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Thailand-Foren der TIP Zeitung => Mein Tagebuch => Thema gestartet von: Khun Han am 22. Dezember 2024, 14:59:25

Titel: Briefe aus Indien
Beitrag von: Khun Han am 22. Dezember 2024, 14:59:25
Das Jahr 1973 verbrachte ich in Indien. Mit 20 begann ich im Land herumzureisen, Klöster und heilige Orte zu besuchen und Menschen zu treffen. Die Briefe, die ich von dort an meine Eltern schrieb, haben diese aufbewahrt. Sie zeugen von meinen Erlebnissen und meinen Erwartungen vor einem halben Jahrhundert. Sie sprechen für sich und ich werde nur wenige, notwendige Zusätze machen. Für Fragen bin ich natürlich offen und einige Anekdoten werde ich auch mitliefern.

Die Entscheidung nach Indien zu gehen, ohne den Plan zurückzukehren, traf ich in einer Nacht. Ich hatte zuvor im TV den Film "Unterwegs nach Kathmandu" gesehen. Der Filmdienst schreibt dazu: "Deutscher Spielfilm aus 1970/71. Vier junge Menschen brechen aus Überdruss und Unsicherheit in eine ungewisse Zukunftshoffnung auf. Ihre Wanderung nach Kathmandu, der Hauptstadt Nepals, dem Zielpunkt der Hippie- und Haschgeneration, schildert der Film in Reisebildern von außergewöhnlicher Schönheit, hinter deren Qualität das wirre Drehbuch weit zurückbleibt." Leider ist der Film nicht mehr auffindbar.

Es gibt natürlich eine Vorgeschichte. Ich befand mich in einem Internat mit Gymnasium, das von einem katholischen Orden geleitet wurde. Wenige Monate waren es bis zum Abitur. Auf der einen Seite war ich ein Hippie, ein Rebell. Ich war mit der Erste, der Bart und Haare wachsen ließ, wir rauchten Pfeife und dann Rothändle, besuchten heimlich Gasthäuser um zu trinken. Ich verfolgte die 68er Unruhen, die Black Panther in den USA und die Anti-Vietnam Demonstrationen, ich besuchte sogar die Versammlungen der Kommunistischen Partei bis es mir von der Heimleitung verboten wurde. Die Quittung bekam ich im Abiturzeugnis. Doch das ist eine andere Geschichte.

Andererseits suchte ich nach dem Sinn des Lebens und nach Gott. Die kirchlichen Antworten befriedigten mich nicht. Ich begann viele Bücher zu lesen, von den Philosophen der Antike bis zur Neuzeit und dann dicke Bücher über Hinduismus und Buddhismus und Bücher von und über indische Heilige. Ich besuchte ein paar mal die blauen Häuser in Winterthur, in denen Swami Omkarananda lehrte. Die Vorstellung, dass wir eins mit allem sind, überzeugte mich.

In meiner Familie und meiner Umgebung stieß ich auf Unverständnis, aber bevor ich anfinge zu studieren oder eine Ausbildung zu machen, musste ich zuerst ergründen, was der Sinn und das Ziel des Lebens ist. Dazu würde ich auch jahrelang bei einem Guru im indischen Dschungel bleiben.

Ich arbeitete einige Wochen bei einer Gartenbaufirma, um etwas Geld zu verdienen, machte noch eine Abschiedstour zu Verwandten und flog mit einem One-Way Ticket von Amsterdam aus nach Neu-Delhi. Ich hatte ein Visum für 1 Jahr bekommen und mein erstes Ziel würde der Ashram von Sri Aurobindo in Pondicherry sein. Meine Oma unterstützte einen Priester in Zentral-Indien, eine Schwester dieses Ordens würde mich am Flughafen abholen.

Genug der Vorrede. Leider habe ich kein Tagebuch geführt, viele Details und Zusammenhänge sind mir entfallen. Es gab kein Internet, kein Handy und kein GPS. Die Kommunikation lief mit den Menschen und Stellen in Indien wie mit meinen Eltern über Briefe.

