Satire Zeitzeugen Bericht aus dem
Berliner Gasometer " live bei Jauch"
Jauch: Und nun begrüße ich noch einen – ich glaube, man
muss es so sagen – Ausnahmegast. Denn seine Partei ist
noch gar nicht im Bundestag vertreten. Die Hochrechnungen
sind aber so deutlich – sie sagen klar den Einzug
in den Bundestag voraus –, dass wir ihn einladen mussten.
Hier ist der Spitzenkandidat der Partei «Die PA RTEI
», hier ist Oliver Maria Schmitt!
Ich:
Also ich wäre mit dem Kanzlergehalt hochzufrieden.
Ich habe gehört, dass es da auch noch Zulagen gibt.
Jauch:
Das mag sein. Aber zunächst zu Ihrer Person: Ihre
«Partei», so nenne ich die jetzt mal, hat Sie allen Ernstes
als «weißen Obama» angekündigt. Glauben Sie denn, dass
Sie die Hoffnungen der Menschen, die Sie wählen, erfüllen
können? Sehen Sie sich als Lichtgestalt?
Ich:
Ihre billige Häme können Sie sich sparen, Herr Jauch.
Als Ehrenvorsitzender der Partei «Die PA RTEI
», der ich nun mal bin, steht mir nach unserem Parteistatut auch
das Führen des Titels «Lichtgestalt» zu. Und wenn ich
mich hier so umsehe – im Kreis so vieler Dunkelmänner
und unterbelichteter Damen ist es wirklich keine Kunst,
wenigstens als kleine Leuchte dazustehen.
Ein Murren geht durch die Runde. Jauch macht abwiegelnde Handzeichen.
Ich:
Ich werde mit dem Claim «Occupy Bundestag» mit meiner
Partei erstmals ins Hohe Haus einziehen und mir dann
als «Kanzler der Herzen» einen warmen Platz im Bewusst-
sein der Wähler sichern. Wir gehen von fünfzig Prozent
plus FDP aus, alles andere wäre eine Katastrophe. Ich bin
deshalb so zuversichtlich, weil ich die wichtigste Grund
voraussetzung für eine politische Karriere mitbringe:
Ich bin selbstbewusst und für alles offen.
Jauch:
Man könnte auch sagen: eitel und ahnungslos. Politik
ist ein schmutziges Geschäft, das sagen viele. Gerade der
Fall Wulff hat ja wieder mal gezeigt, in welche Abgründe
der Erfolgsdruck einen Politiker führen kann. Das hat
die ohnehin schon verbreitete Politikverdrossenheit noch
verstärkt.
Merkel:
Ich muss den Herrn Wulff, den ich ja jetzt persönlich
nicht mehr kenne, da mal ein bisschen in Schutz nehmen,
er hat immerhin ...
Steinbrück:
Lassen Sie doch die Toten ruhen, Frau Merkel. Es war
ganz klar ein Fehler, dass Sie Wulff als Bundespräsidenten
durchgeboxt haben.
Brüderle:
Ischhädds auch gemachd, haha, chrrwm.
Ich:
Also ich muss sagen, dass mir der Fall Wulff unheimlich
Mut gemacht hat. Er hat doch gezeigt, dass es auch eine
absolute Null, ein Totalversager bis nach ganz oben schaffen
kann – wenn er zum richtigen Zeitpunkt irgendwo im
Weg rumsteht und die Hand aufhält. Da möchte ich auch
gerne hin.
Gysi:
Der Wähler will keine politisch korrekten Menschen,
sondern menschlich korrekte Politiker!
Jauch:
Da sind wir doch schon beim Glaubwürdigkeitsproblem.
Herr Schmitt, was erwidern Sie auf den Vorwurf, Sie
würden nur in die Politik wollen, um sich zu bereichern?
Ich:
Jeder will sich bereichern – aber ich stehe auch ganz offen
dazu. Das macht mich menschlich und berechenbar. Wer
sich nicht selbst einbringt und engagiert, erlaubt nur den
anderen, abzukassieren – und das kann es ja nicht sein.
Wie alle hier in der Runde pflege ich Seilschaften und
betreibe Vetternwirtschaft. Und ich sage ganz ehrlich:
Jeder kann mein Vetter sein! Ich habe da keine Vorurteile.
Brüderle:
Rischdisch, dessis Maggdwiddschafd, sehrgudd!
Jauch:
Das ist zumindest mal ein neuer Ansatz. Frau Merkel,
als Bundeskanzlerin ist man weit weg vom Volk. Bekom-
men Sie überhaupt noch mit, was die Leute von der Politik
erwarten?
Merkel:
Ich lasse mir von meinem Mann täglich berichten, wie
in der Shisha-Bar oder beim Späti über mich geredet wird,
denn da hängt er ja den ganzen Tag ab. Seine Erkenntnisse
setze ich um in mehrheitsfähige Politik für die Menschen
in ihrer realen Lebenssituation.
Brüderle:
Hahaha, bingo, ischgeb Ihne mei Tanzkadde.
Gysi:
Dazu müssten Sie mit eigenen Positionen auftreten, Frau
Merkel, mit Positionen, die den kleinen Leuten weiterhelfen,
die beim Späti ihre Stütze versaufen. Und als zum Beispiel
die Bankenkrise aufkam, haben Sie durch Untätigkeit
geglänzt. Wenn man die Buchstaben des Wortes «Bundeskanzlerin»
umstellt, dann kommt «Bankzinsenluder» dabei heraus.
Merkel:
Das freut mich für Sie. Wenn man Ihren Namen per-
mutiert, kommt nämlich gar nichts dabei raus.
Nur Gebrabbel: «Gryegrosgi»!
