Laute Nacht 28. Dezember 2009
In frommen Liedern werden stille Nächte und der heilige Geist besungen. Als Kind beeindruckte mich die fremde Wortwahl und die
festlich warme Stimmung bei Kerzenlicht, vor allem wenn es draussen bitter kalt war.
Keine zehn Jahre alt, musste ich feststellen, dass eine Menge Heuchelei, Falschheit und Berechnung die eigentlich heilige Zeit begleitet.
Es waren vielfach Kleinigkeiten, Nadelstiche, kaum spürbar, wenn überhaupt. Dennoch erhielt mein Eindruck von einer heilen Welt
einen weiteren tiefen Kratzer.
Grossvater baute in seiner Freizeit etwas Wein an. Blauburgunder. Mit viel Gefühl und Geduld kreierte er in der Nachkriegszeit im
Keller zusätzlich ein paar Flaschen Schaumwein, die er auf Weihnachten oder Sylvester den Gästen kredenzte.
Ich kannte das Geheimrezept nicht. Grossvater schien damit ebenfalls überfordert. Bei einigen Bouteillen zischte es kaum am Korken.
In einigen mit Draht gesicherten Flaschen war der Stoff hochbrisant. Der rote Traubensaft spritzte fast restlos bis an die frisch geweisste
Decke.
Im Versteckten kritisierten und bemängelten die geizigen Gäste Grossvaters Wein. Getrunken haben sie ihn alle. Keiner brachte je
eine Flasche oder einen Sekt mit. Keiner bezahlte je den Maler, der nach Neujahr die Decke ausbesserte. Alle Jahre wieder meckerten
sie erneut, angelockt durch verführerische Düfte aus Grossmutters kleiner Küche.
Ich schätzte die unvergesslichen Festtage bei meinen Grosseltern. Sie gehören zu meinen glücklichsten Kindheitserinnerungen.
Die letzte, wenig besinnliche, eher berauschende Feier, erlebten wir an Heiligabend unter Palmen im Garten des Gästehauses.
Anregungen für das Galadinner wurden anlässlich Dongs Willkommensparty für meine Tochter, bei Riesengarnelen in der Grösse von
Hummern und gegrilltem Krabbenfleisch geäussert.
Unsere Thaifreunde wünschten gegrilltes Schwein und Buccatini Carbonara. Poo wollte reichlich Gaeng, Curry, beisteuern. Zwei weitere
Parteien arbeiteten angeblich an einer Nudelsuppe. Wagenladungen Gläser, Geschirr und Besteck fanden den Weg zum Gästehaus.
Bereits am Tag zuvor marinierte ich ein Stück Schweinelende, an der wir einen Monat gezehrt hätten. Ab Mittag verbrachte ich die Zeit
an den Kochherden. Die eine Pfanne enthielt die Carbonara Sauce. Im andern Topf simmerte eine Art Bolognese, denn ich versuche stets,
das Zeug nur sanft zu köcheln.
Nach halb fünf zündete Dick das Feuer im Grill an. Das Schwein drehte sich kaum am Spiess, verlangten die Nachbarn nach Transport für
die Karaoke Maschine. Der Sohn sei leider mit ihrem Wagen in der Stadt unterwegs. Als Diktator beharrte ich darauf, das Grillgut sei
wichtiger als laute Musik und benötige fachkundige Überwachung. Als die eine fleischeslustige Coiffeuse des Dorfes vor dem Grill sass,
transportierte Dick Dongs neueste teure Errungenschaft, finanziert durch AEON, nebst Saucen und Paketen mit Buccatini zum Gästehaus.
Meine Tochter kehrte mit ihrer Freundin rechtzeitig von Chiang Mai zurück, um mir beim Schneiden und Drapieren des mit einer edlen Kruste
versehenen Fleisches zu helfen. Dann wanderten wir die zwei, vielleicht drei Minuten zum Festort, wo bereits die Bässe dröhnten und die stille,
warme Nacht verhöhnten. Ich setzte mich sofort in die Küche ab und kochte Wasser für die Pasta. Das Wasser war noch nicht warm, kamen
die jungen Frauen und klagten: „Daddy, du glaubst es nicht, das Schwein ist alle. Aber wir konnten ein Stück für dich retten.“
Während ich etwas später die Bucattini mit Saucen nach Wahl in die Teller bugsierte, lösten sich einige Liter Nudelsuppe in nichts auf.
Poos Gaeng sii daeng war traumhaft. Endlich konnte ich mit einigen Gästen anstossen. Solange es heisses Essen gab, vermissten die mich
gar nicht.
Kurz vor neun Uhr bereits, verabschiedete sich nach nur wenigen professionellen Gesangsdarbietungen unser etwas gealtertes Filmsternchen,
Töchterchen meinte Cervelat-Prominenz, gestützt und geleitet von freundlichen Helfern. Kein Opfer des heiligen Geistes, sondern des
gnadenlosen Geistes der Schnapsflaschen, welchen sie zu reichlich huldigte.
Unser Ehrengast holte sich scheu die Speisen selbständig ab, um sie ein paar Meter weiter, zu Hause mit Muttern zu futtern. Ich spendierte
ihm zusätzlich ein anständiges Stück Panettone Piemontese, dem Knaben ohne Flieger.
Unter gesegneten Umständen hat er jetzt eine fragwürdige Erinnerung an Merry Christmas, wie ich vor langer Zeit.
Papierflieger:
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