Lieber Khun mai ru,
ich finde erst soeben deinen Themenbeitrag und ich empfinde deine Fragen als berechtigt. Auch mir ist aufgefallen, dass es unter den Thais eine Witze-Kultur wie wir sie kennen, nicht gibt. Dem bin ich schon vor einiger Zeit nachgegangen, und ich habe meine Gedanken dazu in einem Essay, der vor einem Jahr auch im TIP veröffentlicht wurde, aufgeschrieben.
Das Thema hieß „Gedanken zur Thaierziehung oder Warum Thais keine Witze erzählen“.
Nach meiner vorläufigen Einschätzung ist das intellektuelle Umfeld für zündende und zweideutige Witze zu dürftig in Thailand. Man hat den Sanuk zwar gern, aber das ist mehr so ein Feiern in der Gemeinschaft zum Anwärmen der Thaiseele. Spritzige Witze habe ich von einem Thai noch nie erzählt bekommen und auch noch nie beobachtet, dass sie sie sich untereinander erzählen. Es geht eher um belanglose Begebenheiten, die ihnen nicht normal vorkommen und daher belacht werden. Vom Niveau her also sehr flache Späße.
Aus dem Aufsatz zitiere ich hier auszugsweise ein paar Passagen. Der gesamte Text ist ziemlich lang und beschäftigt sich eingehend mit der Thaierziehung und der hierarchischen Gesellschaftsstruktur und begründet aus diesem Blickwinkel, warum eine uns bekannte Witzekultur hier nicht existieren kann.
Wie in jeder anderen Gesellschaft, so liebt auch die Thai-Gesellschaft den Spaß und das Vergnügen, ja, der Thai-Sanuk ist sogar ein nicht hinweg zu denkender Bestandteil des täglichen Thailebens, er ist nachgerade Motto und Lebenselixier der thailändischen Lebensart. Wenn man diese deprivilegierten Menschen schon an der Ausbildung ihres Denkvermögens hindert und ihnen das Ausleben ihrer Empfindungswelt verweigert, so ist ihnen ihr Flach-Sanuk auf Primitivniveau gleichwohl doch geblieben, welcher vorzugsweise bei reichlich Whisky mit Soda und grell geschminkten Sängerinnen mit viel zu kurzen Röckchen in schlecht beleuchteten Karaokeschuppen ausgelebt wird, wobei es den gefälligen Melodien keinen Abbruch tut, wenn zu vorgerückter Stunde die aus dem Gleis geratenen Sangesweisen mit dem Krächzen von Hahnenschreien und dem Geheule von liebestollen Eseln graduell keine Unterscheidbarkeiten mehr aufweisen.
Mag uns Farangs die eigentümliche Art des Thai-Sanuks auch etwas gewöhnungsbedürftig vorkommen, so lassen wir uns gelegentlich schon mal mitreißen, wenn uns auch jegliche Begeisterung dafür fehlt. Dabei fällt auf, dass der Thai-Spaß keine Witze hervorbringt. Man lümmelt herum, säuft und brüllt dröhnende Weisen ins bebende Mikrofon, aber man erzählt sich keine Witze. Es ist schlicht unüblich. Doch nicht ohne Grund! Der Witz setzt geistige Reflexion und das Verstehen von Doppeldeutigkeiten voraus und der Witz braucht die Fähigkeit, über die eigene Lebenssituation hinaus denken zu können. Witze gedeihen nicht auf intellektuellem Brachland. Witze brauchen den Humus eines gut geölten Verstandes und die Düngung einer unabhängigen Gedankenschar und ab und zu einen süßen Regenschauer voller spritziger Ideen. Finden wir das vor?
Finden wir Interessiertheit an schwer verstehbaren Zusammenhängen und das Bemühen um deren Lösbarkeit vor? Finden wir Interesse an Literatur,Theater oder Wissenschaft vor? Finden wir überhaupt eine wirklich ernstzunehmende Beschäftigung auf Sachgebieten vor, die über „ginkao“ (essen), Lao khao und Karaoke hinausgeht? Finden wir wißbegierig fragende, unermüdlich suchende, gescheit argumentierende und geistreich diskutierende Thais vor?
Es stimmt nachdenklich, wenn während dieser verhängnisvollen Thaierziehung der Gebrauch des Verstandes schon in früher Kindheit regelrecht abgeschaltet worden ist, und aus diesen Menschen stereotyp reagierende Puppen gemacht wurden, gehorsam, ergeben, und zweckmäßig funktionierend, während die geistige Entwicklung der Menschen, die emotionale Prägung und die moralische Reifung dabei auf der Strecke geblieben sind.