8. 9. 09
Lieber Profuu, du willst uns wohl ein wenig kitzeln. Doch mit deiner letzten Einlassung wird mir vieles klarer. Du willst einen eigenen Feldzug gegen dich selber führen, willst dich nicht einmachen lassen von den eigenen unerbittlichen körperlichen Bedrängnissen, die dich eventuell im Alter heimsuchen könnten, willst selbst in hohem Alter nicht aufhören, „wider den Stachel zu löcken“. Was soll das werden? Ein Aufmarsch gegen dich selbst? Ich seh dich schon in deinem selbst gewählten Thaiasyl herumstraucheln, altersstarr an den Löffel geklammert, den du nicht abgeben willst und den man dich schließlich mit in den Wat nehmen läßt.
Wie ich schon schrieb: Jeder muß seinen Weg gehen. Möge dir ein langes Leben bei guter Gesundheit beschieden sein. Hier gibt es viel zu tun und geschäftige Alte genießen den Respekt der Thais. Zumindest solange sie das Maul halten und sie nicht belehren wollen. Denn sonst wandelt sich Respekt schnell in Erbarmen und Mitleid.
Wenn du als Historiker Menschen beschreibst, die bis ins hohe Alter nicht davon ablassen konnten, aus Eitelkeit, Machtgelüsten oder Geldgier die Dinge bewegen zu wollen, dann wirst du mir sicher zustimmen, dass es sich eigentlich um Ausnahmeerscheinungen handelt. Auch hier willst du uns ein wenig kitzeln. Denn Abweichungen von der Regel treffen wir überall im Leben, und das weißt du. Erfahrungsgemäß bleibt es ein Wunschtraum von uns Menschen, uns auf die Zuverlässigkeit von gradlinig verlaufenden Prozessen verlassen zu können. Falls du die Normalität einmal kennen lernen möchtest, so bist du zu einem Besuch in einer von Thailands betriebsamster offener Geriatrie in Hua Hin herzlich eingeladen.
Du willst den Gegenpol spielen. Das sei dir unbenommen. Solange du uns nicht des reinen Widerspruchs willen in die Parade fährst. Da wär die Achtung schnell dahin. Oder willst du Mephisto sein? Bist du „ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft?“ Bist du „der Geist, der stets verneint? Und das mit Recht. Denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht.“ Das hat uns Goethe schon vor fast 200 Jahren ins Stammbuch geschrieben. Er war übrigens bis zu seinem Tod ein Ausnahmealter, rastlos hielt er sich beschäftigt, damit er nicht an den Tod denken musste. Und dies scheint mir die eigentliche Triebfeder für jene faustische Geschäftigkeit im Alter zu sein.
Aber wir weichen vom Thema ab. Allgeier hatte gefragt, ob er es denn richtig sehe, dass alte Menschen das Leben mit anderen Augen beurteilen als junge, und in welcher Weise dies Einfluß auf die Motivation hat, sich für Veränderungen einzusetzen. Er scheint es etwas spaßig gefunden zu haben, als ich ihm schrieb, dass ich dächte, alte Menschen hätten für Veränderungen nicht mehr viel übrig. Auch ihm würde ich gerne einen eigenen Anschauungsbesuch in Hua Hin nahelegen. Wurst und Brot braucht er jedenfalls nicht zu missen. Möglicherweise ergibt sich sogar die Gelegenheit zu einem netten Treff im Halbkreis um ein kühles Glas Soda. Ich würde mich sehr freuen.
Ich kann nach wie vor nichts Schlechtes daran finden, wenn alte Menschen, die die wesentlichen Lebenskämpfe hinter sich haben, sich in eine ruhige Ecke zurückziehen und sich aus der betriebsamen Welt mit ihren schnellen Wechselschlägen ausklinken möchten (Profuu ist hiervon ausdrücklich ausgenommen). Wer körperlich und mental für einen Umzug nach Thailand bereit ist, mag zwar je nach Standort in Punkto Gesundheitsbetreuung Einbussen hinnehmen müssen, doch trifft er im Hinblick auf das warme Wetter, im Hinblick auf soziale Kontakte, auf uneingeschränkte Eigenständigkeit und auf die Verehrung und Achtung der Thais vor dem Alter eine weitbessere Entscheidung als er sie mit der Aussicht hat, in einem deutschen Altersheim in einem Einzelzimmer allein und vereinzelt vor sich hin zu verfinstern.
Danke Sensor für deine Antwort und besonders für deinen Schlusssatz. Diesen kann man nicht fett genug unterstreichen:
„Wer sich selbst menschlich entwickeln will, der braucht die Fähigkeit, Unveränderliches zu erkennen, die Kraft, Veränderliches zu ändern, und vor allem die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“
Damit ist an so manche Adresse das Richtige gesagt.