ThailandTIP Forum

Thailand-Foren der TIP Zeitung => Mein Tagebuch => Thema gestartet von: Khun Han am 21. Februar 2022, 20:16:59

Titel: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 21. Februar 2022, 20:16:59
Ich glaube, dass die Seelen wissen und darauf vorbereitet werden auf das, was sie in der neuen Inkarnation erwartet, welche Aufgaben sie erfüllen sollten und mit welchen Menschen sie zusammentreffen werden. Das Leben hat einen Sinn und wer dies spürt und versucht, dem gerecht zu werden, der wird auch zufrieden sein. So blicke ich als alter Mann zurück auf viele Begegnungen und Geschichten und die Wege, die ich gegangen bin. Ich habe manche wichtige Entscheidungen getroffen – nach Indien zu gehen, und das zweimal, nach Japan zu fliegen, in der Fremde zu heiraten, mit 40 einen Beruf zu erlernen und mit 55 auszuwandern – und diese Entscheidungen habe ich jeweils in einer Nacht getroffen.

Diese Überlegungen und Geschichten will ich hier teilen und ich hoffe, ich werde nicht zu langatmig und langweilig. Einsteigen will ich zu der Zeit, als ich das erste Mal nach Thailand kam und dabei meine Frau kennen lernte. Es war der 1. Mai 1975, der Vietnamkrieg ging gerade zu Ende und in Kürze würde ich 23 werden. Ich kam aus dem verregneten, dreckigen und überbevölkerten Kalkutta und hier in Bangkok schien immer die Sonne, es duftete herrlich nach Blumen und gebratenen Bananen und die Menschen waren so freundlich. Ich fühlte mich im Paradies.

Ich hatte in Kalkutta einen Flug nach Tokyo gebucht und da war eine Woche Aufenthalt in Bangkok mit dabei. Ich wünsche, ich hätte Tagebuch geführt, denn nicht alle Zusammenhänge sind mir mehr gegenwärtig. Man muss sich sowieso fragen, wie man damals ohne Handy und GPS ans Ziel kam oder sich mit Leuten verabreden konnte. Man schrieb damals eben Briefe, oft sog. Aerogramme, und ich bin froh, dass meine Eltern meine Briefe aufbewahrt haben. Ich war also das 2 Mal nach Indien geflogen, weil ich wieder bei Yogi Ramsuratkumar sein wollte, der damals noch keinen Ashram hatte, sondern in Tiruvannamalai auf der Straße lebte. Heute kann man über viele der Menschen, die ich in Indien und Japan getroffen habe, im Internet nachlesen. An diesem Ort am hl. Berg Arunachala hatte ich in der Bibliothek des Ashram von Ramana Maharshi über Zen gelesen und gedacht, dass dies nun fortan mein Weg sei. Das amerikanische Ehepaar, mit dem ich gemeinsam fliegen wollte, kam nicht, und so ließ ich mir in Kalkutta noch einen Studentenausweis machen und ich bekam die Adresse eines jungen Mannes aus Tokyo, der auch mal in Indien war.

(https://up.picr.de/43068812xy.jpg)

Am Don Muang suchte ich mir das Miami Hotel aus und ließ mich hinbringen. Mit Vergnügen streifte ich nun zu Fuß durch die vielen Straßen. Es gab keine Autobahnen und das Dusit Hotel war das höchste Gebäude der Stadt. In Chinatown trat ich in ein Kino und schaute mir den Film von den fliegenden Guillotinen auf Chinesisch an. In den Coffeeshops konnte ich Musik hören und essen. Mit Bart und langen Haaren war ich ein Hippie, der nicht weiter auffiel. Als ein Cabrio mit 2 Schönheiten neben mir hielt und sie mich einluden mitzufahren, stieg ich ein. Sie warfen sich anerkennende Blicke zu, als sie zwischen meine Beine griffen. Wir fuhren in ein einfaches Hotel, wo sie mich auf das Bett platzierten und sich abwechselnd an meinem besten Teil zu schaffen machten. Zwischendurch ging auch eine mal zur Toilette. Nachdem sie mich beglückt zurückließen, stellte ich fest, dass mein Geldbeutel leer war. Bis auf 100 Baht und das fand ich sehr anständig. Ich ging die Straße hinunter und ließ mich in einem Tempel nieder. Eine Familie saß dort und bot mir eine stachelige Frucht an, die ich nicht kannte. Der Vater schnitt sie mir auf und ich war mit Thailand und der Welt zufrieden.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: AndreasH am 21. Februar 2022, 21:52:38
Sehr schöner Beitrag. Ich hoffe Du schreibst noch mehr ;}
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Raburi am 22. Februar 2022, 11:22:45

Hallo Khun Han
Ich freue mich auf weitere Beiträge in deinen Tagebüchern.  }}

Sehr gut geschrieben.  [-]
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 22. Februar 2022, 20:07:08
Ein Hotelboy fragte mich, ob er mir am Abend eine Frau auf das Zimmer schicken solle. Ich hörte mich nicht "nein" sagen. Es kam ein nettes, junges Mädchen. Sie hieß Deng. Nein, nicht meine Frau. Nach 9 Jahren hinter Klostermauern, d.h. Internatsschule eines katholischen Ordens, und nach monatenlangen Reisen allein durch Indien war ich selig, ein weibliches Wesen neben mir unter der Bettdecke zu haben. Da sagte sie: "Why not make love?". So kam ich zu meinem Ersten Mal.

Das wollte ich natürlich wiederholen. Zu ihrer kleinen Bar musste ich nur die Sukhumvit überqueren und über Felder und ein Bahngleis stapfen. Damals war noch nicht alles zugebaut. Sie war einverstanden und wir verbrachten wieder eine Nacht zusammen im Miami Hotel. Als ich jedoch anderentags wieder zu der Bar kam, wurde mir mitgeteilt, sie sei zu ihren Eltern auf´s Land gefahren. Enttäuscht begab ich mich zu einem Coffeeshop in der Nähe des Hotels, wo ich vermutete, dass die Mädchen dort auch mit Ausländer mitgingen. Mir wurde eines empfohlen, aber irgendwie erschien mir das Gesicht zu eckig und mein Blick fiel auf ein Mädchen hinter ihr. Sie nannte sich Uud, später schrieb sie den Namen als "Hood", und obwohl sie einige Male sagte, sie wolle heim zu ihrer Mutter, blieb sie die ganze Nacht. Ohne die damals üblichen hohen Schuhe war sie klein und als sie Kleid und BH ablegte, kamen kleine Brüste zum Vorschein. Aber das war mir gerade recht.

Ich sprach kein Wort Thai und sie nur einige Worte Englisch, die ihr ihre Schwägerin beigebracht hatte, aber dennoch verstanden wir uns irgendwie und sie teilte auch die folgende Nacht mit mir, meine letzte in Bangkok. Ich weiß nicht mehr, ob sie mich zum Flughafen begleitete, jedenfalls gab sie mir ihre Adresse und ich versprach, ihr zu schreiben.

(https://up.picr.de/43068813iw.jpg)
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 03. März 2022, 18:18:42
Auf Japan war ich nicht vorbereitet. Meine Absicht war in ein Zen-Kloster einzutreten und ich hatte nur zwei Adressen in Tokyo, die eine von Hideji Oyama, die ich in Kalkutta erhalten hatte, und die von P. Gereon Goldmann, die mir meine Eltern in einem Brief mitgeteilt hatten, als ich sie über meine Reise informierte. Hideji war ein junger Mann, der mal mit seinem Cousin in Indien gewesen war, und P. Goldmann war ein Franziskanerpater, den meine Oma durch Spenden unterstützte.

Mit dem Zug fuhr ich in die Stadt, wo ich in einem winzigen Hotelzimmer übernachtete. Die Nasszelle kam mir wie eine Flugzeugtoilette vor. Am Morgen durchstreifte ich die Straßen Tokyos und ich hatte Mühe, zum Hotel zurückzufinden, was mir in Bangkok, Kalkutta oder Benares nie passierte. Ich rief Hideji an und wurde gleich von der Familie abgeholt, die mich wie einen Sohn aufnahm und behandelte. Leider hatte ich keine Ahnung von japanischer Kultur. Ich wusste die Teezeremonie, die der Vater mir zu Ehren durchführte, nicht richtig zu schätzen, und ich befürchte, ich habe mich anstatt vor dem heißen Wannenbad in dem selben mit Seife gewaschen. Ungewohnt aber gut fand ich das Essen, wir besuchten ein Okonomiyaki- und ein Sushi-Restaurant. Die Familie machte mit mir einen Ausflug nach Kamakura, wo wir den Kōtoku-in Tempel besuchten, dem großen Daibutsu die Ehre erwiesen und im Tempel picknickten. Und wir bewunderten die Aussicht auf dem damals höchsten Turm Tokyos.

(https://up.picr.de/43129025ey.jpg)
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: schiene am 21. März 2022, 05:21:27
Wann geht's weiter?
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 21. März 2022, 10:00:07

Es wurde ein Kloster etwas außerhalb Tokyos gefunden, das Ausländern die Möglichkeit bot, Zen zu praktizieren. Dass ich aus Indien kam, war wohl ein Türöffner. Wie gesagt, die Geschehnisse liegen 47 Jahre zurück und ich erinnere mich nicht mehr an alle Zusammenhänge. Jedenfalls gab es da am Nachmittag, nachdem ich Quartier bezogen hatte, die Gelegenheit zur "Freien Meditation". Ich nahm meinen Platz in der Meditationshalle ein, aber als ich meine Sitzposition änderte, stieß der Aufsicht führende Mönch einen Schrei aus, der mir durch Mark und Bein ging und mich fortan regungslos machte. Niemand gab mir eine Einweisung, weder zu Zen noch zu den Tagesabläufen und so hatte ich Mühe beim Abendessen mitzuhalten beim Befüllen lassen und Reinigen der einzelnen roten Eßschalen.

Ich setzte mich zu den anderen in der Meditationshalle. Ich weiß nicht mehr, wie ich versuchte zu meditieren. Zwei Jahre zuvor hatte ich in Madras bei Goenka einen Kurs in Vipassana-Meditation absolviert. Nun lief ein Mönch die Reihen ab, einen langen Stock vor sich hertragend und er blieb gelegentlich vor einem Meditierenden stehen und korrigierte durch jeweils zwei Schläge auf jede Schulter die Sitzhaltung. Als mein Sitznachbar durch Verbeugen um die Aufmunterung bat und krachend die Hiebe auf ihn niedergingen, sagte ich mir: Das ist nicht mein Weg zur Erleuchtung! Und bei der nächsten Pinkelpause kehrte ich nicht mehr an meinen Platz zurück.

Ich war auf einem fremden Planeten gelandet. Nicht nur die Kleidung und die Sprache waren ungewohnt, man konnte nicht mal eine Tür hinter sich zumachen, Schiebewände öffneten sich mal zu dieser Seite, dann zur anderen. Am anderen Tag konnte ich mit einem Mann in die Hauptstadt zurückfahren.

Das Kloster unterstand dem Zenmeister Omori Sogen. Später besuchte ich ihn in seiner Residenz in Tokyo. Er empfing mich in vollem Ornat. Ein junger Amerikaner dolmetschte. Von dem Gespräch weiß ich nur noch, dass ich sagte. "Ich suche den Neuen Menschen." Die Antwort des Meisters: "Sei es selbst!"
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 22. März 2022, 16:02:55
Da war ich nun, fern von der Familie in einem fremden Land, ohne genaue Aussicht für die Zukunft, und fühlte mich dennoch nicht unwohl, denn ich war voll Vertrauen in den höheren Plan. Die nächsten Wochen fand ich Unterkunft bei P. Gereon Goldmann, in seiner Gemeinde im Stadtteil Itabashi. Dieser Mann hatte während des Krieges viel erlebt und hatte viel für die Menschen in Japan geleistet, wofür er auch später vom Kaiser ausgezeichnet wurde. Es gab da eine Kirche und ich hatte nebenan im Pfarrhaus bei einigen Franziskanerpatres ein Zimmer für mich allein. Zur U-Bahn-Station war es nicht weit und von hier aus erkundete ich die Stadt und besichtigte einige Tempel und Sehenswürdigkeiten. "Simasen! Entschuldigung!" war ein Wort, das ich oft gebrauchte, wenn ich nach dem Weg fragte. Kyoto und den Fuji wollte ich auch noch sehen. Und das alles ohne Handy und Internet. P. Goldmann brachte mich zum Ausspannen nach Karuizawa, wo ich in einem während der Ferien leeren Schulungszentrum wohnen konnte und vom Hausmeisterehepaar versorgt wurde. Die Bedeutung des Ortes, besonders für christliche Ausländer, war mir damals nicht bekannt. Ich erinnere mich nur an den großen Saal mit den Doppelbetten, in dem alles aus Holz war. P. Goldmann führte mich auch zu P. Hugo Enomiya Lassalle, der wohl damals schon Weltruf hatte. Dieser wollte mich davon überzeugen, dass alles, was ich suchte, ebenso in der katholischen Religion zu finden sei. Dem konnte ich nicht zustimmen.

Mit dem Shinkansen fuhr ich zum Fuji. In einer Stadt am Fuße des Berges wohnte ich drei Tage in einem Ryokan, einem traditionellen Hotel. Inzwischen genoss ich das Leben in Japan, die Menschen sind zuvorkommend und Essen bestellen ist einfach, die Speisen sind ja in Wachs ausgestellt. Mit dem Bus ging es zur Talstation des Berges. Ein Schweizer begann mit mir den Aufstieg, aber er lief schneller als ich und ich weiß nicht, ob ich den Aufstieg ohne die Dose Sake geschafft hätte, die ich zuvor aus einem Automaten gelassen hatte. Vier Stunden brauchte ich hoch und zwei runter.

Ich unternahm noch eine geführte Busreise um den Berg herum und bestieg wieder den Shinkansen nach Kyoto, wo ich die berühmten Tempel und Zengärten besichtigte. Unterkunft fand ich in einem Guesthouse, in dem einige Ausländer abgestiegen waren. Da lauschte ich dann den Erzählungen vom Mönch sein in Thailand und von den thailändischen Frauen. Ich hatte schon einen Brief an Hood geschrieben und auch eine Antwort erhalten. Sie schrieb, d.h. eine Freundin tat das für sie, dass sie mich auch liebte, nicht mehr arbeitete und die Familie Geld bräuchte. Mein Entschluss stand fest: Entweder werde ich buddhistischer Mönch in Thailand oder ich ziehe mit der Frau, die ich kennen gelernt hatte, durchs Land.

P. Goldmann teilte mir mit, dass er mich nicht mehr bei sich wohnen lassen konnte, nachdem ich zwar zur Kommunion ging, aber nicht zur Beichte angetreten war. Ich machte von meinem falschen Studentenausweis Gebrauch und wohnte noch einige Tage in einer Jugendherberge, bis ich in den Flieger zurück nach Bangkok stieg.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 22. März 2022, 18:59:17
Anmerkung 1.
Wer Zeit und Interesse hat, kann nach den genannten Personen googeln. Die Lebensläufe von Goenka, P. Gereon Goldmann, P. Hugo Enomiya Lassalle, Omori Sogen und anderen Personen, die ich in Indien kennenlernte, sind vielleicht nicht uninteressant.

Anmerkung 2.

(https://up.picr.de/43245757gm.jpg)

Mit Hideji hatte ich noch Briefkontakt von Thailand aus und auch noch von Deutschland. Das Bild zeigt uns mit den Eltern beim Picknick in Kamakura. Ich habe es eben mit einer foto scanner app von einem Foto aufgenommen. Als ich mir vor einiger Zeit eine 4. HD zugelegt hatte, wollte ich alle gespeicherten Fotos auf einer zusammen führen und habe dabei irgendwie einige Tausend Bilder gelöscht. Mit Ashampoo Getback konnte ich viele retten, muss sie aber nun wieder sortieren. Ich habe viele Papierbilder (auch eines, das mich auf dem Gipfel des Fuji zeigt), die ich jetzt einscannen möchte. Mit der App geht das zwar ganz gut, aber einfacher wäre es mit einem Scanner. Ich habe zwar einen mit nem Drucker, aber der PC dazu müsste erst wieder eingerichtet werden. Ein neuer Scanner/Drucker, den ich am Notebook anschließen kann, würde mindestens 3 500 Baht kosten, wobei ich keinen Drucker brauche oder will. Ob auch Fotogeschäfte das Einscannen übernehmen?

Anmerkung 3.
Meine Frau und ich sind richtige Japan-Fans geworden. Nicht nur dass wir einmal in der Woche im Fuji essen (fast immer dasselbe), denn nur da kann sie sich richtig satt essen, sie kocht auch gern japanisch. Wir haben eine Unmenge an Japan Artikeln, CDs und Geschirr mitgebracht, auch Bücher über japanische Küche und Gärten, die ich irgendwann mal wieder lesen wollte, wenn ich Zeit dafür als Rentner hätte, dazu die Tatamimatten und -kissen, die wir vor vielen Jahren im Isetan, das sich früher neben dem Central World befand, gekauft, umständlich verpackt, nach Deutschland verschickt und im Teehaus in unserem Japangarten ausgelegt hatten. Und auch den Steinbrunnen, die Oribe-Laterne und eine weitere Steinlaterne, die unseren Japangarten mit Koiteich schmückten, haben wir im Container mitgenommen.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Bruno99 am 22. März 2022, 19:43:19
... wollte ich alle gespeicherten Fotos auf einer zusammen führen und habe dabei irgendwie einige Tausend Bilder gelöscht.

Hoffe, du stellt von den wiederhergestellten Bilder so das eine oder andere hier auch noch rein.

Vielleicht hast du diesen Thread bereits entdeckt, wenn nicht... viel Spass:

https://forum.thailandtip.info/index.php?topic=20048.msg1288258#msg1288258
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Sumi am 22. März 2022, 20:19:37
Khun Han

Ich lese Du hast in Japan gelebt, darf ich fragen wie lange und wo.
Einer meiner besten Freunde lebte dort 20 Jahre, sein Vater leitete das Goethe Institut in Tokio, seine Mutter war Lehrerin, ebenfalls da tätig.

Mein Freund spricht japanisch in Wort und Schrift nahezu perfekt, habe sehr viel von ihm gelernt über die jap. Kultur und Tradition.
Lebt jetzt aber seit 20 Jahren wieder in D, Nähe meiner Heimatstadt, wir stehen fast alle 2 Tage in tel. Verbindung.

Gruß Sumi
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 22. März 2022, 22:00:54
In Japan gelebt - ist zuviel gesagt. Ich war dort zwischen Anfang Mai bis Anfang Juli 1975, war dort nicht im Urlaub und habe nicht gearbeitet, ich war auf der Suche nach Erleuchtung. Meine Eltern musste ich immer wieder in Briefen bitten, mir Geld zu schicken. Es war wohl Karma, dass ich über diesem Umweg zu meiner Seelengefährtin in Thailand finden musste. In Ländern, die uns anziehen, haben wir vielleicht auch früher mal gelebt.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Sumi am 22. März 2022, 22:43:39
@Khun Han

Entschuldige die vielleicht etwas indiskreten Fragen, ich war der Annahme Du lebtest dort längere Zeit, es hätte ja sein können, auf Grund Deiner Aussagen und den vielen Bildern, die Du hast/ hattest.
Hätte ja sein können, daß Du das Goethe Institut kanntest, und möglicherweise auch meinen Freund, denn der angegebene Zeitpunkt würde passen.

Naja, auf jeden Fall kennst Du Japan besser als ich, ich habe schon sehr viele Länder bereist, aber Japan war leider nicht dabei.

Gruß Sumi
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: namtok am 24. März 2022, 15:38:55
Würde ich sehr empfehlen, auch wenns bisher mit Abstand per Ausgaben im Tagesschnitt teuerste Auslandstrip war (vor 30 Jahren).

Wobei ich bei Dir nicht den Eindruck habe dass es an den Finanzen scheitert...  :-)
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Sumi am 24. März 2022, 16:49:24
@namtok

Glaube ich Dir gerne, daß Japan eine Reise wert ist.

An den Finanzen würde es sicherlich nicht scheitern, da vermutest Du richtig, habe es versäumt Japan mal in jüngeren Jahren zu bereisen.
Jetzt im ALter ist es mir, ehrlich gesagt zu stressig. Es gäbe da für mich viel zu sehr interessantes zu sehen, bestaunen und zu bewundern, da würde 1 Reise wahrscheinlich gar nicht ausreichen.

Aber Du scheinst ja dort gewesen zu sein, und Deinen Worten zu entnehmen hat es Dir sehr zugesagt, oder irre ich mich da ?
Was hat Dich am meisten beeindruckt, bzw. gefallen ?

Mein Freund berichtete mir aber, daß das allgemeine Leben dort nicht teurer ist als bei uns.
Nur wenn man in spezielle Restaurants geht, und Fleischgerichte wie z.B. " Kobe " Steaks  etc. sich mal gönnt.

Mein teuerstes Urlaub war mal 3 Wochen in USA, 2 Wochen der Südwesten mit Las Vegas ( ohne Spielen ), und 1 Woche Hawaii, Waikiki, der kostete mich für 2 Personen 15.000,-- €., alleine Hawaii kostete mir für 10 Tage 8.500.-- €.

Viel mehr kann auch Japan nicht kosten, bei normalen Ansprüchen. [-]


Gruß Sumi
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 27. März 2022, 20:19:21
Es folgten ein paar Wochen voll glücklicher Zweisamkeit und seliger Leichtigkeit. Ich stieg wieder im Miami Hotel ab und gab dem Taxifahrer Hoods Adresse. Er hatte Schwierigkeiten, die kleine Straße an einem Kanal in Bangsue zu finden. Vor dem Holzhaus saßen die Eltern und ein paar Kinder. Ich weiß nicht mehr, wie die Kommunikation funktionierte, aber sie wollten Deng, das war und ist ihr wirklicher Spitzname, zu mir ins Hotel schicken, wenn sie käme.

Von der politischen Situation in diesen Tagen wusste ich nichts, aber ich denke das Leben war irgendwie genügsamer, einfacher. Es herrschte vielleicht eine Art Hippie-Feeling, jedenfalls was die Musik und die Mode betraf. Wir rauchten beide Zigaretten, Deng bis heute, und manchmal auch etwas Ganja. Zigaretten konnte man einzeln beim Straßenhändler kaufen, Cola trug man in der Tüte umher, der Kaffee war ungenießbar. Alkohol trank sie keinen, damit fing sie erst Jahre später an. Wir hielten uns gerne in den damaligen Kaufhäusern auf, besonders im Central Chidlom und dem Central Silom und sehr gerne im Thai Daimaru (sprich: thaidemalu). In allen gab es saubere Restaurants. Wir gingen auch in Massagesalons, wo die Mädchen mit Nummern hinter einer Scheibe auf Stufen saßen. Mit der gewählten Nummer ging man auf ein Zimmer, wo man gebadet und geknetet wurde. Es gab auch Sandwich-Massage, also zwischen zwei Mädchen liegend, oder "Because"-Massage, bei der man auf einer Luftmatratze kräftig eingeseift wurde. Wir sahen uns auch "Pink-Ponk-Shows" und dergleichen an. Wir verbrachten ein paar Tage in Pattaya im Sea View Hotel an der Beach Road, das einen Schwimmingpool hatte und einen Beo, der immer sagte, dass ihm das Herz wehtat.

Um das Geld für das Hotel zu sparen, zog ich bei der Familie ein. Die Haus war eigentlich nur ein großer Raum, in dem geduscht, gewaschen, gegessen und geschlafen wurde, zusammen mit den Hühnern. Durch die Bodenbretter fiel der Abfall in den Khlong. Die Eltern und Geschwister schliefen im Haus nebenan, das der Mia Noi zu gehören schien, die damals schon eine alte Frau war. Wir versuchten unter dem Moskitonetz keinen großen Lärm zu machen. Ich hatte einen Kassettenrecorder und vor dem Hinlegen hörten wir stets Paul Anka´s "I Don't Like to Sleep Alone", unser Lieblingssong bis heute. Manchmal schliefen wir eine Nacht in einem Stundenhotel.

(https://up.picr.de/43271337ms.jpg)

(https://up.picr.de/43271336ty.jpg)


Deng hatte einen älteren Bruder, dessen Frau und drei Kinder auch hier wohnten, und 4 jüngere Brüder, sowie eine Schwester. Eine Schwester war der Tante "geschenkt" worden, die bereits 2 Söhne hatte. Ein kleiner Junge von 3 Jahren wurde mir als Dengs Sohn vorgestellt, dann war er es mal wieder nicht. Dass sie noch einen zweiten Sohn hatte, erfuhr ich erst Jahre später. Ihre Frage beim Essen: "Aroi mai, Luk?" gehört zu meinen ersten Spracherfahrungen.

