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Vollendung in Bangkok
Khun Han:
Es folgten ein paar Wochen voll glücklicher Zweisamkeit und seliger Leichtigkeit. Ich stieg wieder im Miami Hotel ab und gab dem Taxifahrer Hoods Adresse. Er hatte Schwierigkeiten, die kleine Straße an einem Kanal in Bangsue zu finden. Vor dem Holzhaus saßen die Eltern und ein paar Kinder. Ich weiß nicht mehr, wie die Kommunikation funktionierte, aber sie wollten Deng, das war und ist ihr wirklicher Spitzname, zu mir ins Hotel schicken, wenn sie käme.
Von der politischen Situation in diesen Tagen wusste ich nichts, aber ich denke das Leben war irgendwie genügsamer, einfacher. Es herrschte vielleicht eine Art Hippie-Feeling, jedenfalls was die Musik und die Mode betraf. Wir rauchten beide Zigaretten, Deng bis heute, und manchmal auch etwas Ganja. Zigaretten konnte man einzeln beim Straßenhändler kaufen, Cola trug man in der Tüte umher, der Kaffee war ungenießbar. Alkohol trank sie keinen, damit fing sie erst Jahre später an. Wir hielten uns gerne in den damaligen Kaufhäusern auf, besonders im Central Chidlom und dem Central Silom und sehr gerne im Thai Daimaru (sprich: thaidemalu). In allen gab es saubere Restaurants. Wir gingen auch in Massagesalons, wo die Mädchen mit Nummern hinter einer Scheibe auf Stufen saßen. Mit der gewählten Nummer ging man auf ein Zimmer, wo man gebadet und geknetet wurde. Es gab auch Sandwich-Massage, also zwischen zwei Mädchen liegend, oder "Because"-Massage, bei der man auf einer Luftmatratze kräftig eingeseift wurde. Wir sahen uns auch "Pink-Ponk-Shows" und dergleichen an. Wir verbrachten ein paar Tage in Pattaya im Sea View Hotel an der Beach Road, das einen Schwimmingpool hatte und einen Beo, der immer sagte, dass ihm das Herz wehtat.
Um das Geld für das Hotel zu sparen, zog ich bei der Familie ein. Die Haus war eigentlich nur ein großer Raum, in dem geduscht, gewaschen, gegessen und geschlafen wurde, zusammen mit den Hühnern. Durch die Bodenbretter fiel der Abfall in den Khlong. Die Eltern und Geschwister schliefen im Haus nebenan, das der Mia Noi zu gehören schien, die damals schon eine alte Frau war. Wir versuchten unter dem Moskitonetz keinen großen Lärm zu machen. Ich hatte einen Kassettenrecorder und vor dem Hinlegen hörten wir stets Paul Anka´s "I Don't Like to Sleep Alone", unser Lieblingssong bis heute. Manchmal schliefen wir eine Nacht in einem Stundenhotel.
Deng hatte einen älteren Bruder, dessen Frau und drei Kinder auch hier wohnten, und 4 jüngere Brüder, sowie eine Schwester. Eine Schwester war der Tante "geschenkt" worden, die bereits 2 Söhne hatte. Ein kleiner Junge von 3 Jahren wurde mir als Dengs Sohn vorgestellt, dann war er es mal wieder nicht. Dass sie noch einen zweiten Sohn hatte, erfuhr ich erst Jahre später. Ihre Frage beim Essen: "Aroi mai, Luk?" gehört zu meinen ersten Spracherfahrungen.
Khun Han:
"I love you! Never mind you no love me!" Obwohl ich wusste, dass der häufig ausgesprochene Satz antrainiert war, wollte ich ihn nur zu gerne glauben. In der Tat entwickelte sich unsere Liebe mit den Jahren. Zuerst mag es Verliebtheit gewesen sein, wir passten zusammen, hatten die gleichen Gedanken und Interessen und doch verband jeder von uns seine eigenen Vorstellungen mit der Entscheidung, von nun an gemeinsam durchs Leben zu gehen. Deng wollte zur Versorgung der Familie beitragen und wie sie später gestand, einfach mal Deutschland kennenlernen. Für mich bedeutete es, nicht mit leeren Händen nach Hause zu kommen. Ich erkannte in ihr aber auch alles Weibliche, sie war mir Freundin und Schwester, Geliebte und Gattin, sie war spontan und fröhlich und auch fürsorgend wie eine Mutter.