Ich:
Wenn man «Peer Steinbrück» umstellt, kommt «Bücken,
Priester!» dabei raus, und das sollte uns vielleicht zu
denken geben.
Brüderle:
Hahaha, dessis sehrgudd, desswerdesch der Stern-
Journalissdinn erzählln, chrrrwfm, hehe.
Ich:
Und mit Ihrem Namen kann man das Wort «Laberrunden-
Irrer» bilden, Herr Brüderle.
Brüderle:
Aaaaahahaha, fandassdisch, Siekönndn Liberaler werrn, hahaha.
Jauch:
Ich versuche mal, die Diskussion wieder ein wenig zu
strukturieren. Herr Schmitt, falls Sie gewinnen – wie
wollen Sie überhaupt regieren? Sie haben weder ein tragfähiges
Programm noch ein Schattenkabinett, geschweige
denn einen Koalitionspartner.
Ich:
Überlassen Sie das mal mir! Ich kann Ihnen verraten:
Meine Partei hat Mittel und Wege, in Deutschland an
die Macht zu kommen und an der Macht zu bleiben. Wenn
es so weit ist, werden Sie schon noch sehen!
Okay, das war ein Bluff, aber im Prinzip habe ich recht, und
ohne Bluffen geht es nun mal nicht. Immerhin kann ich das
mittlerweile ganz gut.
Überhaupt: Ich hätte nie gedacht, was die Politik mal aus
mir machen würde. Zwar war ich schon immer politisch engagiert –
vor allem für mich selbst, schließlich kannte ich meine
Sorgen und Bedürfnisse von allen am besten, doch führte
ich ein normales, unspektakuläres Leben. Ich hatte alles, was
ein Mann braucht: Tagesfreizeit, einen guten Ruf und eine
Frau mit einem noch besser bezahlten Beruf. Bis die Partei
für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basis-
demokratische Initiative, kurz: Die PARTEI , beschloss, dass ich
Spitzenpolitiker werden sollte.
Okay, dachte ich, kann man ja
mal machen. Dann ging alles rasend schnell. Als Mensch stieg
ich in die Maschinerie eines modernen Medienwahlkampfs
ein – und endete als Politiker. Der unerbittliche Kampf um
Macht und Stimmen lässt keinen unschuldig zurück. Politik
ist ein schmutziges Geschäft und Kommunalpolitik, mit der
ich meine Karriere begann, das schmutzigste von allen.
Aber wissen Sie, was? Ich finde das geil. Das kickt, sage
ich Ihnen! Denn jetzt weiß ich, wie man Wahlen wirklich
gewinnen kann. Und wenn ich gewonnen habe, dann kriege
ich auch mein restliches Leben wieder in den Griff.
Doch bei Jauch fallen sie erst mal alle über mich her.
Jauch:
Herr Schmitt – sind Sie überhaupt ein richtiger Politiker?
Ich:
Absolut! Lange Zeit wollte ich es gar nicht wahrhaben,
aber heute stehe ich dazu. Wissen Sie, ich war noch
ziemlich jung, als ich zum Politiker geworden bin. Es
war viel Alkohol im Spiel, und an den Namen des Mannes,
der mich mit dem Politik-Virus infizierte, kann ich mich
nicht mehr erinnern. Aber selbst wenn er mir noch ein-
fiele, ich würde demjenigen keinen Vorwurf machen – da
gehören ja immer zwei dazu. Seit ich weiß, dass ich
Politiker bin, lebe ich viel bewusster. Als ich das dann auch
meinen Freunden und meiner Familie erzählte, waren
die Reaktionen wirklich phantastisch, ich habe viel
Zuspruch erfahren, Rückhalt und Unterstützung.
Jauch:
Kritiker werfen Ihnen vor, dass Sie keinerlei politische
Erfahrung haben.
Ich:
Meine Kritiker sind durchweg krasse Honks, das kann ich
Ihnen versichern. Mein Berater Machiavelli hat gesagt:
«Man muss die Menschen entweder mit Freundlichkeit
behandeln oder unschädlich machen.» Wen ich genau
unschädlich mache, das lasse ich gerade durch sehr preis
werte Berater klären. Wissen Sie, ich habe schon eine
lange Politikerlaufbahn hinter mir. Vor fünfundzwanzig
Jahren habe ich das erste Mal kandidiert, seitdem konnte
ich meine Ergebnisse jedes Mal verbessern, teilweise sogar
vervielfachen. Wahlkämpfe, Parteigründungen, Reden,
Pressekonferenzen, Flügelkämpfe, Demonstrationen,
Basisarbeit – das alles habe ich von der Pike auf gelernt.
Steinbrück:
Sie mit Ihrer Witzpartei! Das muss man doch mal
sagen dürfen!
Ich:
In Deutschland gibt es nur eine Witzpartei, und das
ist Ihre, die älteste Partei Deutschlands, die SPD
. In den hundertfünfzig Jahren ihres Bestehens hat sie gerade mal
siebenundzwanzig Jahre regiert oder mitregiert, also nur
knapp achtzehn Prozent der Bestehenszeit – die Weimarer
Republik mal nicht mitgerechnet. Die Grünen sind mit
dreiunddreißig Jahren wesentlich jünger, waren dafür
aber schon einundzwanzig Prozent ihrer Lebenszeit an
der Regierung beteiligt. Die CDU hingegen hat vierund-
vierzig Jahre regiert, war also fast fünfundsechzig Prozent
ihrer Bestehenszeit Regierungspartei. Das heißt, von allen
Großparteien hat die SPD die bei weitem geringste Regie-
rungserfahrung. Wenn Sie Politik machen wollen, Herr
Steinbrück – warum sind Sie dann in die SPD eingetreten?