Bollwerk im Pazifik
Eine reiche Familie schürte den Konflikt mit China – sie verkaufte die umkämpften Senkaku-Inseln an die Regierung in Tokio.
Hiroyuki Kurihara fährt mit der Hand über die Seekarte an der Wand in seinem Tokioter Architekturbüro. Schließlich zeigt er auf fünf winzige Punkte im Blau des Ostchinesischen Meeres, weit im Südwesten von Japan: die Senkaku-Inseln, felsig, unbewohnt. Es gibt Wasserfälle dort, Ziegen, sonst nicht viel.
Bislang gehörten die Senkakus größtenteils den Kuriharas. „Über 40 Jahre lang haben wir die Inseln für unsere Nation bewahrt“, sagt Hiroyuki Kurihara, „nun aber sind wir alt.“ Vorvergangene Woche hat seine Familie drei der Senkakus für umgerechnet 20 Millionen Euro an die japanische Regierung verkauft. Ein Fehler, findet Kurihara, 65. Er hätte lieber für noch mehr Ärger gesorgt. Doch schon so hat der ungewöhnliche Immobilien-Deal die seit Jahrzehnten schärfste Kontroverse mit dem Nachbarn ausgelöst: In China beschädigten Demon - stranten japanische Geschäfte und Fabriken, Peking schickte Patrouillenboote in das Seegebiet – wo die japanische Küstenwache die Chinesen vor den Inseln in Schach halten soll. „Könnten China und Japan wirklich deswegen in den Krieg ziehen?“, fragt der „Economist“.
Denn China erhebt Anspruch auf die Inseln und fühlt sich durch den Verkauf an die japanische Regierung provoziert.
Dabei wollte Japan genau diesen Konflikt vermeiden. „Unsere Regierung hat viele Chancen verpasst, unsere Souveränität zu verteidigen“, lästert Kurihara. Vor acht Jahren hat er zwei Senkakus, die ihm gehörten, seinem Bruder Kunioki, 70, überschrieben. In konservativen japanischen Familien, so sagt er, verwalte immer der älteste Sohn das Erbe. Bruder Kunioki, ein vermögender Immobilienbesitzer, entschied deshalb jetzt allein über den Verkauf. Seit Jahren aber fungiert Hiroyuki Kurihara als eine Art Sprecher für den älteren Bruder, der kein Handy benutzt, sich nie öffentlich zeigt und in japanischen Medien nicht abgebildet wird, weil er sich offenbar vor Anschlägen fürchtet. Wäre es nach Hiroyuki gegangen, dann hätte der Clan die Inseln an die Hauptstadt Tokio verkauft. Dort regiert Gouverneur Shintaro Ishihara, 79, ein Nationalist.Der rechtspopulistische Haudegen plädiert für einen harten Kurs gegenüber China, dort ist er eine Reizfigur, zu Hause gilt er als Mann mit Mumm. Ishihara hätte auf der Insel ein Kühlhaus für Thunfische bauen können, sagt Kurihara, und eine massive Pier. Er hätte Japans Anspruch in Beton gegossen. „Ishihara hat eine Strategie, um die Inseln gegen chinesische Übergriffe zu verteidigen“, sagt Kurihara.
China begründet seinen Anspruch mit Dokumenten aus der Ming-Dynastie (1368 - 1644). Zudem liegen die Inseln über dem Festlandssockel vor Chinas Küste. Am Fernseher verfolgte auch Kurihara, wie rund tausend chinesische Fischerboote Kurs auf die Senkakus nahmen. Und manchmal wirkte es, als würden die Patrouillenboote beider Seemächte bald aufeinanderprallen. Kurihara findet das großartig. Auf seiner Seekarte, sagt er, „sieht man deutlich, dass Japan wie ein Bollwerk vor dem Kontinent liegt“ – vor allem durch die Kette seiner Inseln, die sich fast bis nachTaiwan zieht. „Japan ist das größte Hindernis für die pazifische Expansion – wie das die Chinesen ärgern muss“, sagt Kurihara. Nun hätten die sich als Aggressoren entlarvt. Jahrzehntelang kämpfte Kurihara vergebens um Aufmerksamkeit. „Uns Japanern fehlt das Bewusstsein für den Schutz des eigenen Territoriums“, behauptet er.
Ab 1972 hatten die Kuriharas nach und nach vier der Inseln von der befreundeten, aber kinderlosen Koga-Sippe übernommen, die dort früher mal eine Fischfabrik betrieb. 1972 gaben die USA die im Zweiten Weltkrieg besetzte südliche Inselgruppe Okinawa an Tokio zurück. Damit fielen auch die Senkakus wiederunter japanische Kontrolle. Aber dann meldeten China und Taiwan ihre Ansprüche an: Experten der Vereinten Nationen hatten Ende der sechziger Jahre in den Gewässern das Potential für reiche Ölvorkommen ausgemacht.
Trotzdem vertraute die Regierung in Tokio auf eine Zusage, die Chinas ReformerDeng Xiaoping bei seinem Japan-Besuch 1978 machte. China werde wegen der Senkakus nichts gegen Japan unternehmen,hatte er angedeutet. Damals warb Deng eifrig um industrielles Know-how der Japaner, eben um solche Fabriken, wie sie nun zerstört wurden. Doch inzwischen haben die Chinesen Japan als Industrienation überholt, die Machtverhältnisse haben sich umgekehrt. Und Chinas Hunger auf Rohstoffe ist immens geworden. „Auf Dauer hätte unsere Familie dieSenkaku-Inseln nicht vor China beschützen können“, sagt Kurihara. Deshalb verhandeltedie Familie mit dem Nationalisten Ishihara – bis die Regierung den ältestenBruder Kunioki unter Druck setzte und die Inseln übernahm. Nur eine nicht.Die Insel Kubajima gehört einer der
Kurihara-Frauen. Sie hat einen gutenMieter dort, der für die Sicherheit ihresSteinhaufens sorgen kann: Japans Streitkräftehaben Kubajima als Übungsplatz für Bombenabwürfe gepachtet.
QUELLE (DER SPIEGEL 2012/39 p107)