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Autor Thema: Vollendung in Bangkok  (Gelesen 12210 mal)

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Khun Han

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Re: Vollendung in Bangkok
« Antwort #45 am: 12. Juli 2022, 08:05:19 »

Vor der OP

Sechs Tage Galgenfrist. Im Internet fand ich nichts, das auf meinen Fall passen könnte; dafür Videos von Lasik-Operationen und Informationen über Augenkrebs. Bilder von mit Spreizern offen gehaltenen Augäpfeln, Skalpellen, die sich meinem Auge nähern, und viele Fragen ließen mich nachts nicht wieder einschlafen. Ich bekam mehr Bammel als ich zulassen wollte.

Wir planten stressfrei anzukommen und meine Gattin hatte für 5.45 Uhr ein Taxi bestellt. Nicht zu früh. Wir brauchten zwar bei der raschen Fahrt über den Highway nur 35 Minuten, aber kaum betraten wir das Gebäude, von dem aus wir erwarteten zum Operationsort in einem anderen Haus gebracht zu werden, wurde ich über mein Handy gefragt, wo wir seien. Wir machten uns auf den Weg über Parkhöfe und überdachte Gänge und mussten zweimal nachfragen, was meine Frau nicht gerne tut. Aber der Tag sollte noch weitere Herausforderungen für sie bringen. Als wir dann dort im 3.Stock ankamen, saßen ein paar Leute auf den Stühlen im Gang vor der Anmeldung. Es waren Begleitpersonen der anderen zu Operierenden. Eine Frau zeigte uns, wo wir den Zettel abgeben konnten, und gleich erschien eine Schwester mit meiner Akte. Sie stellte die üblichen Fragen nach Name, Augenseite, Krankheiten, Allergien und Medikamenten, zeigte uns Merkblätter und ließ uns unterschreiben. Meine Frau musste zusätzlich noch ihren Namen auf Thai schreiben, was ihr nicht geläufig ist, denn sie unterschreibt meist mit Ka-Bumm, also dem Anfangsbuchstaben ihres Vornamens und Punkt, aber sie konnte den Namen aus der Akte abschreiben. Ich hatte gerade noch Zeit die Anweisungen für die Zeit nach der OP in Englisch zu überfliegen, da bat mich die Schwester auch schon herein. Brille und Geldbeutel musste ich bei meiner Gattin lassen.

Sie bemühte sich Englisch zu sprechen und forderte mich auf, meine Schuhe gegen ein Paar Schlappen zu tauschen. Sie reichte mir einen hellblauen Pyjama. Ich sollte mich umziehen. Completely, bestätigte sie auf meine Nachfrage. Ein Pfleger kam und knüpfte für mich die Schleifchen an der Wickeljacke. Er führte mich am Arm vor ein Waschbecken, tropfte Seifenlotion auf meine Hände und deutete mir an, Gesicht und Hände zu waschen. Das Abtrocknen der Unterarme übernahm er selbst und geleitete mich dann in den Warteraum. Dort saßen vier ältere Damen und ein Herr auf breiten Sesseln. Eine hagere Schwester ließ sich wieder den Namen und die Augenseite bestätigen, streifte mir eine Haube übers Haar und klebte eine Kompresse vor das linke Ohr. Ab und zu verabreichte sie den Anderen Augentropfen. Sie erkundigte sich nach meinen Sprachkenntnissen und begann für alle Patienten eine Belehrung, was wir nach der OP zu beachten hätten und wie wir die Tropfen und Pflegemittel anwenden sollten, die wir dann in einem Täschchen mitbekommen würden. Es dürfe kein Wasser oder Schweiß oder Schmutz in das operierte Auge gelangen. Das bedeutete also Vorsicht beim Schlürfen der Nudelsuppe und beim Zubereiten und Verzehren von Som Tam. Anschließen hielt sie draußen offensichtlich den Angehörigen den gleichen Vortrag. Später maß sie meinen Blutdruck. Er fiel noch höher aus als üblich. „Jai den“ (wörtlich: tanzendes Herz), meinte sie, die Aufregung. 161/93 schrieb sie auf den Namenszettel, den sie mir anklebte.

Ich war froh, meine Socken anbehalten zu haben. Weit über eine Stunde saß ich in meinem dünnen, kurzärmligen Hemdchen in dem gut gekühlten Raum, der wohl auch mal als Operations- und Lehrsaal gedient hatte, bevor die Aircondition mit der Frage, ob es kalt sei, abgeschaltet wurde. Aus unserer schweigenden Gruppe wurden der Reihe nach die Frauen abgeführt wie zur Schlachtbank und kamen für eine Zeit lang mit verbundenem Auge zurück. Schlafen konnte ich nicht, obwohl mir ein langes Kissen untergeschoben wurde. Ich wurde aber rührend umsorgt. Zweimal kam die Schwester von der Anmeldung und fragte wie es mir ginge. „Don´t be afraid! Many nurse!“ Ich hatte sie anfangs nach einer „Alles-egal-Pille“ gefragt, von der ich gelesen hatte. Es gab keine. Aber das stille Warten und der monotone Singsang der Thaimusik hatten dieselbe Wirkung. Kein Fluchtgedanke mehr, nur der Wunsch, dass es bald vorbei sein möge.

Während der Mann als letzter vor mir hin ausgeführt wurde, kam die Ärztin oder Schwester, die beim Eingriff assistieren würde, und fragte mich nach Befinden, Namen und Augenseite und ob ich schon einmal am Auge operiert worden sei. Alle Ansprache und Zuwendung erschien mir über den normalen klinischen Ablauf hinauszugehen. Ich fühlte mich geborgen. Schließlich kam auch Dr.Ausanee selbst. Sie fragte, ob ich sie wieder erkennen würde. Das tat ich, zumal ich ihr Bild im Internet gefunden hatte, aber in meiner Schläfrigkeit war ich zu langsam um ihren Namen auszusprechen. Sie sagte, ich solle ganz beruhigt sein. Gleich würde ihre Assistentin mir Augentropfen geben, die das Auge schmerzfrei machen würden, und in 40 Minuten sei alles vorbei. Ich bat darum, vorher noch auf die Toilette gehen zu dürfen. Der Pfleger führte mich wieder in den Umkleidebereich. Da wir eine andere Patientin vorlassen mussten, suchte ich durch das Anmeldefenster nach meiner Gattin. Die sei oben beim Bezahlen, sagte mir die Schwester. Somit war auch geklärt, wann die Rechnung beglichen werden würde. Wir hatten Bargeld dabei, obgleich vorher betont wurde, dass auch Kreditkartenzahlung möglich sei. Ich hoffte, dass meine Frau das Geld in meinem anderen Geldbeutel finden würde. Über die Schwester ließ ich ausrichten, dass ich nun dran käme.

Die Toilette war wie die anderen Räumlichkeiten nicht mehr der neueste Standard. Es gab da noch mehrere verbundene Räume, in denen im Halbdunkel einige Betten standen und Geräte und Kartons. Soweit ich es eben ohne Brille sehen konnte. Allein ging ich in den leeren Warteraum zurück. Aber kurz darauf erschien eine Schwester und führte mich zu einem Stuhl vor dem OP-Saal. Sie reichte mir zwei 500er Paracetamol und Wasser in einem Pappbecher. Ich dachte, es würde nicht weh tun. „Yes, no pain.“, sagte sie.
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Khun Han

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Re: Vollendung in Bangkok
« Antwort #46 am: 13. Juli 2022, 06:01:59 »

Die OP

Augentropfen wurden verabreicht. Dr.Ausanee holte mich selbst in den OP. Sie fragte, ob sie mit mir in Thai oder in Englisch kommunizieren solle. Ich zog Letzteres vor. Sie machte eine lustige Bemerkung. Die anderen Frauen des Teams unterhielten sich weiter und machten Scherze. Ich war völlig ruhig und bereit.

Sie half mir auf die Operationsliege. „The shirt is too small.“ stellte sie fest, als beim Hochrutschen das Hemd klemmte. „The bed is too small.“, sagte ich, da ich meine Arme nicht neben mich auf die schmale Liege legen konnte. Ich solle sie auf dem Bauch verschränken. Eine Schwester drückte sie an mich. Aber dadurch fiel das Atmen schwer. Für den Rest des Eingriffs hakte ich meine Daumen in den Hosenbund. Dr.Ausanee erklärte mir nun jeweils die Schritte. Ich bekam Augentropfen ins linke Auge, das sich bald fast pelzig anfühlte. Mit einem grünen Tuch wurde ich zugedeckt und mein ganzes Gesicht wurde mit einer getränkten Kompresse an einer Klammer abgerieben und desinfiziert. Ich dürfte rotbraun ausgesehen haben. Mein rechtes Auge wurde mit einer Kompresse zugeklebt. Sie breiteten ein Tuch über mich aus, das nur einen Ausschnitt für das linke Auge hatte. Fortan atmete ich unter diesem Tuch. Das Loch wurde steril umklebt und ein Lampe auf das Auge gerichtet. Dr. Ausanee stellte sicher, dass ich genug Luft zum Atmen hatte, und fragte, ob mich das Licht blenden würde. Das tat es nicht. Eine Folie wurde übers Auge geklebt und längs aufgeschnitten und dann der Retainer gesetzt, was aber gar nicht lästig war. Mein Auge lag offen da fürs Messer.

Ich hatte keinerlei Schmerzen und bekam von den Details des Eingriffs wenig mit. Ich hörte nur die Maschinengeräusche, wenn Blut abgesaugt wurde. Dr. Ausanee forderte mich immer wieder auf, ganz nach links zu blicken, was mir gar nicht so einfach vorkam, zumal meine Sicht milchig getrübt war, besonders da scheinbar auch die Linse abgedeckt worden war, und ich so keinen Fixierungspunkt hatte. „That´s great!“, durfte ich dennoch oft hören. Das Zeitgefühl verschwand, aber nach 30 Minuten war es wohl vorüber und der Spreizer und die Abdeckungen wurden entfernt und das Gesicht gereinigt. Dr. Ausanee verlangte von der Assistentin, einen Druckverband anzulegen. Darüber wurde ein durchlöchertes Plastikschild geklebt. Nach Entfernen der Tücher half man mir mich aufzusetzen und die Frau Doktor lehnte sich neben mich, ihre Handtasche schon am Arm. Sie zeigte mir das gemalte Bild eines Auges und darin einen roten Punkt. Ich konnte nicht erkennen, ob es nur gezeichnet war oder es sich um das entfernte Stückchen Fleisch handelte. Sie würde es zur Untersuchung schicken. Und die Chancen ständen 50 zu 50, dass der Tumor gut- oder bösartig sei. Davon ließ sie sich nicht abbringen. Morgen um 9 würde sie den Verband entfernen. Ich solle mich ausruhen. Mit einem Rollstuhl wurde ich den kurzen Weg zum Umkleiden gefahren. Der Pfleger half mir wieder dabei. Ich fühlte mich etwas schwindelig, war aber durchaus in der Lage hinaus zu meiner Frau zu gehen, die alleine im Gang wartete.

