Einige, die mich gut kennen, haben sich gewundert, daß ich die vergangenen Tage öfters im Forum war...
Samstag hatte ich Abends das erste Mal Zeit, die liegengebliebene Arbeit der zurückliegenden Woche aufzuarbeiten. Kurz, es ging erst früh um 5 Uhr ins Bett, obwohl noch nicht alles fertig war. Immerhin vier Stunden geschlafen, bis Sonntag 9 Uhr. Solche Dinge machten mir noch nie etwas aus. Naja, bisher jedenfalls nicht.
Sonntag mußten wir auf Verwandtenbesuch. Unaufschiebbar; also von 11 bis 20 Uhr SmallTalk, Essen, kurze Wanderung, Babbeln, Kaffee und Kuchen, Babbeln, Kurze Wanderung, Brotzeit, nochmal Babbeln, ab nach Hause.
Dort wartet die Arbeit. Um Mitternacht fertig, und ich freue mich auf das, was selten vorkommt, mal richtig früh, also kurz nach Mitternacht, in die Heia zu kommen.
Exakt in dem Moment, als ich mich ins Bett lege, stellt sich ein seltsamer Schmerz in der Brust ein. Ich kann seitlich gar nicht liegen, und auf dem Rücken nur, wenn ich die Arme nach oben strecke und über den Kopf irgendwie die Arme zusammenfalte.
Was solls, morgen früh ist alles vorbei, klar.
Typischer Fall von Denkste. Es wird schlimmer, ich wache nach einer Stunde auf, kann vor Schmerz nicht mehr einschlafen. Stehen und sitzen geht.
Ab in die Bibliothek, Lexikon der medizinischen Selbstdiagnose gegriffen.
Nein, keine in den Arm ausstrahlenden Schmerzen, nichts zieht den Hals hoch, kein Schweißausbruch, auch kein Schwächegefühl, kein Angstgefühl, jedenfalls nicht das dort beschriebene, es zittert nichts: Alles, was auf Herzinfarkt hindeutet, fällt scheinbar weg, gut
Aber Mist, es wird immer schlimmer, die Brust tut höllisch weh, ich kann kaum atmen. Rückblickend wirklich merkwürdig: keinerlei Angstgefühle, der Puls geht allerdings langsam spürbar hoch.
Ich nehme eine Schmerztablette 600er Ibuprodingens, versuche mich wieder ins Bett zu legen.
Pustekuchen, ich kann vor Schmerzen nicht liegen, nicht mal mehr auf dem Rücken. Setze mich wieder auf die Bettkante. Muß wohl auch etwas gejapst haben. Im Moment, als ich fast soweit bin, den ärztlichen Bereitschaftsdienst anzurufen, wacht die normalerweise mit hervorragendem Schlaf gesegnete holde Gattin, auf, blinzelt ein besorgtes Gesicht: "Was ist los, Liebling? - Oh weh, Du siehst ja nicht gut aus."
Ich natürlich voll begeistert über das Kompliment. Sage ihr, daß ich Schmerzen habe usw... und gerade eine Tablette genommen, aber wenn es so weiterginge, ich zum Arzt müsse.
Andererseits bin ich am nächsten morgen um 8 Uhr sowieso auf Reha Behandlung (Folgen eines Schultersehnenrisses)
Sie besteht darauf, mir auf der Stelle eine Massage zu geben und walkt mir im Sitzen den Rücken und die Brustmuskulatur durch. Inzwischen ist es halb 6 Uhr früh und erstaunlicherweise sind die Schmerzen danach soweit weg, daß ich noch eine Stunde schlafen kann, bevor ich raus muß (also insgesamt 6 Stunden Schlaf in zwei Tagen.)
Früh immer noch Schmerzen in der Brust, aber gerade noch erträglich.
Ich fahre die holde Gattin zum Bahnhof, sie ist zwei Tage auf einem Seminar. Ich ab in die ambulante Reha: "Oh weh, Sie sehen gar nicht gut aus, Herr H***." OK, zugegeben, ich schnaufe wie ein Nilpferd nach nur einer Treppe, aber sieht man es mir wirklich derart an...?
Ich sage dem Physiotherpeuten, was vorgefallen war. Er holt prompt das Blutdruckmeßgerät, findet alles "eigentlich normal", weigert sich aber trotzdem, mich an die Geräte zu lassen. Er empfiehlt nachdrücklich einen Arztbesuch sofort nach seiner Bemühung, die diesmal nur aus Streckübung, Massage und Wärmekissen besteht.
