Lieber Doc Wolfram,
dass Cholesterinsenker unüberlegt verordnet werden, habe ich keineswegs behauptet. Vielmehr ist mein Vorwurf, dass sich viele Ärzte immer noch an dem fragwürdigen Referenzwert von 200 mg/dl (Milligramm pro Deziliter) orientieren, der zu niedrig ist und deshalb schon längst korrigiert werden müsste. Hoffentlich trifft Deine Vermutung zu, dass immer mehr Ärzte die Bedeutung leicht erhoehter Cholesterinwerte heute anders sehen.
Tatsache ist, dass aufgrund des niedrigen Referenzwertes weltweit Millionen Menschen unnoetig Cholesterinsenker verordnet bekommen und auch schlucken (Umsatz "Lipitor"/"Sortis" von Pfizer: mehr als 10 Mrd. Dollar im Jahr), die vielen Patienten aufgrund der nicht unerheblichen Nebenwirkungen beachtliche Probleme bereiten.
Wenn Patienten den Arzt bedrängen, ihnen einen Cholesterinsenker zu verschreiben, wie Du berichtest, dann sollte der Arzt auf die Nebenwirkungen dieser Medikamente verweisen und vorrangig mehr Bewegung und moeglicherweise Gewichtsreduzierung empfehlen. Patienten danken es dem Arzt, wenn er sie vor unliebsamen Nebenwirkungen wie Muskelschmerzen oder gar Muskelzerfall (Rhabdomyolyse) bewahrt.
In dem Beitrag "Die Cholesterinlüge" in der Publikation der Deutschen Herzstiftung (
www.herzstiftung.de/pdf/zeitschriften/2_3_Cholesterinluege.pdf) schreibt Prof. Dr. Helmut Gohlke zu der Simvastatin-Studie "4-S-Studie, 1994" wie folgt:
"Im Allgemeinen wurden die Statine gut vertragen. In der 4-S-Studie trat bei den 2.221 mit Simvastatin behandelten Patienten ein Fall von Muskelzerfall (Rhabdomyolyse) auf, der nach Absetzen des Medikaments gestoppt werden konnte. Die Nebenwirkungen waren insgesamt gering und gingen nach Absetzen des Medikaments zurück." - Die Beschreibung "insgesamt gering" hätte der Leser gerne näher erläutert bekommen.
In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass im Jahr 2009 laut Arzneiverordnungs-Report 2010 beachtliche 1.192 Mio. Tagesdosen Simvastatin in Deutschland verabreicht wurden, welches einer Steigerung von 13% gegenüber dem Vorjahr entspricht. Über eine neuere Ausgabe dieses jährlich erscheinenden Reports verfüge ich leider nicht. Dem Internet sind diese Zahlen leider nicht zu entnehmen.
Außerdem sind die Verordnungen von Statinen von 424 Mio. im Jahr 2.000 auf 1.404 Mio. im Jahr 2009 gestiegen, und sie werden vermutlich weiterhin jährlich im zweistelligen Bereich steigen aufgrund der Verunsicherung der Bevoelkerung (Vermerk auf einer Lebensmittel-Packung: "cholesterinfrei!". Ist Cholesterin etwa ein Gift? Nein, es ist ein physiologischer Stoff, den der Koerper produziert, vor dem man nicht warnen muss).
Im übrigen, lieber Wolfram, kann der Arzt die Meinung von Patienten, er wolle zu ihrem Nachteil sparen, im Fall der kostengünstigen Cholesterinsenker (100 x 20 mg Simvastatin sind bereits ab 12,51 Euro erhältlich) ganz leicht entkräften. So sollte der Arzt den Patienten sagen, dass er hiermit keineswegs sein Budget überzieht und er keinen Euro weniger verdient, wenn er ihnen das Medikament verschreibt.
Damit Patienten nicht zu einer anderen Arztpraxis abwandern, kann der Arzt den Patienten ein Rezept für Simvastatin aushändigen mit der Warnung auf moegliche Nebenwirkungen ("vielleicht treten sie bei Ihnen nicht auf") und dem Hinweis, einen niedrigeren Cholesterinwert zunächst mit mehr Bewegung zu erreichen - mit anschließender Kontrolle der Werte durch den Arzt.
