Heute, Freitag, kurz nach 20 Uhr, sitze an einer redaktionellen Bearbeitung.
Anruf auf dem Mobiltelephon der holden Gattin. Längeres Palaver. Verstehe "Anusawari chai samoraphum", "Latphrao", Häb-bpi-län ("Happyland"), "Minburi", "Nida" und "Serithai". Es geht um Busverbindungen, es fallen Namen von Buslinen, werden wieder verworfen.
Die holde Gattin wirkt leicht genervt. Ich versuche wegzuhören, so etwas im Nebenzimmer ist Gift für meine Konzentration.
Schließlich kommt sie: "Liebling, mit welchem Bus kommt man vom Siegesdenkmal zu uns?"
"Was, kriegen wir etwa heute noch Besuch, meine Güte!!!?"
"Nein, aber "Bird", der Neffe von Phi Sa (eine Nachbarin drei Häuser weiter) ist gerade von
Upcountry in Bangkok angekommen, weil er ab nächsten Monat hier studiert. Er hat sich von Mochit zu einem Bus zum Siegesdenkmal durchgefragt, weiß aber nicht, wie er jetzt in die Serithai kommt."
"Da hat er sich einen Schmarrn von einem ahnungslosen Schwätzer erzählen lassen, am Siegesdenkmal ist er jetzt ein paar Kilometer weiter weg von hier."
"Weiß ich, aber hilf mal, welcher Bus jetzt von dort?"
"27 oder 502 Richtung Minburi, Abfahrt am Siegesdenkmal im Nordwesten zwischen Ratchawithi und Phahon Yothin, aussteigen in der Serithai Soi xx hier direkt bei uns und fertig. In beide hätte er auch schon in Mochit einsteigen können"
"Danke"
Das Palaver dauert noch eine gefühlte Viertelstunde, bis die geheime Verschwörungssache Buslinienfindung in Bangkok beendet ist.
"Wie kommt der eigentlich darauf, Dich anzurufen, wenn er zu seinen Verwandten will?"
"Sie haben ihn meine Telefonnummer für den Notfall gegeben, weil sie denken, daß ich mich in Bangkok auskenne."
"Wie lange wohnen die eigentlich schon in Bangkok?"
"Die wohnten schon hier, als wir 1988 hier eingezogen sind..."
In aller Regel können Sie Thais nicht nach dem Weg fragen, ja oft noch nicht einmal danach, ob etwas südlich oder westlich von ihrem derzeitigen Standort liegt. Vergessen Sie alles, was Sie in Europa, Amerika, Hongkong, Malaysien oder Singapur erwarten: Wenn Sie in Bangkok vor dem Hauptbahnhof stehen und nur einmal eine brauchbare Stadtkarte gesehen haben, haben Sie sicher ohne weiteres Nachdenken im Kopf, wo in der Stadt Sie sich etwa befinden und was rechts und links davon in einiger Entfernung liegt. Sehr viele Thais wissen so etwas nicht.
Vier von fünf Thais, die Sie vor dem Bangkoker Hauptbahnhof fragen würden, könnten Ihnen dort nicht einmal sagen, in welcher Himmelsrichtung sich etwa Birma oder Vietnam befindet. Auch Entfernungsangaben sind reine Glückssache.
Das ist kein böser Wille: Durchschnitts-Thais lernen weder in der Schule noch privat den Umgang mit Karten. Schulatlanten existieren nicht, brauchbare Straßenkarten sind eine noch kaum verbreitete Erfindung der letzten 20 Jahre und obendrein ist den meisten Thais auch der Umgang mit Wörterbüchern, geschweige denn mit Registern, nicht geläufig. Das hilflose Geblättere in Nachschlagwerken mit anzusehen, wenn man ihnen zum Beispiel gefälligkeitshalber in einem Wörterbuch doch mal etwas sucht, tut regelrecht weh.
Somchai Durchschnittsthai merkt sich seine Wege durch Bangkok nach Hauptstraßen, Kreuzungen oder Bushaltestellen vom Ausgangspunkt – und da auch nur die, die er unbedingt braucht. Wo man sich aber während einer Busfahrt auf dem Stadtplan befindet, oder was sich gerade in der Nähe befindet, kann Ihnen kaum jemand erklären, wenn Sie’s nicht selbst wissen.