Sie war zuvor in den 7.Stock gefahren, wobei sie sich allein im Lift gar nicht wohl fühlte, und hatte wie die anderen Angehörigen die Rechnung bezahlt. In meinem Fall 1 300 Baht für das Entfernen des Anhängsels (excision adnexa), 140 für das Reinigungsset, 285 und 195 für Medikamente, also die Augentropfen und einen Streifen Paracetamol sowie künstliche Tränen und 10 000 für den Arzt, zusammen also 11 920 Baht. Im Rutnin hätte ich das Doppelte bis Dreifache zahlen müssen. Das Pflegeset und das andere Material war ihr bereits in einer Tüte ausgehändigt worden. Bevor wir den Terminzettel bekamen, musste meine Frau nochmal weg und die Vorauszahlung für die histologische Untersuchung begleichen, 340 Baht. Kaum war sie zurück, kam Dr. Ausanee zu uns, meinte dass alles gut gegangen sei, wir nach hause fahren und uns erholen sollten. Bei Schmerzen sollte ich die Tabletten nehmen. In 7 bis 10 Tagen würden wir das Ergebnis erfahren. Wir empfanden Vertrautheit und Zuneigung und bedankten uns artig.

Die Brille konnte ich bei dem dicken Verband nicht aufsetzen, doch ich konnte bis auf Verschwommenheit in der Ferne ausreichend sehen. Dennoch ließ ich mich gerne führen. Vor dem Haus ist ein kleines offenes Restaurant und vom Duft angeregt bestellte sich meine Frau etwas zu essen. Ich wollte nur das rechte Auge auch schließen und ausruhen. Bei geschlossenen Augen nahm ich die Eindrücke intensiver wahr, die Wärme, den Windhauch, das köstliche, kalte Wasser, den Kaffee aus dem Pappbecher. Wir mussten nicht weiter an die Straße, sondern konnten uns ein vorbeifahrendes Taxi nehmen. Es war kaum Verkehr und wir kamen auf der alten Rama IX rasch voran. Diesmal überließ ich es meiner Frau, das Taxi über das Flughafengelände zu dirigieren.

Bei meiner ganzen Meditationspraxis habe ich wohl an keinem Tag so lange die Augen geschlossen gehalten. Ich setzte mir den Gehörschutz auf und legte mich still auf das Sofa. Ich war müde, erleichtert und meist ganz im Augenblick. Bis auf ein zeitweiliges leichtes Druck- oder Reizempfinden am Auge hatte ich keine Schmerzen. Im Gegenteil, ich fühlte mich leicht und mit dem All verbunden. Mein Hauptimpuls war: ich bin völlig zufrieden und dankbar für den Augenblick, es gibt nichts darüber hinaus zu erfahren. Es ist wie mit dem halb vollen Glas, nur dass kein Gedanke an einen anderen Füllungsstand da ist.

Ich machte mir später eine Spargelcremesuppe von Heisse Tasse und am Abend gab es belegte Brote und Milch. Ich verbrachte fast die ganze Zeit des Tages und auch die Nacht auf dem Sofa, zumal ich mich laut Merkblatt nicht auf die operierten Seite drehen sollte.
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Khun Han

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Re: Vollendung in Bangkok
« Antwort #47 am: 14. Juli 2022, 10:27:28 »

Rasur und Haarwäsche fielen heute aus. Meine Gattin hatte vernommen, dass es günstig wäre, frühzeitig in der Klinik zu erscheinen, und so konnten wir schon um 7 Uhr den Anmeldeschein auf den Nagel spießen. Es waren bereits einige Patienten und Angehörige anwesend, darunter auch mein Mitpatient von gestern. Doch erst um 8.30 Uhr wurden alle Ventilatoren und Bildschirme eingeschaltet. Auf jedem Gerät lief ein anderes Programm, um diese Zeit meist Trickfilme, aber Geräuschkulisse muss sein in öffentlichen Räumen. Wir wurden dann bald in den hinteren Warteraum gerufen und von dort wurde ich in den Raum gebeten, aus dem ich eine Woche zuvor vertrieben worden war. Ich bestieg neben meinem Kollegen die mittlere Liege und eine Schwester entfernte den Verband. Mein Auge muss ziemlich blutverklebt gewesen sein. Jedenfalls machte sie eine entsprechende Bemerkung und brauchte einige Zeit um es zu säubern. Das Reinigen der Wimpern bei offenem Auge war nicht besonders angenehm. Wir hatten unseren Beutel von gestern mitbringen müssen, aber sie benutzte hauseigenes Material. Ich konnte wieder meine Brille aufsetzen. Meine Sicht war ungetrübt. Ich fragte nach einem Spiegel. Es gab keinen. Die Plastikkappe gab sie mir mit. Damit muss ich nachts das Auge abdecken, damit ich nicht unabsichtlich daran reibe.

Mit meiner Mappe wurde ich in den Raum 1 geschickt, also zur Voruntersuchung im Gang. Weil gerade der Stuhl vor einem Gerät frei war, nahm ich Platz. Die Tests dauern ja nur Sekunden. Mein Pfleger freute sich, Mr.John wiederzusehen. Mein Hinweis auf die gestrige OP wurde zwar wahrgenommen, aber dennoch wurde auch das operierte Auge mit Luftstößen bedacht. In Raum 2 kam ich sofort dran. Aber ich musste mit Erschrecken feststellen, dass ich mit dem linken Auge schlechter sehen konnte. Da half es auch nicht, nach meiner Frau zu rufen und die alte Brille zu probieren. Ich hatte auf die gleichstarke Ersatzbrille gewechselt, weil ich hier einen besseren dunklen Aufsatz aufstecken kann. Durch das Loch in der vorgehaltenen Plastikscheibe war die Sicht etwas besser. Die Augenmuskeln waren wohl noch nicht so beweglich.

Dr. Ausanee begrüßte mich herzlich und fragte, wie es mir gehe und wie viele Schmerztabletten ich genommen hätte. Keine. Sie fragte nach meiner Frau, und als diese erschien, begrüßte sie sie mit einem scherzhaften Wai bis zum Scheitel. Ob ich gequengelt habe, wollte sie von ihr wissen. Während ich in die Spaltlampe blickte, meinte sie, sie habe den Tumor ohne Schwierigkeit („easily“) entfernen können und nun sei wieder die weiße Haut zu sehen. Auf dem Monitor war jedoch deutlich der gewölbte Wundrand erkennbar. Das halbe Auge war bis auf diese Stelle blutrot. Das würde in 4 Wochen verschwinden, jeden Tag ein bisschen mehr. Sie ließ sich den Beutel zeigen, den Tablettenstreifen, die Augentropfen und die künstlichen Tränen. Diese könne ich mir einträufeln, wann immer ich das Bedürfnis hätte. Sie empfahl die Tropfen im Kühlschrank aufzubewahren. Das würde dem Auge gut tun. Wichtig wäre, nicht am Auge zu reiben und den Kontakt mit Wasser auf jeden Fall zu vermeiden, und TV und Computer solle ich in den ersten Tagen reduzieren. Nächsten Sonntag sollten wir wieder kommen. Bis dahin würde sie sich um das Untersuchungsergebnis bemühen. Jetzt könnten wir schoppen gehen. Meine Frage, ob ich auf der linken Seite schlafen dürfe, bejahte sie lachend.

Wir empfinden beide große Sympathie für diese Frau. Beim Begleichen der Rechnung wurde uns gesagt, dass sie keine Gebühr für die heutige Untersuchung verlangen würde. Es waren nur die standardmäßigen 50 plus 70 Baht zu zahlen. Wir nahmen unseren Terminschein und gingen zufrieden zur Silom hinüber.

Die Restaurants und Geschäfte waren um diese Zeit noch geschlossen. Straßenkehrerinnen und ein Wasserwerfer reinigten die Rinnsteine. Wir wollten in einem kleinen chinesischen Restaurant essen, warteten aber dann doch, bis um 10.30 der Fuji öffnete. Ich behielt selbst dort meine dunkle Brille auf. Es war einfach für das Auge angenehmer. Von jetzt an urteile ich nicht mehr vorschnell, wenn ich jemand mit Sonnenbrille in Kaufhäusern sehe. Nach dem Essen war mir nicht nach Schoppen zumute und wir fuhren mit U-Bahn und Airportlink nach hause.
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Khun Han

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Re: Vollendung in Bangkok
« Antwort #48 am: 15. Juli 2022, 14:22:11 »

Den Rest des Tages verbrachte ich ruhend und nachdem ich mir vor dem Schlafengehen das Auge zugeklebt hatte, schlief ich nach einigen Nächten wieder gut. Ich gebe mir nun viermal täglich die antibiotischen Augentropfen und alle eineinhalb bis zwei Stunden die Tränen ohne Konservierungsmittel. Ich achte dabei streng auf Hygiene. Draußen und meist auch drinnen trage ich die dunkle Brille und ich schließe oft die Augen oder lege mich hin. Vor dem Zubettgehen reinige ich die Lider mit sterilen Wattebällchen und Kochsalzlösung aus dem Pflegeset, klebe eine gefaltete sterile Kompresse mit dem mitgegebenen Klebeband darauf und das Plastikschild darüber. Nach dem Aufstehen reinige ich die Lider erneut mit der Kompresse. Duschen kann ich vom Hals abwärts, das Gesicht wasche ich vorsichtig mit einem feuchten Tuch und meine Haare wäscht mir meine Gattin draußen mit dem Gartenschlauch.

