SonntagDer Nachmittag Um 12 Uhr schreiten zwei junge Frauen mit leichtem Watschelgang, die Fußspitzen eine Idee zu weit nach außen gestellt, in den Besucherraum herein, verbeugen sich in perfekt eingeübter Haltung auf den Knien dreimal mit der Stirn bis auf den Boden, ihre Füße wieder absolut parallel nebeneinander, vor unserem Short Time Buddha und sprechen ihn auf Thai an. Aha, die buddhistische Konzentration auf das augenblickliche Geschehen funktioniert schon gar nicht schlecht. Es ist zwar nicht so, dass er sich noch nie über diesen typischen Entengang amüsiert hätte, aber in seiner ungewöhnlichen Lebensumgebung fallen ihm die für ihn schon längst selbstverständlichen Angewohnheiten der Dorfschönheiten wieder ganz frisch aus neue auf.
Er sagt auf Thai, dass er sie nicht versteht, „mae kau chai kap, pom put thai nit noi“ und sie reden munter auf Thai weiter, da der Farang ja offensichtlich doch Thai spricht. Sie sagen, dass sie unbedingt den Ajan sprechen müssen. Der ist noch nicht von seinem Ausflug zurück, aber er versteht, dass es sich um Buddhastatuen handelt, die heute schon geliefert werden und die er unbedingt heute schon gebührlich und mit dem nötigen Respekt eines Ajans entgegen nehmen soll. Er erwidert den jungen Frauen, dass sie am besten mit den Tempelboys reden, die irgendwo auf dem Wat Gelände herum schwirren. Sie sind zufrieden, verbeugen sich wieder dreimal auf die bekannte Art und schaukeln, wieder mit nach außen gestellten Fußspitzen, von dannen. Unser Short Time Buddha kommt sich sehr offiziell vor, hat er doch den Ajan in seinem Besucherraum würdig vertreten. Aber er kann nicht aufhören, sich zu wundern, mit welcher Selbstverständlichkeit ihm der Status eines Buddhas eingeräumt wird. Den Kniefall hatte er bisher nur in schnieken Hotels erfahren, nämlich dann, wenn eine der Götterfeen ihm den Black Nam servierte.
Nun erinnert er sich auch an den Hintergrund der Geschichte von den neuen Buddhastatuen. Seine Jetzt-Nicht-Frau hatte ihm nämlich vorher erzählt, dass kürzlich eine Buddhastatue aus der Sala, dem nach drei Seiten offenen und für die Dorfgemeinschaft jederzeit verfügbaren Festraum, gestohlen wurde. Das ist wirklich etwas, was man in Thailand nicht erwartet. Die Nähe von Pattaya und Naklua scheinen dieses Tabu relativiert zu haben. Aber es sei nicht verschwiegen, dass auch das ländliche Thailand, fernab vom Touristenstrom, gelegentlich nicht von diesem unschönen Verhalten verschont bleibt. Der Respekt vor Buddha sitzt zwar tief, aber die Gier, Tanha, scheint auf dem Vormarsch zu sein.
Die Chefin und seine Jetzt-Nicht-Frau haben untereinander ausgemacht, eine neue Statue zu spenden. Sie teilen sich die Kosten und, wie so üblich, haben auch einige ärmere Bekannte ein oder zwei Mark dazu beigesteuert. Auf diese Art kommen so viele Leute wie möglich in den Genuss des Segens, den sie durch die Spende erhalten, ganz unabhängig von der Höhe des Betrages. Die Geste alleine zählt. Tatabsichten sind entscheidend.