(https://up.picr.de/43271334nb.jpg)

(https://up.picr.de/43271332qv.jpg)
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 31. März 2022, 17:10:32
"I love you! Never mind you no love me!" Obwohl ich wusste, dass der häufig ausgesprochene Satz antrainiert war, wollte ich ihn nur zu gerne glauben. In der Tat entwickelte sich unsere Liebe mit den Jahren. Zuerst mag es Verliebtheit gewesen sein, wir passten zusammen, hatten die gleichen Gedanken und Interessen und doch verband jeder von uns seine eigenen Vorstellungen mit der Entscheidung, von nun an gemeinsam durchs Leben zu gehen. Deng wollte zur Versorgung der Familie beitragen und wie sie später gestand, einfach mal Deutschland kennenlernen. Für mich bedeutete es, nicht mit leeren Händen nach Hause zu kommen. Ich erkannte in ihr aber auch alles Weibliche, sie war mir Freundin und Schwester, Geliebte und Gattin, sie war spontan und fröhlich und auch fürsorgend wie eine Mutter.

Ich schrieb meinen Eltern, dass ich hier eine Frau kennengelernt hatte und sie heiraten wollte. Mein Vater schrieb zurück, dass es im Leben noch mehr gab als die Freuden der Liebe und mit der Ehe das süße Leben des Alleinseins enden würde. Es gäbe auch in Deutschland schöne Frauen, aber ich sei alt genug um zu wissen, was ich täte. Dengs Familie war mit mir und der Entscheidung einverstanden, nur der älteste Bruder behandelte mich etwas spöttisch herablassend. Für Dengs Vater war es nicht leicht, sie gehen zu lassen, wie er mir später in einem in Englisch geschriebenen Brief mitteilte. Sie war sein Lieblingskind. Davon gleich mehr. Zuerst noch eine Anekdote: wenige Tage nach unserer Eheschließung waren wir nochmal im Chao Phraya Massagesalon. Ich wählte die Nummer 333 und begann den Fehler, mich von ihr verführen zu lassen. Und diese hatte nichts Besseres zu tun, als meinen Fehltritt brühwarm meiner Gattin zu erzählen. Da herrschte Heulen und Zähneknirschen. Die ganze Kinderschar weinte laut den ganzen Abend. Nachdem mir Deng die Entscheidung des Vaters überbracht hatte: "One time never mind!", war alles wieder gut.

Was ich über Dengs Vergangenheit weiß, erfuhr ich nach und nach. Ihr Vater war einmal angesehen in der Nachbarschaft. Sie besaßen ein größeres Haus mit einem Garten, in dem sogar ein Gibbon an einem Baum angekettet war. Der Vater war Zimmermann und errichtete und reparierte die Holzhäuser. Durch Nachlässigkeit bei der Arbeit und wegen seinen Nebenfrauen verlor die Familie aber Status und Vermögen. Deng spielte die üblichen Spiele der Kinder auf der Straße, Steinchen hochwerfen und fangen, Puppenkleider aus Papier basteln und in Socken Tee filtern. Es gab einen Fernseher in der Nachbarschaft, wo die Kids Dick und Doof anschauen konnten.

(https://up.picr.de/43245738xc.jpg)

(https://up.picr.de/43245736qz.jpg)

(https://up.picr.de/43245741ll.jpg)

In die Schule ging sie nicht gern, außer wenn Gärtnern, Einkaufen auf dem Markt und Kochen auf dem Plan standen. Sie lies manchmal die Schultasche aus dem Fenster fallen und kam vom Holen nicht mehr zurück. Ihre Mutter hängte ihr einmal Schild um den Hals, auf dem Schulschwänzerin stand. Vor dem Ende der 5. Klasse "entließ sie sich selber". Sie half ihrer Mutter auf dem Markt selbstgemachte Süßigkeiten zu verkaufen und fand eine Stelle als Fahrkartenverkäuferin in Militärbussen. Ihr Vater holte sie dabei oft ab und überraschte sie mit Geschenken, darunter auch mal eine Goldkette, die sie aber bei Pferdewetten wieder verlor.

Sie heiratete, bekam mit 20 den ersten Sohn, Pok, und 12 Monate danach den zweiten, Geo. Ihr Mann verließ sie mit einer Anderen und nahm Geo mit, der fortan bei der Schwiegermutter aufwuchs. Ich habe diesen Mann 13 Jahre später kennengelernt, als er in die Adoption einwilligen musste. Er besuchte uns auch einmal nach der Auswanderung. Er lebt in den Bergen bei Chiang Mai, Geo hat noch Kontakt zu ihm. Nach der Trennung half Deng wieder ihrer Mutter auf dem Markt. Die Exfrau ihres älteren Bruders zeigte ihr dann, wie man anders Geld verdienen kann und brachte ihr etwas Englisch bei. Kurz darauf begegneten wir uns.

Deng wuchs also in einfachen Verhältnissen im Nachkriegs Bangkok auf, bis 1968 konnte sie da übrigens noch mit der Straßenbahn fahren, Holzklasse natürlich. Sie hat zwar Mühe Texte schnell zu lesen, etwa im Fernsehen, aber sie besitzt eine natürliche Intelligenz, kann Menschen und Situationen schnell erfassen, ist vollständig über alles informiert, auch indem sie beim Arbeiten in der Küche mit einem Ohr die Nachrichten mithört. Sie kann nicht Deutsch lesen und schreiben, weiß sich aber mit den Buchstaben zu helfen. Sie hat ein unglaubliches Gedächtnis, sie vergisst nie, wo etwas gekauft wurde und was es gekostet hat. Sie hat die Fähigkeit, Menschen für sich zu gewinnen, hat überall Freunde, ist freigebig und liebt ihre Pflanzen über alles. Kochen ist ihre Leidenschaft und sie ist dabei und überhaupt immer bereit, Neues zu lernen und zu versuchen. Sie ist religiös, rennt aber nicht in die Tempel und gibt lieber Bedürftigen als den Mönchen. Sie glaubt auch an Jesus und Maria, wie sie es bei meiner Familie kennengelernt hat, und hält ein kleines Holzkreuz, das mein Vater aus der Kriegsgefangenschaft mitgebracht hat, in großen Ehren. Immer wenn ich ihr meine spirituellen Erkenntnisse mitteile, sagt sie, das weiß sie schon längst. Sie sei in der Schule des Lebens in der 3. Klasse, ich erst in der ersten. Ich widerspreche ihr da nicht.

(https://up.picr.de/43245716gp.jpg)

(https://up.picr.de/43245760dq.jpg)
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 01. April 2022, 16:01:29
Das letzte Bild ist auch das Bild in ihrem damaligen Pass. Der war 2 Jahre gültig, der in Bonn ausgestellte neue dann 5 Jahre. Wie an anderer Stelle gesagt, wir hatten einen Mann engagiert, der uns bei der Passbeschaffung half und der uns zum Standesamt brachte, ohne dass wir davor von dem Hochzeitstermin wussten. Visum war nicht nötig, die Eheschließung wurde von der Deutschen Botschaft weiter gemeldet. Aber irgendeine Impfung musste sie noch haben.

Wir kauften in einem Kaufhaus in Banglampoo einen stabilen Koffer und ließen in Pratunam ein paar Kleider nähen. Das war damals üblich, auch in den ersten Urlauben nahmen wir Seiten aus Katalogen mit und ließen danach schneidern. In ihrem dünnen, blauen Kleidchen fror sie ein wenig beim Umsteigen vom Zug aus Frankfurt ins Allgäu. Auf dem Flug über Moskau mit der Aeroflot hatten stämmige Stewardessen Äpfel als Nachtisch ausgeteilt. Mein Vater holte uns mit dem Auto eines Nachbarn am Bahnhof ab. Als er sich von diesem verabschiedete, wusste Deng, dass ihr Schwiegervater nicht mit seinem Chauffeur vorgefahren war.

Die Anfänge in der alten Heimat waren natürlich bescheiden. Wir wohnten in einem kleinen Zimmer bei meinen Eltern und schliefen in einem kleinen Bett. Ich hatte ja weder Beruf noch Ausbildung. Bei uns um die Ecke gab es ein privates, von einem Ehepaar geleitetes Altenheim, wo wir zunächst Beschäftigung fanden, ich in der Pflege und Deng in der Küche. Sie weinte, als sie den Auftrag erhielt, da die Straße zu kehren. Das hatte noch niemand von ihr verlangt. Aber es machte ihr Freude beim Kochen zu helfen und die Chefin, die Beziehungen in die Politik hatte, wollte, dass ich Altenpflege erlerne. Dazu hätte ich aber nach Freiburg müssen. Siebzehn Jahre später begann ich die Ausbildung dazu im Städtle selber. Das Ehepaar half uns aber Arbeit zu finden. Wir begaben uns dazu nach Hinterstein bei Hindelang.

(https://up.picr.de/43245726wz.jpg)

(https://up.picr.de/43245727ph.jpg)

(https://up.picr.de/43245734ep.jpg)
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 10. April 2022, 16:50:50
Hoffentlich langweile ich nicht mit diesen Geschichten aus längst vergangenen Zeiten und den vielen privaten Details. Sollte dies nicht zum Stil und Geist des Forums passen, bin bereit ohne weitere Diskussion damit aufzuhören.

Bevor ich aber beschreibe, wie es uns bei der Arbeit im Kurhotel in Hinterstein erging, wie sich unsere Beziehung entwickelte und was wir sonst noch in den nächsten 32 Jahren bis zu unserer Auswanderung erlebten, muss ich zum besseren Verständnis ganz offen über mich selbst schreiben.

Wenn ich zurückblicke, so sind es zwei Geschehnisse, die meinem Leben Richtung und Antrieb gaben. Mein Vater sagte manchmal halb im Scherz: "Das Leben ist ein Schwindel." Dass dieser gestandene Mann sich auf gewisse Dinge keinen Reim machen konnte und an der Sinnhaftigkeit des Ganzen zweifelte, ließ mich nicht mehr los. Ich begann mich zu fragen: Was hat das Leben für einen Sinn? Welchen Sinn machte es, mühsam eine Ausbildung zu machen, um dann nach einem mühsamen Arbeitsleben alt und krank zu werden und dahinzuscheiden?

Auf die oft gestellte Frage: "Was willst du mal werden?" wusste ich keine Antwort. Dass die richtige Antwort: "Glücklich!" war, hatte mir niemand beigebracht. Aber dem alten Lehrer machte ich eine Freude und sagte, was er hören wollte: "Pfarrer!" Es war auch der Wunsch meiner Großmutter. Obwohl dieser Beruf nicht meiner Absicht entsprach, verließ ich nicht ungern das Elternhaus und zog ein ins Internat, ins Heimgymnasium eines katholischen Ordens. Damals gab es in der Stadt noch keine Möglichkeit der weiteren Schulbildung. Dabei hatte ich beim Aufnahmetest die falsche Antwort nach dem größten christlichen Fest gegeben. Nicht Weihnachten, wo es die meisten Geschenke gab, sondern Ostern war es. Wer kommt aber auch auf sowas?

(https://up.picr.de/43191639kp.jpg)

So begannen neun Jahre unter der Aufsicht von Patres. Schlafen in großen Schlafsälen, Lernen in Studiensälen, anfangs fünf Mal am Tag in die Kirche, ein vorgegebener Tagesablauf, Belohnungen und Strafen. Ich verhielt mich ruhig, suchte mehr Stille und Orte abseits der Menge. Als Klassensprecher und dann Mittelstufensprecher lernte ich die Obrigkeit kennen. "Weil ich dein Vorgesetzter bin!" wurde mir entgegengeschleudert. Ich wurde rebellisch. "LBJ (Lyndon B. Johnson), how many kids did you kill today?!" stand auf der Innenseite meines Pultes. Ich war gegen den Vietnamkrieg, verfolgte die Studentenaufstände, ließ mir zum Entsetzen der Leitung mit wenigen Anderen Bart und Haare wachsen. Ich liebte die Musik und das Auftreten der Hippies. Heimlich rauchten wir Pfeife, gingen heimlich in Kneipen. Das Poster von Che Guevara hing über meinem Bett, ich kannte die Namen der Führer der Black Panther und der amerikanischen Studentengruppen. Ich besuchte die Versammlungen der Kommunistischen Partei in der Stadt, bis es mir von der Heimleitung untersagt wurde.

(https://up.picr.de/43129027he.jpg)

(https://up.picr.de/43129028qq.jpg)

(https://up.picr.de/43129029xu.jpg)

Als ich bei den jährlichen Sportspielen nicht zum Sprung in das Schwimmbecken antrat und ich auf dem Schulhof vom Oberstudienleiter darauf angesprochen wurde, sagte ich, dass ich mich nicht wohl gefühlt hätte. "Und im Übrigen geht mir das Ganze gegen den Strich!" Als er sich gefasst hatte, schrie er mich an: "Du gehst uns auch gegen den Strich!" Die Quittung bekam ich mit dem Abiturzeugnis, eine 5 im Sport. Zuvor hatte ich eine 4 in Deutsch noch im Mündlichen, als Thema wählte ich Bert Brecht, in eine 3 abwandeln können. Im Deutschaufsatz ging es um staatliche Gewalt, die bei mir natürlich zivile Gewalt hervorruft. Eindeutig eine politische, strafende Bewertung gegen mich. Dabei hatte mir derselbe Oberstudienleiter zuvor noch vor der Klasse bescheinigt, dass "was Gedankenfülle und sprachliche Ausdruckskraft anbelangt", ich überragend der Beste sei. Aber die Noten im Zeugnis der Reife waren mir egal, auch dass die Noten für Musik und Kunst vertauscht waren. Soweit zu: "Du sollst kein falsches Zeugnis geben!", dachte ich bei mir. Ich hatte mich ja längst entschieden, dieses Land zu verlassen. Vier Jahre zuvor hatte sich nämlich etwas ereignet.

Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Suksabai am 10. April 2022, 17:31:19

Zitat
Hoffentlich langweile ich nicht mit diesen Geschichten aus längst vergangenen Zeiten und den vielen privaten Details. Sollte dies nicht zum Stil und Geist des Forums passen, bin bereit ohne weitere Diskussion damit aufzuhören.

Traue dich ja nicht, aufzuhören!  ;]
Ist  - zumindest für mich - hoch interessant und unterhaltsam, auch ein paar wenige Parallelen haben wir gemeinsam...
In diesem Sinne

 [-]

Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 10. April 2022, 18:14:00
(https://up.picr.de/43370766sx.jpg)
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Suksabai am 10. April 2022, 18:48:29


d'accord!  ;] ;] ;] ;]

 [-]

Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: schiene am 13. April 2022, 10:20:17
...mach mal weiter,mir gefällt es  ;} {*
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 13. April 2022, 17:24:29
Danke für die Ermunterungen! Ich weiß zwar in etwa, was ich als Nächstes schreiben will, aber dann bleibe ich an Formulierungen hängen und muss auch wieder frische Luft an mein Gehirn lassen. Ein Schriftsteller wird es nicht leichter haben.

Zum Verständnis: ich schreibe nicht zur Selbstdarstellung. Da gibt das einfache Leben als Arbeiter und Altenpfleger auch nichts her. Es ist mehr Selbstreflexion und wenn der geneigte Leser neben der Unterhaltung auch zur selbigen gelangt, so ist das gut so.

Also, das Zeugnis hatte für mich keinen Wert, ich wollte nicht studieren und keinen Beruf ergreifen. Ich wollte mein weiteres Leben irgendwo in Indien verbringen. Für die Lehrer und das System empfand ich nur Verachtung. Dabei waren diese ja auch selbst in einem Hamsterrad gefangen, wie ich später erkannte. Ich jedenfalls wollte nach neun Jahren hinter Klostermauern das Leben kennenlernen, hinaus in die Welt ziehen.

Mein Vater weinte sich die Augen aus und versuchte im Gespräch mit anderen meine Entscheidung zu verstehen. Mein Entschluss stand lange fest. Dabei dachte ich auch an Markus 10:29 ("Jeder, der um meinetwillen und um des Evangeliums willen Haus oder Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker verlassen hat,..."). Sechs Monate arbeitete ich noch bei einer Gartenbaufirma, dann fuhr ich nach Amsterdam und flog mit Air India mit einem One-Way-Ticket nach Neu-Delhi. Ein paar Monate vor meinem 21. Geburtstag.

(https://up.picr.de/43245710fe.jpg)

(https://up.picr.de/43112259ly.jpg)

An dieser Stelle über mein Jahr in Indien zu berichten, welche Orte ich besuchte, welche Menschen ich traf und welche Erfahrungen ich machte, würde den Rahmen sprengen. Vielleicht tue ich das mal in einem eigenen Thread. Nach meiner Rückkehr arbeitete ich als Hilfsmesner bei der katholischen Pfarrgemeinde, bevor es mich nach etwas über einem Jahr wieder nach Indien zog. Von dort flog ich nach drei Monaten über Bangkok nach Japan. Wobei wir wieder am Anfang der Geschichte sind.

Aber ich will noch erklären, was mich zur Entscheidung, nach Indien zu gehen, veranlasst hat. Wie gesagt, gab es neben dem Satz meines Vaters noch ein Geschehen, das für mein Leben Richtung gebend war. Es war kein Erleuchtungserlebnis und keine außerkörperliche Erfahrung, aber etwas Ähnliches. Zum Tagesablauf im Internat gehörte es, dass um 16 Uhr der Rosenkranz gebetet wurde, oft in Gruppen über den Hof marschierend. Ich war damals vielleicht 16 Jahre alt und ich hatte mich für diese Viertelstunde in einen kleinen Raum auf der Orgelempore der barocken Kirche zurückgezogen, als mich das Verlangen überkam, Gott sehen zu wollen. Wenn es einen Gott gibt, so will ich ihn jetzt sehen. Nicht erst nach diesem Leben. Meine Seele schrie und flehte und weinte. Nichts auf der Welt erschien mir wichtiger. In den nächsten Tagen zog ich mich immer wieder in diesen Raum zurück, kniete auf dem Betstuhl vor dem kleinen Nebenaltar dort und wünschte mir nichts sehnlicher. In Memmingen besorgte ich mir Räucherkerzen und der Rauch stimulierte meine Sehnsucht noch mehr. Mir wurde bewusst, dass es keinen Sinn machte, irgendetwas zu studieren oder weitere Schritte in diesem Leben zu unternehmen, bevor ich nicht Antworten auf die Frage nach dem Woher und Wohin des Menschen und der Existenz Gottes hatte. Nach einigen Tagen schließlich empfand ich die Gewissheit, dass mein Flehen irgendwann und irgendwie erhört werden wird. Heute weiß ich, dass wir Gott als Menschen nicht sehen, wohl aber hören können.

Die Antworten auf die Sinnfragen des Lebens, die die Kirche gab, waren für mich nicht befriedigend. "Geheimnis Gottes" und "Der Herr hat´s gegeben, der Herr hat´s genommen." beleidigten meinen Verstand. Ich besorgte mir Literatur, las die Geschichte der Philosophie von der Antike bis zur Neuzeit. Beim Verlag Zweitausendeins bestellte ich mir viele Bücher und ging in Buchläden auf die Suche. Ich las neben Büchern über die indischen Religionen von Glasenapp einige Biographien von indischen Heiligen, wie Autobiographie eines Yogi von Yogananda und den Integralen Yoga von Sri Aurobindo. Der Ashram von Sri Aurobindo in Pondicherry dann auch die Hauptanlaufstelle meiner Morgenlandfahrt.

https://www.youtube.com/watch?v=q0BJMlVtsY8

Ich lernte begeistert Leben und Lehren von Ramakrishna, Ramana Maharshi und Vivekananda kennen und die Wiedergeburt erschien mir logisch und die Einheit allen Seins als die einzig richtige Erklärung. Wenn Gott nicht in dieser Pfütze sein kann, dann ist er nicht vollkommen. Wenn es etwas neben Gott geben kann, dann ist er nicht vollkommen. So sagte ich mir, doch zur Verwirklichung des Erkannten kann oft ein ganzes Leben notwendig sein.

In Winterthur wirkte Swami Omkarananda im Divine Light Zentrum und ich besuchte ihn ein paar mal mit Klassenkameraden. Alles zu einer Zeit als es kein Internet gab und wir kein eigenes Auto hatten. Er hinterließ einen sehr positiven Eindruck, aber erst als ich eines Abends den Fernsehfilm "Die Reise nach Kathmandu" sah, fiel in dieser Nacht die Entscheidung, die Reise anzutreten zum Mittelpunkt des Lebens.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 17. April 2022, 14:21:53
Das Ehepaar, dem das private Altersheim gehörte, hatte uns die Stellung vermittelt und uns auch dorthin hoch in die Berge gefahren. Für jeweils 500 DM bei freier Kost und Logis begannen wir am 1. November unsere Arbeit im Kurhotel in Hinterstein als Zimmermädchen und Küchenhilfe, bzw. als Kofferträger, Schneeräumer und Mädchen für alles. Wir hatten ein geräumiges Zimmer unter dem Dach, besaßen einen kleinen Fernseher und waren eigentlich zufrieden. Mit dem übrigen Personal kamen wir gut aus. Deng hat die Gabe, mit allen schnell Freundschaften zu schließen. Sie zickt nicht herum und stellt sich nicht in den Mittelpunkt, sie hört zu und reagiert auf jeden Menschen in der ihm entsprechenden Weise. Hier in Thailand wundert sie sich oft, dass alle Leute gern mit ihr anfangen zu reden, seien es Taxifahrer oder fremde Menschen auf der Straße. "Ich habe viele Freundschaften.", sagt sie.

An den freien Tagen erkundeten wir den winterlichen Ort oder fuhren mit dem Bus nach Hindelang oder bis nach Oberstdorf. Der Arbeitgeber schien ebenfalls mit uns zufrieden, denn wir erhielten sogar ein Weihnachtsgeld. Es war nicht schlimm, dass Deng mal beim Bügeln das Hemd des Chefs ruinierte. Ich durfte auch in der Bar aushelfen, wobei die Gäste jedoch bemerkten, dass ich das nicht erlernt hatte. Als aber Zimmermädchen ausfielen und die Arbeit für die einzelnen zuviel wurde und die Mutter des Chefs anscheinend sogar handgreiflich wurde, entschlossen wir uns zum 1. Februar zu kündigen. Samstags abends die Treppen nass runter zu wischen, war nicht gerade meine Vorstellung von einem erholsamen Wochenende.

(https://up.picr.de/43245730td.jpg)

Mein Bruder holte uns ab. Unser anfangs kleines Gepäck hatte sich vermehrt, einige Handtücher aus dem Hotel bildeten unser Andenken. Von dem Lohn haben wir übrigens monatlich 300 DM an die Mutter geschickt, und das für die nächsten 20 Jahre. Ich hatte die idealistische Vorstellung, dass mit dem Geld die Geschwister eine gute Ausbildung erhalten würden. Das war natürlich nicht der Fall, das meiste wurde wohl beim Kartenspiel verzockt.

Bald darauf nahm ich in einer Kunststofffabrik in unserer Stadt Arbeit an. Es kommt nicht darauf an, was ich mache, sondern wie ich etwas mache, dachte ich bei mir. Als Packer sei ich wohl überqualifiziert, meinte der Personalchef bei der Einstellung. Es dauerte nicht lang, bis ich zum Maschineneinsteller und zum Schichtführer hoch rutschte, ich konnte das Betriebsverfassungsgesetz lesen, machte Schulungen bei der Gewerkschaft und wurde Betriebsratsvorsitzender, in den letzten Jahren dann dafür von der Arbeit freigestellt. Ich blieb 17 Jahre in der Firma, bevor ich endlich eine Berufsausbildung machte. Deng blieb 20 Jahre. Zunächst arbeite sie in einem anderen kleinen Betrieb, aber als sie mich mal von der Arbeit abholte, bot ihr der Abteilungsleiter an, auch als Packerin zu arbeiten, für 8.50 DM statt für 6.50 DM wie im alten Betrieb.

(https://up.picr.de/43245729ru.jpg)

(https://up.picr.de/43308315ho.jpg)

(https://up.picr.de/43068816sg.jpg)

Mein Vater hatte sie immer mit seinem Roller dorthin gefahren und abgeholt. Bis meine Oma ihr ein eigenes Fahrrad versprach, wenn sie das Radfahren lernen würde. Es dauerte 2 Stunden und es brachte ihr viele blaue Flecken ein, bis sie es konnte. Statt zwischen den Bäumen auf dem sonst freien Platz hindurch zu fahren, kollidierte sie oft mit diesen. Aber nun konnten wir zur Arbeit und zum Einkaufen mit den Rädern fahren, zuweilen in Gummistiefeln und Friesennerz.

Bald darauf bezogen wir mitten in der Stadt eine Wohnung, die wir mit neuen Möbeln aus dem örtlichen Möbelhaus ausstatteten. Zur Firma war es nur noch ein kurzer Fußweg und bequem erreichten wir nun Geschäfte, Kino und Restaurants. Doch wir reisten auch gern und häufig.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 18. April 2022, 20:28:05
Anstatt chronologisch die weitere 31 Jahre in Deutschland und die 15 Jahre als Auswanderer durchzugehen, halte ich es für sinnvoller, die Berichte in Themen zusammenzufassen, also z.B. Reisen in In- und Ausland, Aufenthaltsbelange, Haus und Garten, Freunde und Familie, und davon dann Geschichten und Anekdoten zu erzählen. Ich fange mal mit den Freizeitbeschäftigungen an und, um der Sache etwas Würze geben, mit einer bestimmten.