Zitat
22.1.73

 Catholic Bishops´ Conference of India
                                                                                                            Alexandra Place
                                                                                                              New Delhi – 1

Lieber Vater, liebe Mutter, Oma und Erich,                                                                   
Ich sitze hier in einem Zimmer, das nach den Verhältnissen, die ich bisher sah in Indien, luxuriös ist, mit WC und Dusche. Es ist ein Gastzimmer in der Katholischen Bischofskonferenz in Indien und eben habe ich mit Bischöfen zu Abend gegessen. Schwester George hat dies arrangiert. Ich weiß nicht, was ich ohne die kleine Inderin gemacht hätte. Vielleicht säße ich schon im nächsten Flugzeug nach Europa. Ich könnte Euch nun alle Ereignisse brühwarm schildern, doch ich glaube, dass ich zuerst einmal Abstand von allen Eindrücken gewinnen muss. Ihr hattet recht: ich bin aus dem Nest gefallen und morgen fahre ich zu Fr. Jacob, der mir das Fliegen beibringen muss. Mit meinem Englisch bin ich so ziemlich am Ende. Doch ich will solange bei Fr. Jacob bleiben, bis ich mich einigermaßen unterhalten kann. Schwester George fuhr mich im Taxi herum und zeigte mir Delhi. Doch ich konnte nur alles registrieren, zum Nachdenken brauche ich Zeit. Schon im Flugzeug fühlte ich, wie allein ich und wie fremd mir alles war. Der Flug in der engen, überfüllten, schwankenden Maschine war ein Abenteuer für sich. Doch jeder Augenblick ist hier gefährlich, ob ich im Autobus fahre oder nur über die Straße will. Das Essen ist schrecklich gewürzt und auch das Hühnerfleisch ist anders, zäher und älter. Mein Urteil über etwas Essbares muss ich zukünftig ziemlich tiefer ansetzen. Seid jedoch jetzt nicht alle entsetzt und verängstigt; ich glaube fest, dass ich mich nach einigen Tagen bei Fr. Jacob wieder fangen werde. Jetzt jedenfalls ist mir alles fremd, auch ich mir selbst. Doch ich bin gesund angekommen und Gott wird weiterhelfen. Wer auf Ihn zugeht, dem kommt Er auch entgegen. Daran darf ich keinen Zweifel aufkommen lassen. Wenn ich bei Fr. Jacob bin, schreibe ich wieder. Die Bahnfahrt verspricht abenteuerlich zu werden. Seid nicht ängstlich und bewahrt Euer Vertrauen auf Gott und Eure Gebete. Grüßt bitte alle Bekannten in L., vor allem Toni-Vetter und Frau Kulik. Und bitte versucht, die Ausdauer im Gebet und in der Hoffnung, die ich selbst aufbringen muss, zu bewahren, und Gott wird sie uns beiden lohnen. Nun will ich mich noch duschen. Ich bin müde und muss alles überschlafen. Jetzt erscheint mir alles wie im Traum. Wenn ich es nicht mit eigenen Augen sehen würde, würde ich es nicht glauben, dass ich in Indien bin. Bis bald! Viele Grüße und Küsse
Euer Hans
Titel: Re: Briefe aus Indien
Beitrag von: WhiteSandBeach am 22. Dezember 2024, 15:21:50
Das Jahr 1973 verbrachte ich in Indien.

Respekt, da warst du einer der ganz frühen.
Ich freue mich auf weitere Berichte, danke.
Titel: Re: Briefe aus Indien
Beitrag von: Khun Han am 22. Dezember 2024, 18:01:50
Natürlich hat sich seit dieser Zeit viel verändert, sogar die Städte haben neue Namen erhalten. Pondicherry heißt nun Puducherry, Bombay Mumbay, Kalkutta Kolkata und Madras ist jetzt Chennay. Ich belasse es bei den alten Namen. Es gibt sicher Dinge, die sich wenig verändert haben, wie das Kastensystem und das Leben auf dem Lande. Es sind unzählige Universitäten und Tempel hinzugekommen, aber die alten Heiligtümer und Gebräuche werden weiter verehrt und gepflegt. Es gibt Slums in den Städten, aber auch Hochhäuser daneben. Und es gibt Superreiche. Vor kurzem sah ich eine Dokumentation über einige Superreiche. Sie benutzen lieber den Hubschrauber, als sich durch die verstopften Gassen fahren zu lassen. Einer davon flog mit seinem Privatjet nach Dubai zu einer Firmenbesprechung. An Bord befand sich auch der Enkel des Königs von Thailand mit seiner Freundin.