Von Tag zu Tag verbessert sich das Befinden und das Erscheinungsbild des Auges. Die Rötung ist merklich zurückgegangen. Doch ich lasse ihm Zeit und setze die verordneten Maßnahmen fort. Die operierte Stelle wird wohl als solche erkennbar bleiben. Ich hoffe, dass die Wucherung nicht zurückkehrt. Als wir am Mittwoch unseren üblichen Ausflug zum Pflanzenmarkt auf dem Chatuchak machten, scheiterte ich daran, mir selber die Tropfen im Bus zu geben. Daheim läuft das Notebook wieder fast den ganzen Tag, aber ich mache öfters Pausen. Am Donnerstag ließen wir zum ersten Mal eine Masseuse ins Haus kommen, 300 Baht für zwei Stunden.

Ich unterlasse es mal, die spirituellen Erfahrungen dieser Tage zu schildern. Jedenfalls fühle ich mich wieder dem Leben näher, bin dankbarer für den Augenblick und leichter im Jetzt. Meine Worte und die Notwendigkeit, sie auszusprechen, überprüfe ich sorgfältiger. Diesen Bericht, der wohl ein halber Roman geworden ist, habe ich verfasst, um selbst das Geschehen zu verarbeiten, um Freunde und Verwandte informieren zu können und um zwei Kliniken mit einander zu vergleichen. Vielleicht zieht jemand Nutzen daraus.

Morgen heißt es wieder früh aufstehen. Wir werden per Bahn fahren. Ob es der letzte Besuch im Chulalongkorn sein wird, werden wir sehen.

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Khun Han

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Re: Vollendung in Bangkok
« Antwort #49 am: 16. Juli 2022, 10:30:50 »

Obwohl wir uns mit der Anfahrt Zeit ließen und noch an der Silom einen Kaffee tranken, waren wir schon um 7.30 Uhr im Wartesaal und ich kam sogar schon vor halb neun dran. Wieder wurde schnell der Augendruck und die Sehschärfe gemessen, gefolgt von einem kurzen Sehtest. Dr. Usanee begrüßte mich freundlich. Das Ergebnis der histologischen Untersuchung aus der Pathologie des Chula lag ihr vor. Sie machte ein ernstes Gesicht. Eigentlich hatte ich einen positiven Befund eines gutartigen Tumors, eines Hämangioms, also eines Blutschwämmchens erwartet, wie er mir schon aus meiner linken Handfläche herausgeschnitten worden war. Sie hatte gleich nach der OP von einer 50/50 Chance gesprochen und auch kurz angedeutet, wie eine weitere Behandlung bei einem negativen Befund aussehen würde. Aber dafür hatte ich zum damaligen Zeitpunkt keine Ohren.

Der Befund beschreibt das Gewebestück, zählt gefundene Zellen und deren Eigenschaften auf und kommt zu dem mir nicht einleuchtenden Ergebnis, dass es sich um ein Karzinom handele mit Verdacht auf ein bösartiges Melanom. Er betont, dass an den Rändern keine Tumorzellen zu finden sind und empfiehlt eine immunohistochemische Untersuchung zur eindeutigen Diagnose. Ich war zunächst ziemlich aufgewühlt. Auch Dr. Usanee war mit dem Report nicht zufrieden. Man muss den Verdacht begründen und eingrenzen können. Sie telefonierte deshalb mit der Leiterin der Pathologie, die an der Untersuchung selbst nicht beteiligt war, und bat um eine nochmalige Überprüfung. Bis Dienstag würde die „Ajahn“, die Professorin, den Befund vorlegen können. Ich holte meine Frau hinzu. Dr. Usanee taste meinen Gesichtsrand und meinen Nacken nach Lymphknoten ab, da der Tumor gestreut haben könnte oder seine Entstehung in einem anderen Körperteil haben könnte. Sie fand nichts und auch in der Spaltlampe sah das Auge eine Woche nach der OP viel besser aus. Die Wunde sei bis auf 10% geschlossen. Sie machte wieder Aufnahmen. Später bat ich sie, diese mir zu überlassen. Ich hatte einen USB-Stick dabei, aber Dr. Usanee hielt es ohne Umstände für besser, mir beim nächsten Mal die Bilder auf eine mitgebrachte CD zu brennen.

Als weitere Therapie sah sie eine Kryo vor. Ich musste auch zuerst nachfragen. Um sicher zu stellen, dass keine Krebszellen im Auge zurück geblieben sind, sollte der Rand und der Boden der Wunde mit Kälte behandelt werden. Sie würde sich mit ihrer Kollegin beraten und wir könnten gleich zu dieser in die Sprechstunde. Die zweite Möglichkeit der Behandlung mit Augentropfen würde sich weniger empfehlen, zumal dies einer Chemotherapie gleich käme. Ich bat sie um ihre Email-Adresse. Die Telefonnummer wollte sie uns verständlicherweise nicht geben.

Wir warteten. Vorweg, als wir um 11.30 das Hospital verließen, war meine Frau am Ende ihrer Kräfte. Nicht nur der gesunkene Nikotinspiegel und der Hunger waren Schuld. Sie besucht zwar gerne Leute im Krankenhaus, aber sie hasst es, sich dort aufzuhalten und zu warten, wobei es immer weiter zur nächsten Untersuchung und Behandlung geht, ohne dass ein Ende oder eine Heilung abzusehen wäre. Wer sich in Thailand zu einem Arzt begibt, sagt sie, setzt damit nur eine lange Reihe in Gang, ohne dass es ihm besser gehen würde. Sie fühlt sich zugegebenermaßen gar nicht wohl in diesem Land und unter ihren Landsleuten.
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Khun Han

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Re: Vollendung in Bangkok
« Antwort #50 am: 17. Juli 2022, 10:36:45 »

Von Dr. Wasee waren wir sofort angetan. Sie hat ein strahlendes, fröhliches Wesen. Begeistert lobte sie die Arbeit ihrer Kollegin. Die Bilder hatte sie bereits gesehen. Sie würde die Kryo durchführen und dafür freitags oder sehr früh sonntags im OP sein. Wir fragten nach den Kosten. So wie bei der letzten OP. Dr. Usanee war durch den hinteren Verbindungsgang auch hinzugekommen, aber mir ist von dem Gespräch kaum mehr etwas in Erinnerung. Wir sagten für nächsten Sonntag zu, wobei ich mich innerlich noch nicht entschieden hatte. Die beiden bemühten sich mir meine Angst zu nehmen, aber ich habe ja keine mehr. Ich hatte sogar daran gedacht und zuvor Dr. Usanee danach gefragt, mir die Augen lasern zu lassen. Meine Gattin meint zwar, ich sei dafür schon zu alt, aber es wäre schön, ohne die lästige Brille auszukommen, durch die ich sowieso nicht scharf sehe wenn´s ums Lesen geht. Dr. Usanee meinte, das könne man zu einem späteren Zeitpunkt erörtern, wobei es bei meiner Fehlsichtigkeit in diesem Alter nicht so einfach wäre.

Ich gab Dr. Wasee meine Email-Adresse und unsere Telefonnummern. Wir verblieben so, dass wir zuerst das Ergebnis der histologischen Nachprüfung abwarten wollten und sie uns telefonisch oder per Email in Kenntnis setzen werde. Enttäuscht und entmutigt begaben wir uns in den Eingangssaal, um auf den Aufruf zum Begleichen der Rechnung zu warten. Da holte uns eine Schwester wieder zurück. Dr. Wasee würde gerne eine Ultraschalluntersuchung machen lassen. Ich stimmte sofort zu. Ich wurde mit meiner Mappe in einen anderen Raum geschickt. Meine Gattin wurde immer unlustiger und wartete im Saal. Für mich ging es in einen Untersuchungsraum, wo ich mich auf der harten Liege ausstrecken musste. Eine geschwätzige Schwester wollte meine Frau dabei haben, damit ich nicht allein sei. Sie hielt es aber nicht so lange aus bis Dr. Wasee endlich kam, um den Test selbst durchzuführen. Denn ich musste lange warten; sitzend, denn so lange unbequem zu liegen war ein Unding. Dabei hatte ich aber Gelegenheit, meine Akte anzuschauen. Von den englischen Fachwörtern des Berichtes machte ich mir Notizen. Unnötigerweise, denn ich bekam auf meine Bitte eine Kopie. Ich sah auch an den eingeklebten Zettelchen, dass mein Augendruck an diesem Tag über dem normalen Maß lag.

Die Ultraschalluntersuchung wurde einfühlsam und rasch an beiden geschlossenen Augen vorgenommen. Weder das Auftragen und Entfernen des Gels noch das Führen des Stiftes waren schmerzhaft oder unangenehm. Dr. Wasee zeigte und erklärte mir das ausgedruckte Ergebnis. Beide Auge waren im Innern frei von Auffälligkeiten. Also keine Metastasen oder Tumore im Augeninnern. Eine weitere Schwester holte mich und wollte auch meine Frau dabei haben. Sie ging mit uns in den Verbandsraum. Ich erkannte gleich am Formular, dass es sich um die Erklärung und Terminfestlegung für die Kryo handelte. Wir protestierten. Es war abgemacht, zunächst bis Dienstag oder Mittwoch auf den 2.Bericht zu warten. Die Schwester eilte hinaus, um Dr. Wasee zu fragen. Wir mussten aber dann zulassen, dass der Termin ins Buch eingetragen und mein Strichcode eingeklebt wurde, da sonst der Termin für mich vielleicht nicht mehr frei wäre.

Die Rechnung für die Sonographie betrug 400 Baht und für die Konsultation der beiden Ärztinnen 500 Baht. Hinzu kommen die üblichen 120 Baht, sodass ich insgesamt 1020 Baht, das sind keine 24 Euro, zu zahlen hatte.

Nicht nur, dass meine Frau müde und hungrig war, ihre Nerven waren aufs Äußerste gespannt und sie explodierte, als ich sie beim Verlassen des Krankenhauses nach dem weiteren Plan fragte. In solchen Fällen bin ich gewohnt zu schweigen. So aßen wir beim Fuji ohne Unterhaltung, was vielleicht anderen Gästen seltsam erschien. Irgendwann fangen wir schließlich immer wieder an, uns über Belangloses auszutauschen und über das ursächliche Geschehen wird nicht gesprochen.