Ich schrieb meinen Eltern, dass ich hier eine Frau kennengelernt hatte und sie heiraten wollte. Mein Vater schrieb zurück, dass es im Leben noch mehr gab als die Freuden der Liebe und mit der Ehe das süße Leben des Alleinseins enden würde. Es gäbe auch in Deutschland schöne Frauen, aber ich sei alt genug um zu wissen, was ich täte. Dengs Familie war mit mir und der Entscheidung einverstanden, nur der älteste Bruder behandelte mich etwas spöttisch herablassend. Für Dengs Vater war es nicht leicht, sie gehen zu lassen, wie er mir später in einem in Englisch geschriebenen Brief mitteilte. Sie war sein Lieblingskind. Davon gleich mehr. Zuerst noch eine Anekdote: wenige Tage nach unserer Eheschließung waren wir nochmal im Chao Phraya Massagesalon. Ich wählte die Nummer 333 und begann den Fehler, mich von ihr verführen zu lassen. Und diese hatte nichts Besseres zu tun, als meinen Fehltritt brühwarm meiner Gattin zu erzählen. Da herrschte Heulen und Zähneknirschen. Die ganze Kinderschar weinte laut den ganzen Abend. Nachdem mir Deng die Entscheidung des Vaters überbracht hatte: "One time never mind!", war alles wieder gut.
Was ich über Dengs Vergangenheit weiß, erfuhr ich nach und nach. Ihr Vater war einmal angesehen in der Nachbarschaft. Sie besaßen ein größeres Haus mit einem Garten, in dem sogar ein Gibbon an einem Baum angekettet war. Der Vater war Zimmermann und errichtete und reparierte die Holzhäuser. Durch Nachlässigkeit bei der Arbeit und wegen seinen Nebenfrauen verlor die Familie aber Status und Vermögen. Deng spielte die üblichen Spiele der Kinder auf der Straße, Steinchen hochwerfen und fangen, Puppenkleider aus Papier basteln und in Socken Tee filtern. Es gab einen Fernseher in der Nachbarschaft, wo die Kids Dick und Doof anschauen konnten.
In die Schule ging sie nicht gern, außer wenn Gärtnern, Einkaufen auf dem Markt und Kochen auf dem Plan standen. Sie lies manchmal die Schultasche aus dem Fenster fallen und kam vom Holen nicht mehr zurück. Ihre Mutter hängte ihr einmal Schild um den Hals, auf dem Schulschwänzerin stand. Vor dem Ende der 5. Klasse "entließ sie sich selber". Sie half ihrer Mutter auf dem Markt selbstgemachte Süßigkeiten zu verkaufen und fand eine Stelle als Fahrkartenverkäuferin in Militärbussen. Ihr Vater holte sie dabei oft ab und überraschte sie mit Geschenken, darunter auch mal eine Goldkette, die sie aber bei Pferdewetten wieder verlor.
Sie heiratete, bekam mit 20 den ersten Sohn, Pok, und 12 Monate danach den zweiten, Geo. Ihr Mann verließ sie mit einer Anderen und nahm Geo mit, der fortan bei der Schwiegermutter aufwuchs. Ich habe diesen Mann 13 Jahre später kennengelernt, als er in die Adoption einwilligen musste. Er besuchte uns auch einmal nach der Auswanderung. Er lebt in den Bergen bei Chiang Mai, Geo hat noch Kontakt zu ihm. Nach der Trennung half Deng wieder ihrer Mutter auf dem Markt. Die Exfrau ihres älteren Bruders zeigte ihr dann, wie man anders Geld verdienen kann und brachte ihr etwas Englisch bei. Kurz darauf begegneten wir uns.