Zitat
26.1.73
 
Catholic Ashram – Malkaroda P.O.
 Sakti-Bilaspur M.P.,  India

 Liebe Eltern, lieber Erich, liebe Oma!                                                                             
Ich kann Euch gar nicht sagen, wie glücklich ich bin, hier in Indien zu sein. Gestern und vorgestern war hier in Malkaroda die große Einweihungsfeier des neuen Krankenhauses auf der Missionsstation. Mit dem deutschen Bischof – ich habe mich gut mit ihm unterhalten und er konnte mir viele Ratschläge geben – kamen viele Schwestern und indische Priester. Und alle sind überaus nett und zuvorkommend. Besonders eine indische Oberin und ein Priester aus Pondicherry haben mich ins Herz geschlossen. Vorgestern Abend wurde die Feier mit indischer Musik und Gesang und Sketchen eröffnet. Am nächsten Morgen war die Conzelebration und die Eröffnung des Krankenhauses, ein großes Festessen, Speisung der Armen, Gruppenfoto und am Abend die Einführung von einigen neuen Schwestern. Alle hier, neben Vater Jacob ist noch ein Priester hier, tun ihre Missionsarbeit mit großer Fröhlichkeit, Ausdauer und Gottvertrauen. Vater Jacob blieb die ganze Nacht auf, um die Armenspeisung vorzubereiten. Zu Essen haben wir mehr als genug. Zu jedem Essen gibt es Bananen und Orangen. Ich fühle mich in dieser fröhlichen und religiösen Familie zuhause und ich kann die Leute und Missionare verstehen, die für immer hier bleiben möchten. Bischof Johann Weitner ist schon seit 59 hier. An den Staub und an die Gelsen- und Schnakenstiche habe ich mich gewöhnt, auch dass ich mit Mäusen und 2 30cm großen Eidechsen zusammen wohne, die an der Decke kleben und Fliegen fangen. Zum Fest kamen auch der ehemalige Maharaja von Sakti und andere Beamte. Sehr schön habe ich mich mit einem Hindu unterhalten, der auf einer Ramakrishna-Mission Joga gelernt hatte. Nachdem ich diesen Brief vollendet habe, fahren wir nach Sakti auf die Bank. Morgen werde ich nach Pondicherry weiterfahren. Die Fahrt wird zwei Nächte und einen Tag dauern. Vor meiner ersten Bahnfahrt hatte ich Angst, doch jetzt freue ich mich darauf, neue, nette Menschen kennen zu lernen und mich auf den Bahnhöfen selbst zu verpflegen. Ihr braucht Euch überhaupt keine Sorgen zu machen. Im Süden sollen die Leute noch gastfreundlicher sein. Es war eben eine große Umstellung, die ich vorher nicht genau voraussehen konnte, doch ich habe mich schnell eingelebt. Es ist eine Freude, unter diesen fröhlichen, freundlichen und bedürfnislosen Menschen zu leben, die noch mit der Natur und damit mit Gott verbunden sind. Es gibt viel zu entdecken in diesem Land. In Pondicherry werde ich die Filme entwickeln lassen, damit Ihr eine Vorstellung von allem bekommt. Freilich kann Euch niemand das Gefühl vermitteln, hier und dabeigewesen zu sein. Grüßt alle, die nach mir fragen und hört nicht auf, zu beten und auf Gott zu vertrauen. Ich danke Euch für alles, was Ihr für mich getan habt. Ich denke, Ihr werdet Stolz sein können auf Euren Jüngsten, und ich werde Euch alle Wohltaten zurückerstatten.
Viele, viele herzliche Grüße
In Liebe Euer Hans
Titel: Re: Briefe aus Indien
Beitrag von: Kern am 22. Dezember 2024, 18:05:41
Interessant!  ;}
Titel: Re: Briefe aus Indien
Beitrag von: Khun Han am 22. Dezember 2024, 18:18:33
Wen es interessiert: Die neuen Maharadschas - Indiens Superreiche
 Weltspiegel Doku ∙

https://www.ardmediathek.de/video/weltspiegel-doku/die-neuen-maharadschas-indiens-superreiche/das-erste/Y3JpZDovL21kci5kZS9zZW5kdW5nLzI4MTA2MC8yMDI0MTIyMzIzNTAvd2VsdHNwaWVnZWwtZG9rdS1tZHItaW0tZXJzdGVuLTEwMA
Titel: Re: Briefe aus Indien
Beitrag von: Khun Han am 23. Dezember 2024, 16:36:54
Zitat
28.1.73 
                                                                                  Palloti-Bhavan
                                                                                    Seminary-Hills
                                                                                        Nagpur-6