Sie war unschlüssig, wohin wir gehen sollten. Einkaufen brächte ihr wohl etwas Freude zurück, und wenn es nur der Großmarkt Macro in Bangkapi sein sollte. Aber schließlich entschieden wir uns, nach hause zu fahren. Wir taten dies mit dem BTS nach Phayathai, wo der Airportlink endet und beginnt. Sie meinte zwar beim Umsteigen am Siam, wir könnten doch ins Paragon gehen, aber wir ließen es dann bleiben.
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Re: Vollendung in Bangkok
« Antwort #51 am: 18. Juli 2022, 10:17:20 »

Zu hause suchte ich im Internet nach den Übersetzungen für die englischen Fachausdrücke des Berichtes und nach weiteren Informationen, die zu meinem Fall passten. Die Untersuchung hat am Montag, also zwei Tage nach der Entfernung der stets roten Wucherung stattgefunden, spricht aber von einer braunen Gewebeprobe. Schon dies und andere Darstellungen im Netz über Augentumore veranlassten mich, die Diagnose als falsch abzulehnen. Ich kam auch zu der Einsicht, dass eine Kryo nicht nötig sei und wohl mehr Schaden an meinem Auge anrichten würde. Ich beschloss, den Termin abzusagen. Aber zunächst mussten wir die Rückmeldung der Ärztinnen abwarten.

An den Tagen nach diesem Sonntag fuhren meine Gefühle und Gedanken Achterbahn. Ich konnte an nichts anderes mehr denken als an bösartige Tumore im Auge und in weiteren Organen. Nachts konnte ich nicht mehr schlafen. Ich hatte keinen Appetit mehr, der Nacken und die Schultern schmerzten und mein ohnehin hoher Blutdruck machte mir Sorgen. Ich fühlte mich elend und sollte dabei doch in Harmonie mit dem Jetzt sein und alles annehmen. Es gelang mir nicht.

Ich habe mein Auge zurück und jetzt will ich mein Leben zurück. Ich bin mit dem Ergebnis der OP sehr zufrieden. Mein Auge wird jeden Tag besser in Aussehen und Empfinden. Die Wunde ist bis auf 10% geschlossen, war am Sonntag festgestellt worden. Es besteht nur noch eine kleine, längliche Schwellung oder Vernarbung im Nasenwinkel, aber dies wird von Tag zu Tag kleiner und heller. Ich will wieder beide Augen werfen können auf die Landesschönheiten, äh die Schönheiten des Landes und seine Bewohner, ohne an Krebs, Krankheit und Behandlung denken zu müssen.

Am Montag schrieb ich Dr. Usanee eine Mail. Ich legte ihr meine Gefühle dar, meine Ansicht über den Report und die Diagnose und die Gründe, warum ich nicht an ein Melanom glaube. Dass ich keinen Sinn in der Kryo sehe und nur weitere Schäden an dem genesenden Auge befürchte. Ich bat sie, den Termin abzusagen und mir einen Beratungstermin in zwei Wochen bei ihr zu geben. Die weiteren Tests an mir hätten ja keine negativen Befunde ergeben und selbst wenn der Tumor am Auge bösartig wäre, eine Rückkehr könne wohl auch mit Kryo nicht ausgeschlossen werden. Ich drückte ihr mein Vertrauen aus.

Ich musste bis Mittwoch Nachmittag auf Antwort warten. Wir kamen gerade vom Einkaufen im Seacon und Essen im Fuji im Paradise Park zurück. Sie ging nicht ausdrücklich auf meine Mail ein, sondern bestätigte den Report. Es sei ein bösartiges Melanom und sie empfahl die Kryo. Sie würde mich aber gerne am Sonntag sehen, um die weitere Behandlung zu besprechen. Sie fügte einen Link bei, wo ich Bilder von Augentumoren anschauen konnte. Nur leider passt kein Bild zu meinem Fall.

In meiner umgehenden Antwort sagte ich ihr, dass ich für die Kryo noch nicht bereit sei, aber gerne am Sonntag kommen würde. Ich bat sie nochmals den Termin abzusagen. Ich schilderte ihr meine Gefühle, wie krank und depressiv es mich macht, ständig an Krebs zu denken und Bilder von Tumoren und Videos von Augenoperationen zu sehen. Dr.Wasee war in die Korrespondenz über Email-Kopie mit eingebunden.

Die Nachbarn und alle, mit denen meine Frau gesprochen hat - und Thais können ausführlich jedes kleinste Detail über einen anderen weiter erzählen -, raten, die Kryo durchzuführen. Aber die können leicht reden.
Am Abend kam mir ein neuer Gedanke und ich schrieb eine dritte Mail. Falls sie mir garantieren könne, dass bei der Kryo kein gesundes Gewebe zerstört werden würde und keine Schäden zurück bleiben und alle evtl. vorhandenen Tumorzellen abgetötet würden, und sie mir gleichzeitig versichern oder Methoden zur Sicherstellung aufzeigen könne, dass keine Streuungen vorhanden sind, so wäre ich mit dem Termin am Sonntag morgen einverstanden. Dafür müsste ich aber am Freitag oder Samstag mit ihr oder Dr. Wasee sprechen.
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Khun Han

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Re: Vollendung in Bangkok
« Antwort #52 am: 19. Juli 2022, 10:10:26 »

In der Nacht konnte ich nicht schlafen. Ein mitternächtliches Besäufnis half auch nicht. Um 4 Uhr heute früh schrieb ich eine weitere Mail. Der Report rät doch zu einer immunohistochemischen Untersuchung. Diese dient u.a. nach meiner Reserche zur „Klassierung und Diagnose von wenig differenzierten malignen Tumoren und zur Identifikation der Lokalisation des Primärtumors beim Vorliegen einer Metastase.“ Ich bat Dr. Usanee, diesen Test zu veranlassen. Ich wolle das Ganze möglichst schnell hinter mich bringen, aber ohne einen Rest von Zweifel oder ein schlechtes Gefühl und unnötigem Geldeinsatz.

Ich kehrte nicht ins Bett zurück, sondern blieb am Notebook sitzen und schrieb die Geschichte nieder. Damit hatte ich wenigstens etwas Beschäftigung gefunden. Zeitgefühl und Müdigkeit waren nicht vorhanden.


Freitag

Letzte Nacht schlief ich so gut wie schon lange nicht mehr. Ich habe mein Leben wieder zurück und meinen Frieden. In den vergangenen vier Tagen machte ich wohl alle Phasen durch, die oft bei Todkranken zu beobachten sind. Von Unglauben und Ablehnung über Aufbegehren und Anklagen hin zu Resignation und Annehmen. Nur habe ich nicht gefragt: warum gerade ich? und ich habe niemandem eine Schuld gegeben. Diese Emotionen kommen auch in den fünf Emails zum Ausdruck, die ich an die beiden Ärztinnen geschrieben habe. Zunächst die Ablehnung von Diagnose und Kryo, dann Ausdruck von Hoffnung und Auswegsuchen und schließlich das Eingestehen, dass ich mit allem einverstanden sei. In meiner vorletzten Email gestern Abend schrieb ich, dass es mir nun gleichgültig sei, ob die Kryo gleich am Sonntag stattfindet oder ob ich vorher nochmal in die Sprechstunde komme. Im Schreiben zuvor, das ich nachts um vier Uhr absandte, wies ich sie wie schon geschildert darauf hin, dass der pathologische Bericht in seiner letzten Zeile darum gebeten hatte, eine immunohistochemische Untersuchung (IHC) zur endgültigen Diagnose zu verlangen. Ich hatte gelesen, dass dadurch u.a. die richtige Art des Tumors erkannt und klassifiziert werden kann und festgestellt wird, ob er primär ist oder von welchem anderen Organ er ausgeht. Ich betonte, dass es mein Wille sei, dass alles zu einem schnellen und guten Ende kommen möge, ohne den Rest von Zweifel oder einem unguten Gefühl oder unnötigem Geldeinsatz.

Im Laufe des gestrigen Tages wurde ich langsam ruhiger. Obwohl ich weiterhin eifrig im Netz forschte, versuchten wir beide die gewohnte Routine und Kommunikation zu bewahren. Meine Frau arbeitete wie immer ohne Pause in Küche und Garten und bügelte die Wäsche, während ich versuchte mir keine weiteren Sorgen zu machen und meinen Gleichmut zu finden. Mit wenig Mühe konnte ich wieder lachen und mich über Dinge freuen, wie z.B. die Taube, die in einem unserer Bäume Nachwuchs bekommen hat. Obwohl ich viele Stunden nicht geschlafen hatte, verspürte keine Müdigkeit, nur eine Leere, und ich hatte kaum Hunger und keinen Appetit. Das Mittagessen, Schweinebraten mit Spätzle und Salat, kam mir zum Ende fast wieder hoch. Die Stunden vergingen jedoch rasch. Ungeduldig wartete ich auf Nachricht von Dr. Usanee, auf ihre Entscheidung: Kryo oder Sprechstunde am Sonntag.

Die Email der beiden Ärztinnen machte mich glücklich. Sie wollten mir beim Treffen am Sonntag ebenfalls vorschlagen, die IHC zu veranlassen. Die Tests würden 2-3 Tage dauern und 2000 Baht kosten. So könnte dann der spezifische Typ der Tumorzellen identifiziert werden. Ich solle am Sonntag in ihr Büro kommen, nicht zur chirurgischen Behandlung, sondern zur Kontrolle der Wunde und zum Besprechen eines Therapieplanes. Sie drückten ihr Verständnis und ihr Mitgefühl darüber aus, wie diese unglückliche Sache mein Leben beeinflusst hat. Bemerkenswert und ein Zeichen von Vertrautheit ist, dass sie in ihrer Anrede das Mister weggelassen haben und mich nur mir dem Vornahmen anschrieben.

Ich bedankte mich überschwänglich und werde nun am Sonntag ohne Ängste ins Chula gehen. Bösartiges Melanom? Sicher nicht! Jetzt schmeckten auch die Kirschen wieder und die Trauben zum Emmentaler. Das Auge sieht an der befallenen Stelle aus wie früher. Nur im Winkel ist eine Art Narbe, die aber täglich heller und kleiner wird. Ob sie ganz verschwindet oder beobachtet werden muss, ob sie ein kosmetischer Fall ist oder entfernt werden sollte, werde ich erfahren. Ich wäre auch mit der Kryo einverstanden, falls sie medizinisch notwendig ist.
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Re: Vollendung in Bangkok
« Antwort #53 am: 20. Juli 2022, 09:53:11 »

Wir erreichten die Klinik im 11.Stock vor halb acht und sollten sie erst vier ein halb Stunden später wieder verlassen. Zur Anmeldung hatte ich einen handgeschriebenen Zettel auf den Nagel gesteckt, da er ja kein Terminformular hatte. Als bei der maschinellen Augeninnendruckmessung mittels dreier Luftstöße die Assistenten ein komisches Gesicht machten und einen Extrastoß gaben, wusste ich, dass der Wert, der normalerweise zwischen 10 und 21 mmHg liegen sollte, überhöht war. Ein Blick auf die eingehefteten Zettel ließen Werte zwischen 26 und 30 erkennen.

