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Rachasap, die ‹Hofsprache›

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hmh.:
Die ganz hohe Kultur, so hoch daß kaum einer mehr rankommt

In der  thailändischen hai so: (‹high society›) ist die  ganz hohe indische Wortklauberei und -klimperei seit Jahrhunderten üblich. Gerade dem eigenen Volk gegenüber umgibt man sich nur zu gerne mit der Aura respektheischender, möglichst rätselhafter ‹hoher› und ‹allerhöchster› indischer Begriffe, die eigentlich kein normaler Thai wirklich versteht oder gar erklären kann, die hohen und allerhöchsten Inhaber dieser Namen eingeschlossen.

Obwohl es wahre Zungenbrecher sind, sollen diese Worte aber immerhin für Thais angeblich sehr gut klingen, wenn man sie erst mal auswendig gelernt hat.

Spätestens nach dem Ende der absoluten Monarchie 1932 wurde die Hofsprache, die schon seit König Chulalongkorn veraltet war, nicht mehr gebraucht. Nach dem zweiten Weltkrieg gab es nur noch eine handvoll Menschen, die sie halbwegs beherrschten und noch weniger, die wirklich damit umgehen konnten.

Im Zuge der unter dem (selbst für thailändische Verhältnisse ‹außergewöhnlich korrupten›) Militärdiktator Sarit begonnenen Wiedererhebung alles ‹königlichen› im Lande seit Ende der 1950er Jahre wurde die alten Zöpfe dann aber doch wieder hervorgeholt – und zwar als deutliches und sehr bewußt gesetztes Machtzeichen des Chakri-Clans und seines Umfeldes, das unter Sarit gleichzeitig auch wieder begann, mittels des sogenannten Crown Property Bureau die Kontrolle über das 1932 eigentlich verstaatlichte riesige Familienvermögen zurück zu gewinnen.

Der Grund für die allerhöchste Wiederbelebung der nach 1945 schon so gut wie ausgestorbenen Sprache scheint für kritische Beobachter klar auf der Hand zu liegen: Es ist ja etwas ganz anderes, ob man als aufrechter Bürger einem demokratisch legitimierten Politiker in seiner eigenen Sprache gleichberechtigt gegenübertritt, oder ob man, so man überhaupt jemals vorgelassen wird, sich einem laut Hofpropaganda mit fast übermenschlichen Gaben dargestellten Herrscher am Boden kriechend nähern muß und ihm nur Dinge sagen darf, die mit Hofbediensteten abgesprochen und in eine Sprache übersetzt wurden, die man eigentlich so gut wie gar nicht versteht.

Das interessanteste, erstaunlich wenig bekannte Detail ist dabei folgendes: Die angesprochenen allerhöchsten Persönlichkeiten müssen dieses Sprachrelikt aus dem Leibeigenen-Zeitalter keineswegs beherrschen!

Rachasap, die alte ‹Hofsprache›, war und ist in Thailand nämlich nicht etwa die Sprache, die jemals unter den Mitgliedern des Hofs, also insbesondere in der Herrscherfamilie, verwendet wurde oder wird. Sie war und ist ausschließlich für die Untertanen bestimmt.

Die durften schon in der Leibeigenenzeit bei Audienzen nur auf diese Weise offiziell mit ihren allerhöhsten Herrschern ‹kommunizieren›. Dafür benötigt man selbstverständlich schon im Vorfeld entsprechende ‹hohe› Übersetzer und Vermittler, um überhaupt vorgelassen zu werden und sich sù¿ pâ:b, also ‹der höflichen Form entsprechend› verhalten zu können.

Die hohen und allerhöchsten Mitglieder des Herrscherhauses antworteten ihrem niedrigen Volke dagegen schon immer, wie auch heute noch, in ganz normalem Thai.

© Hans Michael Hensel, Bangkok von Innen, 7. Auflage Juli 2008 und © TIP Führer Bangkok 2008

hmh.:
Preecha Juntanamalaga (keine Ahnung, wie Thais den Zungenbrecher-Nachnamen schreiben): Social issues in Thai classifier usage. (Dissertation) Canberra: Australian National University, 2002.

Inhaltsüberblick:

Ausländer rätseln oft über den in anderen Sprachen nicht vorhandenen und auffallenden Gebrauch der Bestimmungswörter ("Klassifikatoren" - was das genau ist, siehe hier http://forum.thailand-tip.com/index.php?topic=384.0 3. Absatz oben) in Thailand.

Um ein einfaches Beispiel zu geben, sagt man hier zum Beispiel nicht: "Ich will drei Bier", sondern sehr formell "Ich will Bier, drei Flaschen" und schiebt selbstverständlich noch den Höflichkeitspartikel kha oder khrap hinterher. Ganz abgesehen davon, daß man natürlich auch das Lächeln keinesfalls vergessen darf...

In früheren Untersuchungen hat man diese Wörter so gut wie immer als “naturgegebenes” System innerhalb der Thai Sprache angesehen und beschrieben.