In diesem Zusammenhang möchte unser Short Time Buddha eine kleine Begebenheit schildern, die der Wahrheit entspricht und einem seiner früheren Nachbarn Mitte der 80ziger Jahre wirklich geschah. Dieser Nachbar kam eines Tages nicht mehr Herr all seiner Sinne und in froher Erwartung in der Begleitung einer Service Dame nach Hause. Während er das Hong Nam, Badezimmer, zwecks Erleichterung aufsuchte, griff seine Auserwählte zur Remote Control des Fernsehers, aber völlig vergeblich. Denn anstatt einer trickreichen chinesischen Kampfszene oder einer zum Konsum verführerisch anregenden Thai Soap Opera wurde sie eines Zahnputzbechers mit drei verglühten Räucherstäbchen darin gewahr, die natürlich nicht auf den Druck auf die elektronische Taste reagierten. Wer jetzt glaubt, die Kamoys, Diebe, hätten sich auf diese Art und Weise beim Besitzer der Flimmerkiste entschuldigt, irrt wahrscheinlich gewaltig. Vielmehr baten die Kamoys die Geister des Landes, auf dem das Haus steht, um Vergebung. Der aktuelle Besitzer ist völlig austauschbar und unwichtig. Die wechseln, aber die Geister bleiben und der ein oder andere könnte ja den Fernseher vermissen und dadurch sehr ungehalten werden, auch über die Grenzen dieses Grundstücks hinaus. Ein in der Thaikultur versierter Nick Knatterton oder Sherlok Holmes würde sagen: kombiniere, die Diebe sind aus der Nähe und man wird sie an ihrem Angstschweiß erkennen. Im buddhistischen Sinne haben die Diebe mehrere wesentliche Fehler begangen. Natürlich den Fehler der Entwendung des Apparates, sie nahmen etwas, das ihnen nicht gegeben wurde, aber auch den Fehler der Nachlässigkeit. Sie haben nämlich die Remote Control vergessen. Unser Short Time Buddha fragt sich nach all den angelesenen buddhistischen Weisheiten, was denn nun schwerer wiegt.
Um 2 Uhr Nachmittags kommt ein sehr dünner älterer Buddha herein und spricht unseren Short Time Buddha wie einen alten Freund an. Sein Englisch ist ausgezeichnet und er sagt, dass er aus einem anderen Wat, nicht weit von hier, mit dem Namen Wat Nongklat Noi kommt. Es ist das Wat des hiesigen Provinzabtes und der Besucher sagt, dass er interessiert zugeschaut hätte, als er vergangenen Freitag zum Short Time Buddha befördert wurde. Es hätte sich nämlich herumgesprochen, dass unser Short Time Buddha ein studierter Mensch sei, der auf dem besten Wege ist, die Lehre Buddhas zu verstehen. Er hätte ihm das von Anfang an angesehen und hätte doch gerne mal die Wunderbücher gesehen, die unser Short Time Buddha studiert, denn die müssen ja äußerst wertvoll und nützlich sein. Er wäre gerade selber dabei, seine Kenntnisse der Buddhistischen Lehre zu vertiefen und hofft, dass unser Short Time Buddha ihm mit seinen Büchern weiterhelfen könne.
Unser Short Time Buddha ist natürlich total aus dem Häuschen, wieder gänzlich dem Samsara und dem begleiteten Dhukka verfallen, fern jeglicher Erleuchtung, fühlt sich geehrt, kann gar nicht fassen, wie ihm geschieht. Da besucht ihn also ein Thai-Buddha, der schon viele Jahre in verschiedenen Wats verbracht hat und fragt ihn um Rat. Das ist einfach unglaublich und er ist sehr gerührt. Die Illusion seines Ichs nimmt wieder gefestigte permanente Formen an, und er reicht seinem Besucher die Bücher. Der zeigt an einem ganz besonderes Interesse: „What the Buddha Taught“, von Dr. Rahula. Damit hat er zugestandenermaßen den besten Griff getan. So unbeschlagen scheint er nun doch nicht zu sein. Der Besucher erzählt, dass einer seiner Freunde einmal in Berlin war und dort ein Thai Wat besucht hat. Ebenso gäbe es ein Wat in München. Ob ich die kennen würde.
Dann fordert er unseren Short Time Buddha auf, während seiner Studien die Thaikultur nicht zu vergessen, sie unbedingt mit einzubeziehen. Jedes Land hätte seinen eigenen charakteristischen Stil in der Auffassung und Durchführung des Buddhismus, der aus der Tradition des jeweiligen Umgebung hervorgehe. Er solle sich aber von dem in Thailand weit verbreiteten Firlefanz, den so manche Buddhas für die Schäflein veranstalten, nicht verwirren lassen. Ihnen und den unschuldigen Laienseelen sei es verziehen. Unser Short Time Buddha muss das erste mal als Buddha herzlich lachen. Offensichtlich sieht er sehr wohlwollend dabei aus, denn sein Besucher teilt seine ausgelassene Freude. Es ist herrlich. Den möchte er als Freund in seiner jetzigen Situation haben. Dann käme der Sanuk auch nicht zu kurz.