Dr.Usanee fragte, wie es mir gehe. Mit der Antwort, ich sei ein bisschen nervös, gab sie sich nicht zufrieden.  Sie wiederholte ihre Frage. Ich erwiderte, ich sei ein wenig nervös, aber glücklich mit der Ergebnis des Eingriffs und das Auge werde sichtlich jeden Tag besser, bis auf eine kleine Erhebung im Winkel. Allerdings sei der Innendruck sehr hoch. Ob dies nicht eine Nebenwirkung der Augentropfen sein könne, ebenso wie der hohe Blutdruck und die Schmerzen in Nacken, Schultern und Armen. Die Ärztin war nicht dieser Auffassung und begann gleich um mich zu beruhigen mit der Messung durch ihren Tonometer, gefälligkeitshalber auch am rechten Auge. Nachdem die Assistentin betäubende Tropfen verabreicht hatte, ging die Messung ohne die leisesten Beschwerden von statten und ergaben rechts 19 und links 20. Sie werde mir aber andere Tropfen verschreiben, die ich dreimal täglich nehmen sollte. Die künstlichen Tränen dürfe ich anwenden, wann immer ich das Bedürfnis habe und meine, es würde dem Auge gut tun. An einen Rhythmus sei ich da nicht gebunden.

Sie berührte meinen Arm und sagte, dass sie verstehe, wie schockierend die Diagnose gewesen sei und nun in mein Leben eingreife. Jetzt gehe es darum, die weitere Behandlung zu besprechen. Wie von mir und dem pathologischen Bericht bereits verlangt, werde sie eine immunhistochemische Untersuchung in Auftrag geben. Diese werde 1-2 Tage dauern und 1500 Baht kosten. In der Email waren 2000 genannt. Ich fragte sie nach den verwendeten Proteinen. Sie schrieb sie mir auf. Vom Ergebnis werde sie mich per Email unterrichten. Beiläufig fragte sie meine Frau, wie lange ich schon im Lande sei und auf welcher Basis. Sie wollte sich wohl ein Bild von meinen Verhätnissen machen. Immer wieder ließ sie sich von meinen Zwischenfragen und Bemerkungen unterbrechen. Ich fragte sie auch, warum sie gleich nach der OP von einer 50/50 Chance sprechen konnte. Das habe sie erst nach dem Herausschneiden feststellen können, meinte sie flüchtig. Von den Tests erwarte sie drei Dinge: Aufschluss über den Typus der Zellen – der bösartigen Zellen, verbesserte sie sich -, deren Aggressivität und die weitere Therapieplanung. Ich sagte, ich glaube weiter nicht an ein bösartiges Melanom. Der Pickel könne viele andere Ursachen gehabt haben und außerdem bedeute Melanom, dass farbige Pigmentzellen beteiligt sein müssen. Sie erwiderte kurz, dass wenn eine Verletzung Ursache gewesen sei, man eine Narbe im Auge hätte sehen müssen, eine Virusinfektion schließe sie aus und es gäbe auch amelanotische Melanome. Warum sie so sicher sein könne, dass es sich um ein malignes Melanom handle? Weil zwei Ärtinnen und zwei Pathologinnen zu dieser Auffassung gelangt sind. Wegen seinen Befürchtungen hinsichtlich der Kryo wurde ich auf das gleich stattfindende Gespräch mit Dr.Wasee verwiesen, zu dem sie auch hinzukommen werde. Sie zuckte kurz, als ich mein Einverständnis zur Kryo erklärte: „wenn es denn notwendig sei.“ Sie machte Aufnahmen vom Auge und zeigte sie auf dem Monitor. Mir kam mein vergrößertes Augenbild nicht so schön vor wie ich es sonst im Spiegel sah. Ich bat um die Fotos und die Ärztin streckte die Hand nach der CD aus. Ich sollte sie später erhalten.

Die Ärztin und ihr Patient wussten beide um die weiteren Schritte. Eine Röntgenuntersuchung des Brustkorbs und eine Ultraschalluntersuchung des Oberbauches sollten Anzeichen von Krebsbefall in Lunge und Leber feststellen. Ich verweigerte mich. Dies würde mich nur noch mehr herunter ziehen. Ich könnte vielleicht mit der Krankheit leben, aber ich wollte nicht dauernd mit ihr konfrontiert sein und laufend weiteren Untersuchungen und Therapien ausgesetzt sein.

Während ich draußen darauf wartete, zu Dr.Wasee vorgelassen zu werden, fragte ich Deng nach ihrer Meinung. Sie empfahl mir, mit allem, was die Ärztinnen vorschlugen, einverstanden zu sein. Sie war von deren Aufrichtigkeit und Sachkenntnis überzeugt. Sie hatte für beide zwei Flaschen deutschen Weines mitgebracht und sie ihnen überreicht, als deren Assistentinnen kurz aus dem Raum waren. Deng war überhaupt an diesem Vormittag recht geduldig.
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Re: Vollendung in Bangkok
« Antwort #54 am: 21. Juli 2022, 14:10:43 »

Also erklärte ich Dr. Wasee gleich, dass ich mit allen Therapiemassnahmen einverstanden sei. Dr.Usanee ließ ihre Patientin allein und kam durch die Hintertür. Gemeinsam wurde als Termin für die Kryo – Kryo-Therapie, nicht Kryo-Chirurgie, betonte Dr.Wasee – der Samstag ausgesucht. Ich solle mich um acht oder zehn vor acht vor dem bekannten OP-Raum einfinden und um halb neun würde sie anfangen, durch wiederholtes Einfrieren und Auftauen die womöglich noch vorhandenen Tumorzellen zu zerstören. Dies würde fünfzehn Minuten in Anspruch nehmen und Dr.Usanee würde auch anwesend sein. Nach 2-3 Stunden könne ich den Verband vom Auge wieder entfernen. Das Auge werde ein paar Tage gerötet sein. Meine Bitte, mich doch auf einem genügend breiten OP-Tisch liegen zu lassen, wurde mit Lachen und einem Versprechen quittiert, soweit dies möglich sei.

Die anderen beiden Untersuchungen könnten ebenfalls an diesem Samstag stattfinden. Eine Schwester kam hinzu und wollte am Telefon abklären, ob der Termin möglich sei. Wir wurden gebeten zu warten, bis Dr.Usanee ihnen die Überweisungen ausstellen würde. Wir erfuhren, dass das Röntgen heute noch im 4.Stock stattfinden werde und dort sollten wir uns den Termin für die Ultraschall geben lassen. Wir erhielten die Unterlagen für die Kryo.

Zunächst mussten wir auf den Aufruf an der Kasse warten. Wir staunten, als wir neben den üblichen 120 Baht und den 70 Baht für die neuen Augentropfen nur 300 Baht für das Konsultieren der beiden Ärztinnen bezahlen mussten und fragten nach der Vorausrechnung für die IHC. Der Kassenwart eilte selbst davon und nach kurzer Wartezeit erhielten wir die Rechnung mit beigefügter Kopie der Anforderung, auf der auch die drei zu verwendenden Standartproteine genannt waren: 60 Baht plus 12 Baht Service Charge.

Wir fuhren in den 4.Stock, bereit für das Röntgen. Allerdings meinte die eigenartige Schwester, die Termine sollten zusammengelegt werden und schlug den Dienstag Abend vor. Zuerst mussten wir nochmals nach oben und auf dem Antragsformular für den Ultraschall Diagnose und anfordernden Arzt nachtragen lassen. Das ging rasch. Eine Schwester kam uns nachgelaufen und richtete aus, dass wegen Problemen am PC die Bilder per Email geschickt werden würden. So muss ich also am Dienstag um 18 Uhr auf dem 4.Stock erscheinen, wobei ich ab 12 Uhr nichts mehr essen und trinken darf. Die Kosten stehen auch gleich auf dem Terminzettel: 330 Baht für X-ray und 1200 Baht für Ultrasound.

Endlich konnten wir das Krankenhaus verlassen und wieder ins Fuji zum essen gehen. Ich hatte das starke Gefühl von Entgegenkommen. Nicht nur durch die Ärztinnen in menschlicher und finanzieller Form. Das Leben kam mir entgegen und ich kam dem Leben entgegen in allen seinen Formen.

Wir fuhren mit der BTS zum Paragon, wo eine Orchideenschau stattfand. Als Deng jedoch bemerkte, dass nur prämierte Blumen ausgestellt waren und keine zum Kauf angeboten wurden, verlor sie sofort das Interesse. Nach einem kurzen Bummel durch die Lebensmittelabteilung, wo sie Preise verglich und Salat, sauren Fruchtgummi und Innereien kaufte, - sie wollte vielleicht mal wieder Saure Kutteln kochen -, fuhren wir nach hause.

Ich begann gleich am PC meine Nachforschungen zu den Augentropfen, zu den immunhistochemischen Tests und wieder zu malignen Melanomen. Ich las viel über verschiedene Krebsarten, Diagnosemöglichkeiten, Krankheitsverläufen und Therapieformen. Ich stöberte in Krebs-Foren. Bis ich mir sagte: jetzt ist es genug. Aber auch die Seiten, die ich sonst gewöhnlich mehrmals täglich besuchte, Nachrichtenseiten und Foren und Blogs, hatten plötzlich ihre Anziehungskraft verloren. All das hatte keine Bedeutung mehr. Die Seiten und nun viele andere Dinge waren mit keinem Verlangen, mit keiner Befriedigung, mit keinem Ich mehr verbunden. Die 1.Person hatte die Bedeutung verloren, war nicht mehr da. Ich erinnerte mich an eine Frau, eine Prophetin, die es ebenfalls vermied, die 1.Personenform zu benutzen. Dies war keine Resignation, kein Ausblenden der schmerzhaften Wirklichkeit, kein Psychotrick, sondern das Ablegen einer Last, eine Befreiung. Vielleicht tun mir auch deshalb die Schultern nicht mehr weh.
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Re: Vollendung in Bangkok
« Antwort #55 am: 22. Juli 2022, 11:21:57 »

Ich schlief gut in dieser Nacht. Bis auf eine kurze Zeit, in der ich einen Brief an die Ärztinnen aufsetzte und um Offenlegung ihrer Kenntnisse und ihrer Ansichten über den weiteren Verlauf bat. Um mein Auge, dessen Genesungsfortschritt ich bisher häufig im Spiegel verfolgte, kümmert ich mich nicht mehr. Ich darf ja wieder duschen und muss es nachts nicht mehr abdecken. Ich werde die anstehenden Untersuchungen und die Behandlung in dieser Woche ohne Klagen und Zweifel durchstehen. Nach Ablauf dieser Woche wird Krebs kein großes Thema mehr sein. Ich habe mir vorgenommen, manches in meinem Leben anders zu gestalten. Weniger Zeit am PC, mehr Spaziergänge oder Schwimmen im Pool. Mein gesunkener Hunger und Appetit wird der Gewichtsreduzierung und somit auch dem Blutdruck dienlich sein.

