Schräge Gedanken zu den Geschichten aus Hinterindien 9. Juli 2011
Im Buch `Der Rolltreppeneffekt`, verriet der Autor Felix R. Paturi, daß Schriftsteller ihre Arbeiten auf möglichst
dickem Papier mit großer Schrift veröffentlichen sollten. (1) Nur auf diese Weise seien großformatige, umfangreiche
und eindrückliche Folianten möglich.
Als ich mein Büchlein aus Phuket betrachtete, sah ich den sauberen Druck und bemerkte die aufwendige
Typographie der Titel.
Doch die Wucht eines großen, ledernen Einbandes fehlte. Äußerlich wirkte es, wie eine mißratene Ausgabe eines
Monatsheftes von Readers Digest!
Die Geschichten sind im Internet immer noch für sämtliche Interessenten gratis zugänglich. Deshalb muß niemand
wegen eines Bucherwerbes von mageren 250 Baht Einschränkungen beim Bierkonsum oder anderer Genußmittel
befürchten.
Heute würde ich Einiges anders formulieren. Die nicht immer spürbare, unsichtbare Essenz müßte beibehalten
werden.
Im Fernsehen verfolgte ich vor Jahren öfters ein witziges, kontroverses Programm, das literarische Quartett,
betreffend Bücher und Autoren mit seiner Hoheit, dem Literaturpapst selbst. (2)
Der Herr der Bücher donnerte los wie eine Artilleriestellung. In kürzester Zeit zerriß er ein Werk, welchem ein
unbescholtener Schreiberling die schönsten Jahre seines Lebens, die genüßliche Fortpflanzung, einen lukrativem
Lebenserwerb im Topmanagement und ungezählte Freundschaften opferte.
MRR klaubte rein rhetorisch schöne, glaubwürdige Sätze zusammen, die er theatralisch in die Mikrofone geiferte,
während sein Gesicht und seine Gestik Bände des Unglaubens, der schieren Verzweiflung und der absoluten
Verständnislosigkeit demonstrierten.
Der nicht unbestrittene MRR hatte zeitweise ein schwieriges, abenteuerliches Leben, genug Stoff für ein
mehrbändiges Werk.
MRR arbeitete als Übersetzer, Lektor, Schriftsteller und Publizist. Er hatte die Gnade der Gabe der rasier-
messerscharfen Kritik. Diese praktizierte er als gehobene Unterhaltung in einer eher kulturarmen,
kommerzialisierten Fernsehwelt.
Neulich demontierte MRR im Traum meine Geschichten. Ich war Gast in seiner Sendung und nippte leicht nervös
an meinen Selters, während ich gespannt das Schlachten der ersten Opfer verfolgte. Bedaure, ich meinte
natürlich die Besprechung der neuen Bücher.
MRR:
„Am heutigen Abend begrüßen wir einen Gast aus den fernen Reisfeldern Nordthailands, Herrn Low.“
Bescheidener, freundlicher Applaus.
„Guten Abend.“
„Herr Low verfaßte Erzählungen aus einem gänzlich unbedeutenden Dorf und schilderte Land und Leute. Dies
tat er erst im Internet und nun in diesem, glücklicherweise bescheidenen kleinen Band.“
MRR fuchtelte ein Sekunde mit der Lektüre in der Luft herum, als wäre sie mit Blitzen geladen.
„Herr Low, das ist kein Buch, das ist kein Büchlein. Das ist bereits vom Aussehen her vergleichbar mit Schund
in Reinkultur. Namen nenne ich keine, oder kennt jemand von ihnen John Kling oder Jerry Cotton?“
Applaus.
MRR wandte sich gnädigst an mich:
„Herr Low, hatten sie und ihre Gattin, welche nicht ihre Gattin ist, eine angenehme Reise?“
„Ja, danke Herr MRR.“
„Herr Low, Sie sind überheblich und verglichen ihre Erlebnisse in den Reisfeldern mit den Erzählungen eines
Autors vom Format eines Albert Bitzius, Gotthelf genannt, aus dem schweizerischen Emmental.“
„Die Ähnlichkeit der Geschehnisse waren frappant, Herr MRR. Die Mentalität der Menschen entsprach etwa
Gotthelfs Schilderungen der Zustände vor hundertfünfzig Jahren. Sie werden zusätzlich zu Alkoholika und Drogen
von den meisten technischen Errungenschaften materiell und geistig dauernd überfordert.“
„Herr Low, sie scheuten sich nicht, sogar Friedrich Dürrenmatt ...“
Dürrenmatt - der Name zerfloß MRR richtiggehend auf der Zunge.
„ - ...Friedrich Dürrenmatt, einen Autor von Weltklasse, einen der ganz Grossen, - zu zitieren.“
„Das ist richtig, Herr MRR. Dürrenmatt liegt zeitlich näher. Seine angepaßte Sprache zeigt jedoch die Rhetorik
eines Seelsorgers. Sein Vater war, wie Gotthelf selbst, Pfarrherr im Emmental. Sein Sohn ist Pfarrer!“
„Herr Low, versuchen sie nicht, sich in die Theologie zu flüchten. Ihre teilweise gewagten Aufsätze beweisen
das Gegenteil.“
„Danke, Herr MRR. Die einfachsten und schönsten Predigten von Dürrenmatt sind meines Erachtens `Der Verdacht`
und `Der Richter und sein Henker`. Sein Psalm auf das Leben heißt `Grieche sucht Griechin`.“
„Herr Low, sie sind nicht hier, um das Werksverzeichnis eines bedeutenden Autors, wie Friedrich Dürrenmatt,
vorzutragen.
Sie erklärten am Anfang ihrer Geschichten, sie schreiben, um ihre Sprachkenntnisse nicht zu verlieren?“
„Das ist richtig, Herr MRR.“
„Herr Low, da hätten sie aber nicht viel zu entbehren!
Ich überflog ihre Texte kurz, nicht alle, einige wenige genügten mir.“
Er betrachtete mich furchterregend, eindringlich.
„Und ich weiß, daß sie inmitten von Reisfeldern wohnen. Deshalb hege ich folgenden begründeten Verdacht:
In den Reisfeldern leben und arbeiten diese urtümlichen, gewaltigen Tiere, genannt Wasserbüffel.“
„Richtig, Herr MRR.“
„Nun, diese Wasserbüffel, wie auch die Reisfelder selbst, produzieren das Klimagift Methan.“
„Richtig, Herr MRR.“
„Herr Low, dieses Giftgas namens Methan stieg ihnen in den Kopf. Anstatt es einfach durch einige Flatulenzen
entweichen zu lassen, vermüllen sie unsere saubere Gegenwart mit ihrem Krempel. ...
Guten Abend, Herr Low.“
Stürmischer Applaus.
Wem galt der Applaus? Der Kenntnis der Chemie? Dem geschickt eingefädelten Abgang?
Ich blieb anständig, dachte an die teure, durch MRR bezahlte Reise und sagte:
„Danke sehr, Herr MRR. Guten Abend,“
und trollte mich, wie vom Winde verweht.
(1)
Der Rolltreppeneffekt, Felix R. Paturi
· Verlag: Rowohlt TB-V., (Januar 1985)
· ISBN-10: 3499168995
(2)
http://de.wikipedia.org/wiki/Marcel_Reich-RanickiBullshit-Index :0.13