Thailands Zukunft: Kein Sprint, sondern Marathon.
von Stephan
Für alle Freunde der Demokratie und Kritiker der politischen Situation in Thailand muss der heutige erneute Aktionstag der Opposition – trotz all der bunten Bilder und der vielen bewundernswert furchtlos engagierten Leute – durchaus ernüchternd wirken. Eine kurze und vorläufige Bewertung zur politischen Lage in Thailand nach der Demonstration der studentischen Opposition am 14. Oktober 2020.
Nach den aufsehenerregenden, symbolhaften Protesten Ende September auf dem Sanam Luang als expliziter Heimstatt des thailändischen Royalismus, nach der Verlegung einer neuen Gedenkplakette und der gelungenen Überreichung eines „Brief des thailändischen Volkes“ für Regierung und König durch Panusaya „Rung“ Sithijirawattanakul an einen Sicherheitsbeamten, der das Schreiben auch tatsächlich entgegennahm, kündigten die protestierenden Studierenden mit diesen Erfolgen im Rücken für den heutigen 14. Oktober vollmundig einen landesweiten Generalstreik an.
Dazu ist es nicht gekommen. Trotz allem Mutes, den die zumeist jungen Leute zeigen, trotz allem Frust, der bei vielen Thailändern aller Generationen und aller Landesteile aus unterschiedlichen Gründen herrscht: Der offenbar vorschnell angekündigte „Generalstreik“ fand nicht statt.
Vielmehr gab es eine weitere Demonstration in den Straßen der Hauptstadt. Der Mut dieser Protestler darf nicht bestritten werden. Aber es muss auch in aller Klarheit festgestellt werden: eine aktive Massenbewegung, die weitere soziale Gruppen erfasst und sich politisch und sozial breit aufstellt, ist bisher nicht entstanden. Die Studierenden blieben heute weitestgehend „unter sich“.
Und dies, obwohl im Land die Kritik an der Führung in zivil und Uniform von ganz, ganz oben bis auf die niedere Funktionärsebene unglaublich tief geht. Politische, ökonomische und gesellschaftliche Gründe – und vor allem das Gefühl, in keinem dieser Felder auf der Höhe der Zeit zu sein - frustriert viele Thais zutiefst. Aber auf die Straße gehen sie nicht. Vielleicht ist es – nur allzu verständlich – die Angst vor Repression, vielleicht ist es die fehlende Hoffnung auf einen Erfolg des Protestes oder die Ideenlosigkeit, wer Thailand anstatt der jetzigen Machtelite in die Zukunft führen soll. Vielleicht sitzt das Misstrauen auch gegenüber jenen zu tief, die dem Bangkoker Establishment in den vergangen 20 Jahren versucht haben, die Stirn zu bieten. Und am Ende doch – mehr oder weniger erfolgreich – vor allem darauf orientierten, die eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen.
Während die Demokratie-Bewegung am heutigen Tage daher in ihrer Entwicklung eher stagniert, landet ein anderer zumindest einen symbolischen Punktsieg. Der König höchstselbst! Aus Bayern eingeflogen, um seinem Vater und Vorgänger an dessen gestrigem Todestag zu gedenken, ließ es sich Rama X. heute nicht nehmen, mit seiner Wagenkolonne zur Primetime des Protestes voller Selbstbewusstsein exakt an den gegen ihn Demonstrierenden vorbei zu rauschen. „Seht her, ich bin da, flüchte nicht vor euch, sondern zeige euch quasi eine Art motorisierten Stinkefinger.“ Eine, seine Machtdemonstration.
Bei denjenigen Thailändern, die dem König zwar heimlich, aber zunehmend kritischer gegenüberstehen, hat Rama X. mit dieser Aktion sicher nichts gewonnen. Aber alle diejenigen, und das sind zweifelsohne nicht wenige, die weiterhin an Thailands Dreifaltigkeit von Nation, Religion und Königshaus glauben oder davon leben, dürften sich heute endlich, endlich wieder in ihrer Haltung ermutigt gefühlt haben.
Und es ist keineswegs weit hergeholt, dass dem König die Sprechchöre der Demonstranten, die lautstark den Rücktritt von Premierminister Prayuth forderten, eigentlich ganz gut gefallen haben könnten. Denn an dieser Stelle scheinen sich König und Demonstranten ziemlich einig zu sein – wenn auch aus unterschiedlicher Motivation. Längst schon ist der neue Armeechef Narongphan Jitkaewtae für das Königshaus und das Establishment der neue starke Mann im Land. Und er ist nicht nur königstreu, sondern auch dem König treu – ganz persönlich eng verbunden.
Mit der Rekrutierung königstreuer Anhänger in dekorativen gelben Shirts – darunter übrigens auffällig viele junge Männer mit auffällig kurz geschorenen Haaren – hat das Establishment dieses Mal – im Gegensatz zum September – dafür gesorgt, dass auch die mediale Bilderflut des heutigen Tages nicht ausschließlich von der Opposition geprägt wurde. Motto: „Tausende jubelnde Thailänder im Bekenner-Gelb säumten den Weg des Königs. Am Rande gab es einige wenige Proteste von ein paar Unbelehrbaren und desorientierten Heranwachsenden.“ Bilder sind die besten Botschafter.
Auf staatliche Gewalt, Massenverhaftungen und Eskalation durch den Sicherheitsapparat wurde – daher - auch heute verzichtet. Man ließ die „ungezogenen, ungestümen Kinder“ (Prayuth) weitestgehend gewähren. Das kann man sich derzeit erlauben – noch.
Denn dies war heute sicherlich nur eine Etappe. So schnell werden die jungen Menschen und ihre Unterstützer nicht aufgeben. Die Saat der Hoffnung ist ausgelegt, den Geschmack von Freiheit trägt die junge Generation auf der Zunge, die Lust auf eine neue Zeit ist erwacht. Es wird ein langer Weg der Transformation für Thailand, auch wenn die Demonstranten von den Massenprotesten ihrer Vorbilder in Hongkong noch weit entfernt sind. Letztlich läuft es darauf hinaus, dass Thailand entweder ein Land dauerhafter Repression und Überwachung wird oder einen disruptiven Aufbruch in die Zukunft erwartet. Entschieden ist das noch lange nicht. Dieser Konflikt wird ein Marathon, kein Sprint. Für alle. Selbst für Thailands Gäste.
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