Die Nichte des Generaldirektors
Anfangs der 1960ger wurde der Klassenunterschied unter den Werktaetigen noch ge-
lebt.
Arbeiter trugen Blaumann,Angestellte weisse Arbeitsmaentel.Arbeiter hatten schlechtere
Kuendigungsbedingungen,bekamen ihren Lohn woechentlich ausbezahlt,Angestellte zum
Ultimo des Monats u.s.w.
Bei der Bally - Schuhfabrik hatten Arbeiter ein Stechuhr zur Kontrolle,Angestellte nicht,dafuer
mussten sie jedoch beim Kommen und Gehen einen Pfoertner passieren,der die Aufgabe hatte,
Zuspaetkommende zu notieren und taeglich die Liste beim Personalchef abzugeben.
Der rief die Langschlaefer zum Rapport,verpasste einen Rueffel und Dauersuendern wurde
schon mal eine Stunde vom Gehalt abgezogen.
Nie wurde deswegen jemanden gekuendigt.Das gab der Arbeitsmarkt nicht her.
Ein Frl.Szinger,die spaeter Frau von Jockstein wurde,hatte den Wunsch,nach Abschluss der
Grundschulpflicht, Krankenschwester zu werden.Dabei gab es das Problem,dass die Aufnahme
in die Schwesternschule erst ab 16 Jahren moeglich war und das hiess,2 Jahre warten.
Ihre Eltern,die zeitlebens nach dem Motto :"Schaffe,schaffe Haeusle baue,Kotz verkaffa,selber
mauser" lebten,empfahlen ihr,sofort eine Arbeit zu suchen.
So fand sich Frl.Szinger bald im Personalbuero der Bally -Schuhfabrik wieder und frug nach
Arbeit.Was,sei ihr egal,denn es sind nur fuer 2 Jahre,dann wuerde sie sowieso ihrer Traumbe-
rufung folgen und ausscheiden.
Sie wurde als Arbeiterin aufgenommen und man wies ihr einen Arbeitsplatz in der Schaefte -
naeherei I zu.
Das war ein Saal mit 100 Frauen,die Schulter an Schulter bei ihren Naehmaschinen sassen
und auf Akkord arbeiteten.Bei manchen Schuhmodellen verdienten sie in gleicher Zeit mehr,
als bei komplizierteren.Dadurch gab es immer wieder Streit und durch das resolute Regime
der Abteilungsleiterin,war das Betriebsklima in der Abteilung permafrostig.
An Freitagen war es oberdrein noch frostiger,da der Generaldirektor seine Inspektion absol-
vierte und vom Dachboden bis in den Keller alles kontrollierte.Er war ein Schweizer und hatte
panische Angst,dass die Fabrik in Flammen aufgehen koennte.
Kurz nach ihren Eintritt in die Firma,kam der Betriebsrat und wollte sie ueberreden,doch Ge-
werkschaftsmitglied zu werden.Sie lehnte mit der Begruendung ab,weil es sich nicht auszahlen
wuerde,da sie ohnehin in 2 Jahren die Firma verlassen werde.
Er hoerte sich das an und machte ihr einen Vorschlag,den sie nicht ablehnen konnte.
Sie solle doch,schlug er vor,eine Lehre fuer einen Beruf beginnen,damit ist die Zeit besser ge-
nuetzt,sie haette einen Berufsabschluss und koenne ja auch noch hinterher Krankenschwester
werden.
Das klang vernueftig und sie sagte zu.Der Betriebsrat verwendete sich bei der Direktion und
bekam gruenes Licht zum Wechseln.
An einem Freitag,nachdem der Generaldirektor die Naeherei inspizierte,frug er nach dem
Frl.Szinger,kam zu ihr,gab ihr die Hand und teilte ihr mit,dass es in Ornung gehe und sie in
2 Monaten die Lehre beginnen kann.
Naechsten Montag war die Arbeitswelt fuer Frl.Szinger in helles Licht getaucht.Die zugeteilte
Arbeiten waren einfach,die Abteilungsleiterin war ploetzlich die Freundlichkeit in Person,die
Kolleginnen gruessten hoeflich u.s.w.
Nach den 2 Monaten war sie in der Finanzbuchhaltung und trug einen weissen Arbeitsmantel.
Ich war inzwischen ebenfalls in die Firma eingetreten und mir gefielen ihre blonden Haare,
die schlanke Gestalt und die unendlich langen Beine,die es wert schienen,sich naeher damit
zu beschaeftigen.
Bald waren wir ein Paar.Wir kamen und gingen zur gleichen Zeit und sassen in der Mittags -
pause zusammen.Das blieb nicht unbeobachtet.
Ich bin ein sehr puenktlicher Mensch und habe mich nur ein einzigesmal im Leben verspaetet.
An jenem verhaengnisvollen Tag,kam ich 20 Minuten zu spaet zum Dienst und erwartete,zum
Rapport gerufen zu werden,um einen gewaltigen Rueffel abzubekommen.
Es wurde 9 h dann 10 h,dann 11 h und niemand rief mich zum Personalchef.Auch am naechsten
Tag geschah nichts und dann vergass ich das Ganze,bis ein Kollege mit angelegten Ohren vom
Rapport zurueckkam.
Wir sprachen darueber und ich erzaehlte ihm,dass meine Verspaetung keinerlei Reaktion her-
vorgerufen hatte.
Er sah mich lange an,dann frug er mich,ob ich den nicht wisse,was die ganze Firma weiss,dass
ich,wegen meiner Liasion mit der "Nichte des Generaldirektors" ein weisser Elefant sei,dem man
nichts zu Leide tut.
Da fiel der Groschen und nuetzte schamlos den unverhofften und auch unverdienten Vorteil aus.
Jock