kmr erwähnte meinen Geburtstag. Danke für die Wünsche. Er forderte mich damit zu einer Geschichte heraus.
Geschrieben ab (nicht abgeschrieben) 8.August 2011
Eine feuchtheiße Tropennacht. Es regnete Bindfäden. Frösche quakten sich klamme Grüße zu. Leuchtkäfer sandten
geheimnisvolle Signale aus den Büschen.
Eine Gruppe, etwa zwanzig Menschen, die Mehrzahl Frauen und Kinder, waren unter einem schützenden Dach
versammelt. In den großen Kinderaugen spiegelten sich Kerzenflammen. Ein alter Mann mit heller Hautfarbe,
lehnte sich kurz zurück, atmete tief ein, schnellte den Oberkörper vor und blies rücksichtslos die karge Beleuchtung
weg. Aus sämtlichen Kehlen formten sich Klänge und Worte wie: „Happy Birthday .....“
Der Geburtstagsschmaus
Am Donnerstag erhielt Dick den Anruf einer wirklich guten Freundin:
„Ich möchte für Lows Geburtstag eine Torte kreieren. Geht das?“
Dick fragte mich.
Ich wollte die unterbeschäftigte Konditorin, ihr abwesender Gatte fördert in den Emiraten Öl für unseren alten
Toyota, nicht zusätzlich unglücklich machen und bejahte.
„Wir bringen die Torte am Sonntag nach zwölf Uhr vorbei,“ sagte die liebenswürdige Süßspeisenspezialistin.
Mittags esse ich oft Früchte, höchstens ein klares Süppchen ohne Nudeln, weder Fleisch noch Knochen, ohne
Gemüse wie Lauch, Kabis, Kohl und Kraut, Rüben, Sellerie oder Pilze. Eine schmackhafte, feine Pfütze, in der
exotische Kräutlein und eine einsame Pfefferschote zusammen baden. Die leicht gesalzenen Flüssigkeiten
ähneln eher einem Tee, als einer Minestrone oder Tom Yam Goong.
Ein kleines Stück, mit Liebe und Hingabe angefertigter Torte, begleitet von eine Flûte trockenen Schaumweins,
erachtete ich als bekömmlich und freute mich echt darauf. (1)
Die Torteninformation verbreitete sich wie ein Buschbrand mit kaltem Wind im trockenen Januar. Weitere Frauen
klingelten bei Dick. Sie möchten mich zu gerne sehen. Sie würden Speis und Trank mitbringen. Kurze Zeit danach
rechnete Dick mit sechs Besucherinnen, teilweise mit Kindern. Bereits bis Freitagmittag verdoppelten sich dem
Vernehmen nach Köchinnen wie Kinder. Mir wurde Angst und Bange und ich sagte zu Dick:
„Bitte erkläre den Edelfrauen, daß ich am Mittag gerne essen möchte. Aber du weißt, in meiner Speiseröhre sitzt
eine Fallbremse. Die klappt zu, und dann geht nichts mehr hinunter. Mittagessen ist für mich unmöglich oder ich
schlucke vorsorglich Pillen. Dann gibt es keinen Wein.“
Sogar nach gut gekauten Häppchen leide ich nach dem Schlucken fürchterlich. Da sitzt unverrückbar ein Klotz
im Hals, der nicht in den Magen will. Erbrechen kann ich nicht. Mit Wasser spülen ist nicht möglich. Ich muß mich
schmerzend quälen, leicht atmend bewegen und abwarten. Wenn der höllische Druck endlich nachläßt, helfen
tröpfchenweise wenige Milliliter Wasser, danach fühle ich mich wieder wohl.
Diese kurzen Anfälle sind nicht neu. Im vergangenen Jahrhundert fiel mir der Effekt erstmals beim Genuß eines
Fuji Apfels unangenehm auf. Danach mied ich diese Apfelsorte, bis ich einsehen mußte, daß die Blockierer nicht
nur diese Äpfel sind.
Das Leiden ist keine bösartige Erbkrankheit. Unfallbedingt wurde ich durch eine Rückenmarksverletzung
Spastiker. (2) Durch Kleinigkeiten, wie die Nahrungsaufnahme selbst, Knallkörper, splitterndes Geschirr oder
keifende Weiber, entstehen unkontrollierbare Krämpfe. Abends sind die gestreßten Muskeln viel ruhiger und
ich kann meist unbekümmert einpacken, besonders nach einem großartigen Cocktail in angenehmer Gesellschaft.
