Danke für die Ermunterungen! Ich weiß zwar in etwa, was ich als Nächstes schreiben will, aber dann bleibe ich an Formulierungen hängen und muss auch wieder frische Luft an mein Gehirn lassen. Ein Schriftsteller wird es nicht leichter haben.
Zum Verständnis: ich schreibe nicht zur Selbstdarstellung. Da gibt das einfache Leben als Arbeiter und Altenpfleger auch nichts her. Es ist mehr Selbstreflexion und wenn der geneigte Leser neben der Unterhaltung auch zur selbigen gelangt, so ist das gut so.
Also, das Zeugnis hatte für mich keinen Wert, ich wollte nicht studieren und keinen Beruf ergreifen. Ich wollte mein weiteres Leben irgendwo in Indien verbringen. Für die Lehrer und das System empfand ich nur Verachtung. Dabei waren diese ja auch selbst in einem Hamsterrad gefangen, wie ich später erkannte. Ich jedenfalls wollte nach neun Jahren hinter Klostermauern das Leben kennenlernen, hinaus in die Welt ziehen.
Mein Vater weinte sich die Augen aus und versuchte im Gespräch mit anderen meine Entscheidung zu verstehen. Mein Entschluss stand lange fest. Dabei dachte ich auch an Markus 10:29 ("Jeder, der um meinetwillen und um des Evangeliums willen Haus oder Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker verlassen hat,..."). Sechs Monate arbeitete ich noch bei einer Gartenbaufirma, dann fuhr ich nach Amsterdam und flog mit Air India mit einem One-Way-Ticket nach Neu-Delhi. Ein paar Monate vor meinem 21. Geburtstag.


An dieser Stelle über mein Jahr in Indien zu berichten, welche Orte ich besuchte, welche Menschen ich traf und welche Erfahrungen ich machte, würde den Rahmen sprengen. Vielleicht tue ich das mal in einem eigenen Thread. Nach meiner Rückkehr arbeitete ich als Hilfsmesner bei der katholischen Pfarrgemeinde, bevor es mich nach etwas über einem Jahr wieder nach Indien zog. Von dort flog ich nach drei Monaten über Bangkok nach Japan. Wobei wir wieder am Anfang der Geschichte sind.
Aber ich will noch erklären, was mich zur Entscheidung, nach Indien zu gehen, veranlasst hat. Wie gesagt, gab es neben dem Satz meines Vaters noch ein Geschehen, das für mein Leben Richtung gebend war. Es war kein Erleuchtungserlebnis und keine außerkörperliche Erfahrung, aber etwas Ähnliches. Zum Tagesablauf im Internat gehörte es, dass um 16 Uhr der Rosenkranz gebetet wurde, oft in Gruppen über den Hof marschierend. Ich war damals vielleicht 16 Jahre alt und ich hatte mich für diese Viertelstunde in einen kleinen Raum auf der Orgelempore der barocken Kirche zurückgezogen, als mich das Verlangen überkam, Gott sehen zu wollen. Wenn es einen Gott gibt, so will ich ihn jetzt sehen. Nicht erst nach diesem Leben. Meine Seele schrie und flehte und weinte. Nichts auf der Welt erschien mir wichtiger. In den nächsten Tagen zog ich mich immer wieder in diesen Raum zurück, kniete auf dem Betstuhl vor dem kleinen Nebenaltar dort und wünschte mir nichts sehnlicher. In Memmingen besorgte ich mir Räucherkerzen und der Rauch stimulierte meine Sehnsucht noch mehr. Mir wurde bewusst, dass es keinen Sinn machte, irgendetwas zu studieren oder weitere Schritte in diesem Leben zu unternehmen, bevor ich nicht Antworten auf die Frage nach dem Woher und Wohin des Menschen und der Existenz Gottes hatte. Nach einigen Tagen schließlich empfand ich die Gewissheit, dass mein Flehen irgendwann und irgendwie erhört werden wird. Heute weiß ich, dass wir Gott als Menschen nicht sehen, wohl aber hören können.
Die Antworten auf die Sinnfragen des Lebens, die die Kirche gab, waren für mich nicht befriedigend. "Geheimnis Gottes" und "Der Herr hat´s gegeben, der Herr hat´s genommen." beleidigten meinen Verstand. Ich besorgte mir Literatur, las die Geschichte der Philosophie von der Antike bis zur Neuzeit. Beim Verlag Zweitausendeins bestellte ich mir viele Bücher und ging in Buchläden auf die Suche. Ich las neben Büchern über die indischen Religionen von
Glasenapp einige Biographien von indischen Heiligen, wie
Autobiographie eines Yogi von Yogananda und den
Integralen Yoga von Sri Aurobindo. Der Ashram von Sri Aurobindo in Pondicherry dann auch die Hauptanlaufstelle meiner Morgenlandfahrt.
Ich lernte begeistert Leben und Lehren von
Ramakrishna, Ramana Maharshi und Vivekananda kennen und die Wiedergeburt erschien mir logisch und die Einheit allen Seins als die einzig richtige Erklärung. Wenn Gott nicht in dieser Pfütze sein kann, dann ist er nicht vollkommen. Wenn es etwas neben Gott geben kann, dann ist er nicht vollkommen. So sagte ich mir, doch zur Verwirklichung des Erkannten kann oft ein ganzes Leben notwendig sein.
In Winterthur wirkte
Swami Omkarananda im Divine Light Zentrum und ich besuchte ihn ein paar mal mit Klassenkameraden. Alles zu einer Zeit als es kein Internet gab und wir kein eigenes Auto hatten. Er hinterließ einen sehr positiven Eindruck, aber erst als ich eines Abends den Fernsehfilm "Die Reise nach Kathmandu" sah, fiel in dieser Nacht die Entscheidung, die Reise anzutreten zum Mittelpunkt des Lebens.