Ich habe natürlich auch einige Bilder dazu. Die beigefügten Fotos hatte ich retten können, weitere müssen eingescannt werden, was aber mit der Handy-App nicht so gut gelingt. Erst heute ist mir eingefallen, dass ich auch ein altes Notebook mit Ashampoo durchforsten lassen kann. Der Vorgang läuft noch. Mal sehen, was rauskommt. Es wird jedenfalls Arbeit machen.

(https://up.picr.de/43245770mm.jpg)

Vor 30 Jahren waren wir das erste Mal in London, weitere Reisen dorthin folgten. Aber gleich beim ersten Mal kaufte Deng sich ein Gummikleid, den Grundstock für eine ganze Garderobe an Latexsachen. Schon zuvor hatten wir in Thailand aus Glanzstoffen Kleider schneiden lassen und sind damit auf Fetischpartys gegangen. Wir gingen auch mit Freunden aus in normale Restaurants, ja wir knüpften viele Freundschaften in diesem Milieu.

Eine Thai und ihr Mann kamen aus Italien zu uns.

(https://up.picr.de/43419048bn.jpg)

(https://up.picr.de/43419057sx.jpg)

(https://up.picr.de/43419056dn.jpg)

(https://up.picr.de/43419055qg.jpg)

(https://up.picr.de/43419052nq.jpg)

Deng ging ganz natürlich und offen mit diesem Vergnügen um, sie weihte nicht nur ihre Schwester und Freundinnen ein, sie nahm sie und deren Anhängsel auch mit auf die Partys. Auf einer Thaihochzeit trug sie ein langes, grünes Latexkleid, das sie sich in England hatte anfertigen lassen. Wir besuchten größere Events in deutschen Städten, fuhren auf dem Bodensee mit dem Torture Ship und verbrachten Wochenenden in den Schweizer Bergen. Die Dorfbewohner wussten schon, wann die "Ledernen" wieder kamen. Mit der Seilbahn hoch zu einem Restaurant zum Raclette-Essen, alle in Latex, das machte schon Spaß.

(https://up.picr.de/43428928yx.jpg)

https://www.youtube.com/watch?v=auRDNysCxuc

Es gab auch in unserer Nähe Bars, in denen sich Freunde des Besonderen trafen und wir waren häufig Gäste dort. Deng trank gelegentlich einen über den Durst und war kaum zur Heimfahrt zu bewegen. "Wo ist meine Peitsche?" fragte sie dann immer wieder.

Eines Tages aber kam sie zu mir und sagte, dass in Thailand ab einem bestimmten Alter - ich nenne jetzt keine Zahl - die Ehepaare sich nicht mehr mit einander vergnügen. Ich war einverstanden, die Bettgymnastik wurde mit der Zeit dann doch zu anstrengend. Wir gaben uns noch 2 Abschiedsvorstellungen und leben seither wie Bruder und Schwester.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Legoteil am 19. April 2022, 01:27:43
es wird jetzt doch etwas merkwürdig...
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: schiene am 19. April 2022, 21:04:16
@Khun Han
Sehr interessanter Bericht und Respekt für deine Offenheit. ;}
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 19. April 2022, 22:46:26
Merwürdig oder nicht - ab einem gewissen Alter
sind Meinungen nicht mehr so wichtig,
sind Erinnerungen Dinge, über die man schmunzelt,
sind solche Geschichten Lehre und Unterhaltung für die folgenden Generationen.

Neben Shoppen und Reisen gehörte der Garten zur Freizeitbeschäftigung meiner Frau. Bei mir kam erst in den letzten Jahren die Freude am Japangarten auf. Ich muss dazu sagen, dass wir ein großes Grundstück unser eigen nennen konnten. Die Eltern meines Vaters hatten die Doppelhaushälfte Ende der 50 Jahre mit Mitteln des Lastenausgleichs gebaut, nachdem sie als Donauschwaben aus Ungarn zugezogen waren. Meine Mutter war mit ihrer Mutter und mit meinem Bruder Jahre zuvor über Österreich hierher geflohen. Damals sprachen die Kinder übrigens die Eltern noch in der 3. Person an. Alle Häuser in der Siedlung gehörten Flüchtlingen aus verschiedenen Gebieten und man nannte es Nebenerwerbssiedlung, da die Grundstücke nahezu Ackerflächen waren und zu jedem Haus ein Stall für Schweine und Hühner gehörte. Hinter den Grundstücken lag ein Naturschutzgebiet vor einem Wald. Mein Vater hat dann noch eine Haushälfte angebaut, als wir von unserem Haus eine Straße weiter, in dem ich auch geboren wurde, zu den Großeltern zogen. Er errichtete dann noch einen großen Stall am anderen Ende des Gartens, in dem er eine Hühnerfarm betreiben wollte, was aber den Nachbarn nicht gefiel. Dort habe ich dann eine Toilette und eine Küche eingebaut und einen Außenkamin errichten lassen, so dass wir da Partys feiern konnten. Davor legte ich den Japangarten an mit einer Mauer drum rum, mit einem Koiteich und Steinlaternen. Ein Gewächshaus wurde zum Teehaus, ausgelegt mit Tatami-Matten.

(https://up.picr.de/43245705tv.jpg)

(https://up.picr.de/43230929jv.jpg)

(https://up.picr.de/43245711gz.jpg)

Deng hat viel von meinem Vater abgeschaut. Die beiden hatten sich sehr gerne. Die anfängliche Skepsis einer "dunkelhäutigen" Frau aus der Ferne gegenüber wich bald Respekt und Zuneigung. Damals gab es nur noch eine Dunkelhäutige in der Stadt, eine Marokkanerin, mit der wir uns auch anfreundeten und gemeinsam zu Diskotheken fuhren. Jedenfalls lobte mein Vater seine Schwiegertochter bei anderen in den höchsten Tönen. Als er sah, wie sie meiner Oma im Krankenhaus die Füße wusch, wusste er, dass auch er im Alter gepflegt werden würde. Oder er kaufte uns einfach einen großen Fernseher und steckte ihr Geld zu, wenn sie für die Familie und Gäste kochte. Sie lernte von ihm über Gartenarbeit und Pflanzen und dass man die Werkzeuge sauber halten muss. Sie sorgte u.a. für Kartoffeln, Erdbeeren, Himbeeren, Thaipetersilie und Pfefferminz. Dreimal im Jahr grub die den ganzen Garten um. Und sie bepflanzte Schalen mit Kakteen und anderen Pflanzen.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 21. April 2022, 20:55:11
Beim Überlegen was ich schreibe und wie ich es formuliere, merke ich, dass ich dabei bin, mich von der Vergangenheit zu verabschieden. Das ist gut, das macht mich frei. Ich bin näher an der Gegenwart und näher an den Menschen, die mir begegnen oder an die ich denke. Was tragen wir doch für einen Sack mit uns herum, gefüllt mit: Das bin Ich, das ist meine Meinung, das sind meine Wünsche, das sind meine Sprüche!

Habe ich schon gesagt, dass es esoterisch werden kann? Schließlich soll alles in irgendeiner Art von Vollendung enden. Dass ich vorübergehend Leiter einer Kirche war, werde ich noch berichten. Doch hier nur ein Gedanke zum Thema Offenheit: Ich bin überzeugt, dass für unser wahres, ewiges Selbst alle Gedanken und Taten, die jemals gedacht und ausgeführt wurden, und seien sie noch so geheim, zur Erinnerung gehören. Und wir werden als vollkommen geschaffene Söhne und Töchter Gottes nicht mehr das Bedürfnis haben, die uns geschenkte Freiheit in der Gottferne auszuleben. Ich nehme da nur etwas Offen-Sein vorweg.

Heute will ich über Ehen schreiben, über die unsere und über solche, an denen wir mitgewirkt haben. Meine Gattin ist zwar immer freundlich und heiter zu anderen und auch in der Regel zu mir. Aber sie ist Schütze und verschießt gerne Pfeile. Und wenn sie ihren Ärger und ihren Frust nicht ausdrücken kann, dann bin ich das Opfer. Ihre Eifersucht war in den ersten Jahre ein Problem, besonders wenn es zu öffentlichen Ausbrüchen kam. Eine Frau hat von Natur aus einen unruhigeren Geist als ein Mann, heißt es. Aber der Wechsel von: "Ich liebe dich!" und "Ich liebe dich nicht!" machte mir anfangs schwer zu schaffen. Einmal holte ich 10 000 DM von der Bank, brachte sie ihr - sie war bei ihrer Freundin in München - und bot ihr die Trennung an. Seitdem ging manches ohne großes Theater vonstatten. Ich habe gelernt, dass es manchmal besser ist zu schweigen und abzuwarten, anstatt Öl ins Feuer zu gießen. Jeder hat das Recht, mal einen schlechten Tag zu haben, sage ich mir. Ich weiß dann, wann der Moment gekommen ist, sie mit etwas Erfreulichem aufzumuntern. Ganz selten treten auch heute noch Meinungsverschiedenheiten auf, aber wir beide wechseln dann schnell das Thema.

(https://up.picr.de/43308316mh.jpg)

Zuerst zu einer Ehe, an der wir unschuldig sind. Weniger als 2 Jahre nach uns heiratete mein 10 Jahre älterer Bruder. Die Schwägerin brachte zwei Söhne von verschiedenen Vätern mit in die Ehe und sie war, sagen wir mal recht unflexibel und bestimmend. Sie wohnten in der Kreisstadt und wir trafen uns nur mehr gelegentlich bei gegenseitigen Besuchen. Heute ist sie mit Parkinson und nach Schlaganfällen in einem Pflegeheim. Mein Bruder hat Pflegestufe 2 und bewohnt ein Zimmer in einem Heim in einem anderen Dorf. Er freut sich über die Abwechslung, wenn ich ihn dreimal in der Woche über WhatsApp anrufe.

(https://up.picr.de/43245732ki.jpg)

(https://up.picr.de/43245731lx.jpg)

Bei unserem 2. Thailand Urlaub nahmen wir einen Arbeitskollegen mit, um ihn an Ort und Stelle zu verheiraten. Die Cousine nahm ihn trotz seines Contergan-Handicaps. Allerdings ist er vom Typ "Mit dem Kopf durch die Wand" und sie verließ ihn nach ein paar Jahren für seinen Freund, der im gleichen Haus wohnte. Sie heirateten und eröffneten in einer nahen bayrischen Stadt ein Thairestaurant. Ihre Schwester, die sie nachholte und verheiratete, starb bald an Krebs. Sie selbst starb auch wenig später, vielleicht an gebrochenem Herzen, denn ihre nach Deutschland gebrachte Tochter machte ihr keine Freude.

Der Arbeitskollege holte sich seine 2. Thaifrau. Mit ihr wanderte er dann nach Thailand aus mit der Absicht ein Internetcafé zu eröffnen. Als sich die Aufenthaltsbestimmungen änderten, kam er allein zurück. Während er sie besuchte, verstarb sie im Bett neben ihm. Er versuchte es ein drittes Mal, aber die Neue schämte sich mit ihm und wollte nur sein Geld und sie ließen sich wieder scheiden. Heute lebt er in Chiang Mai mit seiner 4. Thaifrau, der Witwe eines Missionars.

Soweit in kurzen Sätzen Dramen aus 4 Jahrzehnten. Wir haben noch zwei weitere Ehen arrangiert. Darüber das nächste Mal.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 23. April 2022, 16:26:44
Die letzte Ehe, die wir gestiftet haben, geht nun ins 21. Jahr. Wir wurden gefragt, ob wir nicht jemand hätten/wüssten, gern auch dominant. Wir ließen eine Verwandte von Dengs Ex kommen und es passte. Wir gingen auch zusammen auf Partys, aber ob das Freizeitvergnügen schlag gebend, äh ausschlaggebend war, kann ich nicht beurteilen. Es ist ein harmonisches Paar und wir pflegen freundschaftlichen Kontakt. Wie in den meisten Fällen ist auch hier jemand in Thailand, der auf Unterstützung wartet. Wobei ich den Eindruck habe, dass wie üblich die Überweisungen nicht groß genug sein können und ein Danke nicht im Wortschatz vorkommt.

Die andere Kuppelei endete nicht so problemlos. Ein Jahr nach den beiden Söhnen ließen wir auch Dengs Schwester nachkommen. Auf eine Anzeige in der Tageszeitung bekamen wir ca. 30 Zuschriften. Ich wählte einen aus, den ich dem Namen nach kannte, einen Bruder einer Grundschul-Klassenkameradin, einer aus einer 10-köpfigen Gärtnereifamilie, von Beruf stadtbekannter Stammtischpoet und Leserbriefschreiber. Er bezog eine ausreichende Frühpension, nachdem er aus psychischen Gründen aus dem Polizeidienst ausgeschieden war, Stichwort Stammheim. Er war gebildet, geistreich, hatte sogar ein Büchlein verfasst (über den Furz), er war selbstverständlich offen für und interessiert an Thailand und handwerklich begabt. Wir feierten große Partys in seiner Wohnung. Deng mochte ihn sehr und ließ sich durch ihn zum Biertrinken verführten. Die Schwester hätte zufrieden sein können, aber vielleicht hielt sie ihn für zu alt für sich oder hatte etwas gegen seine Kneipenbesuche. Jedenfalls fand sie einen Lover, bei dem sie blieb, auch nachdem dieser sie schlecht behandelt hatte. Wir mussten sie vom Krankenhaus abholen.

Der Schwager konnte es schließlich nicht länger ertragen und wanderte allein nach Thailand aus, ins Land der Elefanten, wie er sagte. Wir trafen uns in Bangkok und ein paar Mal in Chiang Mai, wo er lebte. Immer hatte er intellektuelle Freunde um sich. Er verstarb plötzlich an einem Bauchaneurysma. Die Schwester ist noch mit dem Lover verbunden, obwohl er in einer anderen Stadt lebt und sie zwischendurch auch einen anderen Egomanen hatte. Gelegentlich nimmt sie mal Kontakt mit uns auf, aber leider hat sie auf die Familie einen spaltenden Einfluss.

Genug über andere Leute geschrieben. Demnächst will ich zum Thema Essen und zum Thema Reisen berichten.

(https://up.picr.de/43245769td.jpg)
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 28. April 2022, 17:35:21
Kein Reiskocher, keine Fischsoße und keine anderen Zutaten aus einem Asienladen - die erste Zeit in der neuen Heimat war eine große Umstellung. Deng lernte schnell, wie hier gekocht wird, aber meistens stand Hähnchen auf dem Speiseplan. Sie kochte im Hotel mit und übernahm vieles von meiner Mutter. Noch heute kommt bei uns öfters Gulasch oder Paprigasch oder Reis mit Tomatensoße, dazu gekochtes Hähnchen mit Meerrettichsoße auf den Tisch. In den größeren Kaufhäusern gab es damals noch Kantinen mit einfachem Essen und sie bestellte in einem bestimmten Restaurant in unserer Stadt öfters Garnelen. Oder wir fuhren mit dem Zug nach Memmingen und aßen beim Griechen und speisten in München gerne im Shanghai am Stachus, einem Lokal, das es heute noch gibt. Gerne fuhren wir auch nach Lindau, mit dem Zug oder per Anhalter, und gingen dort in den Wienerwald. 

Es dauerte lange, bis wir Asienläden fanden, in Zürich, in München und in Ludwigshafen. Später verkauften auch Vietnamesen aus Garagen heraus asiatische Lebensmittel.

Eine Geschichte will ich hier noch einfügen. Anfang 1980 bekam sie während der Arbeit heftige Bauchschmerzen. Ich brachte sie zum Hausarzt, der sie umgehend ins Krankenhaus schickte, wo sie gleich am Blinddarm operiert wurde. Der stand kurz vor dem Durchbruch. Ich versorgte sie und das ganze Zimmer täglich mit Hähnchen und Pommes und Blumen. Meine Mutter sollte dann für sie Reis kochen. Als ich ihn brachte, musste sie weinen. Meine Mutter hatte in guter Absicht Milchreis gemacht.

Die Bauchschmerzen blieben, die Wunde eiterte und wollte sich nicht schließen. Die anderen Frauen im Zimmer, mit denen sich echte Freundschaften entwickelten, versuchten sie immer zum Lachen zu bringen, was ihr ja Schmerzen bereitete. Nach einem Schwächeanfall auf dem Gang musste sie ins Zimmer zurückgebracht werden. Dennoch wurde sie entlassen. Der Hausarzt behandelte die Wunde täglich mit einer Silberlösung. Schließlich suchten wir wieder das Krankenhaus auf. Ein junger Arzt meinte, wir sollten nicht hinsehen, und als er daran drückte, quoll dicker, grüner Eiter heraus. Doch die Wunde war danach zu.

Um uns davon zu erholen, buchten wir eine Städtereise nach Amsterdam. Ich war ja bereits zweimal da, um von dort aus nach Indien zu fliegen. Als wir nach der nächtlichen Zufahrt am Hotel American ankamen, war ihre Stimmung auf dem Tiefpunkt. Das änderte sich aber schlagartig und alle Schmerzen waren wie weggeblasen, als sie das Innere des Hotels sah. Es gefiel ihr dann so gut, dass wir zwei Jahre später wieder in der Stadt Urlaub machten. Wir kauften damals auch eine Durian, wegen der die Leute in der Straßenbahn die Nase rümpften, und ich musste die Reste in der Nacht außerhalb des Hotels entsorgen.

(https://up.picr.de/43245714vu.jpg)

(https://up.picr.de/43245706tm.jpg)

Deng hat den schwarzen Gürtel im Kochen, wenn ihr etwas schmeckt, kocht sie es genau so nach. Sie probiert gerne neues aus, Kochsendungen sieht sie auch heute noch neben den Seifenopern am liebsten. "Das perfekte Diner" musste ich früher immer aufnehmen, wenn sie keine Zeit dafür hatte. Ihr Kochkünste und ihre Gastfreundschaft waren bekannt, Nachbarn und Freunde waren oft unsere Gäste. Sie macht Spätzle und Knödel selber, isst gerne Sauerkraut, Rotkohl, Schnitzel und Schweinebraten und ist zuhause eigentlich immer am Planen, Vorbereiten, Kochen oder Essen, sofern sie nicht mit den Pflanzen beschäftigt ist. Sushi braucht sie nicht mehr zu machen, aber sie kocht weiterhin gerne Japanisch. Vieles, das sie früher in Thailand gegessen hat, mag sie nicht mehr. Vielleicht sind auch nun die Zähne daran schuld.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Kern am 29. April 2022, 04:51:01
Vielleicht sind auch nun die Zähne daran schuld.

 :D  :D ...  [-]
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 03. Mai 2022, 14:56:59
Ja, bei Hartem oder Klebrigem machen die restlichen Zähne nicht mehr mit.

Es ist mir übrigens gelungen, meinen vielleicht 20 Jahre alten Lexmark Drucker nach stundenlangen Versuchen und vielen Updates an das Notebook anzuschließen. Jetzt kann ich wieder Fotos einscannen. Das Ding rattert zwar und die Bildqualität ist nicht die beste, aber ich kann nun Texte mit den passenden Bildern untermalen.

Gleich noch welche von einer Thaihochzeit nachgeliefert. Einfach um zu zeigen, dass meine liebe Gattin selbstbewusst und offen für Neues war/ist. In unseren Schlafzimmern (Plural, weil wir 5 Mal umgezogen sind und seit Jahrzehnten getrennt schlafen) ging es immer gesittet zu. Wenn wir auch mal was Neues ausprobiert haben, so wurde doch keiner zu etwas gedrängt. Es lag auch ein wenig an der Mode dieser Zeit, wie sie in Musikvideos gezeigt wurde.

(https://up.picr.de/43531352vg.jpg)

(https://up.picr.de/43531353ma.jpg)

Essen gingen wir auch mit Freunden in Kluft, wie ein Freund es nannte.

(https://up.picr.de/43531369qp.jpg)
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: schiene am 30. Mai 2022, 22:08:53
Ich würde mich freuen wenn du deine Erlebnisse
hier weiter fortsetzen  würdest.[-]
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 31. Mai 2022, 17:16:12
Danke für den freundlichen Anschubser! Das hilft Schreibblockaden zu überwinden. Denn eigentlich wollte ich weitermachen mit dem Aufzählen von Reisen ins benachbarte Ausland, der aufenthaltsrechtlichen Seite bis zum Aushändigen des Deutschen Passes und dem Geschehen danach, aber ich finde keinen Einstieg und ziehe nun ein anderes Thema vor.

Eines Tages gab mir ein Arbeitskollege ein paar Schriften und ich wusste sofort: "Das ist es! Danach habe mein Leben lang gesucht. Das kann sich keiner ausdenken. Da passt alles." Es waren Hefte des Heimholungswerkes Jesu Christi, später umbenannt in Universelles Leben (UL). Da sprach Gott und Christus und andere Wesenheiten durch die Prophetin Gabriele Wittek. Es war das Urchristentum, alle waren Brüder und Schwestern, es gab keine Mitgliedschaft, keine Priester, keine Sakramente oder Rituale. Erklärt wurden die 7 Eigenschaften Gottes, die göttliche Schöpfung, die himmlischen Welten und die Heimkehr Seiner vollkommenen Kinder aus der freiwillig gewählten Gottferne über mehrere Wiedergeburten. Angeboten wurden ein zweiteiliger Meditationskurs und der Siebenstufige Pfad. Alles war im Prinzip bis auf Bücher und Zeitschriften kostenlos.

Mit dem Kollegen fuhr ich von da an nach Kempten, wo wir uns mit anderen privat trafen und uns die Offenbarungen auf Kassetten anhörten. Wir erlebten die Prophetin dann live u.a. in Karlsruhe, Heidelberg oder sogar in Paris. Machtvoll ertönte Gott Vater durch sie und ihre Stimme wurde leise und fein, wenn Naturwesen durch sie sprachen. Über 10 Jahre machte ich die Entwicklung des UL mit, zwar nicht in vorderster Front, aber mit ganzem Herzen. Es gab da wunderbare Tage und Zusammenkünfte, in Großstädten und in den Bergen über Innsbruck. Gerade diese Wochen in Götzens in der Natur oder beim Tanzen im Gemeindehaus bleiben unvergesslich. Beim letzten Mal passierte übrigens der Reaktorunfall in Tschernobyl. Ich lernte meinen Menschen mit seinen Schwächen kennen und manchmal entströmte meiner Seele ein Gebet, das mich so mit Glückseligkeit erfüllte, dass ich dachte, ich könne jetzt genauso gut sterben - schöner wird mein Leben nicht mehr.

(https://up.picr.de/43245724bh.jpg)

(https://up.picr.de/43245723tu.jpg)

(https://up.picr.de/43245717oe.jpg)

Über Monate hinweg absolvierte ich den Meditationskurs in Zürich, zusammen mit dem Arbeitskollegen. Meine Frau war da stets dabei, zumindest beim Stadtbummel. Wenn ich alle drei Wochen nach Würzburg fuhr oder bei anderen Veranstaltungen wie in München oder Berchtesgaden weilte, nützten wir die Zeit zum Einkaufen oder um Urlaub zu machen. Eine Woche verbrachten wir in Würzburg beim "Bienen", sie half in der Küche und ich auf einer Baustelle. Sie fühlte sich auch bei den Geschwistern der "Inneren Geist Christus Kirche" in Kempten wohl, deren Leitung mir später übertragen wurde. Sie glaubt auch an Jesus und Maria, sagt sie, aber ich versuchte nie sie zu missionieren oder sie von etwas zu überzeugen. In ihren ersten Monaten in Deutschland, als wir noch bei meinen Eltern wohnten, gehörte der gemeinsame Kirchgang zum Sonntag. Sie machte alles bereitwillig mit. Um sie aber dann bei den zahlreichen Zusammenkünften nicht allein zuhause lassen zu müssen, entschied ich mich, ihre beiden Söhne zu uns nach Deutschland zu holen. Das war im Jahr 1988. Doch das ist ein anderes Thema.

Das UL vergrößerte sich, viele folgten dem Ruf in die Dörfer um Würzburg und bauten Häuser mit eigenwilliger Architektur, es entstanden Betriebe, Kliniken und Bauernhöfe und ein großes Einkaufszentrum und eine Schule kamen hinzu. Es wurden Urgemeinden gegründet, bei der in München war ich natürlich dabei. Es entstanden aber auch Konflikte mit Naturschützern und den großen Kirchen. Prozesse wurden geführt, ein Sicherheitsdienst wurde notwendig. Eine Gruppe von Männern um die Gabi nahm Einfluss auf das Geschehen. Sogenannte Jungpropheten wurden rausgedrängt, Gemeindemitglieder intern wegen Nichterfüllung der Gebote angeklagt. Manche verloren ihren materiellen Einsatz und litten seelisch. Die Entwicklung vom Urchristentum zur Inquisition war kurz. Im Internet kann man neben den Angeboten des UL auch Berichte über Aussteiger finden. Mein Ausscheiden fand 1991 statt, als mir u.a. vorgeworfen wurde, dass durch meine Gedankenwelt schwierige Menschen zu den Treffen der Kirche angezogen wurden. Da es keine Mitgliedschaft gab, war ich frei zu gehen. Es kam nur noch ein Brief, in dem mein Ausscheiden als ein Fußtritt gegen Gott bezeichnet wurde. Aber ich fühlte mich frei und dazu der Liebe Gottes näher. Und ich sparte eine Menge Zeit und Benzingeld.

