Der dritte Akt - Melinda. Die Dinge stehen schlecht für den Buddhismus und noch schlechter für eine künstlerische Darstellung. Das Geschlecht der Mauryans geht den Weg alles Vergänglichen. Asoka stirbt 232 BC, und 195 BC ermordet der Armee General Pushyamitra den letzten Herrscher der Mauryans während einer Truppenparade. Das Großindische Reich zerfällt. General Pushyamitra stellt sich auf die Seite der Brahmanen, Tieropfer werden wieder eingeführt und Brahmanen füllen wichtige Staatsposten aus. Aber Pushyamitra vernachlässigt seine Pflichten als Beschützer seines hinterhältig errungenen Reiches. Die Kelten fallen in ein geschwächtes Nord-Indien ein.
Die
Kelten? Ja. Dies ist einer der Gründe, warum moderne Esoteriker die Kelten Irlands und Englands gerne buddhistisch gefärbt sehen. Etwas gewagt. Merlin mit Sichel, Distel und Buddha im Herzen. Zu schön um wahr zu sein. Es gibt allerdings einige Historiker, die meinen, dass die Kelten an die Wiedergeburt im buddhistischen Sinne glaubten und ganz vielleicht eine eigenwillige Idee von Karma hatten.
Die Beweise sind dünn, aber nicht ohne faszinierende Logik. Die rudimentäre Gemeinsamkeit der Sanskrit-Sprache zwischen indischen Worten und denen der Kelten, selbst in Irland, deuten auf eine gewisse linguistische Verwandtschaft hin. In der heutigen Zeit zeigen die Worte der Balten, besonders in Litauen, die größte Gemeinsamkeit mit dem Sanskrit der Brahmanen.
Faszinierenderweise können Historiker anhand von Funden und Sprachforschung die Herkunft und Verbreitung der Kelten immer besser entschlüsseln, die Pfade ihrer Wanderschaften im kontrastlosen, alles verschluckendem Nebel der fernen Vergangenheit allmählich in verschwommenen grau-weiß Tönen entschlüsseln.
In Bactria, dem heute nördlichen Afghanistan und südlichen Usbekistan, sowie Tajikistan haben griechische Könige, den Spuren Alexanders folgend, ihre Herrscherhäuser errichtet. Sie bringen Münzen, Architektur und hellenistische Kunst mit und breiten sich schließlich bis nach Nord-Indien aus.
Bactria ist die Heimat
Zarathustras. Sein Geburtsjahr liegt im völligen Dunkel der Geschichte. Manche meinen, er hätte sich um 600 BC in Bactria aufgehalten. Seine Herkunft aus Persien, früher Parthia, ist ziemlich unbestritten, lediglich die völlig spekulierten Jahreszahlen liegen um Jahrhunderte auseinander.
Beteiligen wir uns nicht an den Spekulationen um Jahreszahlen, betrachten wir seine Botschaft. Sie ruht auf drei Pfeilern:
Gut zu denken
Gut zu reden
Gut zu handeln
Dies alles in Eigenverantwortung und ganz ohne das Versprechen vom Paradies oder der Hölle bei Zuwiderhandeln. Zarathustra unterstellt das Prinzip der Ursache und Wirkung. Gutes Denken, Reden, Handel führen zu guten Geschehnissen.
In der Neuzeit hat Nietzsche den Zarathustra in seinem Essay: „Also sprach Zarathustra“ wieder neu erweckt. Die Vertonung ist allen Science Fiction Fans aus dem Film: „Space Odyssee 2001“, ein Kultfilm, als unter die Haut gehende Filmmusik bekannt. Nebenbei, der Komponist ist Johann Strauss.
Die griechischen Könige in Bactria kommen mit dieser Lehre zwangsläufig in Berührung und als sie ihr Reich bis nach Nord-Indien ausdehnen, begegnen sie dem Buddhismus, der ihnen wegen des Wissens um Zarathustras Lehre gar nicht befremdlich vorkommen kann. Eher als eine Weiterführung und Fortentwicklung. Ihnen mag Zarathustra wie ein Vorgänger Buddhas vorgekommen sein.