In der "Sprechstunde der Deutschen Herzstiftung" erfährt man von 165 aktuellen Leser-Kommentaren, wie sehr verbreitet Muskelschmerzen bei Statin-Verwendern sind (Nebenwirkungen: "Ich bekomme unter meinem Statin Muskelschmerzen - Gibt es Alternativen?" -
www.herzstiftung.de/Nebenwirkungen-Statine-Muskelschmerzen.html.
Selbst nach 5 mg Simvastatin pro Tag beklagen Patienten erhebliche Muskelschmerzen. Und die Muskelschmerzen treten bei allen Statinen auf, auch bei dem neuen Medikament "Crestor" (Wirkstoff: Rosuvastatin), welches die Cholesterinwerte stärker senkt als die anderen Statine - moeglicherweise aber auch mit staerkeren Nebenwirkungen.
Die Berichte verschiedener Statin-Verwender im Forum der Deutschen Herzstiftung sind teilweise erschütternd, wie beispielsweise der Bericht von Hannelore R. aus Berlin (26.03.2011):
"Meine Cholesterinwerte waren angeblich zu hoch (gesamt 304, LDL 192, HDL 78). Die starken Muskelschmerzen veranlassten den Arzt, verschiedene Cholesterinsenker auszuprobieren. Augenblicklich nehme ich Ezetrol 10 mg. Die Schmerzen sich nach wie vor unerträglich. Besuche in mehreren Schmerzzentren waren sinnlos, das einzige, was dort unternommen wurde, war, dass verschiedene Schmerzmedikamente eingesetzt wurden. Nach Ursachen wurde nicht gesucht. Ich nehme gegenwärtig gegen meine Schmerzen Novaminsulfon (Wirkstoff: Metamizol, im Jahr 2009: 115 Mio. Tagesdosen), dreimal täglich 30 Tropfen. Trotzdem sind die Schmerzen zeitweilig unerträglich."
"Leider sind die Ärzte voellig uneinig, welche Auswirkungen ein hoher Cholesterinspiegel (was ist wirklich ein hoher Cholesterinspiegel?) auf die Gefahr von Herzerkrankungen hat. Einige reagieren regelrecht hysterisch auf einen Cholesterinwert, wie ich oben genannt habe, andere wiederum empfehlen, diesen Wert voellig zu ignorieren. Wie soll man sich als Patient da verhalten? Meine Schmerzen sind schlimm und mindern meine Lebensqualität sehr stark."
Dass zwischen den Ärzten, insbesondere den deutschen und den amerikanischen, bezüglich der Beurteilung einer Statin-Therapie große Unterschiede bestehen, wird auch deutlich, wenn man den Beitrag "Statine - Fachgesellschaft bekräftigt bisherige Behandlungsstrategie" am 14.01.2014 im Deutschen Ärzteblatt liest:
"Eine wesentliche Neuerung ist, dass die US-Leitlinien eine hochdosierte Statintherapie für eine Vielzahl von Patientengruppen empfehlen."
"US-Leitlinien: Statine auch bei normalen Cholesterinwerten."
"Endokrinologen kritisieren fehlende Cholesterinzielwerte in US-Leitlinie."
"Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen: Kurswechsel loest heftigen Streit aus."
"Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) hält für moeglich, dass nach der neuen Risikodefinition bis zu 50% der 33 Mio. US-Bürger im mittleren Alter für eine Statintherapie in Betracht kommen koennten."
Dass hoehere Dosierungen eines Statins auch mit groeßeren Risiken für Nebenwirkungen verbunden sind, wurde in den obigen Ausführungen im Ärzteblatt nicht erwähnt. Dagegen hatte dies bereits die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, KBV, am 27.09.2009, Arzneimittel im Blickpunkt, Nr. 19/2009, in ihrer Beurteilung des neuen Wirkstoffs Rosuvastatin ("Crestor") festgestellt:
"Seit kurzem befindet sich mit Rosuvastatin in Deutschland das sechste Statin auf dem Markt. Ebenso wie Atorvastatin befindet es sich unter Patentschutz (inzwischen ist der Patentschutz für Atorvastatin aufgehoben). Die älteren Statine Simvastatin, Fluvastatin, Lovastatin und Pravastatin sind in Deutschland als kostengünstige Generika erhältlich."