Ich ging den Weg für mich allein weiter. Ein Wiedereinstieg durch einen erneuten Meditationskurs in Bregenz scheiterte dann durch meine angefangene Ausbildung zu Altenpfleger, bei der ich ja jedes zweite Wochenende im Heim arbeiten musste. Von Eckhart Tolle wurde ich nun mehr angezogen als von den Schriften des UL. Vor der Auswanderung brachte ich Bücher und Unterlagen zur Kirche in Kempten. Es hatte sich nichts geändert, außer dass nun nur noch 2 Schwestern der übertragenen Offenbarung lauschten. Wenn ich gewusst hätte, dass es seit vielen Jahren ähnliche Kreise z.B. in Nürnberg gab, die durch das Wort Gottes geführt wurden, hätte ich mir das mit der Auswanderung vielleicht noch überlegt. Nun bin ich glücklich, im Internet darauf gestoßen zu sein. Doch darüber auch später.

Nur noch eine Episode: Bald nach der Ankunft in Bangkok wurde ich auf den Bruno Gröning-Freundeskreis aufmerksam gemacht. Geleitet wurde er hier von einer lieben, älteren Dame, die auf der Deutschen Botschaft gearbeitet hatte und mit einem Thai verheiratet war. Die Zusammenkünfte in einem Raum neben dem Goethe-Institut schätze ich bis heute, wenn auch hier das Sektiererische mich letztlich abstoß. Immerhin heilte mich Bruno Gröning von meiner Nikotinsucht. Das habe ich schriftlich. Es ging mir damals körperlich so schlecht, dass ich dachte, genauso gut könnte ich nun mit dem Rauchen aufhören. Schuld war wohl ein Nierenstein, der dann doch auf natürlichem Wege abging. Aber über meine gesundheitlichen Sachen in Bangkok werde ich auch später berichten.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 05. Juni 2022, 16:16:56
Die beiden alten Pässe meiner Frau sind voll mit Visas der Nachbarländer und mit Ein- und Ausreisestempeln. Der dritte landete nach ihrer Einbürgerung im Papierkorb unter dem Tisch des Thailändischen Botschafters. Wir reisten gerne herum, anfangs, als ich weder Auto noch Führerschein besaß, mit dem Zug oder mit anderen Thaipaaren, aber ich will uns hier die Jahreszahlen ersparen, zumal wir gar nicht mehr wissen, wie die Visas aus Stuttgart oder München in die Pässe kamen. Geblieben sind einzelne Momente, schöne oder bemerkenswerte Erinnerungen.

Die erste Reise in Deutschland führte uns im Zusammenhang mit Besuchen von Verwandten und der Familie meines Bruders bei Hannover bis nach Flensburg, wo wir uns mit einem Deutsch-Thailändischen Ehepaar trafen, das wir schon im Flug über Moskau kennen gelernt hatten. In Hamburg Altona blieben wir über Nacht, aßen dort zum ersten Mal Schnecken und hatten das Glück, durch einen schnellen Rückzug dem Fußtritt einer daherstürmenden Prostituierten zu entgehen, als wir uns dummerweise in diesen Quartieren umschauen wollten.

An einem Ort in Österreich, der mir nicht mehr einfällt, wollte ich eine Vipassana-Meditationswoche absolvieren, aber der Tagesablauf war zu streng und meine Gattin hatte nichts zu tun, sodass wir uns entschlossen, weiter nach Wien zu fahren. Wir konnten bei Verwandten in Groß-Enzersdorf bleiben, sahen uns Schönbrunn an und fanden in der Innenstadt ein Thairestaurant. Das alles ohne Internet, GPS und Handy. Deswegen konnten wir auch Mailand nicht finden, als wir mit einem anderen Paar eine Italienreise machten. Wir fuhren zurück nach Verona und übernachteten in Südtirol. In und um Terlan gefiel es uns sehr.

Mit diesem Paar und einem weiteren unternahmen wir eine Busreise nach Paris. Die Damen freuten sich schon auf eine Suppe, als sie die Schüsseln bei der Selbstbedienung in der Raststätte sahen. Aber die Franzosen trinken ja ihren Kaffee daraus. Wir stiegen auf den Eiffelturm und wollten in der Nähe des Moulin Rouge mal Austern essen. Als Drahtgestelle in der Mitte der Tische platziert wurden, meinten die Frauen, dass auf diesen gleich gegrillt werde. Doch die Austern wurden da auf Eis serviert und ich durfte fast alle alleine verspeisen.

Freundschaften, die in diesen ersten Jahren entstanden, als noch nicht in jedem Dorf eine Thai lebte, bestehen bis heute. Wir waren drei Tage in München, wo wir kauften, was man eben so braucht, Strohhüte und Sommermäntel und im Restaurant Shanghai am Stachus ein Teeservice, als jemand meine Gattin von hinten an die Schulter greifend fragte, ob sie auch eine Thai sei. Das Paar wohnte in Harthaus und später in Germering bei München und wir besuchten uns in all den Jahren oft und gerne gegenseitig. Wir wurden Taufpaten der Tochter, fuhren gemeinsam in den Thailandurlaub und besonders oft in die Schweiz, wo noch heute eine Schwester wohnt. Die Reisen nach Österreich und in die Schweiz wurden übrigens viel einfacher, nachdem von der Gemeinde meiner Frau eine Grenzgängerkarte ausgestellt worden war.

(https://up.picr.de/43245721tx.jpg)

(https://up.picr.de/43245720ye.jpg)

(https://up.picr.de/43308314pb.jpg)

So waren wir gemeinsam oft in Wetzikon und in Zürich und wir erinnern uns gern an diese Fahrten und Begegnungen. Wenn das Paar in der ersten Zeit bei uns war, vergnügten wir uns bei Disko-Musik im dörflichen Tanzlokal, wo damals noch Livebands auftraten, so eine Frauenband aus den Philippinen, oder wir sahen uns in verschwiegenen Bars Filme für Erwachsene an. Videotheken gab es ja damals noch nicht. Der Ehemann und auch der Lebensgefährte sind inzwischen verstorben, aber wir hoffen die Freundin mit der Tochter sowie Ehemann und drei Kindern im August wieder einmal hier begrüßen zu können.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 12. Juni 2022, 22:10:55
Zwei Wochen nach der Einreise bekam Deng vom Einwohnermeldeamt die Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr in den Pass gestempelt, danach für ein weiteres Jahr. Wir mussten in Bonn ja dann einen neuen Pass ausstellen lassen, der 5 Jahre gültig war und dann für weitere 5 Jahre verlängert wurde. Der Leiter des Einwohnermeldeamtes wollte wieder nur ein Jahr gewähren und auf meinen Protest hin meinte er zum Spaß, sie könne mir ja auch noch davonlaufen. Das fand ich nicht witzig und drohte mit einer Beschwerde. Sie erhielt daraufhin 3 Jahre und danach 5 Jahre, bevor sie dann eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis bekam. Der Leiter und ich grüßten uns fortan respektvoll, ja freundschaftlich. Eine 1984 ausgestellte Grenzgängerkarte, in die auch später die beiden Söhne eingetragen wurden, machte den Grenzübertritt nach Österreich und in die Schweiz leichter. Zwar nur für grenznahe Gebiete gedacht fuhren wir damit bis nach Zürich.

1992, nach 17 Jahren in Deutschland, beantragten wir auf dem Rathaus die Einbürgerung und sie erhielt ohne Deutschtest und ohne weitere Nachweise auf dem Landratsamt der Kreisstadt den deutschen Pass ausgehändigt. Zu zahlen waren 100 DM. Bedingung war, dass sie die Entlassung aus der thailändischen Staatsbürgerschaft betreibt. Ihren thailändischen Pass ließen wir gleich auf dem Amt, aber er wurde uns von der thailändischen Botschaft wieder zugeschickt, ohne weitere Erklärung und ohne ihn ungültig gemacht zu haben.

Nach einem Jahr forderte das Landratsamt von uns als Nachweis die Veröffentlichung der Entlassung in der thailändischen Regierungszeitung. Anderenfalls werde erwogen, die Einbürgerung rückgängig zu machen. Wir fuhren zur Botschaft, aber da konnte oder wollte uns niemand weiterhelfen. Wir sprachen dann mit dem Botschafter selbst. Der legte den Pass zu anderen unter seinem Schreibtisch und erklärte die Sache für erledigt. Zwei Jahre später verlangte das Landratsamt wieder den Nachweis mit der Androhung der Rücknahme der Einbürgerung. Es dauerte 5 Monate, bis wir einen Termin auf der Botschaft erhielten. Diesmal ließen wir uns bestätigen, dass wir den Antrag auf Entlassung aus der thailändischen Staatsbürgerschaft beantragt haben. Das kostete uns 1 DM. Die Veröffentlichung in der Goverment Gazette könne aber Jahre dauern und wir würden auch nicht informiert werden. Das Landratsamt forderte nach einem halben Jahr wieder den Nachweis und erst nach einem empörten Brief von mir war Ruhe. Vielleicht wurde da auch wie in anderen Bundesländern entschieden, die doppelte Staatsbürgerschaft bei Thais hinzunehmen.

(https://up.picr.de/43245725tg.jpg)

Bei unserer Auswanderung ließen wir uns auf dem Amphoe eine Wohnsitzbescheinigung ausstellen. Als Eigentümer des Hauses war der Sohn eingetragen. Dabei wurde im Computer festgestellt, dass sie noch thailändische Staatsbürgerin ist, und nach Vorlage ihrer 30 Jahre alten ID-Karte wurde ohne ihr Verlangen eine neue ausgestellt. Seitdem ist sie auch wieder Thailänderin mit allen Rechten (Krankenversicherung und Rente) und Pflichten. Einen thailändischen Pass will sie nicht, sie fühlt sich als Deutsche. Sie muss also die 90 Tage-Meldung machen, die Jahresverlängerung bekommt sie ohne Umstände. Kostet halt das Übliche. Ihre neue ID-Karte ist auf Lebenszeit ausgestellt, ebenso wie meine rosa ID-Karte.

(https://up.picr.de/43308320wf.jpg)
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 29. Juni 2022, 21:21:56
Unsere Urlaubsreisen nach Thailand, die Erfahrungen mit den beiden Söhnen und dem Rest der Familie, die Überlegungen, die zur Auswanderung führten, sowie die Durchführung derselben und die ersten Jahre in Bangkok, meine Erfahrungen mit den Ärzten hier und wie sie an mir herum schnippelten - das sind Themen, die ich noch behandeln möchte, bevor die Geschichten ein Ende finden werden, also alles zu einer Art von Voll-endung führt. Mein Golgatha habe ich schon erreicht.

Zunächst nun will ich über mein Arbeitsleben berichten. Nach dem Abschluss der Schule mit dem Zeugnis der Reife arbeitete ich einige Monate bei einer Gartenbaufirma, um mir etwas Geld für meine Reise nach Indien zu verdienen. Ein hektischer Chef und zwei gemütliche Kollegen führten mich in die Welt der harten Arbeit ein.

In den Monaten zwischen meinen beiden Indienreisen, solange noch nicht endgültig über meinen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung entschieden war, arbeitete ich als Hilfsmesner bei der katholischen Kirchengemeinde. Ich wurde auch auf dem Pfarrbüro eingesetzt und der moderne, liberale Stadtpfarrer hätte mich gerne im Priesterseminar in Ehingen untergebracht. Er hat sich auch für die bischöfliche Dispens eingesetzt, damit wir uns kirchlich trauen lassen konnten, aber wir verzichteten dann doch darauf.

Nach den zwei Monaten im Hotel trat ich wie schon geschrieben in die Firma ein, in der im Schichtbetrieb Plastikbecher hergestellt wurden und noch werden. Ich blieb 16, meine Gattin 20 Jahre. Ich fing als Packer in der Druckerei an, wurde Maschineneinsteller und Schichtführer und als Betriebsratsvorsitzender wurde ich dann, als die Belegschaft die 300 überschritt, von der Arbeit für meine Tätigkeit freigestellt. Jahrelang hatte ich in der Nachtschicht gearbeitet und die Zuschläge blieben mir erhalten.

Anfangs war die Arbeit recht locker und familiär und Deng und ich freundeten uns schnell mit den Kollegen und Kolleginnen an, die u.a. auch aus Spanien, Italien und Griechenland kamen, und wir trafen uns mit ihnen oft außerhalb der Firma. Es gab Weihnachtsfeiern und Betriebsfeste, bei denen Bands auftraten und alle das Tanzbein schwangen, auch die Frau des jovialen Chefs, der wegen seines Holzbeins das nicht konnte. Besitzer der Firma war ein junges Geschwisterpaar aus der Schweiz, das noch andere Firmen besaß, dazu Ländereien in Kanada.

Mit der Zeit erhöhte sich der Arbeitsdruck und das Arbeitstempo und nach dem Ausscheiden des alten Chefs trat ein neuer auf, der anscheinend den Auftrag hatte, die Firma herunterzuwirtschaften, jedenfalls nach dem, wie er mit Kunden und Mitarbeitern umging. Ein sehr unangenehmer Managertyp. Natürlich blieben Konflikte dem Betriebsrat nicht aus. Wie überall gab es Schleimer und Neider und als ich einmal den Scherz machte: "Gestern standen wir am Abgrund und heute sind wir einen Schritt weiter.", wurde das dem Chef zugetragen und er benutzte dies als Grund, meine Kündigung zu versuchen. Ich war gerne Mitglied in der Gewerkschaft, zuerst in der "Druck und Papier" und dann in der "Medien", (ich hatte das gewerkschaftliche Du gerne), ich hatte Schulungen besucht und kannte das Betriebsverfassungsgesetz, ich hatte also keine Angst vor einer Auseinandersetzung. Aber da hatte ich mich schon entschieden, mit 40 Jahren endlich eine Berufsausbildung anzufangen.

Ich wollte etwas Nützliches für die Gesellschaft machen. Mit der Unterstützung des Leiters des örtlichen Arbeitsamtes kündigte ich und bewarb ich mich an der Altenpflegeschule. Der Schulleiter meinte, ich könne noch gerne 20 Jahre einen guten Dienst an den Menschen tun, und so begann ich mit 9 anderen verschiedenen Alters die dreijährige Ausbildung, die von Staat gemäß meiner vorherigen Entlohnung unterstützt wurde
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 09. Juli 2022, 15:31:49
Eigentlich sollte es über mein Berufsleben als Altenpfleger weitergehen, aber ich füge mal zur Unterhaltung einen Bericht ein, den ich vor 11 Jahren für einen Blog geschrieben habe. Er ist recht lang, ausführlich und bildreich, gekürzt habe ich ihn nur um die Passagen, die zu spirituell angehaucht sind. Ich gab ihm die Überschrift:


In der Augenklinik

oder: Schau mir in die Augen, Frau Doktor!


Wann und wie es genau angefangen hat, weiß ich nicht mehr. Ich hatte mich an die Rötung im linken Augeninnenwinkel gewöhnt. In den Spiegel blicke ich nicht oft. Spiegel sind in Thailand meist sehr groß, aber eher nur als Hilfe geeignet, den Sitz der gegelten Haare zu korrigieren. Für mein Bad hatte ich mir extra einen beleuchteten Spiegelschrank aus Deutschland mitbringen lassen. Wenn ich also das Ergebnis der Rasur darin überprüfte, sah ich die roten Äderchen und seit ein paar Monaten den Pickel, der sich da gebildet hatte. Meiner näheren Umgebung war dies hinter dem Brillenrand kaum aufgefallen. Nur Besucher aus Deutschland hatten nachgefragt.

Ich kann mich nicht erinnern, irgendwas hineinbekommen oder hineingerieben zu haben. Die Augen sind ja ebenso wie Mund und Nase häufigen Belastungen ausgesetzt. Wenn wir mit dem Bus von einem Ende Bangkoks zum anderen unterwegs sind, habe ich stets einen Mundschutz dabei und auf die Brille stecke ich sowieso einen dunklen Aufsatz. Aber Staub und Blas- und Zugluft treffen einen überall und trockene und gereizte Augen sind unvermeidbar.

Der Pickel im Auge tat nicht weh und beeinträchtigte nicht mein Sehvermögen. Aber er wurde langsam größer und mitunter hatte ich das Empfinden von einem Fremdkörper. Ich beschloss also, ihn untersuchen zu lassen. In jeder größeren Straße oder Einkaufspassage gibt es mehrere Brillengeschäfte, aber ich kenne keine Augenarztpraxis. Die Suche im Internet, in dem ich übrigens keine zu meinem Problem passenden Bilder oder Informationen finden konnte, führte mich zur Rutnin Augenklinik. Die Thais sprechen es aus wie Ratanin oder Rutinin. Jedenfalls hatte sie gute Kritiken und war für mich bequem zu erreichen.

Meine Gattin und ich fuhren also mit dem Airportlink bis Makkasan und liefen den kurzen Weg die Asok entlang. Am Empfang bekam ich einen Termin für 14 Uhr, vier Stunden Zeit, die Gegend anzuschauen. Es gibt da fast nur Büro- und Wohnsilos. Wir trotteten auf und ab, tranken Kaffee an der Straße und aßen schließlich in einem kleinen Isaan-Restaurant, das sich über Mittag schnell füllte. Mein gebratener Reis mit Krebsfleisch schmeckte nach nichts, aber meine Gattin meinte, sie habe selten so guten Reis gegessen. Lange vor dem Termin waren wir zurück. Vielleicht kommen wir ja früher dran. Im Erdgeschoss befinden sich ein Brillenladen, die Kasse und die Anmeldung, im ersten Stock sind die Behandlungsräume, sowie ein kleines Kaffee mit Bücherladen. Und zahlreiche bequeme Sessel, denn warten muss man lange.

Die Personalien wurden aufgenommen. Ich hatte nicht an den Pass gedacht, doch der Führerschein genügte auch. Wie in jedem Krankenhaus, in dem ich war, wurde für mich eine Ausweiskarte angefertigt. Als wir uns zu Beginn der Auswanderung in dem Krankenhaus in unserer Straße die letzte Hepatitisinjektion geben ließen, zahlten wir 10 Baht für das Kärtchen und 40 Baht für das Spritzen, wobei wir noch nie so sanft gepiekst wurden. Und die Hosen wurden uns auch noch hochgezogen.

Eine Akte wurde angelegt und ich erhielt eine Laufnummer. Für die Anfangsuntersuchung musste ich nur kurz warten. Statt wie in anderen Häusern routinemäßig der Blutdruck und das Gewicht, wird hier der Augendruck gemessen und ein Augenintelligenztest, bzw. Sehtest durchgeführt. Die Schwester wollte noch meine Brille vermessen, aber ich konnte sie die Werte vom Brillenausweis abschreiben lassen. Die bei jedem Besuch durchgeführten Untersuchungen dienen nicht zuletzt der Kostenerhebung, in diesem Fall 230 Baht als „Other Medical Service Charges“. Die 50 Baht für „Other Hospital Charges“ sind wohl für die Patientenkarte, obwohl meine Frau meint, die werden schon für den Wai beim Empfang erhoben.

Dann hieß es warten. Es waren etwa 60 Patienten im großen Raum verteilt, die dann unter Nennung des Vornamens in die angrenzenden Ärztezimmer gerufen wurden. Die meisten waren gut gekleidete Thais, ein paar Männer arabischer Herkunft und Frauen in schwarzer Ganzkörperumhüllung, sowie 4-5 Farangs. Auf Bildschirmen lief ein Film, Zeitschriften und Trinken war angeboten. Wie im Land üblich bedeuten Termine nichts und es entsteht bei der Arbeit keine Hektik.

Meine Ärztin war jung und hübsch und sah mit ihrem bleichen Teint und den langen, glatten Haaren und mit den daraus hervorstehenden Ohren aus wie ein Geschöpf aus Der Herr der Ringe. Sie wusste auch nicht sicher, um was es sich handeln könnte, und wollte eine weitere Ärztin hinzuziehen, die, wie ich später auf der Homepage der Klinik feststellte, nur Montag nachmittags anwesend war. Um eine Infektion auszuschließen, sollte ich versuchsweise Augentropfen nehmen und in 6 Tagen wieder kommen. Das Entfernen der Schwellung hielt sie aber für geboten, schon um festzustellen, ob sie gut- oder bösartig ist.

Nach einer weiteren Wartezeit konnte ich nach unten gehen, wo ich die beiden Arzttermine bekam und die Rechnung begleichen durfte: zuzüglich zum Vorgenannten 705 Baht für Arzt und Management und 455 Baht für die beiden Fläschchen Augentropfen. Dazu erhielt ich aber ein schönes Stofftäschchen.

Es war noch zu früh, um nach hause zu gehen, und so fuhren wir mit der MTR die eine Station zur Sukhumvit, wo wir in die BTS umstiegen und eine Station weiter nach Phrom Phong fuhren. Meine Gattin wollte schon lange mal ins Emporium. Sie kaufte dann ein paar Dinge in der Lebensmittelabteilung. Daran angrenzend gibt es einige kleine Restaurants und im Duke´s Expresse habe ich eine meiner besten Pizzen in Thailand gegessen, griechisch, mit viel Schafskäse.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 10. Juli 2022, 10:10:03
2.Besuch in der Rutnin

Montag, der 2.Mai, war ja ein Ersatzfeiertag für den Sonntag. Es war wenig los auf der Straße, doch in der Rutnin Augenklinik war voller Betrieb. Den Termin, auf den ich tags zuvor noch per SMS auf mein tragbares Telefongerät hingewiesen worden war, hatte ich um 15.40 Uhr. Erst dreieinhalb Stunden später sollte ich die Klinik wieder verlassen. Meine Gattin hatte sich etwas zu lesen mitgenommen und kuschelte sich in einen der Wartesessel. Die Eingangsuntersuchung verlief schneller, zumal ich darauf hingewiesen hatte, dass ich wegen meines linken Auges gekommen war. Aber die 230 Baht für Medical Service müssen ja begründet sein.

Auf dem Bildschirm lief Rocky IV, was mir Übelkeit verursachte. Aber ich verspüre nie Langeweile, obwohl der Termin mehr als eine Stunde überzogen wurde. Die antibiotischen Augentropfen, die ich genommen hatte - die einen dreimal täglich, die anderen alle 3 Stunden -, hatten erwartungsgemäß keine Veränderung gebracht. Auf dem Bild, das die Ärztin von der Spaltlampe an die Wand projizierte, waren der Pickel und die umgebenden Adern gut zu erkennen. Die zweite Ärztin arbeitete nebenan. Sie machte einen kompetenten Eindruck. Sie stellte fest, dass die Masse, wie sie sagte, auf der Hornhaut beweglich sei, also nur aufsitzt. Dennoch sollte sie entfernt und untersucht werden. Die Operation sei, wie mir die erste Ärztin dann weiter erklärte, kein großes Problem. Das Auge werde betäubt und mit einem Gerät offen gehalten, die Masse werde herausgeschnitten und die Öffnung mit 3,4 Stichen vernäht. Falls das Loch zu groß sei, könnte künstliche Hornhaut eingefügt werden. Sie zeichnete ein Auge und malte darin 4 Kreuze. Es dürfe nur nach der OP eine Woche lang kein Wasser ins Auge gelangen. Das Gesicht müsste mit einem feuchten Tuch gereinigt werden. Auf die Frage nach dem Haare waschen meinte sie, das müsse jemand anders bei zurück geneigtem Kopf übernehmen oder eben der Friseur.

Ich hatte mich bisher ohne Schwierigkeit in Englisch unterhalten und war bewusst allein in die Untersuchung gegangen. Jetzt bat ich, meine Frau hinzu zu holen und ihr alles zu erklären. Wir fragten nach den Kosten der Operation. Dies würde uns eine Schwester anschließend ausführen. Wir sprachen darüber, dass wir nicht krankenversichert sind. Die Ärztin meinte, wir könnten die Operation auch kostengünstiger in einem öffentlichen Krankenhaus durchführen lassen. Sie würde dann alle Unterlagen mitgeben. Wir müssten uns auch nicht gleich entscheiden, sondern könnten die weitere Entwicklung der Masse beobachten und anhand von Bildern dokumentieren. Ein Foto würde 500 Baht kosten.