Deng wuchs also in einfachen Verhältnissen im Nachkriegs Bangkok auf, bis 1968 konnte sie da übrigens noch mit der Straßenbahn fahren, Holzklasse natürlich. Sie hat zwar Mühe Texte schnell zu lesen, etwa im Fernsehen, aber sie besitzt eine natürliche Intelligenz, kann Menschen und Situationen schnell erfassen, ist vollständig über alles informiert, auch indem sie beim Arbeiten in der Küche mit einem Ohr die Nachrichten mithört. Sie kann nicht Deutsch lesen und schreiben, weiß sich aber mit den Buchstaben zu helfen. Sie hat ein unglaubliches Gedächtnis, sie vergisst nie, wo etwas gekauft wurde und was es gekostet hat. Sie hat die Fähigkeit, Menschen für sich zu gewinnen, hat überall Freunde, ist freigebig und liebt ihre Pflanzen über alles. Kochen ist ihre Leidenschaft und sie ist dabei und überhaupt immer bereit, Neues zu lernen und zu versuchen. Sie ist religiös, rennt aber nicht in die Tempel und gibt lieber Bedürftigen als den Mönchen. Sie glaubt auch an Jesus und Maria, wie sie es bei meiner Familie kennengelernt hat, und hält ein kleines Holzkreuz, das mein Vater aus der Kriegsgefangenschaft mitgebracht hat, in großen Ehren. Immer wenn ich ihr meine spirituellen Erkenntnisse mitteile, sagt sie, das weiß sie schon längst. Sie sei in der Schule des Lebens in der 3. Klasse, ich erst in der ersten. Ich widerspreche ihr da nicht.
Khun Han:
Das letzte Bild ist auch das Bild in ihrem damaligen Pass. Der war 2 Jahre gültig, der in Bonn ausgestellte neue dann 5 Jahre. Wie an anderer Stelle gesagt, wir hatten einen Mann engagiert, der uns bei der Passbeschaffung half und der uns zum Standesamt brachte, ohne dass wir davor von dem Hochzeitstermin wussten. Visum war nicht nötig, die Eheschließung wurde von der Deutschen Botschaft weiter gemeldet. Aber irgendeine Impfung musste sie noch haben.
Wir kauften in einem Kaufhaus in Banglampoo einen stabilen Koffer und ließen in Pratunam ein paar Kleider nähen. Das war damals üblich, auch in den ersten Urlauben nahmen wir Seiten aus Katalogen mit und ließen danach schneidern. In ihrem dünnen, blauen Kleidchen fror sie ein wenig beim Umsteigen vom Zug aus Frankfurt ins Allgäu. Auf dem Flug über Moskau mit der Aeroflot hatten stämmige Stewardessen Äpfel als Nachtisch ausgeteilt. Mein Vater holte uns mit dem Auto eines Nachbarn am Bahnhof ab. Als er sich von diesem verabschiedete, wusste Deng, dass ihr Schwiegervater nicht mit seinem Chauffeur vorgefahren war.
Die Anfänge in der alten Heimat waren natürlich bescheiden. Wir wohnten in einem kleinen Zimmer bei meinen Eltern und schliefen in einem kleinen Bett. Ich hatte ja weder Beruf noch Ausbildung. Bei uns um die Ecke gab es ein privates, von einem Ehepaar geleitetes Altenheim, wo wir zunächst Beschäftigung fanden, ich in der Pflege und Deng in der Küche. Sie weinte, als sie den Auftrag erhielt, da die Straße zu kehren. Das hatte noch niemand von ihr verlangt. Aber es machte ihr Freude beim Kochen zu helfen und die Chefin, die Beziehungen in die Politik hatte, wollte, dass ich Altenpflege erlerne. Dazu hätte ich aber nach Freiburg müssen. Siebzehn Jahre später begann ich die Ausbildung dazu im Städtle selber. Das Ehepaar half uns aber Arbeit zu finden. Wir begaben uns dazu nach Hinterstein bei Hindelang.
Khun Han:
Hoffentlich langweile ich nicht mit diesen Geschichten aus längst vergangenen Zeiten und den vielen privaten Details. Sollte dies nicht zum Stil und Geist des Forums passen, bin bereit ohne weitere Diskussion damit aufzuhören.
Bevor ich aber beschreibe, wie es uns bei der Arbeit im Kurhotel in Hinterstein erging, wie sich unsere Beziehung entwickelte und was wir sonst noch in den nächsten 32 Jahren bis zu unserer Auswanderung erlebten, muss ich zum besseren Verständnis ganz offen über mich selbst schreiben.
Wenn ich zurückblicke, so sind es zwei Geschehnisse, die meinem Leben Richtung und Antrieb gaben. Mein Vater sagte manchmal halb im Scherz: "Das Leben ist ein Schwindel." Dass dieser gestandene Mann sich auf gewisse Dinge keinen Reim machen konnte und an der Sinnhaftigkeit des Ganzen zweifelte, ließ mich nicht mehr los. Ich begann mich zu fragen: Was hat das Leben für einen Sinn? Welchen Sinn machte es, mühsam eine Ausbildung zu machen, um dann nach einem mühsamen Arbeitsleben alt und krank zu werden und dahinzuscheiden?