Der wohl herausragendste griechische König
Melinda, 155 BC bis 130 BC, herrschte über weite Gebiete Nord-Indiens und Afghanistans. Sein Versuch, auch das Ursprungsgebiet des alten Mauryan Geschlechtes, nämlich Magadha mit seiner Hauptstadt Pataliputra einzunehmen, schlug fehl. Trotzdem schien er vom Buddhismus beeindruckt zu sein, und nimmt schließlich diesen Glauben an.
Es besteht der begründete Verdacht, dass während seiner Herrschaft die ersten Ideen für Buddhastatuen entstanden. Aber noch zögern die Theravada (Weg der Älteren) Buddhisten, ihren Heilsbringer als Statue darzustellen. Warum auch? Was zählt, ist seine Lehre, Dhamma. Was zählt, ist alleine die Kraft, der Wille und die Einsicht des Einzelnen, von Samsara, dem leidhaften Kreislauf von Geburt, Leben, Tod und Wiedergeburt erlöst zu werden, und genauso wie Buddha, wie eine Flamme zu verlöschen. Welchen Zweck sollen Buddhastatuen in diesem Zusammenhang erfüllen? Und hatte Buddha nicht selber gesagt, dass die Verehrung seiner Person, besonders durch bildliche Darstellungen nur von dem einzig wichtigen Ziel, nämlich der Erleuchtung, ablenkt?
Münzen mit der Darstellung Melindas
Melinda indisch,
Menander lateinisch,
Menandros griechisch,
ist berühmt für seine Bemühungen, westliches und östliches Gedankengut auszutauschen. An seinem Hofe treffen buddhistische Betrachtungsweisen auf die der griechischen Philosophen. Es ist der erste schriftlich niedergelegte Gedankenaustausch dieser Art. Seine philosophischen Diskussionen mit dem Buddhisten Nagasena sind in der altertümlichen Abhandlung:
„Milinda-Panha“ (Die Fragen des Melinda)
festgehalten und überliefert.
Nagasena bedeutet: Schlangen-Armee, da man ihm übersinnliche Kräfte unterstellt. Die Chinesen stellen ihn gerne als ausgefuchste Person dar, der sich im Ohr kratzt, falls er etwas Ungebührliches hört.
Der Legende nach gab Melinda gegen Ende seines Lebens sein Königsreich auf, konvertierte zum Buddhismus und starb schließlich als Arhant, Heiliger.
Laut Geschichtsschreiber Plutarch starb Melinda in seinem Armee-Camp während einer Schlacht, berichtete aber auch, dass Melinda den buddhistischen Glauben angenommen hatte.
Es sei hier aber erwähnt, dass der Verdacht, Melinda hätte die ersten Buddha-Statuen angeregt, nur eine nahe liegende Spekulation ist. Wie wir wissen, war diese Art der Präsentation des griechischen Parthenons durch ästhetisch gestaltete Skulpturen in der hellenistischen Welt weit verbreitet. Es gibt jedoch keine historisch belegte Begebenheit, die besagt, dass Melinda seinen Zeigefinger erhob und sagte:
„Lasst uns Buddha ein Antlitz geben. Meine Handwerker und Künstler kennen sich da aus.“
Wir wissen noch zu wenig über eigenständige künstlerische Entwicklungen in dieser Geografie. Zu viele der historischen Spuren wurden in Afghanistan und dem heutigen Pakistan unter dem Einfluss des Islam unwiederbringlich getilgt, ganz besonders wegen des islamischen Verbotes, lebende Wesen, auf welche Art auch immer, bildhaft darzustellen.
Anmerkung des Autors. Auch in der Neuzeit kam es zu ernsten Konflikten wegen dieses islamischen Verbotes. Als Saudi Arabien in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts das Fernsehen einführte, gab es Demonstrationen konservativer Moslems in den Strassen Riyadh’s, die blutig und nicht ohne Tote, niedergeschlagen wurden.
Nun stehen wir also an der Schwelle einer bildlichen Darstellung Buddhas. Wir befinden uns im zweiten Jahrhundert vor Christus. Noch ist sie nicht populär. Noch ist sie die Ausnahme, wenn überhaupt.
