Vom römischen Murad und anderen „Erfolgen“ unseres Bildungssystems„Luise, was hat unser Klassenrat mit der Demokratie im antiken Griechenland zu tun?“, fragt mich einer meiner Nachmittagsschüler, bei denen ich privat die Folgen des Bildungszeitgeists versuche auszubügeln. Wer die moderne Ausführung dieses „Rates“ einmal live erlebt hat, dem mag es schwerfallen, zu dieser Frage angemessene Parallelen zu erörtern. Und so sitze ich selbst ratlos vor dem Lehrbuch für Gesellschaftswissenschaften und weiß nicht so recht, ob ich lachen oder weinen soll. Überfliegt man das Inhaltsverzeichnis, reist man in wenigen Lehrbuchseiten vom alten Rom über das Thema „Kloaken und Toiletten“ zu Murad und seinem Zuhause in Berlin.
Flüchtling, Flüchtender, Menschen mit Fluchthintergrund
An den Untergang des Römischen Weltreiches schließt sich thematisch „Menschen suchen eine neue Heimat - Migration heute“ an. Danach wird passend über „bunte (Schul)klassen“ gesprochen. Die Germanen lassen sich wunderbar mit der heutigen Vielfalt Europas verbinden und der moderne Klassenrat wird der attischen Demokratie gegenübergestellt. Von der Agrarwirtschaft der Jungsteinzeit sind es exakt 8 Seiten zur heutigen Milchwirtschaft im Allgäu. Wenn das mal kein gelungener Ritt durch die Geschichte ist!
Das Fach Geschichte wird immer häufiger in den unteren Klassenstufen zu dem Konglomerat „Gesellschaftswissenschaften“ mit den Fächern Geographie und Politik zusammengefasst. Dieser fächerübergreifende Unterricht führt allzu oft dazu, dass historische Inhalte zwangsmodernisiert und in den passenden ideologischen Kontext gestellt werden. Die Inhalte verkommen zu einem Flickenteppich ohne durchgängigen Faden. Hinzu kommt die zunehmende kulturelle und bildungskanonische Entwurzelung und gewollte Planlosigkeit.
Alles Historische muss krampfhaft in die Gegenwart gezerrt werden und einen dubiosen „Lebensweltbezug“ haben, auch wenn der Schüler dann Murads Lebensumstände mit denen eines antiken Römers verwechselt. Da könnte man fast ironisch anmerken: Ziel erreicht! Das Resultat dieser Beschäftigungstherapie mit Inhaltskonfigurationen ohne Sinn und Verstand (aber umso mehr Kalkül!) ist eine Art Pseudobildung. Die groben Inhalte ähneln noch entfernt dem alten Bildungskanon doch gleichzeitig wird der kulturell entwurzelte homo „Ich hab da mal gehört, wie es früher war, aber heute sind wir bunt und vielfältig“ herangezogen.
Hier gehts noch weiter - einer meiner ehemaligen Chefs hätte nach der Lektüre wohl geäußert: ich krieg einen Ka.ckreiz - das dürfte bei den Ausmaßen und Auswirkungen aber deutlich untertrieben sein (Kommentar anschauen):
https://www.kraut-zone.de/blog/vom-roemischen-murad