Preechas wissenschaftliche Untersuchung schlägt eine andere Sicht der Dinge vor. Sie hält die üblichen Erklärungen für rein akademische Annäherungen, die wichtige Fakten unbeachtet lassen.

Denn diese "Klassifikatoren", wie sie im moderenen Thai benutzt werden, seien zu einem Großteil das Ergebnis eines von der nur aus wenigen Familien bestehenden Oberschicht in Thailand gewollten formellen Trainings des Volkes.

Ohne den seit Jahrhunderten aufgezwungenen Gebrauch von Ratchasap, der Sprache, in der man mit der Oberschicht kommunizieren mußte bzw. ohne die davon abgeleitete "höfliche Alltagssprache", die man auch heute noch in Thailand gegenüber "höhergestellten" Personen anzuwenden hat, wenn man bei ihnen irgendetwas erreichen will, sei der allgemeine Gebrauch dieser zusätzlichen Wörter im heutigen Thai nicht erklärbar.

EMB:
Naja, ich bin natürlich kein Linguist und habe auch die erwähnte Arbeit des Herrn mit dem langen Namen nicht gelesen. Aber wenn die Zählwörter nur im historischen Zusammenhang mit thailändischen "Ratchasap" zu verstehen sein sollen, wie erklärt der Herr dann, dass in praktisch allen Tonsprachen -selbst denen in Afrika und Amerika- sich das gleiche Phänomen -zwingender Gebrauch der Zählwörter oder Klassifikatoren- findet?

Erwin

hmh.:

--- Zitat von: EMB am 28. März 2009, 07:31:28 --- die Zählwörter nur im historischen Zusammenhang mit thailändischen "Ratchasap" zu verstehen
--- Ende Zitat ---

Das kategorische "nur" wurde nicht behauptet, das wäre wohl auch sehr unakademisch...

Aus der kurzen Inhaltsangabe des Autors:


--- Zitat ---Previous studies of Thai classifiers have tended to treat them as a “natural” linguistic subsystem with a high degree of modular uniformity and cohesion. Classifier syntax has thus been stated through context-free generalizations and lexical semantics have been described through a uniform taxonomy, e.g. through binary-feature componential analysis, etc.
Classifiers have been considered a well-formed syntactic class distinct from nouns.

This paper suggests that these approaches are at best academic approximations and they disregard or minimize important facts of sociolinguistic usage. Classifiers as used in modern Standard Thai are partly the result of formal training. In particular, some aspects of classifier semantics and syntax were created in the context of Ra:cha:sap (Thai “royal vocabulary”) or an associated style called “polite language”. These forms and constructions may still be stylistically marked, and can be distinguished, in a loose way at least, from others which form a more basic (or perhaps “natural”) core system.

This paper suggests that the core system can be studied through a combination of sociolinguistic analysis and historical-comparative and acquisitional research.
--- Ende Zitat ---

hmh.:
Die Erkenntnisse von "Preecha Juntanamalaga" (habe noch nicht herausgefunden, wie man den Zungenbrechernamen schreibt; auf Thai Webseiten scheint er gar nicht vorzukommen), scheinen sich auch in verwandten Forschungsgebieten zu verdichten, auch wenn es keine einheitliche Regel für alle Tai (Thai) Sprachen gilt, wie "Somsonge Burusphat" in ihrem Aufsatz Animate classifiers in Tai languages schreibt.

Sie, immerhin, war auf der Seite der Mahidon Universität zu finden: http://www.lc.mahidol.ac.th/th/about-people-detail.php?Id=2521001
Ohne den üblichen Buchstabensalat speziell für uns nicht ernstzunehmende Ausländer  {+ geht der Name
สมทรง บุรุษพ้ฒน์  som? song  bù¿ rùd sà¿ phat  Somsong Burutsaphat

Im International Journal of the Sociology of Language, Heft 186, Seiten 109–124, schrieb sie im July 2007 laut kurzer Inhaltsangabe:


--- Zitat ---This article aims to study animate classifiers in six Tai languages, namely, Central Thai, Lao, Tai Lue, Shan, Bouyei, and Northern Zhuang. The focus is on social factors such as register choice, age, kinship, gender, social standing, and social attitudes as determinants of Tai animate classifiers which are further categorized into human and non-human classifiers.

The data analysis is based on the work of Li (1977) and the continuum model posited by Conklin (1981). It has been found that in the western languages, that is, Central Thai, Lao, Shan, and Lue, social status and social attitudes are the most important factors in animate classifier usage. In addition to these social factors, Lao and Lue also employ gender and age to determine the animate classifier choice. In the easterly Tai languages, that is, Bouyei and Northern Zhuang, age and kinship are the sociolinguistic determinants of animate classifier usage. This study also reveals that each group of languages has its own classifier development.

--- Ende Zitat ---

http://www.reference-global.com/doi/abs/10.1515/IJSL.2007.045

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