Ausgerechnet ein Grieche, ein Vertreter der westlichen Welt, legte womöglich den ersten zarten Grundstein für diese Entwicklung. Eine Entwicklung, die dem aufgeschlossenen Reisenden aus dem Abendland immer wieder aufs Neue Staunen und Faszination beschert, wenn er in Süd-Ost-Asien voller Vorfreude den Flieger verlässt.
Die Hindus greifen die Idee der bildlichen Darstellung ihrer Götter schon jetzt begeistert auf. Ihr offensichtlicher Erfolg bei den einfachen Leuten lässt auch die Buddhisten über neue Wege nachdenken. Welche, werden wir noch sehen.
Ein König der alten Welt, der „farang“ Melinda, macht sich stark für den Buddhismus, gibt ihm noch einmal eine Chance in seinem Großreich.
Aber es ist wie so oft im historischen Zeitenlauf, in einer persönlichen Lebensspanne übrigens auch, wie wir alle wissen. Gerade fühlen sich alle in Sicherheit, sehen eine rosige Zukunft vor sich und plötzlich wird sie von dunklen Wolken aus einer gänzlich unberechenbaren Richtung beschattet.
Der Buddhismus wird in eine schmerzhafte Zange genommen.
Im Süden Indiens, in Sri Lanka fallen die Tamilen zum ersten mal ein. Die ansässigen Singhalesen, in der Mehrzahl Buddhisten, befinden sich in Lebensgefahr. Dort ist die vermeintlich sichere Enklave des Buddhismus gefährdet.
Im Norden Bactrias fallen chinesische Nomaden-Stämme ein, verdrängen die griechischen Könige in ihre Enklaven in Nord-Indien, bis sie schließlich gegen Ende des 1. Jahrhunderts BC ganz von der Bildfläche verschwinden. Der Osten ist wieder unter sich, auf seinem eigenen Territorium. Die Expatriate-Bücher Asiens werden geschlossen.
Wie ist es möglich, dass Nomaden-Stämme etablierte und wohlorganisierte griechische Königsreiche überrennen können? Woher kommt die Motivation, die Energie und der offensichtlich unwiderstehliche Druck? Nun, wir wissen heute, dass sich in China ein Großreich entwickelt. Die chinesischen Herrscher verdrängen alles, was sich ihnen nicht anschließen oder anpassen will. Eigensinnige Nomaden passen da nicht ins Bild. Diese weichen in Scharen und unwiderstehlich auf andere Territorien aus. Zuerst Bactria, dann Nord-Indien.
Ist jetzt alles verloren? Stehen wir nun vor dem endgültigen Aus des Buddhismus? Unzivilisierte Nomaden, Viehzüchter und Wanderer, oft am Rande ihrer Existenz. Können die etwa mit den Gedankengängen Zarathustras und Buddhas etwas anfangen? Sind die überhaupt zu philosophischen Betrachtungen fähig?
Ist nun absolute Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit angesagt?
Die Chinesen haben nur einen Begriff für „Problem“ und „Chance“, und nicht zwei, wie wir in der westlichen Welt. Der Begriff besteht aus zwei chinesischen Schriftzeichen, eines steht für „Krise“ und das andere für „Chance“. Zusammen ergeben sie den Begriff „Problem“. Zwei Seiten einer Münze, die unzertrennlich sind. Jedes Problem birgt also auch eine gute Chance in sich. Nämlich die Möglichkeit für eine positive Entwicklung. Wie wahr dies auf die Weiterentwicklung des Buddhismus zutrifft, zeigen die nächsten paar hundert Jahre ganz deutlich.
Nur so viel sei hier verraten. Die unten abgebildete Münze enthält die erste geschichtlich verbürgte und einigermaßen datierbare Buddha-Darstellung. Sie entstand im 1. bis 2. Jahrhundert nach Christi Geburt in
Gandhara, Nord-Indien, während der Herrschaft der eingewanderten chinesischen Nomaden. Ein Wunder? Nein, nur die andere Seite der Münze.
Hier fällt der Vorhang zum 3. Akt. Wie es zu den ersten Darstellung Buddhas kam, sehen wir im 4. Akt...