Einsichten und Aussichten Anfangs Dezember 2010
Dart:
„Unterhalte uns lieber mit den furchterregenden Stories, aus einem kleinen, unheimlichen Dorf im Amphoe Hang Dong.“ (1)
Das Dorf ist nicht klein. Es ist auch nicht unheimlich. Die Häuser sind phantasielos kopierte, eng aneinander gereihte billige Bauten aus den
neunziger Jahren, wie sie in ganz Thailand anzutreffen sind.
Im einzigen Haus im Dorf, das aus dem bekannten Rahmen fällt, das Grundstück ist zum Fallen gross genug, sitzt ein schreibender Farang,
von den Frauen Khun Love genannt und Low geschrieben. An dieser Heimsuchung nagt er täglich.
Die Geschichten liefern weder die Häuser noch das Dorf, sondern die Menschen, die hier leben, die hier lebten, nun weggezogen oder verstorben
sind.
Hier weilte zu Beginn des Jahrhunderts einige Jahre ein zweiter Fremder mit seiner angeheirateten Schönen. Er schnappte heimtückisch die
Beste und die Wundervollste aller Lanna Frauen einem Freund aus Australien vor der Nase? weg. Er war so besessen von ihr, dass er nie
bemerkte, dass nicht nur ihre Zähne schief standen.
Er kannte weder den Namen des Dorfes, noch seine Bewohner, bis auf einige krasse Ausnahmen. Da war ein kleines Mädchen, das damals
kaum richtig gehen konnte, aber stürmisch auf einem Moped durch die Strassen fegte. Er fluchte über den frechen Fratz, weil er mit seinem
Kleinlaster Mühe bekundete, Zusammenstösse mit ihr zu vermeiden.
Gleichzeitig besorgte die betriebsame Biene Bier für den Farang und erhielt allemal ein kleines Trinkgeld. Das muntere Bienchen entwickelte
sich zumindest dem Aussehen nach zu einer Königin. Ein Moped benutzt sie wegen ihrem zartem Teint und der aufwendigen Frisur zur Zeit
nicht.
Er kannte die Liebhaber seiner angebeteten Frau nicht. Er wusste nichts von den zahlreichen Spielhöllen in der Nachbarschaft, wohin bereits
kleinste Teile seiner miserable Rente flossen.
Er nutzte seinen Fernseher mit Satellitenspiegel viele Stunden am Tag für Filme und Sport, hauste zwar im Dorf, lebte aber in einer völlig fremden
Welt, mit eigener Kultur und ausländischem Essen.
Geregelten Ausgang nahm er sich fürs Kegeln mit Bier, Golf - danach Bier und am Freitag für das eingehende Studium von Bars, Bier und speziell
der leicht geschürzten Tänzerinnen aus polierter Stangenhaltung.
Die Teilzeit-Gattin unterstützte sein Weltbild, indem sie sich aufs Sofa räkelte, mit Woll- und Bettdecken zugarnierte und die Klimaanlage so
einstellte, dass mir bei seltenen Besuchen die Zähne klapperten.
Ich hatte weder Antennen noch Fernseher und benötigte sie nicht. Während er sich beim Bier elektronisch von Bildern berieseln und erregen
liess, trank und becherte ich mit den Schönen unter dem Sternenhimmel Traubensaft. Meine Filmstars waren die Menschen im Dorf. Ich war
wie ein Kiesel in einem Bachbett, der von den vorüberflutenden Lebewesen bewegt und geschliffen wurde. Viele alltägliche Gegenstände
beinhalteten plötzlich Geschichten.
Die Schnurren und Schwänke beschränkten sich nicht auf das Dorf. Es sind ja Geschichten aus Hinterindien. Sie stammten ebenso aus
Nachbarländern wie Burma, Malaysia, Singapore und von den Gewürzinseln Indonesiens. Es brauchte bloss etwas Zeit, Geduld und ein wenig
Einfühlungsvermögen, bis die Akteure aus ihren Kulissen, dem Dschungel, den Häusern, Tempeln und Dörfern in mein Leben traten.
Es gibt einige Erlebnisse, über die ich nicht schreiben will. Es gibt unerfreuliche Dinge, von denen ich berichten muss. Im letzten halben Jahr
verlor ich durch verschiedene, eher wenig willkommene Ereignisse, den engen Kontakt zu den Bewohnern des Dorfes und in der näheren
Umgebung. Hoffentlich genügt demnächst eine Karaoke Party als Kitt für die Wiederherstellung enger Beziehungen.
Ich schildere eine vergleichbare Situation am Fuss der Voralpen, im Emmental. Wenn einer am Geschwindigkeitslimit durch ein Bauerdorf fährt,
übersieht er die prächtigen, mit Geranien geschmückten, mächtigen Bauernhäuser mit den fast kunstvoll gezopften Misthaufen nicht.
Irgendwo, mehr oder weniger versteckt, steht majestätisch eine alte Kirche. Vielleicht knipst sogar ein eiliger Passant ein Bild, Verweildauer
einige Sekunden.
Man könnte anstelle einer rasanten Durchfahrt zu Hause in Ruhe einen Bildband oder einen Dokumentarfilm ansehen. Das ist doch ähnlich,
denkbar genau so, wie viele Touristen Thailand bereisen und erleben.
Dabei sind die Menschen im Emmental gastfreundlich. Viele Bäuerinnen verkaufen aufs Wochenende frische Backwaren und unverfälschte
landwirtschaftliche Produkte. Ich kehrte öfters mit einem Vierpfünder oder einem Halbmeter Zopf nach Hause zurück. Diese Erzeugnisse sind
haltbar, denn da wird nicht nur Leitungswasser, sondern Vollmilch frisch von der Kuh, verarbeitet.
Einen ersten Eindruck vom Leben im Dorf erhält man unter Umständen erst, wenn man unter einem prächtigen, über hundert jährigen Baum
sitzt und die linden Düfte vom Kuhmist inhaliert. (2) Der betagte Landwirt schmaucht geniesserisch seine Pfeife. Die Bäuerin stellt emsig
hausgemachten, durch Ei und Butter goldgelben, duftenden Zopf, währschaftes Bauernbrot, Emmentaler Käse mit mehr Löchern als Materie und
einen eigenen Most auf das vernarbte Blatt eines rustikalen Holztisches. Anlässlich der Verpflegung erfährt man ganz beiläufig, dass der Hof seit
der x-ten Generation im Familienbesitz gepflegt und geliebt wird. Man vernimmt von den Sorgen mit Kindern und Enkelkindern und den Problemen
mit den fremden Mitarbeitern, die je länger desto weiter herkommen, nun aus Polen und Portugal. Filmriss .....
Anstelle von Apfelsaft gibt es Lao Khao oder schlecht nachempfundenen Scotch. Die Riesengarnelen vom Grill sind nicht ganz ohne Raucharoma und
die meisten Frauen sind mindestens ein bisschen schlanker als die alte Bäuerin aus dem Emmental.
Neue Geschichten gibt es in Massen. Leider sind die wenigsten lustig. Irgendwie herrscht triste Novemberstimmung mit Morgennebeln im Bambus
und in den belaubten Zweigen der Bäume.
(1)
http://forum.thailand-tip.com/index.php?topic=1868.msg151858#msg151858(2)
http://geburtstags-feste.de/gedichte-ludwig-uhland1.html