Hausarzt. Rammelvolles Wartezimmer.
Nach einer Stunde und vage überflogenen
Stern, Spiegel und
Focus werden die Schmerzen plötzlich schlimmer, schier unerträglich. Mir wird kalt, zu den Brustschmerzen kommt Bauchweh. Ich besorge mir bei der lieben Sprechstundenhilfe ("Oh weh, Herr H*** Sie sehen aber gar nicht gut aus!"
) den Schlüssel für die Toilette.
Dort gehen weder große noch kleine Geschäfte. Als ich zurückkomme, scheint sich mein Zustand aber herumgesprochen zu haben. Ich werde sofort ins gerade offene Sprechzimmer gebeten.
Blablabla, soundso, diesunddas... Besorgtes Gesicht.
Ruhe-EKG. Ich blinzle auf die Anzeige: Einige Linien scheinen geradewegs zu kollidieren. ...
Wieder im Sprechzimmer. Der Arzt schaut gebannt auf den Bildschirm: "Das gefällt mir gar nicht...!" Jetzt bekomme ich erstmals Angst, blitzartig denke an meinen alten Herrn, der 1990 mit 59 Jahren früh vor dem Kaffeekochen nochmal seinen Hund gestreichelt hat und dann vom Zeitungsholen am Briefkasten nicht mehr zurückkam... Und sagt nicht die Statistik überdeutlich, daß Wirte und Journalisten wegen des vielen Saufens und Rauchens mit 58 Jahren sowieso die niedrigste Lebenserwartung von allen Berufen haben?
Na, und wenn schon? Er hatte einen schönen schnellen Tod. Seine restlichen Schulden wurden trotzdem bezahlt. Was ist schlecht daran, genau dann abzutreten, wenn es gerade noch eben aufrecht und in Würde geht...? War doch alles klasse - bis jetzt. Aber ich rauche und saufe ja nicht, also wohl keine Chance auf so einen Tod...?
Die Schmerzen im Brustkorb sind inzwischen so, daß ich mich kaum gerade auf dem Stuhl halten kann. Wie in der Nacht zuvor geht es nur dann besser, wenn ich die Arme hoch halte. Schon während des EKG konnte ich kaum durchatmen.
Der Arzt schaut immer noch gebannt auf den Bildschirm, ruft offenbar zusätzliche Dateien auf. Plötzlich erhellt sich seine Miene: "Also ich dachte jetzt echt, das sieht wie nach einem Herzinfarkt aus. Aber vor zwei und vor vier Jahren hatten sie genau den gleichen Verlauf..."
Bei Ihnen sind diese Linien normal."
Er empfiehlt mir ein Belastungs-EKG am nächsten Tag. Blut wurde bereits abgenommen. Alles normal. Nach Bedarf darf ich bis dahin weiter meine 600er Ibuprosowieso Schmerztabletten nehmen, den Restbestand vom Schultersehnenriß.
Also nach Hause (Wahnsinn, in dem Zustand Auto zu fahren, konnte kaum den Kopf bewegen), Tablette eingeworfen, es dauert gefühlte zwei Stunden, bis sie leicht wirkte. Immerhin konnte ich in dem Zustand noch etwas unseren Laubengang aufräumen, Dienstags, also am folgenden Tag, waren um 7 Uhr die Maler und Verputzer angesagt.
Das Arbeiten an der frischen Luft tat gut. Abends nehme ich noch eine Tablette, und lege mich um 8 Uhr ins Bett. Das kam davor letztmals vor, als
Günther Netzer noch aus der Tiefe des Raums kam,
Willi Brand dem dichtenden Bürovorsteher
Edi Hornischer ein selbstverfaßtes Gedicht schrieb, und
Cassius Clay von
George Foreman in einem gewonnenen Kampf ein großes Stück weiter in Richtung Parkinson geprügelt wurde.
Mit Schmerzen lege ich mich ins Bett -- und schlafe durch bis der auf 6.30 Uhr gestellte Wecker klingelt.
Ich stehe auf und wundere mich erst auf dem Weg zur Dusche -- war da nicht was?
Brustkorb vollkommen schmerzfrei.
Belastungs-EKG am gleichen Nachmittag "völlig normal". Sogar der Blutdruck in Ordnung. Arzt: "Ich kann Ihnen beim besten Willen nicht sagen, was es war"
Ein Warnschuß.