Priorität haben PunkteOttmar Hitzfeld ist nicht erpicht darauf, einen Schönheitspreis zu gewinnen.Nach dem 2:2 der Schweizer Fussball-Auswahl in der WM-Qualifikation gegen Lettland steht die Türe nach Südafrika weit offen. Der Schweizer Nationalcoach Ottmar Hitzfeld beurteilt die Leistung seines Teams in Riga und äussert sich zu dessen Perspektiven. Er sagt, was ihn gefreut und was ihm missfallen hat.
Herr Hitzfeld, Sie sagten vor dem Spiel gegen Lettland, in einer solchen Partie könne man erkennen, ob eine Mannschaft mittelmässig, gut oder sehr gut sei. Wo also steht das Schweizer Nationalteam nach dem 2:2 in Riga?
Ottmar Hitzfeld: Irgendwo dazwischen, das Team spielte weder sehr gut noch sehr schlecht. Wir zeigten eine ansprechende Leistung. Das Spiel war nicht einfach, das konnte man sehen. Wir hatten lange Zeit Probleme, den Rhythmus zu finden und uns gegen die zwei Viererketten der Letten durchzusetzen. Wir hatten nicht die nötigen Ideen, es fehlte wiederum die Präzision. Nach dem 1:2-Rückstand war die Mannschaft gefordert, da konnte man ihre Grundeinstellung erkennen. Wir riskierten in der letzten Viertelstunde viel, es standen fünf sehr offensive Spieler auf dem Platz. Und wir hatten noch Chancen, das Spiel zu gewinnen.
Was kann man gegen die Ideenlosigkeit und die Defizite unternehmen, die das Team zeigte?
Ich muss mir schon Gedanken machen, ob man den einen oder andern Spieler für die nächste Partie gegen Luxemburg ersetzen kann. Vielleicht verdient auch ein Joker die Chance, von Anfang an zu spielen. Das ist eine Möglichkeit. Gökhan Inler wird höchstwahrscheinlich wieder zurückkehren; ich hoffe nicht, dass er am Sonntag mit Udinese spielt, denn wir schonten ihn ja, um kein Risiko einzugehen.
Die Schweizer Mannschaft tut sich schwer, wenn Inler nicht dabei ist.
Dass man Gökhan Inler aufgrund seiner Ballsicherheit, seines Passspiels und seiner mentalen Stärke schwer ersetzen kann, ist klar. Er ist ja nicht umsonst Stammspieler in der italienischen Liga. Wenn es der letzte Match gewesen wäre, hätte ich ihn spielen lassen. Aber es wäre ein Risiko gewesen.
Wer ist Ihnen am Mittwoch positiv aufgefallen?
Ich möchte nicht in Einzelkritik verfallen. Aber positiv zu erwähnen ist sicher, dass Eren Derdiyok das 2:2 erzielen konnte und als Joker stach. Aber auch Alex Frei zeigte eine starke Leistung. Er zerriss sich läuferisch, er war als Captain ein grosses Vorbild.
Sehen Sie eine Möglichkeit, Hakan Yakin in Ihrem System in der Startformation zu nominieren?
Ich würde Yakin gerne spielen lassen, aber er muss sich noch steigern. Ich glaube nicht, dass er zurzeit 90 Minuten im Zentrum des Spiels spielen kann. Er hatte ein Jahr fast keinen Rhythmus. Ich liess ihn gegen Luxemburg ja einmal spielen. Das bleibt auch in Erinnerung.
Spielt die Mannschaft schon den Fussball, den Sie sich vorstellen?
Viel wichtiger ist, ob wir zurzeit Erfolg haben oder nicht. Wenn wir gesagt hätten, wir wollten jetzt sehr schönen Fussball spielen, dann hätten wir sicher auch mehr Rückschläge erlitten. Wir müssen uns Schritt für Schritt entwickeln. In einer Qualifikation muss man erst einmal die Punkte gewinnen. Das hat Priorität. Ich war noch nie ein Trainer, der gesagt hat, er möchte einen Schönheitspreis gewinnen. Dafür wirst du nicht bezahlt. Man wird bezahlt, damit man Erfolg hat.
Kann man sagen, die Schweizer Mannschaft ist schwer zu schlagen, aber sie muss immer am Limit spielen, um zu gewinnen?
Richtig, das ist so bei uns. Wir müssen immer mindestens 90 Prozent abrufen, um die Gegner schlagen zu können. Sonst reicht es nicht ganz. Aber ich glaube, dass die Mannschaft nach der Euphorie vom letzten Samstag die Konzentration wiederfand. Das war nicht einfach. Denn Lettland hat ja auch nicht von ungefähr diese Punktzahl. Die Letten haben Qualität.
Wie viel Prozent erreichte die Schweiz am Mittwochabend in Riga?
Die Einstellung war okay, nicht aber die Umsetzung im spielerischen Bereich. In der Offensive hatten wir lange Zeit viel Sand im Getriebe. Es mangelte an Ideen, manchmal fehlte auch das Risiko.
Wie nahe ist die Schweizer Nationalmannschaft nach dem Remis der WM gekommen?
Wir sind Südafrika einen Schritt näher gerückt, ganz klar. Weil es Griechenland nicht schaffte zu gewinnen. Das war neben unserem Ausgleich die beste Meldung des Abends. Wir konnten die drei Punkte Vorsprung verteidigen. Das war unser Ziel: den Abstand zu wahren.
Vor einem Jahr verlor die Schweiz 1:2 gegen Luxemburg. Was denken Sie rückblickend?
Das war ein Tiefpunkt in der Qualifikation, aber vielleicht auch ein Schuss vor den Bug zum richtigen Zeitpunkt. Die Mannschaft besann sich danach, sie bewahrte die Nerven und startete eine Aufholjagd. Jetzt haben wir in Luxemburg die Gelegenheit, eine Rechnung zu begleichen.
Gab es in der Qualifikation einen Moment, an dem sich die positive Entwicklung festmachen lässt?
Es begann nach dem Spiel gegen die Letten, die wir im Oktober in St. Gallen niederkämpfen konnten. Vier Tage später gewannen wir die Big Points in Griechenland.
Gegen Luxemburg ist der Innenverteidiger Stéphane Grichting gesperrt.
Wenn jemand gesperrt ist, ist das die Chance für einen andern. Wer das sein wird, beobachten wir in den nächsten drei, vier Wochen. Die Auswahl ist nicht so gross, aber wir werden eine Lösung finden. Seit feststeht, dass Philippe Senderos bei Arsenal bleibt, hoffe ich natürlich, dass er öfter spielt. Arsenal ist in der Champions League und hat englische Wochen. Daher besteht die Chance, dass Senderos eher zum Zug kommt.
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