Laut dem Befund der pathologischen Untersuchung der heraus geschnittenen Wucherung an meinem linken Auge leide ich an einem malignen Melanom der Bindehaut, also an einer seltenen, aber tödlichen Form des bösartigen schwarzen Hautkrebses. Die üblichen weiter angewandten Diagnoseverfahren sind nach dem Röntgen des Thorax und der Ultraschalluntersuchung des Oberbauches die immunhistochemische Einfärbung der Probe mit den Proteinen S100, HMB-45 und Melan-A - dies wurde gestern in Auftrag gegeben, nachdem beim Ausstellen des Anforderungsformulars am Sonntag ein Fehler aufgetreten ist -, weiter die Abklärung der Ausbreitung im Körper durch Kontrolle der Lymphknoten - eine Biopsie von Wächterlymphknoten hält Dr.Usanee in ihrer letzten Email zu diesem Zeitpunkt für zu aggressiv, da die Risiken den Nutzen übersteigen. Sie schlägt eine Ultraschalluntersuchung der Lymphknoten am Hals vor -, sowie evtl. CT und natürlich laufende Überwachung. Die therapeutischen Maßnahmen sind nach der operativen Entfernung die Kryo, also das Zerstören evtl. noch vorhandener Krebszellen an der operierten Stelle, eine Bestrahlung und/oder die Chemotherapie, also zunächst die lokale Gabe des Zytostatikums Mitomycin C, dann sonstige Chemotherapie oder Gewebeentfernungen je nach Fund von Metastasen.

Wie erwähnt hätte eigentlich das Ergebnis der immunhistochemischen Einfärbung gestern vorliegen sollen. Aber da ist etwas schief gelaufen. Deng wurde auf ihrem Zweithandy angerufen (sie hatte die Nummer vielleicht von Dr.Wasee aus ihrem Büchlein abschreiben lassen), wir sollten sofort in die Klinik kommen und für die IHC bezahlen, weil diese erst durchgeführt werden kann, nachdem das Anforderungsformular eingegangen ist. Die Ärztin hätte schon nach dem Resultat gefragt. Von halb fünf bis sechs Uhr wurde nun dieses Formular in der Station herumgereicht und die beauftragte Schwester war nicht fähig, das Problem zu lösen, das sie selbst verursacht haben könnte. Zunächst versuchte sie vergebens die beiden Ärztinnen zu erreichen. Sie wurde recht pampig und meinte, wir sollten morgen wieder kommen und bezahlen. Deng war am Ende ihrer Geduld. Ich ging alleine runter zu meinen Untersuchungen. Schließlich gab Deng die erforderlichen 2000 Baht einer Schwester ohne Quittung. Es war wohl so, dass ein falscher Code angebracht worden war und wir damit für jemand anders die 72 Baht bezahlten und das Formular ausgehändigt bekommen haben.

Ich lächelte mich derweil im 4.Stock durch. Erst musste ich bezahlen und wurde dann gleich zu den Behandlungsräumen gebeten. Nur wenige Patienten warteten mit mir. Ein Helfer reichte mir ein Krankenhemdchen und zeigte mir eine Umkleidekabine. Das Zubinden der vielen Schleifen dauerte länger als das Röntgen danach. Eine junge Schwester positionierte mich an die Wand, einmal tief einatmen, fertig. Während ich kurz auf die Ultraschall wartete, bei schöner Aussicht auf die Kreuzung Silom/RamaIV, gesellte sich Deng zu, höchst verärgert über das Verhalten der Schwester. Als dann noch später beim Verlassen der Klinik ein Mann, der auf einer Steinbank lag und an dem sie vorbeiging, eine unflätige Bemerkung machte, war ihr Urteil über die Bevölkerung wieder bestätigt. „Nur fünf von hundert sind gut.“ sagte sie.

Die eigenartige Schwester, die sie am Sonntag beim Terminmachen kennengelernt hatten, führte mich in eine der Untersuchungskabinen. Ich musste mich auf der Liege ausstrecken und sie wickelte ein großes, weißes Handtuch in meinen Hosenbund und deckte ihn mit einem ebensolchen zu, nachdem sie mein Hemd hoch geschoben hatte. „Do you speak Thai? I speak little English.“ Die Wartezeit war lang. Einschlafen war beim Summen der Klimaanlage nicht möglich. Als der junge Arzt kam, fragte ich ihn sogleich, ob er mir die Befunde gleich mitteilen würde. Er stimmte zu und fragte nach Einsicht in die Unterlagen, seit wann ich von meinem Melanom wusste. Bis auf die fettige Leber waren alle Organe normal abgebildet. Ich bekam die in Englisch verfassten Ergebnisse, auch das vom Röntgen, samt allen Aufnahmen nach einer kurzen Wartezeit in einem großen Kuvert mit. Statt im Fuji aßen die beiden dann in einem kleinen Chinarestaurant. Mir schmeckte meine Nudelsuppe und natürlich hatte ich nach der langen Abstinenz großen Durst.

Die Resultate von Röntgen und Ultraschall ergaben also, dass der Zustand von Lunge und aller inneren Organe des Oberbauches völlig normal sei. Ausgenommen eine „fatty“ Veränderung der Leber, jedoch ohne weitere Auffälligkeit. Dies könne mit Diät und Bewegung wieder in Ordnung gebracht werden, meinte der untersuchende Arzt.
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Re: Vollendung in Bangkok
« Antwort #56 am: 24. Juli 2022, 14:08:51 »

Wir beide waren uns darüber einig, dass nach der Kryo am Samstag die Krankheit kein Thema sein wird und wir keine weiteren Diagnose- und Therapieverfahren mehr zulassen werden. Die Kryo soll das Risiko des Wiederauftretens vermindern und kann evtl. die noch vorhandene Narbe beseitigen. Dr. Wasee ist von der Arbeit ihrer Kollegin auch deshalb so begeistert, weil diese so geschnitten hatte, dass laut pathologischem Befund die Ränder frei von Tumorzellen sind. Die Ärztinnen sind überaus besorgt und dabei sehr liebenswürdig. In der letzten, von beiden unterzeichneten Mail am Morgen ließ Dr.Usanee wieder das Mister weg, entschuldigte sich tief für die Ungemach mit der Rechnung und wünschte gute Informationen.

Natürlich waren wir wieder zu früh. Wir holten uns einen Kaffee aus dem kleinen Seven, und als wir um 7 Uhr die Anmeldung abgaben, sagte die Empfangsschwester, wir könnten noch was essen gehen, die Ärztin komme erst um acht. So überquerten wir die Henry Dunant Road und setzten sich an eine Garküche. Deng bestellte Wantan-Suppe und Reis mit eingelegter Schweinshaxe. Ich konnte nichts essen. Ich esse nun sehr viel weniger. Oft habe ich nach einem Bissen schon genug. Mein Gewicht und mein Bauch haben bereits abgenommen. Ich schlafe auch viel besser, kann nach Unterbrechungen gleich wieder einschlafen und mein gewohnter Mittagsschlaf ist nur noch ein kurzes Ruhen.

Als wir zu dem Gebäudekomplex der medizinischen Fakultät der Chulalongkorn Universität zurück gingen, bemerkte ich, dass ich meine Tasche vergessen hatte. Bevor ich jedoch zurück laufen konnte, brachte ein Junge von der Garküche die Tasche mit dem Moped.

Die CD mit den Augenaufnahmen von der Spaltlampe wurde uns nun ausgehändigt. Vor dem Einlass in die inneren Bereiche, musste ich eine Blanko-Erklärung unterschreiben, dass ich über die Behandlung und ihre Risiken informiert worden sei und dem Arzt alle Vollmacht und Regressfreiheit zubillige. Meine Schuhe musste ich zu denen der anderen Patienten auf die eine Seite des Regals stellen, wo sie mit einem Zettel versehen wurden, und dann in Schlappen schlüpfen. Da ich auf die Toilette musste, durfte ich mich dort umziehen. Wieder kämpfte ich mit den vielen Schleifen des hellblauen Patientenhemdchens. Ich weigerte mich wie verlangt die Brille abzulegen. Ich könne sonst nichts sehen, sagte ich. So konnte ich die hagere Schwester vom letzten Mal besser in Augenschein nehmen, die mich empfing und Gesicht und Hände waschen ließ. Und ich konnte Dr.Wasee besser in die Augen sehen, als diese sich einen Stuhl holte und sich zu mir setzte.

Sie fragte, wie ich mich fühle. Ich hatte mir vorgenommen, ganz ruhig zu sein. Allerdings war mein Blutruck auf hundert achtzig, genau gesagt auf 187/95. Dr.Wasee erklärte, dass ich gleich dran käme, sie alles vorbereiten ließe und es in etwa 20 Minuten vorbei sein werde. Sie entschuldigte sich nochmals für den Systemfehler bei der Anforderung der IHC. Sie könne mich und meine Gefühle gut verstehen und sei ja durch die Emailkopien über alle meine Gedanken informiert. Ich habe mich wirklich ausführlich mit dem Thema befasst. Auf die Frage nach dem Ergebnis der Einfärbung meinte sie nur, sie werde sie mir anschließend mitgeben. Ich erklärte etwas erregt, dass nach der Kryo ich für keine weiteren Untersuchungen und Therapien mehr zur Verfügung stehe und dass ich im Grunde keinen Beweis für die Diagnose fände. Die Ärztin antwortete nur, sie habe das Gewebestück selbst gesehen. Ob mich denn Dr.Usanee nicht angerufen hätte. Eigentlich wollte sie bei der Kryo dabei sein, aber sie hätte kurzfristig heute morgen zu einem Vortrag nach Pattaya abreisen müssen. Ich fragte noch, ob sie auch die kleine Narbe wegeisen würde. Nein, diese würde von selbst verschwinden.