Wir nahmen im Wartesaal platz. Nach geraumer Zeit erschien eine Schwester und fragte uns, ob es uns recht sei, wenn sie hier mit uns spreche, da der Doktor gerade mit einem Patienten beschäftigt sei. Sie führte uns etwas abseits. Meine Frau sagte mir später, dass sie gesehen hatte, dass eine Ärztin allein in den Raum war, aus dem die Schwester kam. Diese zeigte uns nun ein bedrucktes Papier, auf dem unten in großen Ziffern mit Kugelschreiber der Betrag stand: 25 – 35 000. Wir waren baff. Die Situation hatte etwas von einem indischen Schneiderladen, aber wir hatten ja keine Vorstellung von den Kosten. Auf meine Frage nach der Spanne im Betrag meinte sie, das käme auf die Operationsdauer an. Ob damit auch die Kosten für das Fädenziehen eingeschlossen sind? „Yes, operation and after-operation.“ Wenn wir uns zur OP entschließen würden, sollten wir sie anrufen. Sie forderte meine Frau auf, mit ihrer Unterschrift zu bestätigen, dass die Aufklärung stattgefunden hat. Weder habe ich dieses Papier zu Gesicht bekommen, noch erhielten wir ihren Namen und Telefonnummer.

Dann sollte ich mit ihr gehen, um das Foto zu machen. Meine Frau und ich sahen uns an. Dies war mit der Ärztin nicht abgemacht. Aber wir waren einverstanden. Auf dem Weg versuchte sich die Schwester einzuschleimen. „Oh, I see you´re from Germany. I like Germany.“ Sie brachte mich in einen Raum, in dem einige Patienten saßen, denen eine Schwester in kurzen Abständen Augentropfen verabreichte. Es gab Behandlungskabinen und tiefer drinnen weitere Räume, auf die unsere Nurse zuschritt. Ich durfte platz nehmen und warten. Nach kurzer Zeit kam sie lächelnd wieder heraus. Ich wartete eine weitere halbe Stunde, bis ich nach hinten gerufen wurde, wo ein junger Mann an einer einfachen Spaltlampe Aufnahmen machte. Ich wollte sie gleich mitnehmen, aber er sagte, er würde sie runter schicken.

Unten an der Rezeption bekam ich einen weiteren Termin für den 30.Mai. Ich zahlte an der Kasse. Erst als ich anschließend die Rechnung in den Händen hielt, sah ich, dass da für Polaroid 1000 Baht stand. Ich verwies darauf, dass die Ärztin von 500 Baht gesprochen hatte. Die Damen wollten Rücksprache halten und nach einen kurzen Telefonat per Handy gab man mir einen 500 Baht Schein und eine neue Rechnung. Sie hatten wohl mit ihrer Kollegin gesprochen und das bereitgelegte Geld raus rücken müssen. Das Lächeln und die Freundlichkeit waren verschwunden. Ich verlangte die Aufnahme und erhielt ein bedrucktes DIN A4 Blatt mit zwei unbrauchbaren Bildern (aus acht) eines Auges, seitenverkehrt und unscharf. Wir verließen die Klinik mit der Absicht, nicht mehr wieder zu kommen. So kann man auch in einer renommierten Einrichtung Gefahr laufen, Opfer des Volkssports zu werden: Wie kann ich meinen Mitmenschen übers Ohr hauen.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Suksabai am 10. Juli 2022, 11:16:46

Ich verfolge deine Story mit grossem Interesse.
Deswegen meine Frage:
ist es genehm, dass ich zu diesem Thema (Augenarzt) eine kleine Episode aus meinem Leben hinzufüge?

Wenn nicht - kein Problem, alles lässt sich wieder löschen...

Also, wie schon (ich glaube 2016) berichtet, folgendes:

Am Beispiel Katarakt (Linseneintrübung) ein Beispiel meinerseits:

in Pattaya Spezialklinik: ja, beide Augen betroffen, 50.000 Baht per Auge...
in Pattaya Augenarzt, ebenfalls Spezialist für Katarakt: ja, beide Augen betroffen, 60.000 Baht per Auge...
in Ubon Ratchathani, Privatklinik des ehm. Leiters der Ophthalmologie Suppasittipasong Hospital:
je nach eigesetzter Linse zwischen 18-23.000 Baht, für ein Auge, das andere war zu dem Zeitpunkt nicht beeinträchtigt
Die OP des rechten Auges wurde computergestützt duchgeführt und war ein voller Erfolg...


Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 10. Juli 2022, 14:34:45
Ich habe in keinster Weise etwas dagegen, wenn Fragen, Bemerkungen und auch eigene Erfahrungen eingefügt werden. Wie gesagt, mein Fall liegt 11 Jahre zurück und ich gebe wieder, was ich damals verfaßt habe, als das Geschehen noch frisch war.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 10. Juli 2022, 20:43:55
Ich mache mal weiter, denn die Geschichte mit dem Auge ist lang und mit der Operation nicht zu Ende. Aber ich hoffe, dass sie mit den vielen Details und dem Beschreiben meiner Empfindungen, dem Auf und Ab der Gefühle nicht nur unterhält, sondern sich gut nachvollziehen lässt. So sah mein Auge aus:

(https://up.picr.de/43361322so.jpg)


Im Chulalongkorn

Freunde und Verwandte hatten sich von Anfang an bereit erklärt, bei der Suche nach einem Augenarzt zu helfen. In die engere Auswahl kamen eigentlich nur das Siriraj und das Chulalongkorn. Zwar betreiben nicht wenige Augenärzte, die in einem Krankenhaus angestellt sind, an Wochenenden und in den Abendstunden, ihre eigene Praxis, aber zu Unzeiten in die nächste Provinz zu fahren, war keine Lösung. Schließlich machte eine liebe Verwandte einen Termin bei einem Arzt im Chula und war bereit, uns dorthin zu begleiten. Wie sinnvoll diese Hilfe war, sahen wir gleich.

In ihrem Büro, das in der Nähe des Krankenhauses liegt, machte sie noch die erforderliche Kopie von meinem Pass. Über den Eingang für Notfälle gelangten wir auf Umwegen zur Anmeldung. Dass der Eingang an der anderer Straße liegt, bemerkten wir erst beim zweiten Besuch. Das Chulalongkorn Hospital selbst und seine Lehreinrichtungen besteht aus zahlreichen Gebäuden. Das weite Areal ist zum Teil eine Baustelle. Der Augenfachbereich ist im elften Stock eines der Hochhäuser. Unten mussten wir uns anmelden. In dem Chaos hätten wir uns nicht zurechtgefunden. Meine Frau erleidet schon beim Gedanken an Behörden, Formularen und Uniformen körperliche Abwehrreaktionen. Nirgends war ein Wort in Englisch zu lesen oder zu hören. Die Verwandte ging für uns an den richtigen der vielen Schalter und füllte den Bogen aus. Meine Daten musste ich aber dann doch in Englisch nachtragen. Das Krankenhaus wird vom Roten Kreuz geführt und Schwestern verkauften Ansteckblumen und an einem Stand Andenken und T-Shirts. Alle liefen durcheinander.

Wir wurden zu einem anderen Schalter gerufen und nachdem ein Bild von mir gemacht worden war, bekam ich meinen Ausweis in Scheckkartenformat mit Foto. Die Kosten von 30 Baht waren sofort zu begleichen. Ich erhielt einen Zettel, den ich an der Anmeldung im elften Stock auf einen Nagel spießen durfte. Im Saal saßen etwa 100 Personen, aber ich musste nicht lange warten, bis ich in den nächsten Raum gerufen wurde, wo sich der Reihe nach alle vor zwei Spaltlampen setzen mussten und den Augendruck und noch was gemessen bekamen. Es gab kleine getränkte Tupfer zum Abwischen der Auflagen für Kinn und Stirn. Unsere Mappe durften wir in den nächsten Raum mitnehmen, wo die Sehstärke durch Ablesen der Ziffern getestet wurde. Alles verlief routiniert und das Personal war sehr freundlich. Nur Englisch sprechen sie nicht gern, dafür die Ärzte um so besser.

Dem Arzt konnte ich die vagen Diagnosen der Rutnin vorlegen und er gab mir gleich einen Termin für Sonntag Vormittag bei einer anderen Ärztin. Obwohl er eine Infektion ausschloss und auch zur Entfernung und histologischen Untersuchung des Pickels riet, sollte ich die einen Augentropfen weiter anwenden. Er hinterließ einen sehr positiven Eindruck.

Während wir im Wartesaal auf das Ausstellen der Rechnung warteten, konnten wir einen umfassenden Blick auf den Lumpini Park werfen. Und auf das Dusit Thani Hotel. Als wir vor 36 Jahren heiraten - an der anderen Straßenecke in der Schlangenfarm mussten wir uns damals die vorgeschriebenen Impfungen für die Einreise nach Deutschland geben lassen -, war dies das höchste Gebäude in Bangkok. Bald wurde mein Name, also immer Mister und der Vornahme, ausgerufen und gleich der Betrag dazu, der zu zahlen war: 420 Baht, davon 300 für den Arzt.

Anschließend wollten wir noch in der Silom schoppen gehen. Wir kamen aber nur bis zum Tops in einem Untergeschoss. Als wir wieder raufkamen, goss es in Strömen. Wir beschlossen heimzufahren, mit der U-Bahn von Silom nach Phetchaburi und von da, bzw. Makkasan mit dem Airportlink. Eine nette Begegnung hatte ich noch; eine junge Dame bestand mit einem Lächeln darauf, mir ihren Schirm anzubieten für die paar Schritte vom Geschäft zum Fußgängerübergang, der zur U-Bahn Station und zur BTS Station führt. Meine Gattin hatte sie gar nicht wahrgenommen, aber die Zeiten der Eifersucht sind längst vorbei.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 11. Juli 2022, 11:24:37
2.Besuch im Chulalongkorn

An einem Sonntagmorgen herrscht kein Gedränge in den Zügen von Airportlink und U-Bahn und wir konnten entspannt praktisch bis vor den Eingang des Krankenhauses fahren. Über die Fußgängerbrücke und den uns bekannten Schleichweg gelangten wir in den elften Stock und spießten den Terminzettel auf den Nagel an der Anmeldung. Da so jeder Patient der Reihe nach drankommt und auch keine feste Uhrzeit sondern eine Zeitspanne als Termin angegeben ist, entsteht keine Ungeduld und kein Drängen. Und obwohl mehr Patienten und Angehörige warten als im Rutnin, geht alles zügiger von statten als dort. Das Personal ist freundlich und hilfsbereit, macht gerne Scherze und ist keinesfalls hochnäsig. Sie freuen sich, einen wiederzusehen. Für einen jungen Pfleger, der bei meinem letzten Sehtest froh war, dass ich etwas Thai sprechen konnte, bin ich eben Mr. John. Heute assistierte er der Frau Doktor, wobei er zunächst die Reihenfolge des Eintretens festlegte. Zuvor hatte ich wie üblich die Tests in Raum 1 und 2 zu absolvieren.

Die Frau Doktor war uns sofort sympathisch. Ihr Name wurde mir anschließend als Dr. Ausanee, sprich Ussani, aufgeschrieben. Ihr Englisch war perfekt. Meiner Gattin fiel auf, dass sie mehr mit mir als mit ihr sprach. Sie untersuchte die Beschaffenheit und Beweglichkeit der Wucherung und hielt die Entfernung für das Beste. Sie würde in genügend Abstand herum schneiden. Ob dann nicht ein großes Loch entstehen würde? Nein, und es würden auch keine Narben bleiben. Ob genäht werden muss? Nein, aber das könne sie mit mir ja während der Operation noch besprechen, ich sei ja bei Bewusstsein. Sie spürte meine Besorgnis und versprach: „I promise, I won´t hurt you!“ Sie werde die Masse anheben - sie führte Daumen und Zeigefinger zusammen und nach oben - und „schnipp, schnipp!“; sie machte die entsprechende Bewegung dazu. Als wir dann nach den Kosten fragten und sie etwas von 10 000 sagte, war die Entscheidung gefallen. Ich empfand völliges Vertrauen zu ihr.

Ich weiß nicht, ob sie nur an Wochenenden praktiziert. Jedenfalls wurde der nächste Samstag als OP-Tag und der Sonntag als Tag der ersten Nachuntersuchung von ihr festgelegt. Eine Schwester sollte mir das Nähere erläutern. Diese führte mich in einen Raum mit vielen Wandschränken, in dem auch drei Liegen standen. Da gab es ein kleines Missverständnis. Sie sagte etwas von 6 und 7 Uhr, was mir doch recht früh vorkam und ich fragte, ob wir den Termin nicht um 8 machen könnten, da wir ja eine weite Anreise hätten. Sie wollte die Frau Doktor fragen und ließ mich allein. Eine andere Schwester kam und verwies mich aus dem Raum zurück in den Ärzte-Wartesaal. 8 Uhr war in Ordnung. Wir wussten aber nicht, dass alle zu Operierenden zwischen 6 und 7 erscheinen sollten, um eingewiesen und vorbereitet zu werden. Es wurde noch nach Erkrankungen und Medikamenten gefragt und uns der Terminschein, sowie ein Merkblatt in Thai und ein Lageplan ausgehändigt, denn der Eingriff sollte in einem anderen Gebäude stattfinden. Und er würde mehr als 10 000 kosten, aber keine 20 000. Nur kurz mussten wir warten, bis ich zum Bezahlen der Rechnung aufgerufen wurde. Wieder 420 Baht wie letztes Mal.

Wir fanden über den Haupteingang aus dem Gebäude und liefen die Silom hinunter. Es war nicht viel los um diese Zeit. Wir tranken einen überteuerten Cappuccino an der Straße. Direkt an der BTS Station Sala Deng gibt es ein größeres Kaufhaus und kaum hatte wir das Fuji-Schild gesehen, steuerten wir auch darauf zu. Wir sind 2-3 mal im Monat Gast bei diesem Japaner. Danach wollte meine liebe Gattin noch ins Paragon, das ja nur zwei Stationen weit entfernt ist. Sie durchstreift dort gern den Supermarkt und vergleicht das Angebot und die Preise. Einkaufen tut sie nur wenig, vielleicht Kräuter und Salate und saure Drops von Nimm2. Anschließend tranken wir noch wie schon öfters einen Kaffee an einem Koiteich im Außenbereich. In Phayathai stiegen wir in den Airportlink und fuhren zufrieden nach hause.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 12. Juli 2022, 08:05:19
Vor der OP

Sechs Tage Galgenfrist. Im Internet fand ich nichts, das auf meinen Fall passen könnte; dafür Videos von Lasik-Operationen und Informationen über Augenkrebs. Bilder von mit Spreizern offen gehaltenen Augäpfeln, Skalpellen, die sich meinem Auge nähern, und viele Fragen ließen mich nachts nicht wieder einschlafen. Ich bekam mehr Bammel als ich zulassen wollte.

Wir planten stressfrei anzukommen und meine Gattin hatte für 5.45 Uhr ein Taxi bestellt. Nicht zu früh. Wir brauchten zwar bei der raschen Fahrt über den Highway nur 35 Minuten, aber kaum betraten wir das Gebäude, von dem aus wir erwarteten zum Operationsort in einem anderen Haus gebracht zu werden, wurde ich über mein Handy gefragt, wo wir seien. Wir machten uns auf den Weg über Parkhöfe und überdachte Gänge und mussten zweimal nachfragen, was meine Frau nicht gerne tut. Aber der Tag sollte noch weitere Herausforderungen für sie bringen. Als wir dann dort im 3.Stock ankamen, saßen ein paar Leute auf den Stühlen im Gang vor der Anmeldung. Es waren Begleitpersonen der anderen zu Operierenden. Eine Frau zeigte uns, wo wir den Zettel abgeben konnten, und gleich erschien eine Schwester mit meiner Akte. Sie stellte die üblichen Fragen nach Name, Augenseite, Krankheiten, Allergien und Medikamenten, zeigte uns Merkblätter und ließ uns unterschreiben. Meine Frau musste zusätzlich noch ihren Namen auf Thai schreiben, was ihr nicht geläufig ist, denn sie unterschreibt meist mit Ka-Bumm, also dem Anfangsbuchstaben ihres Vornamens und Punkt, aber sie konnte den Namen aus der Akte abschreiben. Ich hatte gerade noch Zeit die Anweisungen für die Zeit nach der OP in Englisch zu überfliegen, da bat mich die Schwester auch schon herein. Brille und Geldbeutel musste ich bei meiner Gattin lassen.

Sie bemühte sich Englisch zu sprechen und forderte mich auf, meine Schuhe gegen ein Paar Schlappen zu tauschen. Sie reichte mir einen hellblauen Pyjama. Ich sollte mich umziehen. Completely, bestätigte sie auf meine Nachfrage. Ein Pfleger kam und knüpfte für mich die Schleifchen an der Wickeljacke. Er führte mich am Arm vor ein Waschbecken, tropfte Seifenlotion auf meine Hände und deutete mir an, Gesicht und Hände zu waschen. Das Abtrocknen der Unterarme übernahm er selbst und geleitete mich dann in den Warteraum. Dort saßen vier ältere Damen und ein Herr auf breiten Sesseln. Eine hagere Schwester ließ sich wieder den Namen und die Augenseite bestätigen, streifte mir eine Haube übers Haar und klebte eine Kompresse vor das linke Ohr. Ab und zu verabreichte sie den Anderen Augentropfen. Sie erkundigte sich nach meinen Sprachkenntnissen und begann für alle Patienten eine Belehrung, was wir nach der OP zu beachten hätten und wie wir die Tropfen und Pflegemittel anwenden sollten, die wir dann in einem Täschchen mitbekommen würden. Es dürfe kein Wasser oder Schweiß oder Schmutz in das operierte Auge gelangen. Das bedeutete also Vorsicht beim Schlürfen der Nudelsuppe und beim Zubereiten und Verzehren von Som Tam. Anschließen hielt sie draußen offensichtlich den Angehörigen den gleichen Vortrag. Später maß sie meinen Blutdruck. Er fiel noch höher aus als üblich. „Jai den“ (wörtlich: tanzendes Herz), meinte sie, die Aufregung. 161/93 schrieb sie auf den Namenszettel, den sie mir anklebte.

Ich war froh, meine Socken anbehalten zu haben. Weit über eine Stunde saß ich in meinem dünnen, kurzärmligen Hemdchen in dem gut gekühlten Raum, der wohl auch mal als Operations- und Lehrsaal gedient hatte, bevor die Aircondition mit der Frage, ob es kalt sei, abgeschaltet wurde. Aus unserer schweigenden Gruppe wurden der Reihe nach die Frauen abgeführt wie zur Schlachtbank und kamen für eine Zeit lang mit verbundenem Auge zurück. Schlafen konnte ich nicht, obwohl mir ein langes Kissen untergeschoben wurde. Ich wurde aber rührend umsorgt. Zweimal kam die Schwester von der Anmeldung und fragte wie es mir ginge. „Don´t be afraid! Many nurse!“ Ich hatte sie anfangs nach einer „Alles-egal-Pille“ gefragt, von der ich gelesen hatte. Es gab keine. Aber das stille Warten und der monotone Singsang der Thaimusik hatten dieselbe Wirkung. Kein Fluchtgedanke mehr, nur der Wunsch, dass es bald vorbei sein möge.

Während der Mann als letzter vor mir hin ausgeführt wurde, kam die Ärztin oder Schwester, die beim Eingriff assistieren würde, und fragte mich nach Befinden, Namen und Augenseite und ob ich schon einmal am Auge operiert worden sei. Alle Ansprache und Zuwendung erschien mir über den normalen klinischen Ablauf hinauszugehen. Ich fühlte mich geborgen. Schließlich kam auch Dr.Ausanee selbst. Sie fragte, ob ich sie wieder erkennen würde. Das tat ich, zumal ich ihr Bild im Internet gefunden hatte, aber in meiner Schläfrigkeit war ich zu langsam um ihren Namen auszusprechen. Sie sagte, ich solle ganz beruhigt sein. Gleich würde ihre Assistentin mir Augentropfen geben, die das Auge schmerzfrei machen würden, und in 40 Minuten sei alles vorbei. Ich bat darum, vorher noch auf die Toilette gehen zu dürfen. Der Pfleger führte mich wieder in den Umkleidebereich. Da wir eine andere Patientin vorlassen mussten, suchte ich durch das Anmeldefenster nach meiner Gattin. Die sei oben beim Bezahlen, sagte mir die Schwester. Somit war auch geklärt, wann die Rechnung beglichen werden würde. Wir hatten Bargeld dabei, obgleich vorher betont wurde, dass auch Kreditkartenzahlung möglich sei. Ich hoffte, dass meine Frau das Geld in meinem anderen Geldbeutel finden würde. Über die Schwester ließ ich ausrichten, dass ich nun dran käme.

Die Toilette war wie die anderen Räumlichkeiten nicht mehr der neueste Standard. Es gab da noch mehrere verbundene Räume, in denen im Halbdunkel einige Betten standen und Geräte und Kartons. Soweit ich es eben ohne Brille sehen konnte. Allein ging ich in den leeren Warteraum zurück. Aber kurz darauf erschien eine Schwester und führte mich zu einem Stuhl vor dem OP-Saal. Sie reichte mir zwei 500er Paracetamol und Wasser in einem Pappbecher. Ich dachte, es würde nicht weh tun. „Yes, no pain.“, sagte sie.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 13. Juli 2022, 06:01:59
Die OP

Augentropfen wurden verabreicht. Dr.Ausanee holte mich selbst in den OP. Sie fragte, ob sie mit mir in Thai oder in Englisch kommunizieren solle. Ich zog Letzteres vor. Sie machte eine lustige Bemerkung. Die anderen Frauen des Teams unterhielten sich weiter und machten Scherze. Ich war völlig ruhig und bereit.

Sie half mir auf die Operationsliege. „The shirt is too small.“ stellte sie fest, als beim Hochrutschen das Hemd klemmte. „The bed is too small.“, sagte ich, da ich meine Arme nicht neben mich auf die schmale Liege legen konnte. Ich solle sie auf dem Bauch verschränken. Eine Schwester drückte sie an mich. Aber dadurch fiel das Atmen schwer. Für den Rest des Eingriffs hakte ich meine Daumen in den Hosenbund. Dr.Ausanee erklärte mir nun jeweils die Schritte. Ich bekam Augentropfen ins linke Auge, das sich bald fast pelzig anfühlte. Mit einem grünen Tuch wurde ich zugedeckt und mein ganzes Gesicht wurde mit einer getränkten Kompresse an einer Klammer abgerieben und desinfiziert. Ich dürfte rotbraun ausgesehen haben. Mein rechtes Auge wurde mit einer Kompresse zugeklebt. Sie breiteten ein Tuch über mich aus, das nur einen Ausschnitt für das linke Auge hatte. Fortan atmete ich unter diesem Tuch. Das Loch wurde steril umklebt und ein Lampe auf das Auge gerichtet. Dr. Ausanee stellte sicher, dass ich genug Luft zum Atmen hatte, und fragte, ob mich das Licht blenden würde. Das tat es nicht. Eine Folie wurde übers Auge geklebt und längs aufgeschnitten und dann der Retainer gesetzt, was aber gar nicht lästig war. Mein Auge lag offen da fürs Messer.

Ich hatte keinerlei Schmerzen und bekam von den Details des Eingriffs wenig mit. Ich hörte nur die Maschinengeräusche, wenn Blut abgesaugt wurde. Dr. Ausanee forderte mich immer wieder auf, ganz nach links zu blicken, was mir gar nicht so einfach vorkam, zumal meine Sicht milchig getrübt war, besonders da scheinbar auch die Linse abgedeckt worden war, und ich so keinen Fixierungspunkt hatte. „That´s great!“, durfte ich dennoch oft hören. Das Zeitgefühl verschwand, aber nach 30 Minuten war es wohl vorüber und der Spreizer und die Abdeckungen wurden entfernt und das Gesicht gereinigt. Dr. Ausanee verlangte von der Assistentin, einen Druckverband anzulegen. Darüber wurde ein durchlöchertes Plastikschild geklebt. Nach Entfernen der Tücher half man mir mich aufzusetzen und die Frau Doktor lehnte sich neben mich, ihre Handtasche schon am Arm. Sie zeigte mir das gemalte Bild eines Auges und darin einen roten Punkt. Ich konnte nicht erkennen, ob es nur gezeichnet war oder es sich um das entfernte Stückchen Fleisch handelte. Sie würde es zur Untersuchung schicken. Und die Chancen ständen 50 zu 50, dass der Tumor gut- oder bösartig sei. Davon ließ sie sich nicht abbringen. Morgen um 9 würde sie den Verband entfernen. Ich solle mich ausruhen. Mit einem Rollstuhl wurde ich den kurzen Weg zum Umkleiden gefahren. Der Pfleger half mir wieder dabei. Ich fühlte mich etwas schwindelig, war aber durchaus in der Lage hinaus zu meiner Frau zu gehen, die alleine im Gang wartete.