Wenn Sie in Bangkok auf der Straße nach dem Weg fragen, wird man Ihnen auf Ihre Fragen in vielen Fällen einfach irgendetwas sagen, um Sie mit einem freundlichen Lächeln möglichst rasch wieder loszuwerden. Man will 1. nicht unhöflich sein und gar nichts sagen und 2. nicht das Gesicht verlieren, weil man keine Ahnung hat, von was Sie eigentlich reden.
Das geht auch Thais so – wenn sie fragen. Da die ihre Landsleute aber schon kennen, tun sie das nicht sehr oft. Eher ruft man per Mobiltelephon einen Bekannten in Minburi an, von dem man zufällig mal gehört hat, daß er sich dort auskennt, wo man gerade hinwill.
Doch, genau so funktioniert das: Einige Zeit vor Eröffnung des neuen Flughafens Suwannaphum lernte ich einen jungen Angestellten eines Verlages kennen, für den ich gelegentlich arbeite. Der aus Upcountry stammende Absolvent der Chulalongkon Universität mit Führerschein traute sich nicht, nach genauer Beschreibung und höchstpersönlicher Überreichung der besten denkbaren thailändischen Stadtkarte durch seinen Vorgesetzten per Geschäftswagen auf gerader Strecke von Lat Krabang am neuen Flughafen in zehn Minuten über die Autobahn zu uns nach Büngkum zu düsen (Auffahrt in Lat Krabang nach Bang Pa-in, 2. Ausfahrt Serithai, schon ist man bei mir vor dem Büro). Denn in Büngkum war er noch nie
Nun ist bekannt, daß Upcountry Thais höllische Angst vor dem Bangkoker Verkehr haben. In der Hauptstadt gibt es ja Regeln und gelegentlich muß man sogar Verkehrsschilder logisch interpretieren: eine intellektuelle Herausforderung, da auch gebildete Thais das Lesen von Schildern – egal welche – sehr oft schlicht unterlassen.
Indes handelte es sich (damals vor Flughafeneröffnung) um eine einfache, gerade Strecke mit wenig Verkehr. Da die Fahrt zu uns unumgänglich und kein anderer da war, rief er schließlich einen Freund zu Hilfe (eine Stunde Fahrt), der -- sieh mal an! -- wußte, wo die Th. Serithai ist. Das große Industriegebiet, das jener dort kannte, befindet sich jedoch nicht in unserer Nähe, sondern auf halbem Wege nach Minburi, denn die Th. Serithai ist zehn Kilometer lang.
Obendrein fuhr jener Freund nur Motorrad. Pech, damit darf man nicht auf die Autobahn (kaum einer dieser Flatterhemden hat einen Führerschein...), die er demzufolge noch nie gefahren war.
Weil er die Autobahn nicht kannte, konnte er dem Freund auch nicht als Beifahrer helfen. Lächeln Sie nicht, fà¿ ràng rú: mâ:g (Klugscheißer-Farang)! Das ist eine vollgültige thai-logische Begründung!
Wie Sie, geneigter Leser, dagegen auf der diesem Führer beigegebenen Karte auf den ersten Blick sehen, gibt es keine andere sinnvolle Verbindung vom neuen Flugplatz nach Büngkum als die Autobahn. Zudem waren alle schlechten Alternativrouten wegen der im Bau befindlichen Flugplatzanbindung zu der Zeit riesige Baustellen.
So fuhr man zehn Kilometer reinste Staubstrecke durch die damals fast nicht mehr existente Th. Romklao über Minburi mit dem Moped zu uns, wo man statt in zehn Minuten nach über zwei Stunden völlig erschöpft ankam.
Selbstverständlich versorgten wir die staubigen Helden mit kühlen Getränken und lobten mit einem freundlichen Lächeln ausgiebig ihren guten Orientierungsinn, mit dem sie uns trotz der vielen Widrigkeiten auf der Strecke so schnell und problemlos gefunden und sogar noch die Gebühr für die Autobahn gespart hatten...
(
Bangkok von innen und
TIP Führer Bangkok, 144-145; Geschrieben ca. 2006 oder 2007)
q. e. d.