Sie gab mir selbst noch einige Betäubungstropfen ins Auge, wie die schlanke Schwester schon zuvor. Die beiden beugten sich dann am Schreibtisch über seine Akte. Als es um die Medikation ging, brachte ich vor, dass ich Paracetamol wie auch Tropfen und Tränen noch zu hause hätte. Neugierig geworden, worüber die Beiden lachten, ging ich selbst zum Schreibtisch. Sie hätten sich gerade bemüht, die Schrift zu entziffern. Er erkannte den handschriftlichen Eintrag: malignant melanoma. Es erschien mir zwar wie eine Aufzählung unter a) - in Extremsituationen wie dieser, wo man gezwungen ist, ganz aufmerksam zu sein, sieht man dennoch nur ausschnitthaft -, aber ich deutete darauf und sagte ein wenig laut, dass ich daran nicht glaube. Dr.Wasee erklärte, ich solle ruhig bleiben (Don´t stress yourself!), ein hoher Blutdruck sei nicht gut für den Verlauf der Behandlung. Während ich vor ihr stand, rutschte  diire Pyjamahose auf die Knie herunter. Die Ärztin selbst führte mich zum Sofa und wollte mir die Schleife wieder binden, was aber dann die Schwester übernahm.

Ein Telefon wurde mir gebracht. Dr.Usanee entschuldigte sich für ihr Fernbleiben und die Unannehmlichkeiten mit dem Anforderungsformular. Anscheinend seien die Formulare geändert worden. Ihre Assistentin würde bei der Kryo dabei sein. Ich fragte nach einer Abschrift der Einfärbungsergebnisse und nach deren Abbildungen, sowie nach einem Foto, das die pathologische Aufbereitung unter dem Mikroskop zeige. Sie werde sehen, was sich machen lässt, zum Teil müssten die Fotos gesondert angefordert werden. Jedenfalls könne ich mich immer mit allen Fragen an sie per Email wenden. An der Richtigkeit der Diagnose ließ sie keinen Zweifel. Und sie habe sich überzeugt, dass die Gewebeprobe nicht vertauscht worden sei, wie ich in seiner letzten Email angedeutet hatte.

Das Engagement der beiden Ärztinnen geht weit über die professionelle Aufgabe und Distanz hinaus. Aber gerade diese einhüllende, mütterliche Fürsorge schmerzt mich. Aus ihren Blicken und Worten, den Reaktionen und Handlungen, auch denen im Verborgenen oder als Vorbereitung, lese ich ihr Mitleid und ihr Wissen um eine dunkle Zukunft, die sie für mich klar zu sehen scheinen. Es wäre Energieverschwendung dagegen anzukämpfen und ich habe die Kraft auch nicht mehr. Das Beste wird sein, zu schweigen und den Kontakt auf Kontrolluntersuchungen des Auges zu beschränken.
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Re: Vollendung in Bangkok
« Antwort #57 am: 25. Juli 2022, 15:12:46 »

Im OP-Saal erwartete mich eine bequeme Liege, auf der ich gut Arme und Hände auflegen konnte. Daneben stand ein großer Gaszylinder. Die schlanke Schwester führte und betreute mich selbst. Die Hose musste sie mir dabei nochmals binden. Laufend bekam ich betäubende Tropfen, zuletzt auch ins rechte Auge. Ich wurde steril zugedeckt und Licht und Mikroskop wurden über dem linken Auge eingestellt. Das rechte wurde zugeklebt und mein Gesicht mit der braunen Desinfektionslösung gründlich abgerieben. Eine Schwester fragte nochmals nach Vor- und Nachnamen und nach der zu behandelnden Augenseite, dann wurde ein Tuch über mich gebreitet, das nur das linke Auge frei ließ. Das Einsetzen des Spreizers gelang im zweiten Anlauf.

Das wiederholte Vereisen und Auftauen war kaum als kleine Stiche zu spüren, schmerzlos und weniger brennend als das Desinfizieren der Lider zuvor. Die Atmosphäre war entspannt und die Schwestern fanden es beruhigend, dass zumindest ihre Aufforderungen in Thai von dem Ausländer verstanden wurden. Schnell war es vorüber, das Gesicht wurde wieder abgewaschen und das Auge zugeklebt. In zwei Stunden, also um elf solle ich den Verband entfernen und mit den antibiotischen Augentropfen beginnen. Das Auge sei nun irritiert und werde ein paar Tage gerötet bleiben. Duschen sei möglich. Meine Frau erhielt draußen die selben Anweisungen. Es ist möglich, dass Dr.Wasee versucht hatte, sie zu treffen.

Etwas erschöpft ließ ich mich mit dem Rollstuhl zum Umkleiden fahren. Bevor ich die Räume verließ, wollten die Schwestern mich noch drängen, zwei Paracetamol zu nehmen. Der Heimweg sei lang. Aber ich hatte gar keine Schmerzen, weder bei der Kryo noch in den Stunden danach.

Deng war bereits mit den anderen, zahlreich wartenden Angehörigen an der Kasse gewesen. Mit Verwunderung hatte sie gesehen, dass diese zum Teil Beträge von dreißig-, fünfzigtausend und mehr zu begleichen hatten. Ungläubig zahlte sie ihre Rechnung: 1600 Baht für die Kryotherapie selbst und 1500 für den Arzt, zusammen etwa 72 Euro. Dabei war im Vorgespräch und auf der Anmeldung der Betrag von mindestens zehntausend genannt worden. Ein Versehen oder unglaubliche Milde und Mitleid der Ärztinnen?

Ich konnte trotz des Verbandes meine Brille aufsetzen. Ich war müde. Wir mussten jedoch noch auf den Terminzettel warten. Am Sonntag, den 19. werden wir beide Ärztinnen wieder sehen.Ich fragte noch nach dem Befund, aber diesen würde mir Dr.Wasee in der Sprechstunde geben, hieß es. Es war mir gleichgültig. Ich würde bis dahin auch nicht in Emailkontakt treten. Selbst wenn keine Fehldiagnose vorliegt – an einen absichtlich untergeschobenen Befund glaubte ich nicht - , mit der Entfernung und der anschließenden Kryotherapie ist der Tumor, gutartig oder nicht, beseitigt. Dr.Usanee wird eine Ultraschalluntersuchung der Lymphknoten des Nackens und des Halses vorschlagen. Ich hatte mir vorgenommen, ihr schweigend zuzuhören.

Die Fahrt mit dem neuen Taxi, das wir von der Türe weg nehmen konnten, war angenehm. Es lief eine CD mit den gleichen Songs, die wir vor 36 Jahren immer auf einem Kassettengerät zu hören pflegten, und die Texte waren für mich wie eine gute Botschaft. Zu hause musste ich mich ausruhen, meine Gattin fuhr alleine auf den Markt nach Minburi. Als ich später den Verband abnahm, sah ich meinen zur Hälfte rot-verschwollenen Augapfel wieder. Er fühlte sich lediglich etwas gereizt an. Von dem Kartoffelsalat und dem Thunfisch konnte ich nur eine Gabel voll zu mir nehmen. Jemand hat mal in einem Vortrag gesagt, der Mensch könne von einer Schale Reis am Tag leben, zwei wären zuviel.
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Re: Vollendung in Bangkok
« Antwort #58 am: 28. Juli 2022, 16:10:24 »

Bevor die Geschichte mit dem Auge weitergeht, habe ich noch ein paar Zwischenbemerkungen. Zunächst möchte ich sagen, wie sehr mir die Tagebucheintragungen der anderen Mitglieder gefallen. Interessante Berichte und schöne Bilder, seien sie aus Deutschland, aus verschiedenen Gegenden Thailands und der Welt! Danke dafür! Das Leben ist schön!

Gestern fand meine Gattin zwischen den Polstern des Sessels neben anderen Sachen eine Festplatte. Ich hatte gar nicht mehr gewusst, dass ich fünf HDs hatte. Darauf sind alle meine Fotos, von denen ich geglaubt hatte, ich hätte sie gelöscht. Nun stehe ich vor der Herkulesaufgabe, sie zu ordnen und überflüssige Fotos zu löschen. Ich hoffe, ich komme mit Picasa 3 zurecht und finde die Zeit dafür.

Ich habe noch andere Krankheitsgeschichten zu erzählen, die nicht so lang sind, darunter eine OP an der Hand. Nicht dass ich was zu jammern hätte, ich fühlte mich immer gesund und nahm keine Medikamente. Bis vor ein paar Monaten. Einmal kommt aber wohl der Zeitpunkt, wo man das Alter und auch die Notwendigkeit, diesen Körper wieder zu verlassen, akzeptieren muss. Früher hielt ich es für einen Scherz: Wenn man im Alter aufwacht und keine Schmerzen hat, ist man tot. Mit Schmerztabletten und dem Gehstock komme ich so zurecht, aber mein Aktionsradius ist nun eingeschränkt. Das Röntgenbild und der Arzt im Krankenhaus sagen, ich bräuchte ein neues Hüftgelenk. Vielleicht kann ich das ja später mal zum Thema machen.
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Re: Vollendung in Bangkok
« Antwort #59 am: 30. Juli 2022, 14:30:41 »

Ich war an einem Nullpunkt gelandet. Plötzlich hatte vieles keine Bedeutung mehr, war überflüssig und uninteressant geworden. Die heruntergeladenen Filme oder die Internetseiten mit geistigem Wissen und Hintergrundinformationen oder einfach kulinarische Verlockungen spielten nun keine Rolle mehr.

