus.
Der Hinweis auf mögliche (aber nkcht zwangsläufige) Nebenwirkungen schreckt die allermeisten Patienten keineswegs ab.
Hier kommt die alte Landserlogik zum Tragen, dass ja nicht jede Kugel trifft.
Treten aber tatsächlich Nebenwirkungen auf, dann ist das Gejammere oft riesengross. Dass man vorher die alternative gelegentlich strikte Diät abgelehnt hatte, ist natürlich längst vergessen.
Der erneute Vorschlag einer alternativen strikten Diät verbunden mit mehr regelmässiger körperlicher Bewegung wird mit der Frage nach einem alternativen Medikament beantwortet.
Von solchen Problemen ist mein journalistischer Kollege stets verschont geblieben...er kann von uneinsichtigen Patienten unbelästigt leicht rein wissenschaftlich argumentieren.
Dem praktisch tätigen Arzt hilft er dabei gar nicht.
Auch nach seinen aufwühlenden Sendungen und Publikationen kommt so gut wie kein Patient in die Praxis und fragt noch einmal nach, wie es denn mit der Diät als Alternative zur Pille war.
Noch eins:
Viele Patienten verlassen die Praxis nur dann zufrieden, wenn ihnen irgendetwas aufbeschrieben worden ist.
Verweigert man eine Verschreibung, wird einem gerne unterstellt, dass man einem Patienten nichts gönnen würde.
"Warum wollen sie ausgerechnet bei mir sparen? Den Flüchtlingen wird alles vorne und hinter reingeschoben! Ich hab doch immer die Krankekass bezahlt..."
Also schreib ich dem messwertkranken diätunwilligen Wohlstandsbürger seine Pillen auf, Hinweise zu möglichen Nebenwirkungen werden beim nun eiligen Abschied gern überhört.
Merke zum Abschluss:
Einige der Patienten sind bei erhöhten Messwerten tasächlich gar nicht krank, andere wiederum sind es.
Leider steht keinem Patienten auf der Stirn geschrieben zu welcher der beiden Gruppen er gehoert...
Da ich in der Praxis schlecht Lotto spielen kann, muss ich den "worst case" annehmen und entsprechend behandeln.
Wir Aerzte haben dieses System nicht gemacht, wir muessen uns aber an die juristisch festgelegten Spielregeln halten, wollen wir uns nicht selbst gefaehrden.
Diese Spielregeln gelten fuer den Journalisten Dr B natuerlich nicht...
Wolfram