Sie war zuvor in den 7.Stock gefahren, wobei sie sich allein im Lift gar nicht wohl fühlte, und hatte wie die anderen Angehörigen die Rechnung bezahlt. In meinem Fall 1 300 Baht für das Entfernen des Anhängsels (excision adnexa), 140 für das Reinigungsset, 285 und 195 für Medikamente, also die Augentropfen und einen Streifen Paracetamol sowie künstliche Tränen und 10 000 für den Arzt, zusammen also 11 920 Baht. Im Rutnin hätte ich das Doppelte bis Dreifache zahlen müssen. Das Pflegeset und das andere Material war ihr bereits in einer Tüte ausgehändigt worden. Bevor wir den Terminzettel bekamen, musste meine Frau nochmal weg und die Vorauszahlung für die histologische Untersuchung begleichen, 340 Baht. Kaum war sie zurück, kam Dr. Ausanee zu uns, meinte dass alles gut gegangen sei, wir nach hause fahren und uns erholen sollten. Bei Schmerzen sollte ich die Tabletten nehmen. In 7 bis 10 Tagen würden wir das Ergebnis erfahren. Wir empfanden Vertrautheit und Zuneigung und bedankten uns artig.

Die Brille konnte ich bei dem dicken Verband nicht aufsetzen, doch ich konnte bis auf Verschwommenheit in der Ferne ausreichend sehen. Dennoch ließ ich mich gerne führen. Vor dem Haus ist ein kleines offenes Restaurant und vom Duft angeregt bestellte sich meine Frau etwas zu essen. Ich wollte nur das rechte Auge auch schließen und ausruhen. Bei geschlossenen Augen nahm ich die Eindrücke intensiver wahr, die Wärme, den Windhauch, das köstliche, kalte Wasser, den Kaffee aus dem Pappbecher. Wir mussten nicht weiter an die Straße, sondern konnten uns ein vorbeifahrendes Taxi nehmen. Es war kaum Verkehr und wir kamen auf der alten Rama IX rasch voran. Diesmal überließ ich es meiner Frau, das Taxi über das Flughafengelände zu dirigieren.

Bei meiner ganzen Meditationspraxis habe ich wohl an keinem Tag so lange die Augen geschlossen gehalten. Ich setzte mir den Gehörschutz auf und legte mich still auf das Sofa. Ich war müde, erleichtert und meist ganz im Augenblick. Bis auf ein zeitweiliges leichtes Druck- oder Reizempfinden am Auge hatte ich keine Schmerzen. Im Gegenteil, ich fühlte mich leicht und mit dem All verbunden. Mein Hauptimpuls war: ich bin völlig zufrieden und dankbar für den Augenblick, es gibt nichts darüber hinaus zu erfahren. Es ist wie mit dem halb vollen Glas, nur dass kein Gedanke an einen anderen Füllungsstand da ist.

Ich machte mir später eine Spargelcremesuppe von Heisse Tasse und am Abend gab es belegte Brote und Milch. Ich verbrachte fast die ganze Zeit des Tages und auch die Nacht auf dem Sofa, zumal ich mich laut Merkblatt nicht auf die operierten Seite drehen sollte.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 14. Juli 2022, 10:27:28
Rasur und Haarwäsche fielen heute aus. Meine Gattin hatte vernommen, dass es günstig wäre, frühzeitig in der Klinik zu erscheinen, und so konnten wir schon um 7 Uhr den Anmeldeschein auf den Nagel spießen. Es waren bereits einige Patienten und Angehörige anwesend, darunter auch mein Mitpatient von gestern. Doch erst um 8.30 Uhr wurden alle Ventilatoren und Bildschirme eingeschaltet. Auf jedem Gerät lief ein anderes Programm, um diese Zeit meist Trickfilme, aber Geräuschkulisse muss sein in öffentlichen Räumen. Wir wurden dann bald in den hinteren Warteraum gerufen und von dort wurde ich in den Raum gebeten, aus dem ich eine Woche zuvor vertrieben worden war. Ich bestieg neben meinem Kollegen die mittlere Liege und eine Schwester entfernte den Verband. Mein Auge muss ziemlich blutverklebt gewesen sein. Jedenfalls machte sie eine entsprechende Bemerkung und brauchte einige Zeit um es zu säubern. Das Reinigen der Wimpern bei offenem Auge war nicht besonders angenehm. Wir hatten unseren Beutel von gestern mitbringen müssen, aber sie benutzte hauseigenes Material. Ich konnte wieder meine Brille aufsetzen. Meine Sicht war ungetrübt. Ich fragte nach einem Spiegel. Es gab keinen. Die Plastikkappe gab sie mir mit. Damit muss ich nachts das Auge abdecken, damit ich nicht unabsichtlich daran reibe.

Mit meiner Mappe wurde ich in den Raum 1 geschickt, also zur Voruntersuchung im Gang. Weil gerade der Stuhl vor einem Gerät frei war, nahm ich Platz. Die Tests dauern ja nur Sekunden. Mein Pfleger freute sich, Mr.John wiederzusehen. Mein Hinweis auf die gestrige OP wurde zwar wahrgenommen, aber dennoch wurde auch das operierte Auge mit Luftstößen bedacht. In Raum 2 kam ich sofort dran. Aber ich musste mit Erschrecken feststellen, dass ich mit dem linken Auge schlechter sehen konnte. Da half es auch nicht, nach meiner Frau zu rufen und die alte Brille zu probieren. Ich hatte auf die gleichstarke Ersatzbrille gewechselt, weil ich hier einen besseren dunklen Aufsatz aufstecken kann. Durch das Loch in der vorgehaltenen Plastikscheibe war die Sicht etwas besser. Die Augenmuskeln waren wohl noch nicht so beweglich.

Dr. Ausanee begrüßte mich herzlich und fragte, wie es mir gehe und wie viele Schmerztabletten ich genommen hätte. Keine. Sie fragte nach meiner Frau, und als diese erschien, begrüßte sie sie mit einem scherzhaften Wai bis zum Scheitel. Ob ich gequengelt habe, wollte sie von ihr wissen. Während ich in die Spaltlampe blickte, meinte sie, sie habe den Tumor ohne Schwierigkeit („easily“) entfernen können und nun sei wieder die weiße Haut zu sehen. Auf dem Monitor war jedoch deutlich der gewölbte Wundrand erkennbar. Das halbe Auge war bis auf diese Stelle blutrot. Das würde in 4 Wochen verschwinden, jeden Tag ein bisschen mehr. Sie ließ sich den Beutel zeigen, den Tablettenstreifen, die Augentropfen und die künstlichen Tränen. Diese könne ich mir einträufeln, wann immer ich das Bedürfnis hätte. Sie empfahl die Tropfen im Kühlschrank aufzubewahren. Das würde dem Auge gut tun. Wichtig wäre, nicht am Auge zu reiben und den Kontakt mit Wasser auf jeden Fall zu vermeiden, und TV und Computer solle ich in den ersten Tagen reduzieren. Nächsten Sonntag sollten wir wieder kommen. Bis dahin würde sie sich um das Untersuchungsergebnis bemühen. Jetzt könnten wir schoppen gehen. Meine Frage, ob ich auf der linken Seite schlafen dürfe, bejahte sie lachend.

Wir empfinden beide große Sympathie für diese Frau. Beim Begleichen der Rechnung wurde uns gesagt, dass sie keine Gebühr für die heutige Untersuchung verlangen würde. Es waren nur die standardmäßigen 50 plus 70 Baht zu zahlen. Wir nahmen unseren Terminschein und gingen zufrieden zur Silom hinüber.

Die Restaurants und Geschäfte waren um diese Zeit noch geschlossen. Straßenkehrerinnen und ein Wasserwerfer reinigten die Rinnsteine. Wir wollten in einem kleinen chinesischen Restaurant essen, warteten aber dann doch, bis um 10.30 der Fuji öffnete. Ich behielt selbst dort meine dunkle Brille auf. Es war einfach für das Auge angenehmer. Von jetzt an urteile ich nicht mehr vorschnell, wenn ich jemand mit Sonnenbrille in Kaufhäusern sehe. Nach dem Essen war mir nicht nach Schoppen zumute und wir fuhren mit U-Bahn und Airportlink nach hause.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 15. Juli 2022, 14:22:11
Den Rest des Tages verbrachte ich ruhend und nachdem ich mir vor dem Schlafengehen das Auge zugeklebt hatte, schlief ich nach einigen Nächten wieder gut. Ich gebe mir nun viermal täglich die antibiotischen Augentropfen und alle eineinhalb bis zwei Stunden die Tränen ohne Konservierungsmittel. Ich achte dabei streng auf Hygiene. Draußen und meist auch drinnen trage ich die dunkle Brille und ich schließe oft die Augen oder lege mich hin. Vor dem Zubettgehen reinige ich die Lider mit sterilen Wattebällchen und Kochsalzlösung aus dem Pflegeset, klebe eine gefaltete sterile Kompresse mit dem mitgegebenen Klebeband darauf und das Plastikschild darüber. Nach dem Aufstehen reinige ich die Lider erneut mit der Kompresse. Duschen kann ich vom Hals abwärts, das Gesicht wasche ich vorsichtig mit einem feuchten Tuch und meine Haare wäscht mir meine Gattin draußen mit dem Gartenschlauch.

Von Tag zu Tag verbessert sich das Befinden und das Erscheinungsbild des Auges. Die Rötung ist merklich zurückgegangen. Doch ich lasse ihm Zeit und setze die verordneten Maßnahmen fort. Die operierte Stelle wird wohl als solche erkennbar bleiben. Ich hoffe, dass die Wucherung nicht zurückkehrt. Als wir am Mittwoch unseren üblichen Ausflug zum Pflanzenmarkt auf dem Chatuchak machten, scheiterte ich daran, mir selber die Tropfen im Bus zu geben. Daheim läuft das Notebook wieder fast den ganzen Tag, aber ich mache öfters Pausen. Am Donnerstag ließen wir zum ersten Mal eine Masseuse ins Haus kommen, 300 Baht für zwei Stunden.

Ich unterlasse es mal, die spirituellen Erfahrungen dieser Tage zu schildern. Jedenfalls fühle ich mich wieder dem Leben näher, bin dankbarer für den Augenblick und leichter im Jetzt. Meine Worte und die Notwendigkeit, sie auszusprechen, überprüfe ich sorgfältiger. Diesen Bericht, der wohl ein halber Roman geworden ist, habe ich verfasst, um selbst das Geschehen zu verarbeiten, um Freunde und Verwandte informieren zu können und um zwei Kliniken mit einander zu vergleichen. Vielleicht zieht jemand Nutzen daraus.

Morgen heißt es wieder früh aufstehen. Wir werden per Bahn fahren. Ob es der letzte Besuch im Chulalongkorn sein wird, werden wir sehen.

(https://up.picr.de/43966477os.jpg)
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 16. Juli 2022, 10:30:50
Obwohl wir uns mit der Anfahrt Zeit ließen und noch an der Silom einen Kaffee tranken, waren wir schon um 7.30 Uhr im Wartesaal und ich kam sogar schon vor halb neun dran. Wieder wurde schnell der Augendruck und die Sehschärfe gemessen, gefolgt von einem kurzen Sehtest. Dr. Usanee begrüßte mich freundlich. Das Ergebnis der histologischen Untersuchung aus der Pathologie des Chula lag ihr vor. Sie machte ein ernstes Gesicht. Eigentlich hatte ich einen positiven Befund eines gutartigen Tumors, eines Hämangioms, also eines Blutschwämmchens erwartet, wie er mir schon aus meiner linken Handfläche herausgeschnitten worden war. Sie hatte gleich nach der OP von einer 50/50 Chance gesprochen und auch kurz angedeutet, wie eine weitere Behandlung bei einem negativen Befund aussehen würde. Aber dafür hatte ich zum damaligen Zeitpunkt keine Ohren.

Der Befund beschreibt das Gewebestück, zählt gefundene Zellen und deren Eigenschaften auf und kommt zu dem mir nicht einleuchtenden Ergebnis, dass es sich um ein Karzinom handele mit Verdacht auf ein bösartiges Melanom. Er betont, dass an den Rändern keine Tumorzellen zu finden sind und empfiehlt eine immunohistochemische Untersuchung zur eindeutigen Diagnose. Ich war zunächst ziemlich aufgewühlt. Auch Dr. Usanee war mit dem Report nicht zufrieden. Man muss den Verdacht begründen und eingrenzen können. Sie telefonierte deshalb mit der Leiterin der Pathologie, die an der Untersuchung selbst nicht beteiligt war, und bat um eine nochmalige Überprüfung. Bis Dienstag würde die „Ajahn“, die Professorin, den Befund vorlegen können. Ich holte meine Frau hinzu. Dr. Usanee taste meinen Gesichtsrand und meinen Nacken nach Lymphknoten ab, da der Tumor gestreut haben könnte oder seine Entstehung in einem anderen Körperteil haben könnte. Sie fand nichts und auch in der Spaltlampe sah das Auge eine Woche nach der OP viel besser aus. Die Wunde sei bis auf 10% geschlossen. Sie machte wieder Aufnahmen. Später bat ich sie, diese mir zu überlassen. Ich hatte einen USB-Stick dabei, aber Dr. Usanee hielt es ohne Umstände für besser, mir beim nächsten Mal die Bilder auf eine mitgebrachte CD zu brennen.

Als weitere Therapie sah sie eine Kryo vor. Ich musste auch zuerst nachfragen. Um sicher zu stellen, dass keine Krebszellen im Auge zurück geblieben sind, sollte der Rand und der Boden der Wunde mit Kälte behandelt werden. Sie würde sich mit ihrer Kollegin beraten und wir könnten gleich zu dieser in die Sprechstunde. Die zweite Möglichkeit der Behandlung mit Augentropfen würde sich weniger empfehlen, zumal dies einer Chemotherapie gleich käme. Ich bat sie um ihre Email-Adresse. Die Telefonnummer wollte sie uns verständlicherweise nicht geben.

Wir warteten. Vorweg, als wir um 11.30 das Hospital verließen, war meine Frau am Ende ihrer Kräfte. Nicht nur der gesunkene Nikotinspiegel und der Hunger waren Schuld. Sie besucht zwar gerne Leute im Krankenhaus, aber sie hasst es, sich dort aufzuhalten und zu warten, wobei es immer weiter zur nächsten Untersuchung und Behandlung geht, ohne dass ein Ende oder eine Heilung abzusehen wäre. Wer sich in Thailand zu einem Arzt begibt, sagt sie, setzt damit nur eine lange Reihe in Gang, ohne dass es ihm besser gehen würde. Sie fühlt sich zugegebenermaßen gar nicht wohl in diesem Land und unter ihren Landsleuten.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 17. Juli 2022, 10:36:45
Von Dr. Wasee waren wir sofort angetan. Sie hat ein strahlendes, fröhliches Wesen. Begeistert lobte sie die Arbeit ihrer Kollegin. Die Bilder hatte sie bereits gesehen. Sie würde die Kryo durchführen und dafür freitags oder sehr früh sonntags im OP sein. Wir fragten nach den Kosten. So wie bei der letzten OP. Dr. Usanee war durch den hinteren Verbindungsgang auch hinzugekommen, aber mir ist von dem Gespräch kaum mehr etwas in Erinnerung. Wir sagten für nächsten Sonntag zu, wobei ich mich innerlich noch nicht entschieden hatte. Die beiden bemühten sich mir meine Angst zu nehmen, aber ich habe ja keine mehr. Ich hatte sogar daran gedacht und zuvor Dr. Usanee danach gefragt, mir die Augen lasern zu lassen. Meine Gattin meint zwar, ich sei dafür schon zu alt, aber es wäre schön, ohne die lästige Brille auszukommen, durch die ich sowieso nicht scharf sehe wenn´s ums Lesen geht. Dr. Usanee meinte, das könne man zu einem späteren Zeitpunkt erörtern, wobei es bei meiner Fehlsichtigkeit in diesem Alter nicht so einfach wäre.

Ich gab Dr. Wasee meine Email-Adresse und unsere Telefonnummern. Wir verblieben so, dass wir zuerst das Ergebnis der histologischen Nachprüfung abwarten wollten und sie uns telefonisch oder per Email in Kenntnis setzen werde. Enttäuscht und entmutigt begaben wir uns in den Eingangssaal, um auf den Aufruf zum Begleichen der Rechnung zu warten. Da holte uns eine Schwester wieder zurück. Dr. Wasee würde gerne eine Ultraschalluntersuchung machen lassen. Ich stimmte sofort zu. Ich wurde mit meiner Mappe in einen anderen Raum geschickt. Meine Gattin wurde immer unlustiger und wartete im Saal. Für mich ging es in einen Untersuchungsraum, wo ich mich auf der harten Liege ausstrecken musste. Eine geschwätzige Schwester wollte meine Frau dabei haben, damit ich nicht allein sei. Sie hielt es aber nicht so lange aus bis Dr. Wasee endlich kam, um den Test selbst durchzuführen. Denn ich musste lange warten; sitzend, denn so lange unbequem zu liegen war ein Unding. Dabei hatte ich aber Gelegenheit, meine Akte anzuschauen. Von den englischen Fachwörtern des Berichtes machte ich mir Notizen. Unnötigerweise, denn ich bekam auf meine Bitte eine Kopie. Ich sah auch an den eingeklebten Zettelchen, dass mein Augendruck an diesem Tag über dem normalen Maß lag.

Die Ultraschalluntersuchung wurde einfühlsam und rasch an beiden geschlossenen Augen vorgenommen. Weder das Auftragen und Entfernen des Gels noch das Führen des Stiftes waren schmerzhaft oder unangenehm. Dr. Wasee zeigte und erklärte mir das ausgedruckte Ergebnis. Beide Auge waren im Innern frei von Auffälligkeiten. Also keine Metastasen oder Tumore im Augeninnern. Eine weitere Schwester holte mich und wollte auch meine Frau dabei haben. Sie ging mit uns in den Verbandsraum. Ich erkannte gleich am Formular, dass es sich um die Erklärung und Terminfestlegung für die Kryo handelte. Wir protestierten. Es war abgemacht, zunächst bis Dienstag oder Mittwoch auf den 2.Bericht zu warten. Die Schwester eilte hinaus, um Dr. Wasee zu fragen. Wir mussten aber dann zulassen, dass der Termin ins Buch eingetragen und mein Strichcode eingeklebt wurde, da sonst der Termin für mich vielleicht nicht mehr frei wäre.

Die Rechnung für die Sonographie betrug 400 Baht und für die Konsultation der beiden Ärztinnen 500 Baht. Hinzu kommen die üblichen 120 Baht, sodass ich insgesamt 1020 Baht, das sind keine 24 Euro, zu zahlen hatte.

Nicht nur, dass meine Frau müde und hungrig war, ihre Nerven waren aufs Äußerste gespannt und sie explodierte, als ich sie beim Verlassen des Krankenhauses nach dem weiteren Plan fragte. In solchen Fällen bin ich gewohnt zu schweigen. So aßen wir beim Fuji ohne Unterhaltung, was vielleicht anderen Gästen seltsam erschien. Irgendwann fangen wir schließlich immer wieder an, uns über Belangloses auszutauschen und über das ursächliche Geschehen wird nicht gesprochen.

Sie war unschlüssig, wohin wir gehen sollten. Einkaufen brächte ihr wohl etwas Freude zurück, und wenn es nur der Großmarkt Macro in Bangkapi sein sollte. Aber schließlich entschieden wir uns, nach hause zu fahren. Wir taten dies mit dem BTS nach Phayathai, wo der Airportlink endet und beginnt. Sie meinte zwar beim Umsteigen am Siam, wir könnten doch ins Paragon gehen, aber wir ließen es dann bleiben.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 18. Juli 2022, 10:17:20
Zu hause suchte ich im Internet nach den Übersetzungen für die englischen Fachausdrücke des Berichtes und nach weiteren Informationen, die zu meinem Fall passten. Die Untersuchung hat am Montag, also zwei Tage nach der Entfernung der stets roten Wucherung stattgefunden, spricht aber von einer braunen Gewebeprobe. Schon dies und andere Darstellungen im Netz über Augentumore veranlassten mich, die Diagnose als falsch abzulehnen. Ich kam auch zu der Einsicht, dass eine Kryo nicht nötig sei und wohl mehr Schaden an meinem Auge anrichten würde. Ich beschloss, den Termin abzusagen. Aber zunächst mussten wir die Rückmeldung der Ärztinnen abwarten.

An den Tagen nach diesem Sonntag fuhren meine Gefühle und Gedanken Achterbahn. Ich konnte an nichts anderes mehr denken als an bösartige Tumore im Auge und in weiteren Organen. Nachts konnte ich nicht mehr schlafen. Ich hatte keinen Appetit mehr, der Nacken und die Schultern schmerzten und mein ohnehin hoher Blutdruck machte mir Sorgen. Ich fühlte mich elend und sollte dabei doch in Harmonie mit dem Jetzt sein und alles annehmen. Es gelang mir nicht.

Ich habe mein Auge zurück und jetzt will ich mein Leben zurück. Ich bin mit dem Ergebnis der OP sehr zufrieden. Mein Auge wird jeden Tag besser in Aussehen und Empfinden. Die Wunde ist bis auf 10% geschlossen, war am Sonntag festgestellt worden. Es besteht nur noch eine kleine, längliche Schwellung oder Vernarbung im Nasenwinkel, aber dies wird von Tag zu Tag kleiner und heller. Ich will wieder beide Augen werfen können auf die Landesschönheiten, äh die Schönheiten des Landes und seine Bewohner, ohne an Krebs, Krankheit und Behandlung denken zu müssen.

Am Montag schrieb ich Dr. Usanee eine Mail. Ich legte ihr meine Gefühle dar, meine Ansicht über den Report und die Diagnose und die Gründe, warum ich nicht an ein Melanom glaube. Dass ich keinen Sinn in der Kryo sehe und nur weitere Schäden an dem genesenden Auge befürchte. Ich bat sie, den Termin abzusagen und mir einen Beratungstermin in zwei Wochen bei ihr zu geben. Die weiteren Tests an mir hätten ja keine negativen Befunde ergeben und selbst wenn der Tumor am Auge bösartig wäre, eine Rückkehr könne wohl auch mit Kryo nicht ausgeschlossen werden. Ich drückte ihr mein Vertrauen aus.

Ich musste bis Mittwoch Nachmittag auf Antwort warten. Wir kamen gerade vom Einkaufen im Seacon und Essen im Fuji im Paradise Park zurück. Sie ging nicht ausdrücklich auf meine Mail ein, sondern bestätigte den Report. Es sei ein bösartiges Melanom und sie empfahl die Kryo. Sie würde mich aber gerne am Sonntag sehen, um die weitere Behandlung zu besprechen. Sie fügte einen Link bei, wo ich Bilder von Augentumoren anschauen konnte. Nur leider passt kein Bild zu meinem Fall.

In meiner umgehenden Antwort sagte ich ihr, dass ich für die Kryo noch nicht bereit sei, aber gerne am Sonntag kommen würde. Ich bat sie nochmals den Termin abzusagen. Ich schilderte ihr meine Gefühle, wie krank und depressiv es mich macht, ständig an Krebs zu denken und Bilder von Tumoren und Videos von Augenoperationen zu sehen. Dr.Wasee war in die Korrespondenz über Email-Kopie mit eingebunden.

Die Nachbarn und alle, mit denen meine Frau gesprochen hat - und Thais können ausführlich jedes kleinste Detail über einen anderen weiter erzählen -, raten, die Kryo durchzuführen. Aber die können leicht reden.
Am Abend kam mir ein neuer Gedanke und ich schrieb eine dritte Mail. Falls sie mir garantieren könne, dass bei der Kryo kein gesundes Gewebe zerstört werden würde und keine Schäden zurück bleiben und alle evtl. vorhandenen Tumorzellen abgetötet würden, und sie mir gleichzeitig versichern oder Methoden zur Sicherstellung aufzeigen könne, dass keine Streuungen vorhanden sind, so wäre ich mit dem Termin am Sonntag morgen einverstanden. Dafür müsste ich aber am Freitag oder Samstag mit ihr oder Dr. Wasee sprechen.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 19. Juli 2022, 10:10:26
In der Nacht konnte ich nicht schlafen. Ein mitternächtliches Besäufnis half auch nicht. Um 4 Uhr heute früh schrieb ich eine weitere Mail. Der Report rät doch zu einer immunohistochemischen Untersuchung. Diese dient u.a. nach meiner Reserche zur „Klassierung und Diagnose von wenig differenzierten malignen Tumoren und zur Identifikation der Lokalisation des Primärtumors beim Vorliegen einer Metastase.“ Ich bat Dr. Usanee, diesen Test zu veranlassen. Ich wolle das Ganze möglichst schnell hinter mich bringen, aber ohne einen Rest von Zweifel oder ein schlechtes Gefühl und unnötigem Geldeinsatz.

Ich kehrte nicht ins Bett zurück, sondern blieb am Notebook sitzen und schrieb die Geschichte nieder. Damit hatte ich wenigstens etwas Beschäftigung gefunden. Zeitgefühl und Müdigkeit waren nicht vorhanden.