Am Sonntagmittag Punkt zwölf, war ich, frisch gewaschen und gekämmt, zu vielen Untaten bereit.
Der Schaumwein war kalt. Die durch die Putzfrau reduzierten, seinerzeit verschonten tulpenförmigen Gläser
warteten mit mir in einer strammen Reihe auf das schöne Geschlecht. Die ersten Vertreterinnen erschienen
gegen ein Uhr.
Tortenlos prosteten wir uns zu. Einige Damen begannen darauf heißhungrig und ungestüm, das noch
bescheidene Buffet zu reduzieren. Mehr und mehr Speisen mit ihren Köchinnen trafen ein. Die professionell
verpackte Torte lagerte mittlerweile geschützt in einem Kühlschrank im Schönheitssalon.
Zwischen dem Öffnen der Sektflaschen, steuerte ich nach Großmutters Rezept eine Apfelrösti, bestehend aus
kleingeschnittenem Brot, geraffelten Äpfeln, Zucker, Rosinen und Zimt bei. (3) Ich schnitt Brot, entkorkte eine
Flasche, rieb Äpfel, streute Zucker, Zimt und Rosinen, ließ einen Korken knallen und hantierte mit der Bratpfanne.
Während des Zubereitens kostete ich etwas vom süssen Gericht. Seit dreißig Jahren hatte ich nichts ähnliches
genossen. Kaum auf dem Tisch, löste sich die unbekannte Köstlichkeit unauffindbar auf. Helvetische Apfelrösti
harmonierte bestens mit hinterindischem Bratreis.
Nach etwa zwei Stunden beschloß die emsig mampfende Weiblichkeit in den Schönheitssalon umzusiedeln, weil
dort eine Karaokemaschine stand.
Die Speisen kann ich unmöglich alle aufzählen, weil ich bloß einen Teil davon sah. Verspätete Lieferungen gingen
direkt ins Eß- und Karaokezentrum. Es gab Reis, gebratenen Reis, Schweinebraten, Innereien vom Schwein, eine
riesige Platte garniert mit verschiedenen rohen Gemüsen, Glasnudelsalat, Papayasalat, Meeresfrüchtesalat und
Curries. Die Damen sangen sich Verpflegenderweise oder verpflegten sich Singenderweise bis nach sechs.
Dann kamen sie von einem kräftigen Regen begleitet, triumphierend mit der Torte zurück. Ich blies kraftlos,
dennoch erfolgreich klaglos sämtliche Kerzen aus.
Das Törtchen mit zweierlei Cremen schmeckte fantastisch. Für mich war es ohne trockenen Schaumwein eine
Spur zu süß.
Zudem entwickelte mein Magen ein gesundes Verlangen nach etwas warmem Rustikalem, edel Gewürztem,
zum Beißen. Dick gestand, alles Futter sei restlos verzehrt. Die Gäste verzogen sich gut gelaunt. Keine einzige
der Grazien hatte die Idee, während der stundenlangen, sinnlosen Völlerei, für mich einige Häppchen als
Geburtstagsgruß auf einem Teller zu retten.
Dick räumte rund ums Haus auf. Ich spülte die frisch gespuckte Hinterlassenschaft im Badezimmer weg. In der
Küche belegte ich ein Stück Brot mit echtem Salami Napoli und schlürfte dazu einsam und verlassen eine Flasche
stark gerbstoffhaltigen Rotwein. Nach zehn Uhr kochte ich eine Hafersuppe und verfeinerte sie mit reichlich
frischem Koriander. Wir teilten uns die Suppe. Danach war Bettzeit für die müde Puppe.
(1)
http://www.champagner.com/champagner-servieren.html(2)
http://de.wikipedia.org/wiki/Spastikhttp://www.gutefrage.net/frage/was-muss-ich-beim-umgang-mit-einem-spastiker-beachten(3)
http://www.bettybossi.ch/de/pdf/detail_SchwerpunktthemaTourdesuisse_pdf_147.pdfhttp://www.1001-rezept.de/Rezepte_596/Apfelr%F6stihttp://www.rezepte-guru.de/show.php/1684_Apfelroesti_(Alfredissimo).htmlFür Musikenthusiasten:
Suk San Wan Keut!
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