Der Neustart von (fast) Null wurde bewirkt durch jene Diagnose und das anschließende schockierende Abtasten der Lymphwege an Gesicht und Nacken. Das Ganze war ein Weckruf, vergleichbar mit dem Stockhieb oder dem Schrei des Zenmeisters. Es hat meinem Leben wieder Richtung gegeben. Dennoch war da Schmerz. Es war nicht mehr die Furcht vor der Krankheit selbst, die mich zeitweise gelähmt und traurig gemacht hat. Nachdem ich mich wieder vorgestern zulange im Netz mit dem Thema beschäftigt hatte und in der Nacht mich nicht gegen die wiederkehrenden Gedanken wehren konnte, geriet ich in einen See von Traurigkeit. Hinzu kam, dass ich in meiner Ungeduld keinen Heilungsfortschritt an meinem wunden Augapfel erkannte. Meine Gattin bemerkte meinen Zustand sofort. Und es brachte sie auf, zumal in den vergangenen zwei Tagen Gelassenheit und Normalität geherrscht hatte und sie sich gerade darauf freute, mich zu einem Mittagessen einzuladen, nachdem sie einen kleinen Betrag in der Lotterie gewonnen hatte.

Aber Zeit heilt alle Wunden. Dennoch beschäftigte mich der morgige Termin. In Gedanken ging ich das Gespräch mit der Ärztin durch, legte mir englische Worte und Sätze zurecht. Es dürfte die endgültige Diagnose und Belege dafür zu erwarten sein. Das Kind muss einen Namen haben. Das wird aber wohl nichts an unserem Entschluss ändern, keine weiteren Tests wie die Ultraschalluntersuchung der Lymphknoten im Nacken oder gar eine CT und keine weiteren Therapien am Auge mehr zuzulassen, außer spätere Kontrolluntersuchungen desselben. Das Anfordern des pathologischen Befundes nach der Exzision war schon ein Fehler gewesen, ein großer Fehler.

Die Erregung in der Nacht und vor der Sprechstunde hielt sich in Grenzen. Es waren etwa 60 Personen im inneren Wartebereich, die Hälfte wohl Begleitpersonen, aber wir hatten den Eindruck, dass wir vorgezogen wurden. Wenn ich auch der einzige Ausländer war, so fühlte ich mich stets in gleicher Weise behandelt wie jeder andere Patient auch. Man ist dennoch etwas wie ein bunter Hund und das Personal tut sich nicht einfach, den Namen zu nennen oder sich in Englisch auszudrücken. Die unvermeidlichen Tests zu Beginn dienen in erster Linie als Einnahmequelle. Obwohl ich mich bemühte, still zu halten und nicht zu zucken, als die Luftstöße auftrafen, lagen die Augendruckwerte bei 26 bis 30 mmHg. Dr.Usanee maß dann selbst mit ihrem Tonometer nach und der Wert ergab gute 18. Wir waren nach kurzer Wartezeit zu ihr gerufen worden, wenngleich wir zuerst vor Dr.Wasee´s Zimmer warten sollten.

Dr.Usanee fragte viermal: How are you today?, aber mehr als: It´s okay! bekam sie nicht zur Antwort. Sie überreichte uns gleich eine CD mit den Fotos aus der Pathologie und die „offiziellen“ Befunde aus der Histologie und der Immunhistochemie. Ich hatte ihr zwei Tage nach der Kryo eine harsche Email geschrieben, in der ich verlangte, dass bei einer solchen Diagnose Arzt und Patient auf dem selben Informationsstand sein müssen. Bis jetzt hätte ich keinen schlüssigen Beweis. Diesen mit englischen Fachwörtern gespickte Befund hätte jeder Student aus dem Lehrbuch abschreiben können und jeder Lehrer würde ihn bestätigen, um ihn nicht zu blamieren. Was mir fehlt, sind die Aufnahmen unter dem Mikroskop, die dann auch ein anderer Pathologe begutachten kann. Ich zahlte für das Röntgen, schrieb ich, und bekam ein großes Bild, ich bezahlte für die Ultraschall und bekam einige Aufnahmen, ich bezahlte für die histologische Untersuchung und erhielt einen lausigen Befund. Ich bezahlte 2040 Baht für die Einfärbung und erwarte nun aussagefähige Bilder, denn für 100 Baht könne jeder schreiben, die Reaktionen wären positiv oder negativ. Schon der gesunde Menschenverstand hätte da Zweifel. Ich appellierte auch an den Ruf der Klinik.

Dr.Usanee kommentierte die übergebenen Berichte nicht weiter. Sie erschien überhaupt zurückhaltender und sprach fast mehr in Thai als in Englisch. Sie fuhr wie erwartet in ihrem Programm fort. Eine Biopsie von Lymphknoten sei zu diesem Zeitpunkt zu risikoreich, sie möchte jedoch einen Termin für eine Ultraschalluntersuchung derselben im Halsbereich machen. Ich sprach mich dagegen aus. Sollte sich dabei eine Auffälligkeit finden, ginge die Sache weiter, und wenn man nichts findet, wird man sagen, es kann noch was kommen. Ihre Antwort war etwas diffus: wenn man jetzt die Untersuchung nicht mache, habe man keinen Vergleichspunkt, wenn man später etwas feststellt. Sie würde auch nur die Empfehlung dazu geben. Meine Frau und ich sprachen uns kurz ab und stimmten dann schließlich dieser als der letzten Maßnahme zu. Gegen einen Kontrolltermin in vier Wochen hatten wir sowieso nichts einzuwenden. Dr.Usanee hatte sich das Auge angesehen und eine „inflammation“ festgestellt, eine Reaktion wie bei einer Entzündung. Sie empfahl, die künstlichen Tränen weiterhin alle zwei Stunden zu nehmen und würde evtl. andere Augentropfen verschreiben. Aber das und die Überweisung zur Ultraschall überließ sie ihrer Kollegin. Ich bat sie noch, das rechte Auge zu überprüfen, doch hier war alles normal, auch die Äderchen, die mir aufgefallen waren.

Sonst war sie gewohnt entgegenkommend. Sie wollte keine leere CD von mir nehmen und auch die 40 Baht nicht haben, die sie zuvor für die Einfärbung selbst drauf gezahlt hatte. Meine Gattin war davon ausgegangen, dass eine Schwester dies getan hatte, und hielt einen Umschlag bereit. Zudem hatte sie für alle drei Frauen Ferrero Rocher in Plastikboxen gekauft. Ihre selbst verpackten Geschenke wurden gerne angenommen.

Während wir vor Dr.Wasee´s Sprechzimmer warteten, sah ich mir die Berichte an. Sie waren wie der erste pathologische Befund von dem selben Pathologen erstellt. Die Resultate der immunhistochemischen Untersuchung beschrieb er einfach: S-100: positiv, HMB-45: positiv, Melan A: positiv. Keine Nennung von Zelltypen, keine Klassifizierung oder Abgrenzung zu anderen Tumoren. Unter den Bericht setzte er die selbe Diagnose wie beim ersten Mal. Nur schrieb er statt: Tumor, Verdacht auf malignes Melanom, einfach: malignant melanoma. Diesen Befund übernahm er als Anhang in den „offiziellen“ pathologischen Report, mit der wortgleichen Diagnose. Inzwischen versetzt mich aber das Wort „malignant melanoma“ in ebenso großen oder keinen Schrecken wie das Wort „Kaninchenfell“. Wenigstens habe ich die bildlichen Darstellungen der Zellen auf CD und ich werde sie von einem anderen Pathologen begutachten lassen.

Dr.Wasee fragte in ihrer leisen Art nach dem Befinden und nach Beschwerden und meinte nach der Ansicht des Auges, es sei noch gerötet und gereizt. Ich solle die bisherigen Augentropfen nur noch morgens und abends nehmen. Vielleicht lag da eine der harmloseren Nebenwirkungen vor, die im deutschen Online-Beipackzettel standen: verzögerte Wundheilung. Sie verschrieb aber gleich neue, damit wir nicht extra reinkommen mussten. Ihre geringe Honorarforderung bei der Kryo wurde von keiner Seite erwähnt. Es kann sein, dass beide Ärztinnen einsehen, dass die Befunde und die Diagnose auf wackligen Beinen stehen, und wollen keine Regressforderungen provozieren. Vielleicht wurde mir auch deshalb der Befund nicht gleich bei der Kryo mitgegeben.

Zu zahlen hatten wir neben den üblichen 120 Baht zweimal 300 als Arzthonorare und 70 (1,60 Euro) für die Augentropfen, zusammen also ca.18 Euro. Wir speisten natürlich im nahen Fuji. Ich bestelle nun immer das Kindermenü. Es schmeckt mir und es reicht mir. Danach fuhren wir wie geplant mit der U-Bahn zum Hauptbahnhof und von dort mit dem Bus Nummer 7 für 7 Baht zur Endstation, wo Schwager und Schwägerin wohnen. Einmal im Monat möchte meine Gattin hier das Grab ihrer Mutter besuchen. Anschließend ließen wir uns vom Schwager mit seinem kleinen Personenbeförderer zum Sanam Luang 2 bringen, einem riesigen Wochenendmarkt. Meine Gattin kaufte sich zwei Kakteen von ihrer Lieblingsart “Condo“. Und ich bekam Durst auf eine große Flasche Bier. Das Eis im Plastikbecher verwässerte es ein wenig. Ich fühlte mich frei und bestätigt. Im Innersten konnte ich nie an einen bösartigen Tumor mit Metastasen glauben. Dieses Gewächs an meinem Auge war nicht aus einer braunen Veränderung einstanden, sondern inmitten von Äderchen. Wenn jetzt noch ein Pathologe bestätigen würde, dass sich aus den Aufnahmen nicht unbedingt die Diagnose eines malignen Melanoms ergeben würde, wäre das Glück perfekt.

Es hat also einige Aufregung und schlaflose Nächte gegeben, aber letztlich habe ich nur profitiert. Das Röntgen hat bestätigt, dass das Herz am rechten Fleck ist, in normaler Größe, und dass die Lunge ohne Auffälligkeiten ist, obwohl ich eine lange Raucherkarriere hinter mir habe und erst vor drei Jahren damit aufhörte. Wichtig war mir der Zustand der Bauchaorta, nachdem mein deutscher Schwager in Chiang Mai im letzten Jahr an einer geplatzten Aorta verstorben war. Aber alle inneren Organe sind ohne negativen Befund bis auf die „fatty“ Veränderung der Leber. Doch ich lebe nun gesünder, bewege mich mehr, will auch wieder den Pool benutzen und esse weniger. Das Ganze war ein Weckruf, ein Start in ein neues Leben.

Eine Stunde brauchten wir bis zum Hauptbahnhof Hualampong. Von dort ging es wieder mit MRT und Airportlink nach hause in unsere ruhige Siedlung. Das bisschen Kopfweh kam nicht vom Bier, sondern von der Fahrt im offenen Bus.
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