Als der Besucher nach einiger angenehmer Fachsimpelei wieder geht, nimmt sich unser Short Time Buddha vor, das Buch noch einmal zu kaufen um es ihm dann zu schenken. Sein eigenes Buch möchte er gerne behalten, denn er weiß, dass er längst nicht alles verstanden hat, und er es wohl einige male mehr lesen muss.
Draußen fegen einige ältere Buddhas den Staub von den Stufen zum Bhot und die Blätter unter den Bäumen zusammen. Das dient der Konzentration. Unser Short Time Buddha macht sich auch wieder nützlich und schaufelt im Garten Erde in die Löcher unter den neu gepflanzten Bäumen. Die Ameisen schwirren zwar aufgeregt umher, nachdem ihre Nester den Weg aller Vergänglichkeit gegangen sind, aber er zielt mit der Schaufel wenigstens nicht auf ihr Genick und hat auch keine bösen Absichten im Sinn. Wie jeden Nachmittag überkommt ihn dann die Langeweile, denn ihm fehlt die Geselligkeit des Gespräches. Er glaubt auch, den Tagesablauf zu verstehen und erwartet nicht, dass wesentlich neues auf ihn zukommen wird.
Es hat angefangen zu regnen und es wird angenehm kühl. Der Ventilator ist ausgeschaltet. Unser Short Time Buddha hat es sich auf dem abgewetzten Ledersessel gemütlich gemacht und döst alleine vor sich hin. Er hat sich schon ein wenig an seine Glatze gewöhnt und wenn er seine Hand darauf legt, fühlt es sich nicht mehr so ungewöhnlich an, eher wie ein Zweitagebart. Er freut sich schon auf den abendlichen Gesang und die Meditation im Bhot.
Plötzlich kommt jemand herein und geht schnurstracks auf den Sarkophag zu, ohne mit irgendwelchen Gesten seine Ehrerbietung zu erweisen. Er studiert sehr aufmerksam den Inhalt am Kopfende und unser Short Time Buddha weiß nicht, was er davon halten soll. Kurz darauf geht dieser Besucher wieder grusslos.
Neugierig geworden sieht er sich den Inhalt selber mal genauer an. Es ist nicht leicht, nahe heranzukommen, da der Sarkophag von vielen großen Blumenvasen mit handgefertigten Stoffblumen umstellt ist. Darin liegt ein ausgemergelter Körper, bekleidet in einem Festgewand. Seine knorrigen Hände über der Brust zusammengelegt. Es müffelt nicht. Er bemerkt, dass der Kopf der Mumie von dichtem Schimmel bewachsen ist, der schon wie Moos wuchert. Nun wird ihm auch klar, warum die beiden Ventilatoren, die auf den Sarkophag gerichtet sind, Tag und Nacht laufen. Aber einen Kühlschrank ersetzen die nicht. Der Besucher war wohl ein Konservator, der sich den Schaden angesehen hat Die scheinen einer besonderen Sorte anzugehören. Ein lebender Buddha hat anscheinend für die keine Bedeutung.
Unserm Short Time Buddha geht wiedermal dieses „ich-als-Illusion“ durch den Sinn und er erinnert sich an ein Zwiegespräch, welches Buddha mit seinen Jüngern in dieser typischen Frage- und Antwortform geführt haben soll.
Was denkt ihr, Mönche, ist der Körper beständig oder unbeständig?
Unbeständig, Herr.
Sind Empfindungen, Wahrnehmungen, Geistesregungen, Bewusstsein beständig oder unbeständig?
Unbeständig, Herr.
Was aber unbeständig ist, ist das leidhaft oder freudvoll?
Leidhaft, Herr.
Was aber unbeständig, leidhaft, dem Gesetz des Vergehens
unterworfen ist, ist es recht, das anzusehen als „Dies ist mein,
dies bin ich, dies ist mein Selbst“?
Gewiss nicht Herr.