Freitag

Letzte Nacht schlief ich so gut wie schon lange nicht mehr. Ich habe mein Leben wieder zurück und meinen Frieden. In den vergangenen vier Tagen machte ich wohl alle Phasen durch, die oft bei Todkranken zu beobachten sind. Von Unglauben und Ablehnung über Aufbegehren und Anklagen hin zu Resignation und Annehmen. Nur habe ich nicht gefragt: warum gerade ich? und ich habe niemandem eine Schuld gegeben. Diese Emotionen kommen auch in den fünf Emails zum Ausdruck, die ich an die beiden Ärztinnen geschrieben habe. Zunächst die Ablehnung von Diagnose und Kryo, dann Ausdruck von Hoffnung und Auswegsuchen und schließlich das Eingestehen, dass ich mit allem einverstanden sei. In meiner vorletzten Email gestern Abend schrieb ich, dass es mir nun gleichgültig sei, ob die Kryo gleich am Sonntag stattfindet oder ob ich vorher nochmal in die Sprechstunde komme. Im Schreiben zuvor, das ich nachts um vier Uhr absandte, wies ich sie wie schon geschildert darauf hin, dass der pathologische Bericht in seiner letzten Zeile darum gebeten hatte, eine immunohistochemische Untersuchung (IHC) zur endgültigen Diagnose zu verlangen. Ich hatte gelesen, dass dadurch u.a. die richtige Art des Tumors erkannt und klassifiziert werden kann und festgestellt wird, ob er primär ist oder von welchem anderen Organ er ausgeht. Ich betonte, dass es mein Wille sei, dass alles zu einem schnellen und guten Ende kommen möge, ohne den Rest von Zweifel oder einem unguten Gefühl oder unnötigem Geldeinsatz.

Im Laufe des gestrigen Tages wurde ich langsam ruhiger. Obwohl ich weiterhin eifrig im Netz forschte, versuchten wir beide die gewohnte Routine und Kommunikation zu bewahren. Meine Frau arbeitete wie immer ohne Pause in Küche und Garten und bügelte die Wäsche, während ich versuchte mir keine weiteren Sorgen zu machen und meinen Gleichmut zu finden. Mit wenig Mühe konnte ich wieder lachen und mich über Dinge freuen, wie z.B. die Taube, die in einem unserer Bäume Nachwuchs bekommen hat. Obwohl ich viele Stunden nicht geschlafen hatte, verspürte keine Müdigkeit, nur eine Leere, und ich hatte kaum Hunger und keinen Appetit. Das Mittagessen, Schweinebraten mit Spätzle und Salat, kam mir zum Ende fast wieder hoch. Die Stunden vergingen jedoch rasch. Ungeduldig wartete ich auf Nachricht von Dr. Usanee, auf ihre Entscheidung: Kryo oder Sprechstunde am Sonntag.

Die Email der beiden Ärztinnen machte mich glücklich. Sie wollten mir beim Treffen am Sonntag ebenfalls vorschlagen, die IHC zu veranlassen. Die Tests würden 2-3 Tage dauern und 2000 Baht kosten. So könnte dann der spezifische Typ der Tumorzellen identifiziert werden. Ich solle am Sonntag in ihr Büro kommen, nicht zur chirurgischen Behandlung, sondern zur Kontrolle der Wunde und zum Besprechen eines Therapieplanes. Sie drückten ihr Verständnis und ihr Mitgefühl darüber aus, wie diese unglückliche Sache mein Leben beeinflusst hat. Bemerkenswert und ein Zeichen von Vertrautheit ist, dass sie in ihrer Anrede das Mister weggelassen haben und mich nur mir dem Vornahmen anschrieben.

Ich bedankte mich überschwänglich und werde nun am Sonntag ohne Ängste ins Chula gehen. Bösartiges Melanom? Sicher nicht! Jetzt schmeckten auch die Kirschen wieder und die Trauben zum Emmentaler. Das Auge sieht an der befallenen Stelle aus wie früher. Nur im Winkel ist eine Art Narbe, die aber täglich heller und kleiner wird. Ob sie ganz verschwindet oder beobachtet werden muss, ob sie ein kosmetischer Fall ist oder entfernt werden sollte, werde ich erfahren. Ich wäre auch mit der Kryo einverstanden, falls sie medizinisch notwendig ist.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 20. Juli 2022, 09:53:11
Wir erreichten die Klinik im 11.Stock vor halb acht und sollten sie erst vier ein halb Stunden später wieder verlassen. Zur Anmeldung hatte ich einen handgeschriebenen Zettel auf den Nagel gesteckt, da er ja kein Terminformular hatte. Als bei der maschinellen Augeninnendruckmessung mittels dreier Luftstöße die Assistenten ein komisches Gesicht machten und einen Extrastoß gaben, wusste ich, dass der Wert, der normalerweise zwischen 10 und 21 mmHg liegen sollte, überhöht war. Ein Blick auf die eingehefteten Zettel ließen Werte zwischen 26 und 30 erkennen.

Dr.Usanee fragte, wie es mir gehe. Mit der Antwort, ich sei ein bisschen nervös, gab sie sich nicht zufrieden.  Sie wiederholte ihre Frage. Ich erwiderte, ich sei ein wenig nervös, aber glücklich mit der Ergebnis des Eingriffs und das Auge werde sichtlich jeden Tag besser, bis auf eine kleine Erhebung im Winkel. Allerdings sei der Innendruck sehr hoch. Ob dies nicht eine Nebenwirkung der Augentropfen sein könne, ebenso wie der hohe Blutdruck und die Schmerzen in Nacken, Schultern und Armen. Die Ärztin war nicht dieser Auffassung und begann gleich um mich zu beruhigen mit der Messung durch ihren Tonometer, gefälligkeitshalber auch am rechten Auge. Nachdem die Assistentin betäubende Tropfen verabreicht hatte, ging die Messung ohne die leisesten Beschwerden von statten und ergaben rechts 19 und links 20. Sie werde mir aber andere Tropfen verschreiben, die ich dreimal täglich nehmen sollte. Die künstlichen Tränen dürfe ich anwenden, wann immer ich das Bedürfnis habe und meine, es würde dem Auge gut tun. An einen Rhythmus sei ich da nicht gebunden.

Sie berührte meinen Arm und sagte, dass sie verstehe, wie schockierend die Diagnose gewesen sei und nun in mein Leben eingreife. Jetzt gehe es darum, die weitere Behandlung zu besprechen. Wie von mir und dem pathologischen Bericht bereits verlangt, werde sie eine immunhistochemische Untersuchung in Auftrag geben. Diese werde 1-2 Tage dauern und 1500 Baht kosten. In der Email waren 2000 genannt. Ich fragte sie nach den verwendeten Proteinen. Sie schrieb sie mir auf. Vom Ergebnis werde sie mich per Email unterrichten. Beiläufig fragte sie meine Frau, wie lange ich schon im Lande sei und auf welcher Basis. Sie wollte sich wohl ein Bild von meinen Verhätnissen machen. Immer wieder ließ sie sich von meinen Zwischenfragen und Bemerkungen unterbrechen. Ich fragte sie auch, warum sie gleich nach der OP von einer 50/50 Chance sprechen konnte. Das habe sie erst nach dem Herausschneiden feststellen können, meinte sie flüchtig. Von den Tests erwarte sie drei Dinge: Aufschluss über den Typus der Zellen – der bösartigen Zellen, verbesserte sie sich -, deren Aggressivität und die weitere Therapieplanung. Ich sagte, ich glaube weiter nicht an ein bösartiges Melanom. Der Pickel könne viele andere Ursachen gehabt haben und außerdem bedeute Melanom, dass farbige Pigmentzellen beteiligt sein müssen. Sie erwiderte kurz, dass wenn eine Verletzung Ursache gewesen sei, man eine Narbe im Auge hätte sehen müssen, eine Virusinfektion schließe sie aus und es gäbe auch amelanotische Melanome. Warum sie so sicher sein könne, dass es sich um ein malignes Melanom handle? Weil zwei Ärtinnen und zwei Pathologinnen zu dieser Auffassung gelangt sind. Wegen seinen Befürchtungen hinsichtlich der Kryo wurde ich auf das gleich stattfindende Gespräch mit Dr.Wasee verwiesen, zu dem sie auch hinzukommen werde. Sie zuckte kurz, als ich mein Einverständnis zur Kryo erklärte: „wenn es denn notwendig sei.“ Sie machte Aufnahmen vom Auge und zeigte sie auf dem Monitor. Mir kam mein vergrößertes Augenbild nicht so schön vor wie ich es sonst im Spiegel sah. Ich bat um die Fotos und die Ärztin streckte die Hand nach der CD aus. Ich sollte sie später erhalten.

Die Ärztin und ihr Patient wussten beide um die weiteren Schritte. Eine Röntgenuntersuchung des Brustkorbs und eine Ultraschalluntersuchung des Oberbauches sollten Anzeichen von Krebsbefall in Lunge und Leber feststellen. Ich verweigerte mich. Dies würde mich nur noch mehr herunter ziehen. Ich könnte vielleicht mit der Krankheit leben, aber ich wollte nicht dauernd mit ihr konfrontiert sein und laufend weiteren Untersuchungen und Therapien ausgesetzt sein.

Während ich draußen darauf wartete, zu Dr.Wasee vorgelassen zu werden, fragte ich Deng nach ihrer Meinung. Sie empfahl mir, mit allem, was die Ärztinnen vorschlugen, einverstanden zu sein. Sie war von deren Aufrichtigkeit und Sachkenntnis überzeugt. Sie hatte für beide zwei Flaschen deutschen Weines mitgebracht und sie ihnen überreicht, als deren Assistentinnen kurz aus dem Raum waren. Deng war überhaupt an diesem Vormittag recht geduldig.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 21. Juli 2022, 14:10:43
Also erklärte ich Dr. Wasee gleich, dass ich mit allen Therapiemassnahmen einverstanden sei. Dr.Usanee ließ ihre Patientin allein und kam durch die Hintertür. Gemeinsam wurde als Termin für die Kryo – Kryo-Therapie, nicht Kryo-Chirurgie, betonte Dr.Wasee – der Samstag ausgesucht. Ich solle mich um acht oder zehn vor acht vor dem bekannten OP-Raum einfinden und um halb neun würde sie anfangen, durch wiederholtes Einfrieren und Auftauen die womöglich noch vorhandenen Tumorzellen zu zerstören. Dies würde fünfzehn Minuten in Anspruch nehmen und Dr.Usanee würde auch anwesend sein. Nach 2-3 Stunden könne ich den Verband vom Auge wieder entfernen. Das Auge werde ein paar Tage gerötet sein. Meine Bitte, mich doch auf einem genügend breiten OP-Tisch liegen zu lassen, wurde mit Lachen und einem Versprechen quittiert, soweit dies möglich sei.

Die anderen beiden Untersuchungen könnten ebenfalls an diesem Samstag stattfinden. Eine Schwester kam hinzu und wollte am Telefon abklären, ob der Termin möglich sei. Wir wurden gebeten zu warten, bis Dr.Usanee ihnen die Überweisungen ausstellen würde. Wir erfuhren, dass das Röntgen heute noch im 4.Stock stattfinden werde und dort sollten wir uns den Termin für die Ultraschall geben lassen. Wir erhielten die Unterlagen für die Kryo.

Zunächst mussten wir auf den Aufruf an der Kasse warten. Wir staunten, als wir neben den üblichen 120 Baht und den 70 Baht für die neuen Augentropfen nur 300 Baht für das Konsultieren der beiden Ärztinnen bezahlen mussten und fragten nach der Vorausrechnung für die IHC. Der Kassenwart eilte selbst davon und nach kurzer Wartezeit erhielten wir die Rechnung mit beigefügter Kopie der Anforderung, auf der auch die drei zu verwendenden Standartproteine genannt waren: 60 Baht plus 12 Baht Service Charge.

Wir fuhren in den 4.Stock, bereit für das Röntgen. Allerdings meinte die eigenartige Schwester, die Termine sollten zusammengelegt werden und schlug den Dienstag Abend vor. Zuerst mussten wir nochmals nach oben und auf dem Antragsformular für den Ultraschall Diagnose und anfordernden Arzt nachtragen lassen. Das ging rasch. Eine Schwester kam uns nachgelaufen und richtete aus, dass wegen Problemen am PC die Bilder per Email geschickt werden würden. So muss ich also am Dienstag um 18 Uhr auf dem 4.Stock erscheinen, wobei ich ab 12 Uhr nichts mehr essen und trinken darf. Die Kosten stehen auch gleich auf dem Terminzettel: 330 Baht für X-ray und 1200 Baht für Ultrasound.

Endlich konnten wir das Krankenhaus verlassen und wieder ins Fuji zum essen gehen. Ich hatte das starke Gefühl von Entgegenkommen. Nicht nur durch die Ärztinnen in menschlicher und finanzieller Form. Das Leben kam mir entgegen und ich kam dem Leben entgegen in allen seinen Formen.

Wir fuhren mit der BTS zum Paragon, wo eine Orchideenschau stattfand. Als Deng jedoch bemerkte, dass nur prämierte Blumen ausgestellt waren und keine zum Kauf angeboten wurden, verlor sie sofort das Interesse. Nach einem kurzen Bummel durch die Lebensmittelabteilung, wo sie Preise verglich und Salat, sauren Fruchtgummi und Innereien kaufte, - sie wollte vielleicht mal wieder Saure Kutteln kochen -, fuhren wir nach hause.

Ich begann gleich am PC meine Nachforschungen zu den Augentropfen, zu den immunhistochemischen Tests und wieder zu malignen Melanomen. Ich las viel über verschiedene Krebsarten, Diagnosemöglichkeiten, Krankheitsverläufen und Therapieformen. Ich stöberte in Krebs-Foren. Bis ich mir sagte: jetzt ist es genug. Aber auch die Seiten, die ich sonst gewöhnlich mehrmals täglich besuchte, Nachrichtenseiten und Foren und Blogs, hatten plötzlich ihre Anziehungskraft verloren. All das hatte keine Bedeutung mehr. Die Seiten und nun viele andere Dinge waren mit keinem Verlangen, mit keiner Befriedigung, mit keinem Ich mehr verbunden. Die 1.Person hatte die Bedeutung verloren, war nicht mehr da. Ich erinnerte mich an eine Frau, eine Prophetin, die es ebenfalls vermied, die 1.Personenform zu benutzen. Dies war keine Resignation, kein Ausblenden der schmerzhaften Wirklichkeit, kein Psychotrick, sondern das Ablegen einer Last, eine Befreiung. Vielleicht tun mir auch deshalb die Schultern nicht mehr weh.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 22. Juli 2022, 11:21:57
Ich schlief gut in dieser Nacht. Bis auf eine kurze Zeit, in der ich einen Brief an die Ärztinnen aufsetzte und um Offenlegung ihrer Kenntnisse und ihrer Ansichten über den weiteren Verlauf bat. Um mein Auge, dessen Genesungsfortschritt ich bisher häufig im Spiegel verfolgte, kümmert ich mich nicht mehr. Ich darf ja wieder duschen und muss es nachts nicht mehr abdecken. Ich werde die anstehenden Untersuchungen und die Behandlung in dieser Woche ohne Klagen und Zweifel durchstehen. Nach Ablauf dieser Woche wird Krebs kein großes Thema mehr sein. Ich habe mir vorgenommen, manches in meinem Leben anders zu gestalten. Weniger Zeit am PC, mehr Spaziergänge oder Schwimmen im Pool. Mein gesunkener Hunger und Appetit wird der Gewichtsreduzierung und somit auch dem Blutdruck dienlich sein.

Laut dem Befund der pathologischen Untersuchung der heraus geschnittenen Wucherung an meinem linken Auge leide ich an einem malignen Melanom der Bindehaut, also an einer seltenen, aber tödlichen Form des bösartigen schwarzen Hautkrebses. Die üblichen weiter angewandten Diagnoseverfahren sind nach dem Röntgen des Thorax und der Ultraschalluntersuchung des Oberbauches die immunhistochemische Einfärbung der Probe mit den Proteinen S100, HMB-45 und Melan-A - dies wurde gestern in Auftrag gegeben, nachdem beim Ausstellen des Anforderungsformulars am Sonntag ein Fehler aufgetreten ist -, weiter die Abklärung der Ausbreitung im Körper durch Kontrolle der Lymphknoten - eine Biopsie von Wächterlymphknoten hält Dr.Usanee in ihrer letzten Email zu diesem Zeitpunkt für zu aggressiv, da die Risiken den Nutzen übersteigen. Sie schlägt eine Ultraschalluntersuchung der Lymphknoten am Hals vor -, sowie evtl. CT und natürlich laufende Überwachung. Die therapeutischen Maßnahmen sind nach der operativen Entfernung die Kryo, also das Zerstören evtl. noch vorhandener Krebszellen an der operierten Stelle, eine Bestrahlung und/oder die Chemotherapie, also zunächst die lokale Gabe des Zytostatikums Mitomycin C, dann sonstige Chemotherapie oder Gewebeentfernungen je nach Fund von Metastasen.

Wie erwähnt hätte eigentlich das Ergebnis der immunhistochemischen Einfärbung gestern vorliegen sollen. Aber da ist etwas schief gelaufen. Deng wurde auf ihrem Zweithandy angerufen (sie hatte die Nummer vielleicht von Dr.Wasee aus ihrem Büchlein abschreiben lassen), wir sollten sofort in die Klinik kommen und für die IHC bezahlen, weil diese erst durchgeführt werden kann, nachdem das Anforderungsformular eingegangen ist. Die Ärztin hätte schon nach dem Resultat gefragt. Von halb fünf bis sechs Uhr wurde nun dieses Formular in der Station herumgereicht und die beauftragte Schwester war nicht fähig, das Problem zu lösen, das sie selbst verursacht haben könnte. Zunächst versuchte sie vergebens die beiden Ärztinnen zu erreichen. Sie wurde recht pampig und meinte, wir sollten morgen wieder kommen und bezahlen. Deng war am Ende ihrer Geduld. Ich ging alleine runter zu meinen Untersuchungen. Schließlich gab Deng die erforderlichen 2000 Baht einer Schwester ohne Quittung. Es war wohl so, dass ein falscher Code angebracht worden war und wir damit für jemand anders die 72 Baht bezahlten und das Formular ausgehändigt bekommen haben.

Ich lächelte mich derweil im 4.Stock durch. Erst musste ich bezahlen und wurde dann gleich zu den Behandlungsräumen gebeten. Nur wenige Patienten warteten mit mir. Ein Helfer reichte mir ein Krankenhemdchen und zeigte mir eine Umkleidekabine. Das Zubinden der vielen Schleifen dauerte länger als das Röntgen danach. Eine junge Schwester positionierte mich an die Wand, einmal tief einatmen, fertig. Während ich kurz auf die Ultraschall wartete, bei schöner Aussicht auf die Kreuzung Silom/RamaIV, gesellte sich Deng zu, höchst verärgert über das Verhalten der Schwester. Als dann noch später beim Verlassen der Klinik ein Mann, der auf einer Steinbank lag und an dem sie vorbeiging, eine unflätige Bemerkung machte, war ihr Urteil über die Bevölkerung wieder bestätigt. „Nur fünf von hundert sind gut.“ sagte sie.

Die eigenartige Schwester, die sie am Sonntag beim Terminmachen kennengelernt hatten, führte mich in eine der Untersuchungskabinen. Ich musste mich auf der Liege ausstrecken und sie wickelte ein großes, weißes Handtuch in meinen Hosenbund und deckte ihn mit einem ebensolchen zu, nachdem sie mein Hemd hoch geschoben hatte. „Do you speak Thai? I speak little English.“ Die Wartezeit war lang. Einschlafen war beim Summen der Klimaanlage nicht möglich. Als der junge Arzt kam, fragte ich ihn sogleich, ob er mir die Befunde gleich mitteilen würde. Er stimmte zu und fragte nach Einsicht in die Unterlagen, seit wann ich von meinem Melanom wusste. Bis auf die fettige Leber waren alle Organe normal abgebildet. Ich bekam die in Englisch verfassten Ergebnisse, auch das vom Röntgen, samt allen Aufnahmen nach einer kurzen Wartezeit in einem großen Kuvert mit. Statt im Fuji aßen die beiden dann in einem kleinen Chinarestaurant. Mir schmeckte meine Nudelsuppe und natürlich hatte ich nach der langen Abstinenz großen Durst.

Die Resultate von Röntgen und Ultraschall ergaben also, dass der Zustand von Lunge und aller inneren Organe des Oberbauches völlig normal sei. Ausgenommen eine „fatty“ Veränderung der Leber, jedoch ohne weitere Auffälligkeit. Dies könne mit Diät und Bewegung wieder in Ordnung gebracht werden, meinte der untersuchende Arzt.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 24. Juli 2022, 14:08:51
Wir beide waren uns darüber einig, dass nach der Kryo am Samstag die Krankheit kein Thema sein wird und wir keine weiteren Diagnose- und Therapieverfahren mehr zulassen werden. Die Kryo soll das Risiko des Wiederauftretens vermindern und kann evtl. die noch vorhandene Narbe beseitigen. Dr. Wasee ist von der Arbeit ihrer Kollegin auch deshalb so begeistert, weil diese so geschnitten hatte, dass laut pathologischem Befund die Ränder frei von Tumorzellen sind. Die Ärztinnen sind überaus besorgt und dabei sehr liebenswürdig. In der letzten, von beiden unterzeichneten Mail am Morgen ließ Dr.Usanee wieder das Mister weg, entschuldigte sich tief für die Ungemach mit der Rechnung und wünschte gute Informationen.

Natürlich waren wir wieder zu früh. Wir holten uns einen Kaffee aus dem kleinen Seven, und als wir um 7 Uhr die Anmeldung abgaben, sagte die Empfangsschwester, wir könnten noch was essen gehen, die Ärztin komme erst um acht. So überquerten wir die Henry Dunant Road und setzten sich an eine Garküche. Deng bestellte Wantan-Suppe und Reis mit eingelegter Schweinshaxe. Ich konnte nichts essen. Ich esse nun sehr viel weniger. Oft habe ich nach einem Bissen schon genug. Mein Gewicht und mein Bauch haben bereits abgenommen. Ich schlafe auch viel besser, kann nach Unterbrechungen gleich wieder einschlafen und mein gewohnter Mittagsschlaf ist nur noch ein kurzes Ruhen.

Als wir zu dem Gebäudekomplex der medizinischen Fakultät der Chulalongkorn Universität zurück gingen, bemerkte ich, dass ich meine Tasche vergessen hatte. Bevor ich jedoch zurück laufen konnte, brachte ein Junge von der Garküche die Tasche mit dem Moped.

Die CD mit den Augenaufnahmen von der Spaltlampe wurde uns nun ausgehändigt. Vor dem Einlass in die inneren Bereiche, musste ich eine Blanko-Erklärung unterschreiben, dass ich über die Behandlung und ihre Risiken informiert worden sei und dem Arzt alle Vollmacht und Regressfreiheit zubillige. Meine Schuhe musste ich zu denen der anderen Patienten auf die eine Seite des Regals stellen, wo sie mit einem Zettel versehen wurden, und dann in Schlappen schlüpfen. Da ich auf die Toilette musste, durfte ich mich dort umziehen. Wieder kämpfte ich mit den vielen Schleifen des hellblauen Patientenhemdchens. Ich weigerte mich wie verlangt die Brille abzulegen. Ich könne sonst nichts sehen, sagte ich. So konnte ich die hagere Schwester vom letzten Mal besser in Augenschein nehmen, die mich empfing und Gesicht und Hände waschen ließ. Und ich konnte Dr.Wasee besser in die Augen sehen, als diese sich einen Stuhl holte und sich zu mir setzte.

Sie fragte, wie ich mich fühle. Ich hatte mir vorgenommen, ganz ruhig zu sein. Allerdings war mein Blutruck auf hundert achtzig, genau gesagt auf 187/95. Dr.Wasee erklärte, dass ich gleich dran käme, sie alles vorbereiten ließe und es in etwa 20 Minuten vorbei sein werde. Sie entschuldigte sich nochmals für den Systemfehler bei der Anforderung der IHC. Sie könne mich und meine Gefühle gut verstehen und sei ja durch die Emailkopien über alle meine Gedanken informiert. Ich habe mich wirklich ausführlich mit dem Thema befasst. Auf die Frage nach dem Ergebnis der Einfärbung meinte sie nur, sie werde sie mir anschließend mitgeben. Ich erklärte etwas erregt, dass nach der Kryo ich für keine weiteren Untersuchungen und Therapien mehr zur Verfügung stehe und dass ich im Grunde keinen Beweis für die Diagnose fände. Die Ärztin antwortete nur, sie habe das Gewebestück selbst gesehen. Ob mich denn Dr.Usanee nicht angerufen hätte. Eigentlich wollte sie bei der Kryo dabei sein, aber sie hätte kurzfristig heute morgen zu einem Vortrag nach Pattaya abreisen müssen. Ich fragte noch, ob sie auch die kleine Narbe wegeisen würde. Nein, diese würde von selbst verschwinden.