Auf die oft gestellte Frage: "Was willst du mal werden?" wusste ich keine Antwort. Dass die richtige Antwort: "Glücklich!" war, hatte mir niemand beigebracht. Aber dem alten Lehrer machte ich eine Freude und sagte, was er hören wollte: "Pfarrer!" Es war auch der Wunsch meiner Großmutter. Obwohl dieser Beruf nicht meiner Absicht entsprach, verließ ich nicht ungern das Elternhaus und zog ein ins Internat, ins Heimgymnasium eines katholischen Ordens. Damals gab es in der Stadt noch keine Möglichkeit der weiteren Schulbildung. Dabei hatte ich beim Aufnahmetest die falsche Antwort nach dem größten christlichen Fest gegeben. Nicht Weihnachten, wo es die meisten Geschenke gab, sondern Ostern war es. Wer kommt aber auch auf sowas?
So begannen neun Jahre unter der Aufsicht von Patres. Schlafen in großen Schlafsälen, Lernen in Studiensälen, anfangs fünf Mal am Tag in die Kirche, ein vorgegebener Tagesablauf, Belohnungen und Strafen. Ich verhielt mich ruhig, suchte mehr Stille und Orte abseits der Menge. Als Klassensprecher und dann Mittelstufensprecher lernte ich die Obrigkeit kennen. "Weil ich dein Vorgesetzter bin!" wurde mir entgegengeschleudert. Ich wurde rebellisch. "LBJ (Lyndon B. Johnson), how many kids did you kill today?!" stand auf der Innenseite meines Pultes. Ich war gegen den Vietnamkrieg, verfolgte die Studentenaufstände, ließ mir zum Entsetzen der Leitung mit wenigen Anderen Bart und Haare wachsen. Ich liebte die Musik und das Auftreten der Hippies. Heimlich rauchten wir Pfeife, gingen heimlich in Kneipen. Das Poster von Che Guevara hing über meinem Bett, ich kannte die Namen der Führer der Black Panther und der amerikanischen Studentengruppen. Ich besuchte die Versammlungen der Kommunistischen Partei in der Stadt, bis es mir von der Heimleitung untersagt wurde.
Als ich bei den jährlichen Sportspielen nicht zum Sprung in das Schwimmbecken antrat und ich auf dem Schulhof vom Oberstudienleiter darauf angesprochen wurde, sagte ich, dass ich mich nicht wohl gefühlt hätte. "Und im Übrigen geht mir das Ganze gegen den Strich!" Als er sich gefasst hatte, schrie er mich an: "Du gehst uns auch gegen den Strich!" Die Quittung bekam ich mit dem Abiturzeugnis, eine 5 im Sport. Zuvor hatte ich eine 4 in Deutsch noch im Mündlichen, als Thema wählte ich Bert Brecht, in eine 3 abwandeln können. Im Deutschaufsatz ging es um staatliche Gewalt, die bei mir natürlich zivile Gewalt hervorruft. Eindeutig eine politische, strafende Bewertung gegen mich. Dabei hatte mir derselbe Oberstudienleiter zuvor noch vor der Klasse bescheinigt, dass "was Gedankenfülle und sprachliche Ausdruckskraft anbelangt", ich überragend der Beste sei. Aber die Noten im Zeugnis der Reife waren mir egal, auch dass die Noten für Musik und Kunst vertauscht waren. Soweit zu: "Du sollst kein falsches Zeugnis geben!", dachte ich bei mir. Ich hatte mich ja längst entschieden, dieses Land zu verlassen. Vier Jahre zuvor hatte sich nämlich etwas ereignet.
Suksabai:
--- Zitat ---Hoffentlich langweile ich nicht mit diesen Geschichten aus längst vergangenen Zeiten und den vielen privaten Details. Sollte dies nicht zum Stil und Geist des Forums passen, bin bereit ohne weitere Diskussion damit aufzuhören.
--- Ende Zitat ---
Traue dich ja nicht, aufzuhören! ;]
Ist - zumindest für mich - hoch interessant und unterhaltsam, auch ein paar wenige Parallelen haben wir gemeinsam...
In diesem Sinne
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