"Rosuvastatin wurde bereits 2003 in Amerika zugelassen. Das Statin ist in Bezug auf die LDL-Senkung sehr stark wirksam - allerdings gehen mit hoeheren Dosierungen der Substanz auch groeßere Risiken für Nebenwirkungen einher. So wurde ursprünglich die Zulassung für die 80 mg-Wirkstärke beantragt, die FDA (US-Zulassungsstelle) lehnte diese hohe Dosierung allerdings aus Sicherheitsbedenken wegen erhoehter Fälle von Rhabdomyolyse (Muskelzerfall) und Myopathie (Muskelschädigung) unter dieser Dosisstärke ab und ließ nur maximal eine Wirkstärke von 40 mg Rosuvastatin zu."
"Für Rosuvastatin ist nicht belegt, dass die stärkere LDL-Senkung im Vergleich zu einem anderen Statin einen positiven Einfluss auf die Gesamtmortalität hat. Bisher liegen für harte Endpunkte nur verglechende Studien zu Placebo vor. Es gibt keine Studien, die belegen, dass Rosuvastatin im Vergleich zu einer anderen Statintherapie einen günstigeren Einfluss auf die Mortalität hat. Rosuvastatin ist fast viermal teurer als generisches Simvastatin."
Zum Thema "Statine-Nebenwirkung" erschien am 19.06.2012 im Deutschen Ärzteblatt mit dem Beitrag "Nebenwirkung - Statine machen Muskeln müde" (
www.aerzteblatt.de/nachrichten/50574/Nebenwirkung-Statine-machen-Muskeln-muede) ein sehr interessanter Bericht:
"Obwohl Statine zu den am häufigsten verordneten Medikamenten gehoeren und ihre Sicherheit wie bei kaum einer anderen Wirkstoffgruppe durch randomisierte klinische Studien geprüft wurde, scheint eine häufige Nebenwirkung bisher übersehen worden zu sein."
"Nach den Ergebnissen einer aktuellen randomisierten Studie in den Archives of Internal Medicine 2012 kommt es bereits unter einer niedrigen Dosierung zu einer Ermüdung der Muskulatur, die die sportliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigt."
"Die Nebenwirkung ist zunächst bei Leistungssportlern aufgefallen. Der oesterreichische Internist Helmut Sinzinger, Wien, berichtete bereits vor einiger Zeit, dass es fast unmoeglich sei, Leistungssportler, die an einer familiären Hypercholesterinämie leiden, mit Statinen zu behandeln. Fast immer klagten die Sportler nach Beginn der Therapie unter Muskelschmerzen, die sie vom Training abhält und die nach dem Absetzen des Medikaments wieder verschwinden (British Journal of Clinical Pharmacology, 2004)."
"Die muskuläre Ermüdbarkeit ist typischerweise nicht mit einem Anstieg des Kreatinins oder anderer Hinweise auf eine Muskelschädigung verbunden. Sie ist laut Beatrice Colomb, University of California, San Diego, jedoch eine häufige und klinisch relevante Nebenwirkung der Statin-Therapie."
"Dass sie in früheren randomisierten klinischen Studien nicht entdeckt wurde, zeigt, dass der Goldstandard der klinischen Prüfung nicht lückenlos ist. Einige Nebenwirkungen werden, wenn sie nicht schwerwiegender Natur sind, eventuell nur dann erfasst, wenn nach ihnen gesucht wird."
Zu dem Beitrag im Deutschen Ärzteblatt schreibt der Arzt Dr. Karlheinz Bayer, Bad Peterstal, am 20.06.2012 in seinem kritischen Kommentar unter anderem:
"Statine schaden den Muskeln ... 0,1 Prozent Benefit gegen 20 Prozent Risc."
"Es klingt verrückt, wenn man hier liest, eine häufige Nebenwirkung der Statine sei übersehen worden! Ich bin gewiss keine Ausnahme als Allgemeinarzt."
"Wenn bei mir jeder 5. Patient über mehr oder weniger starke Muskelschmerzen und Muskelschwäche klagt, die 2-3 Wochen nach Absetzen des Statins wieder verschwinden, dann ist das sicherlich nicht auf meine zwangsläufige empirische Sichtweise, und dass ich keine randomisierte Studie mit meinen paar hundert Patienten durchführen kann, zurückzuführen."