Sie gab mir selbst noch einige Betäubungstropfen ins Auge, wie die schlanke Schwester schon zuvor. Die beiden beugten sich dann am Schreibtisch über seine Akte. Als es um die Medikation ging, brachte ich vor, dass ich Paracetamol wie auch Tropfen und Tränen noch zu hause hätte. Neugierig geworden, worüber die Beiden lachten, ging ich selbst zum Schreibtisch. Sie hätten sich gerade bemüht, die Schrift zu entziffern. Er erkannte den handschriftlichen Eintrag: malignant melanoma. Es erschien mir zwar wie eine Aufzählung unter a) - in Extremsituationen wie dieser, wo man gezwungen ist, ganz aufmerksam zu sein, sieht man dennoch nur ausschnitthaft -, aber ich deutete darauf und sagte ein wenig laut, dass ich daran nicht glaube. Dr.Wasee erklärte, ich solle ruhig bleiben (Don´t stress yourself!), ein hoher Blutdruck sei nicht gut für den Verlauf der Behandlung. Während ich vor ihr stand, rutschte  diire Pyjamahose auf die Knie herunter. Die Ärztin selbst führte mich zum Sofa und wollte mir die Schleife wieder binden, was aber dann die Schwester übernahm.

Ein Telefon wurde mir gebracht. Dr.Usanee entschuldigte sich für ihr Fernbleiben und die Unannehmlichkeiten mit dem Anforderungsformular. Anscheinend seien die Formulare geändert worden. Ihre Assistentin würde bei der Kryo dabei sein. Ich fragte nach einer Abschrift der Einfärbungsergebnisse und nach deren Abbildungen, sowie nach einem Foto, das die pathologische Aufbereitung unter dem Mikroskop zeige. Sie werde sehen, was sich machen lässt, zum Teil müssten die Fotos gesondert angefordert werden. Jedenfalls könne ich mich immer mit allen Fragen an sie per Email wenden. An der Richtigkeit der Diagnose ließ sie keinen Zweifel. Und sie habe sich überzeugt, dass die Gewebeprobe nicht vertauscht worden sei, wie ich in seiner letzten Email angedeutet hatte.

Das Engagement der beiden Ärztinnen geht weit über die professionelle Aufgabe und Distanz hinaus. Aber gerade diese einhüllende, mütterliche Fürsorge schmerzt mich. Aus ihren Blicken und Worten, den Reaktionen und Handlungen, auch denen im Verborgenen oder als Vorbereitung, lese ich ihr Mitleid und ihr Wissen um eine dunkle Zukunft, die sie für mich klar zu sehen scheinen. Es wäre Energieverschwendung dagegen anzukämpfen und ich habe die Kraft auch nicht mehr. Das Beste wird sein, zu schweigen und den Kontakt auf Kontrolluntersuchungen des Auges zu beschränken.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 25. Juli 2022, 15:12:46
Im OP-Saal erwartete mich eine bequeme Liege, auf der ich gut Arme und Hände auflegen konnte. Daneben stand ein großer Gaszylinder. Die schlanke Schwester führte und betreute mich selbst. Die Hose musste sie mir dabei nochmals binden. Laufend bekam ich betäubende Tropfen, zuletzt auch ins rechte Auge. Ich wurde steril zugedeckt und Licht und Mikroskop wurden über dem linken Auge eingestellt. Das rechte wurde zugeklebt und mein Gesicht mit der braunen Desinfektionslösung gründlich abgerieben. Eine Schwester fragte nochmals nach Vor- und Nachnamen und nach der zu behandelnden Augenseite, dann wurde ein Tuch über mich gebreitet, das nur das linke Auge frei ließ. Das Einsetzen des Spreizers gelang im zweiten Anlauf.

Das wiederholte Vereisen und Auftauen war kaum als kleine Stiche zu spüren, schmerzlos und weniger brennend als das Desinfizieren der Lider zuvor. Die Atmosphäre war entspannt und die Schwestern fanden es beruhigend, dass zumindest ihre Aufforderungen in Thai von dem Ausländer verstanden wurden. Schnell war es vorüber, das Gesicht wurde wieder abgewaschen und das Auge zugeklebt. In zwei Stunden, also um elf solle ich den Verband entfernen und mit den antibiotischen Augentropfen beginnen. Das Auge sei nun irritiert und werde ein paar Tage gerötet bleiben. Duschen sei möglich. Meine Frau erhielt draußen die selben Anweisungen. Es ist möglich, dass Dr.Wasee versucht hatte, sie zu treffen.

Etwas erschöpft ließ ich mich mit dem Rollstuhl zum Umkleiden fahren. Bevor ich die Räume verließ, wollten die Schwestern mich noch drängen, zwei Paracetamol zu nehmen. Der Heimweg sei lang. Aber ich hatte gar keine Schmerzen, weder bei der Kryo noch in den Stunden danach.

Deng war bereits mit den anderen, zahlreich wartenden Angehörigen an der Kasse gewesen. Mit Verwunderung hatte sie gesehen, dass diese zum Teil Beträge von dreißig-, fünfzigtausend und mehr zu begleichen hatten. Ungläubig zahlte sie ihre Rechnung: 1600 Baht für die Kryotherapie selbst und 1500 für den Arzt, zusammen etwa 72 Euro. Dabei war im Vorgespräch und auf der Anmeldung der Betrag von mindestens zehntausend genannt worden. Ein Versehen oder unglaubliche Milde und Mitleid der Ärztinnen?

Ich konnte trotz des Verbandes meine Brille aufsetzen. Ich war müde. Wir mussten jedoch noch auf den Terminzettel warten. Am Sonntag, den 19. werden wir beide Ärztinnen wieder sehen.Ich fragte noch nach dem Befund, aber diesen würde mir Dr.Wasee in der Sprechstunde geben, hieß es. Es war mir gleichgültig. Ich würde bis dahin auch nicht in Emailkontakt treten. Selbst wenn keine Fehldiagnose vorliegt – an einen absichtlich untergeschobenen Befund glaubte ich nicht - , mit der Entfernung und der anschließenden Kryotherapie ist der Tumor, gutartig oder nicht, beseitigt. Dr.Usanee wird eine Ultraschalluntersuchung der Lymphknoten des Nackens und des Halses vorschlagen. Ich hatte mir vorgenommen, ihr schweigend zuzuhören.

Die Fahrt mit dem neuen Taxi, das wir von der Türe weg nehmen konnten, war angenehm. Es lief eine CD mit den gleichen Songs, die wir vor 36 Jahren immer auf einem Kassettengerät zu hören pflegten, und die Texte waren für mich wie eine gute Botschaft. Zu hause musste ich mich ausruhen, meine Gattin fuhr alleine auf den Markt nach Minburi. Als ich später den Verband abnahm, sah ich meinen zur Hälfte rot-verschwollenen Augapfel wieder. Er fühlte sich lediglich etwas gereizt an. Von dem Kartoffelsalat und dem Thunfisch konnte ich nur eine Gabel voll zu mir nehmen. Jemand hat mal in einem Vortrag gesagt, der Mensch könne von einer Schale Reis am Tag leben, zwei wären zuviel.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 28. Juli 2022, 16:10:24
Bevor die Geschichte mit dem Auge weitergeht, habe ich noch ein paar Zwischenbemerkungen. Zunächst möchte ich sagen, wie sehr mir die Tagebucheintragungen der anderen Mitglieder gefallen. Interessante Berichte und schöne Bilder, seien sie aus Deutschland, aus verschiedenen Gegenden Thailands und der Welt! Danke dafür! Das Leben ist schön!

Gestern fand meine Gattin zwischen den Polstern des Sessels neben anderen Sachen eine Festplatte. Ich hatte gar nicht mehr gewusst, dass ich fünf HDs hatte. Darauf sind alle meine Fotos, von denen ich geglaubt hatte, ich hätte sie gelöscht. Nun stehe ich vor der Herkulesaufgabe, sie zu ordnen und überflüssige Fotos zu löschen. Ich hoffe, ich komme mit Picasa 3 zurecht und finde die Zeit dafür.

Ich habe noch andere Krankheitsgeschichten zu erzählen, die nicht so lang sind, darunter eine OP an der Hand. Nicht dass ich was zu jammern hätte, ich fühlte mich immer gesund und nahm keine Medikamente. Bis vor ein paar Monaten. Einmal kommt aber wohl der Zeitpunkt, wo man das Alter und auch die Notwendigkeit, diesen Körper wieder zu verlassen, akzeptieren muss. Früher hielt ich es für einen Scherz: Wenn man im Alter aufwacht und keine Schmerzen hat, ist man tot. Mit Schmerztabletten und dem Gehstock komme ich so zurecht, aber mein Aktionsradius ist nun eingeschränkt. Das Röntgenbild und der Arzt im Krankenhaus sagen, ich bräuchte ein neues Hüftgelenk. Vielleicht kann ich das ja später mal zum Thema machen.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 30. Juli 2022, 14:30:41
Ich war an einem Nullpunkt gelandet. Plötzlich hatte vieles keine Bedeutung mehr, war überflüssig und uninteressant geworden. Die heruntergeladenen Filme oder die Internetseiten mit geistigem Wissen und Hintergrundinformationen oder einfach kulinarische Verlockungen spielten nun keine Rolle mehr.

Der Neustart von (fast) Null wurde bewirkt durch jene Diagnose und das anschließende schockierende Abtasten der Lymphwege an Gesicht und Nacken. Das Ganze war ein Weckruf, vergleichbar mit dem Stockhieb oder dem Schrei des Zenmeisters. Es hat meinem Leben wieder Richtung gegeben. Dennoch war da Schmerz. Es war nicht mehr die Furcht vor der Krankheit selbst, die mich zeitweise gelähmt und traurig gemacht hat. Nachdem ich mich wieder vorgestern zulange im Netz mit dem Thema beschäftigt hatte und in der Nacht mich nicht gegen die wiederkehrenden Gedanken wehren konnte, geriet ich in einen See von Traurigkeit. Hinzu kam, dass ich in meiner Ungeduld keinen Heilungsfortschritt an meinem wunden Augapfel erkannte. Meine Gattin bemerkte meinen Zustand sofort. Und es brachte sie auf, zumal in den vergangenen zwei Tagen Gelassenheit und Normalität geherrscht hatte und sie sich gerade darauf freute, mich zu einem Mittagessen einzuladen, nachdem sie einen kleinen Betrag in der Lotterie gewonnen hatte.

Aber Zeit heilt alle Wunden. Dennoch beschäftigte mich der morgige Termin. In Gedanken ging ich das Gespräch mit der Ärztin durch, legte mir englische Worte und Sätze zurecht. Es dürfte die endgültige Diagnose und Belege dafür zu erwarten sein. Das Kind muss einen Namen haben. Das wird aber wohl nichts an unserem Entschluss ändern, keine weiteren Tests wie die Ultraschalluntersuchung der Lymphknoten im Nacken oder gar eine CT und keine weiteren Therapien am Auge mehr zuzulassen, außer spätere Kontrolluntersuchungen desselben. Das Anfordern des pathologischen Befundes nach der Exzision war schon ein Fehler gewesen, ein großer Fehler.

Die Erregung in der Nacht und vor der Sprechstunde hielt sich in Grenzen. Es waren etwa 60 Personen im inneren Wartebereich, die Hälfte wohl Begleitpersonen, aber wir hatten den Eindruck, dass wir vorgezogen wurden. Wenn ich auch der einzige Ausländer war, so fühlte ich mich stets in gleicher Weise behandelt wie jeder andere Patient auch. Man ist dennoch etwas wie ein bunter Hund und das Personal tut sich nicht einfach, den Namen zu nennen oder sich in Englisch auszudrücken. Die unvermeidlichen Tests zu Beginn dienen in erster Linie als Einnahmequelle. Obwohl ich mich bemühte, still zu halten und nicht zu zucken, als die Luftstöße auftrafen, lagen die Augendruckwerte bei 26 bis 30 mmHg. Dr.Usanee maß dann selbst mit ihrem Tonometer nach und der Wert ergab gute 18. Wir waren nach kurzer Wartezeit zu ihr gerufen worden, wenngleich wir zuerst vor Dr.Wasee´s Zimmer warten sollten.

Dr.Usanee fragte viermal: How are you today?, aber mehr als: It´s okay! bekam sie nicht zur Antwort. Sie überreichte uns gleich eine CD mit den Fotos aus der Pathologie und die „offiziellen“ Befunde aus der Histologie und der Immunhistochemie. Ich hatte ihr zwei Tage nach der Kryo eine harsche Email geschrieben, in der ich verlangte, dass bei einer solchen Diagnose Arzt und Patient auf dem selben Informationsstand sein müssen. Bis jetzt hätte ich keinen schlüssigen Beweis. Diesen mit englischen Fachwörtern gespickte Befund hätte jeder Student aus dem Lehrbuch abschreiben können und jeder Lehrer würde ihn bestätigen, um ihn nicht zu blamieren. Was mir fehlt, sind die Aufnahmen unter dem Mikroskop, die dann auch ein anderer Pathologe begutachten kann. Ich zahlte für das Röntgen, schrieb ich, und bekam ein großes Bild, ich bezahlte für die Ultraschall und bekam einige Aufnahmen, ich bezahlte für die histologische Untersuchung und erhielt einen lausigen Befund. Ich bezahlte 2040 Baht für die Einfärbung und erwarte nun aussagefähige Bilder, denn für 100 Baht könne jeder schreiben, die Reaktionen wären positiv oder negativ. Schon der gesunde Menschenverstand hätte da Zweifel. Ich appellierte auch an den Ruf der Klinik.

Dr.Usanee kommentierte die übergebenen Berichte nicht weiter. Sie erschien überhaupt zurückhaltender und sprach fast mehr in Thai als in Englisch. Sie fuhr wie erwartet in ihrem Programm fort. Eine Biopsie von Lymphknoten sei zu diesem Zeitpunkt zu risikoreich, sie möchte jedoch einen Termin für eine Ultraschalluntersuchung derselben im Halsbereich machen. Ich sprach mich dagegen aus. Sollte sich dabei eine Auffälligkeit finden, ginge die Sache weiter, und wenn man nichts findet, wird man sagen, es kann noch was kommen. Ihre Antwort war etwas diffus: wenn man jetzt die Untersuchung nicht mache, habe man keinen Vergleichspunkt, wenn man später etwas feststellt. Sie würde auch nur die Empfehlung dazu geben. Meine Frau und ich sprachen uns kurz ab und stimmten dann schließlich dieser als der letzten Maßnahme zu. Gegen einen Kontrolltermin in vier Wochen hatten wir sowieso nichts einzuwenden. Dr.Usanee hatte sich das Auge angesehen und eine „inflammation“ festgestellt, eine Reaktion wie bei einer Entzündung. Sie empfahl, die künstlichen Tränen weiterhin alle zwei Stunden zu nehmen und würde evtl. andere Augentropfen verschreiben. Aber das und die Überweisung zur Ultraschall überließ sie ihrer Kollegin. Ich bat sie noch, das rechte Auge zu überprüfen, doch hier war alles normal, auch die Äderchen, die mir aufgefallen waren.

Sonst war sie gewohnt entgegenkommend. Sie wollte keine leere CD von mir nehmen und auch die 40 Baht nicht haben, die sie zuvor für die Einfärbung selbst drauf gezahlt hatte. Meine Gattin war davon ausgegangen, dass eine Schwester dies getan hatte, und hielt einen Umschlag bereit. Zudem hatte sie für alle drei Frauen Ferrero Rocher in Plastikboxen gekauft. Ihre selbst verpackten Geschenke wurden gerne angenommen.

Während wir vor Dr.Wasee´s Sprechzimmer warteten, sah ich mir die Berichte an. Sie waren wie der erste pathologische Befund von dem selben Pathologen erstellt. Die Resultate der immunhistochemischen Untersuchung beschrieb er einfach: S-100: positiv, HMB-45: positiv, Melan A: positiv. Keine Nennung von Zelltypen, keine Klassifizierung oder Abgrenzung zu anderen Tumoren. Unter den Bericht setzte er die selbe Diagnose wie beim ersten Mal. Nur schrieb er statt: Tumor, Verdacht auf malignes Melanom, einfach: malignant melanoma. Diesen Befund übernahm er als Anhang in den „offiziellen“ pathologischen Report, mit der wortgleichen Diagnose. Inzwischen versetzt mich aber das Wort „malignant melanoma“ in ebenso großen oder keinen Schrecken wie das Wort „Kaninchenfell“. Wenigstens habe ich die bildlichen Darstellungen der Zellen auf CD und ich werde sie von einem anderen Pathologen begutachten lassen.

Dr.Wasee fragte in ihrer leisen Art nach dem Befinden und nach Beschwerden und meinte nach der Ansicht des Auges, es sei noch gerötet und gereizt. Ich solle die bisherigen Augentropfen nur noch morgens und abends nehmen. Vielleicht lag da eine der harmloseren Nebenwirkungen vor, die im deutschen Online-Beipackzettel standen: verzögerte Wundheilung. Sie verschrieb aber gleich neue, damit wir nicht extra reinkommen mussten. Ihre geringe Honorarforderung bei der Kryo wurde von keiner Seite erwähnt. Es kann sein, dass beide Ärztinnen einsehen, dass die Befunde und die Diagnose auf wackligen Beinen stehen, und wollen keine Regressforderungen provozieren. Vielleicht wurde mir auch deshalb der Befund nicht gleich bei der Kryo mitgegeben.

Zu zahlen hatten wir neben den üblichen 120 Baht zweimal 300 als Arzthonorare und 70 (1,60 Euro) für die Augentropfen, zusammen also ca.18 Euro. Wir speisten natürlich im nahen Fuji. Ich bestelle nun immer das Kindermenü. Es schmeckt mir und es reicht mir. Danach fuhren wir wie geplant mit der U-Bahn zum Hauptbahnhof und von dort mit dem Bus Nummer 7 für 7 Baht zur Endstation, wo Schwager und Schwägerin wohnen. Einmal im Monat möchte meine Gattin hier das Grab ihrer Mutter besuchen. Anschließend ließen wir uns vom Schwager mit seinem kleinen Personenbeförderer zum Sanam Luang 2 bringen, einem riesigen Wochenendmarkt. Meine Gattin kaufte sich zwei Kakteen von ihrer Lieblingsart “Condo“. Und ich bekam Durst auf eine große Flasche Bier. Das Eis im Plastikbecher verwässerte es ein wenig. Ich fühlte mich frei und bestätigt. Im Innersten konnte ich nie an einen bösartigen Tumor mit Metastasen glauben. Dieses Gewächs an meinem Auge war nicht aus einer braunen Veränderung einstanden, sondern inmitten von Äderchen. Wenn jetzt noch ein Pathologe bestätigen würde, dass sich aus den Aufnahmen nicht unbedingt die Diagnose eines malignen Melanoms ergeben würde, wäre das Glück perfekt.

Es hat also einige Aufregung und schlaflose Nächte gegeben, aber letztlich habe ich nur profitiert. Das Röntgen hat bestätigt, dass das Herz am rechten Fleck ist, in normaler Größe, und dass die Lunge ohne Auffälligkeiten ist, obwohl ich eine lange Raucherkarriere hinter mir habe und erst vor drei Jahren damit aufhörte. Wichtig war mir der Zustand der Bauchaorta, nachdem mein deutscher Schwager in Chiang Mai im letzten Jahr an einer geplatzten Aorta verstorben war. Aber alle inneren Organe sind ohne negativen Befund bis auf die „fatty“ Veränderung der Leber. Doch ich lebe nun gesünder, bewege mich mehr, will auch wieder den Pool benutzen und esse weniger. Das Ganze war ein Weckruf, ein Start in ein neues Leben.

Eine Stunde brauchten wir bis zum Hauptbahnhof Hualampong. Von dort ging es wieder mit MRT und Airportlink nach hause in unsere ruhige Siedlung. Das bisschen Kopfweh kam nicht vom Bier, sondern von der Fahrt im offenen Bus.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Kern am 30. Juli 2022, 22:36:55
Hallo Khun Han

Du hast selber den Titel "Vollendung in Bangkok" gewählt, schreibst aber nun in epischer Breite über Deine Wehwehchen usw.
"Vollendung" klingt für mich allerdings eher nach was Positivem.

Fast jeder von uns hat die 20 Lenze weit überschritten, hatte und hat nun diverse gesundheitliche Probleme. Das ist Realität, aber kein unterhaltsames Thema.

---
Meine Bitte:
Aktuelle schlimme Gesundheitsprobleme darfst Du gerne posten. Da bekommst Du hier in diesem von Männern dominierten Forum sogar einiges an Mitgefühl und Besserungs-Wünschen.
Schreibe doch bitte wieder mehr über Positives in Deinem/Euren Leben.

Gruß Achim   [-]
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Suksabai am 31. Juli 2022, 09:14:00

Nun, offenbar ging die Augen-Geschichte ja positiv aus, sonst könntest du ja nix mehr schreiben  ;)

Also ich zumindest würde gerne wissen - wenn auch ein bisschen weniger episch - wie die Sache ausging.

Aber sonst tendiere ich auch eher zu Achims Meldung...

Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Lung Tom am 31. Juli 2022, 15:33:28

Intro zu diesem Thema:

Mein Tagebuch
Alltägliches und Weltbewegendes, Bilder und Geschichten. Hier darf jeder fast alles.

...man kann sogar nach Wochen sein Thema ändern  {{ aber nicht seine Thematik durchziehen  {--

 {:}
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Kern am 31. Juli 2022, 20:48:44
Tom, was soll das?  ???
Du weißt schon, was eine Bitte ist?

Zur "Strafe"  ;D liest Du selber nun genau "In der Augenklinik

oder: Schau mir in die Augen, Frau Doktor!" durch.  :-)
Hier gehts los: >> https://forum.thailandtip.info/index.php?topic=21798.msg1403239#msg1403239 <<
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 01. August 2022, 16:44:55
Die wohlformulierten Einwände und Bitten sind völlig berechtigt. Die Geschichte ist etwas ausgeufert. Deshalb anschließend in ein paar Sätzen der Schluss und das Résumé.

Ich habe die Texte aus meinem alten Blog "Erleuchtung in Bangkok" übernommen, in dem ich seit Jahren nicht mehr schreibe. Er ist aber noch im Netz zu finden. Damals schrieb ich halt brühwarm meine traumatisierenden Erlebnisse und Eindrücke nieder. Ich dachte, diese nachzuvollziehen, wäre vielleicht für manchen interessant. Das Wort "Erleuchtung" würde ich nicht mehr verwenden, denn so etwas ist schwer zu fassen oder es führt zu nichts Gutem. Dafür würde ich das Wort "Vollendung" gebrauchen, deshalb auch der Titel im Tagebuch. Denn ich glaube, wir steuern auf das Ende der alten Welt zu und es beginnt eine neue Erde und ein neuer Himmel. Was ich damit meine und was ich sonst noch glaube, sollte ich aber lieber im Verschwörungstheoretiker - Thread schreiben, denn ich glaube zum Beispiel auch, dass die Erde unbeweglich ist und der Mond kein fester Körper und weder das Licht der Sonne widerspiegelt, noch betretbar ist. Und ich hoffe, dass auch ich auf eine Art von Vollendung zusteuere, im Sinne von Heimkehr des verlorenen Sohnes oder um wieder zu dem zu werden, was wir alle in Wirklichkeit sind.

Wenn ich dann noch über meine anderen Wehwehchen schreibe, wobei Nierensteine richtig große Schmerzen bedeuten, werde ich mich kurzfassen. Denn auch wenn mich nun Schmerzen und Gebrechen plagen, so sehe ich doch zuversichtlich in den Tag und in die Zukunft.

Also, es gab noch ein Besuch in der Klinik, wobei das Thema Melanom gar nicht mehr angesprochen wurde. Ich bin überzeugt, dass diese Diagnose fingiert war, um den gutmütigen Farang und seine unbedarfte Gattin zu benutzen, damit die Kollegin die Möglichkeit zur Profilierung hatte. Denn bei der Kryo waren noch einige Weißkittel mehr anwesend und als ich mal wieder die Homepage der Klinik besuchte, war das Profil der Ärztin nach oben gerutscht. Ich nahm dann auch MMS-Tropfen und fühlte mich völlig gesund. Einen weiteren Termin nahm ich nicht mehr wahr, aber ich bat die Lebensgefährtin des Sohnes, diesen abzusagen mit dem Hinweis, dass der Patient sich aus Verzweiflung über die Diagnose vom Hochhaus gestürzt hat. Ein bisschen Rache sollte sein. Ich weiß aber nicht, ob sie dies so weitergegeben hat. Für mich war das Kapitel erledigt.
Titel: Re: Vollendung in Bangkok
Beitrag von: Khun Han am 02. August 2022, 16:28:27
Zur Abwechslung ein paar Bilder unseres Japan-Gartens.

(https://up.picr.de/44112312nd.jpg)

(https://up.picr.de/44112313mi.jpg)

(https://up.picr.de/44084525cu.jpg)

(https://up.picr.de/44084523fk.jpg)

(https://up.picr.de/44084521nm.jpg)

(https://up.picr.de/44084520ne.jpg)

(https://up.picr.de/44112320oa.jpg)

Die Steinlaternen und den Brunnen haben wir mit in den Container gepackt. die stehen jetzt vor unserem Townhouse.

(https://up.picr.de/44112318iu.jpg)