Wir haben hier ja keine Zeitungen mehr abonniert, da mehr oder weniger alles online gelesen wird was uns interessiert. Die letzten Wochen waren wir, wie schon erwähnt anders wo, in der Ostschweiz unterwegs und da hatte ich wieder mal die Gelegenheit täglich die NZZ in gedruckter Zeitungsform zu lesen. Den folgenden Artikel habe ich sogar aus der Zeitung gerissen, da er meines Erachtens im Detail aufzeigt wie nicht verfassungskonform der BR in der Schweiz die Situation in den letzten Wochen gehandhabt hat.
Wer die Details zu diesem, doch kritischen Kommentar von mir im Detail verstehen will, der muss sich die Zeit nehmen den folgenden Artikel zu lesen. Auch Deutschland und Österreich werden darin erwähnt. Absolute lesenswert und auch notwendige Bildung für den einfachen Bürger.
Gastkommentar
«Notrecht» in der Corona-Pandemie: Der Bundesrat hat die geltende Rechts- und Verfassungsordnung verlassenDas Parlament hat zu Beginn der Corona-Krise seine Session überhastet abgebrochen. Für Bundesrat und Verwaltung war dies die unausgesprochene Aufforderung zur Selbstermächtigung. Ein rechtlich und politisch gefährlicher Weg.
Andreas Kley / 18.05.2020, 05.30 Uhr
Die Covid-19-Pandemie setzt die europäischen Verfassungsstaaten schweren Belastungen aus. Wirtschaft und Gesellschaft erfahren massive Verwerfungen, deren Folgen gegenwärtig noch kaum abzuschätzen sind. Ähnlich diffus und daher ähnlich schwierig fassbar sind die Entwicklungen in Politik und Verfassungsrecht.
Wie der Blick auf Europa zeigt, suchen die Staaten die Krisenlage institutionell sehr unterschiedlich zu bewältigen. Es lassen sich drei Verfahrensmodelle ausmachen. Die Unterschiede betreffen dabei nur wenig die faktisch getroffenen Pandemiemassnahmen. Weitreichend divergieren die drei Verfahrensmodelle jedoch in ihren langfristigen Wirkungen auf den politischen Prozess und das Institutionengefüge.
Drei Modelle der Pandemiebewältigung
Das erste Modell orientiert sich an dem, was wir den parlamentarischen Normalzustand nennen können. Es zielt vorrangig darauf ab, das Parlament funktionsfähig zu erhalten. Verschiedene Staaten haben deshalb als Erstes Sonderregeln zur Beschlussfähigkeit ihres Parlaments erlassen. So hat der Deutsche Bundestag das Quorum von 50 auf 25 Prozent herabgesetzt. Das Parlament soll arbeitsfähig sein, selbst wenn zahlreiche Abgeordnete krank werden oder wegen der Hygienevorschriften den Sitzungen fernbleiben müssen. So tagten in der Folge der Bundestag, das britische Unterhaus und weitere Parlamente mit reduzierter Besetzung und blieben, auch der Regierung gegenüber, handlungsfähig.
Ein zweites, radikaleres Modell will uneingeschränkt die exekutive Handlungsfähigkeit sichern. Norwegen, Belgien, Spanien, Frankreich, Österreich und Ungarn richten sich nach diesem Modell. Das ungarische Parlament, in dem die Regierung Orbán die absolute Mehrheit besitzt, übertrug der Exekutive umfassende Vollmachten und nahm sich damit selber teilweise aus dem politischen Geschäft. In- und ausländische Kritiker Viktor Orbáns haben diesen Beschluss als diktatorisch verurteilt. In der Sache sind Vollmachterteilungen missbrauchsanfällig und daher fragwürdig. Ihr rechtsförmiges Zustandekommen setzt einen offiziellen, debattierten und veröffentlichten Parlamentsbeschluss voraus. Die Regierung handelt aufgrund der Fremdermächtigung durch das Parlament. Diese Fremdermächtigung ist verfassungsrechtlich untrennbar mit der Idee der Befristung verknüpft. Auf diese Weise ist in der rechtlich-politischen Agenda ein Tagungsordnungspunkt gesetzt, der zumindest verfassungssystematisch nicht umstandslos missachtet werden kann.
In der Schweiz ist ein drittes Modell zur Anwendung gelangt, freilich nicht als rechtsförmiges Ergebnis einer expliziten parlamentarischen Debatte und Entscheidung. In der Öffentlichkeit geistert der Ausdruck «Notrecht» herum, ein Begriff, den die Bundesverfassung nicht kennt und nicht nennt. Im Kern geht es um das, was sich als exekutive Selbstermächtigung beschreiben liesse. Zu diesem Modell kam es wie folgt. Die aufkommende Angst vor der Pandemie veranlasste die Bundesversammlung, die laufende Frühjahrssession am 15. März 2020 überstürzt abzubrechen. Dadurch drängte das Parlament ohne förmlichen Beschluss die Regierung in eine Rolle, die ihr die Verfassung nicht gibt. So erhielt der Bundesrat zwar keine staatsrechtliche, wohl aber eine politische Rückendeckung. Diese Entwicklung führte dazu, dass Bundesrat und Bundesverwaltung von nun an den verfassungsrechtlichen und formellen Argumenten ein geringeres Gewicht beimassen. Der Bundesrat konnte es sich erlauben, mit einem Griff in die Sterne (Bundesrat Edmund Schulthess, 1934) eine angebliche Lücke in der Bundesverfassung zu stopfen. Er interpretierte eine Notrechtsnorm in die Verfassung, die nicht darin enthalten ist. Anschliessend führte die Verwaltung im Ingress von «Notverordnungen» verschiedene Verfassungs- und Gesetzesartikel an, die eine rechtliche Grundlage mimen. Auf diese Weise verliess die Regierung mit politischer Billigung des Parlaments die geltende Rechts- und Verfassungsordnung. Der Bundesrat wird dafür rechtlich nicht belangt werden, weil er von Gesetzes wegen Immunität geniesst. Die zuständigen Parlamentskommissionen werden diese auf keinen Fall aufheben, die politische ist dadurch eine rechtliche Deckung.
Es herrschte in den Köpfen schliesslich ein vom Parlament konkludent bestätigter «Notstand», der die Anrufung von «Notrecht» geradezu provozierte. Die Schweizer Regierung machte davon ausgiebigen Gebrauch. Sie erliess eigentliche Corona-Massnahmen, änderte zwecks Erleichterungen aber auch zahlreiche Bundesgesetze ab und startete ein umfassendes sozial- und wirtschaftspolitisches Programm, das den Steuerzahler bis jetzt etwa 60 Milliarden Franken kosten dürfte.
Den ganzen "Gastkommentar" findet man im folgenden Link:
https://www.nzz.ch/meinung/rechtlich-politische-pandemiebewaeltigung-und-ihre-gefahren-ld.1556778Darius