"Und gleich noch eine zweite und sicher ebenso wenig "überraschend neue Erkenntnis" für San Diego: etwa jeder dritte Patient klagt über Oberbauchschmerzen, die so unangenehm sind, dass das Statin - und zwar egal ob Sim-, Ator- oder Whatever-vastatin - bei gut einem Fünftel der Opfer abgesetzt werden muss."
"Nicht sicher behaupten will ich, aber auch das wäre ein dankbares Forschungsfeld, das Statine das zentrale Nervensystem schädigen. Insbesondere bei Lehrern und anderen Merk- und Lern-Berufen nimmt die Vergesslichkeit unter Stattinen erschreckend zu."
"Soll ich noch ergänzen, dass eine erektile Dysfunktion oder Impotenz, die man bisher gerne dem erhoehten Cholesterin zugesprochen hat, moeglicherweise ein Statin-Effekt ist? Ich tue es hiermit."
"Wir schädigen Muskel, Bauch, Kopf und Sexualfunktion, um den Fettstoffwechsel zu therapieren, bei dem wir doch eigentlich viel sinnvoller bei dem Gebrauch von Messer und Gabel und - ja, genau, der Muskeln! - ansetzen koennen."
Zum Schluss moechte ich noch auf den Quarks-Beitrag "Macht Wissen krank? Vom Volk der Hypochonder" eingehen. Dass die Deutschen so häufig einen Arzt aufsuchen, ist auch auf das deutsche Abrechnungssystem zurückzuführen. So musste ich beispielsweise in Deutschland in jedem Quartal das Rezept meines Hausarztes für das von mir benoetigte Levothyroxin ("Euthyrox" von Merck) für meine Schilddrüsenunterfunktion abholen - mehr als den Quartalsbedarf darf ein Arzt nicht verordnen, versicherte mir mein Hausarzt.
Übrigens kostet das Präparat "Euthyrox" in Thailand 100 Baht und in Deutschland rund 16 Euro, da die Apotheken in Deutschland für jedes verschreibungspflichtige Medikament 8,35 Euro erhalten, egal wie teuer das Medikament ist. Diese Regelung gilt aber nur für verschreibungspflichtige Arzneimittel mit Festpreis, nicht aber für rezeptfreie Medikamente, die von Versandapotheken oft 50% unter dem empfohlenen Preis verkauft werden.
Abschließend moechte ich noch auf die lesenswerten Beiträge von Joerg Blech zum Thema Gesundheit verweisen:
1) SPIEGEL 27.09.2007: "Heilung durch Aktivität: Das Wundermittel namens Bewegung" (Beitrag ist bei Google abrufbar)
2) Fischer-Taschenbuch, Auflage 5 (2008): Joerg Blech: "Heilung mit Bewegung - Wie Sie Krankheiten besiegen und Ihr Leben verlängern" 8,95 Euro (Amazon: Auslandsversand plus 10 Euro)
Bekanntlich ist Bewegung die beste Medizin gegen Bluthochdruck, überhoehtes Cholesterin und Diabetes - und macht zumeist pharmazeutische Präparate überflüssig!
Nachdem ich längere Zeit am Computer gesessen habe, muss ich nun aufstehen und mich auf meinem Laufband bewegen, da vermutlich mein Blutglukose-Wert durch das pausenlose Sitzen wie im folgenden Beitrag von 100 auf 150 mg/dl gestiegen ist:
siehe Video: "Pausenloses Sitzen - wie ungesund ist es?" (6:18) -
Wer noch kein Laufband hat, sollte sich beim oertlichen Krankenhaus erkundigen, ob in dem Haus ein Fitness-Center mit Laufbändern und anderen Geräten vorhanden ist. Ich besuchte jahrelang das Fitness-Center im hiesigen Krankenhaus (30 Baht Gebühr), wo ich viele nette Krankenschwestern und auch den Chef des Krankenhauses kennenlernte.
Im September kaufte ich mir dann ein eigenes Laufband und vermisse seitdem die lieben Krankenschwestern, die ich wieder einmal besuchen muss.