Meine Lieben!                                                                                                               
Es ist Sonntag und ich sitze hier im Pallotiner Seminar in Nagpur. Gestern Nachmittag hat mich Father Jakob in den Zug nach Nagpur gesetzt und mir einen Brief an Father James mitgegeben, der mich heute Nachmittag in den Zug nach Madras setzen sollte, von wo ich nach Pondicherry weiterfahren könnte. Innerhalb einer Woche nach meiner Ankunft hätte ich mich in Pondicherry melden sollen, doch Father James, der 5 Jahre in Deutschland Philosophie studiert hat und fließend deutsch spricht, hat seine Beziehungen eingesetzt und eben haben wir beantragt, dass die Frist um einen Monat verlängert wird, sodass ich noch einige Zeit in Nagpur bleiben kann. Ich traf hier auch einen ehem. Pallotiner-Priester, der schon 14 Jahre in Indien ist. Mit beiden konnte ich mich angeregt über Fragen des Christentums, des Joga und der Philosophie unterhalten. Ich werde hier von Einem zum Anderen gereicht und Ihr braucht Euch keine Sorgen machen; ich bin überall in guten Händen. Inzwischen fühle ich mich in Indien heimisch. Natürlich hat dieses Land ganz andere Maßstäbe und allmählich lerne ich, alles richtig einzuteilen und zu bewerten. Meine Hände und Arme sind übersät von roten Punkten, die von Moskitostichen herrühren, doch jetzt habe ich sie mit einem Mittel eingerieben, das sie vertreibt. Das Ganze ist natürlich noch ein großes Abenteuer, das natürlich auch seine besonderen Reize hat. Ich kann sie hier nicht ausführlich beschreiben. Während den zahlreichen Stunden im Zug hatte ich Zeit, das Land und die Leute, ihre Art zu leben und sich zu bewegen, eingehend zu studieren. Da sitzen z.B. morgens etwa 30 Menschen, geteilt nach Geschlechtern, auf freiem, ebenem Feld und erledigen ihre Notdurft, mit einem Gefäß voll Wasser zur Reinigung. Um sie herum springen Ziegen, Kühe und behaarte Schweine. Dies Bild zeigt sich allerdings nur auf dem Land. Überhaupt besteht ein großer Unterschied zwischen Stadt und Land. Doch gleichen auch in der Stadt die besten Hotels von außen Sozialbauten, in die kein Deutscher ziehen würde. Dies ist in einem so trockenen und staubigen Land auch kaum anders möglich. Die Leute sind mit der Natur verbunden, doch auch von ihr abhängig, und dieses Jahr ist große Wasser- und damit auch Lebensmittelknappheit. Nun hoffe ich, dass Ihr alles lesen könnt. Ich grüße auch herzlich Toni-Vetter und Frau Kulik. Ich hoffe, dass Ihr alle gesund seid und Euch keine großen Sorgen und Vorwürfe macht, und seid nicht beunruhigt, wenn einmal keine Post kommt. Wenn Ihr mir jetzt schreiben wollt, könnt Ihr schon an die Adresse des Sri Aurobindo-Ashrams in Pondicherry schreiben.
Viele Grüße und Gottes Segen
Euer Hans
Titel: Re: Briefe aus Indien
Beitrag von: Rangwahn am 23. Dezember 2024, 22:46:55
@Khun Han,

sehr intressante Briefe und Beitrag "Die neuen Maharadschas" vielen Dank fürs Einstellen  ;} [-]
Titel: Re: Briefe aus Indien
Beitrag von: Khun Han am 24. Dezember 2024, 12:50:28
Die Briefe bieten Unterhaltung, vielleicht etwas zum Nachdenken und Informationen. Wer weiter einsteigen will, kann nach den erwähnten Orten und Namen googeln. Kalkutta, Bombay und Neu-Delhi dürften bekannt sein. Zu Agra, Bodhgaya, Pondicherry finde auch ich noch Interessantes. Auroville und der Anandashram haben sich weiterentwickelt.

Nachdem ich in Benares im Ganges gebadet habe, an der Rath Mela in Puri teilgenommen und den heiligen Berg Araubachala umrundet habe, bin ich eigentlich nach hinduistischer Vorstellung vom Rad der Wiedergeburten befreit.

Die erwähnten Personen sind und waren auch im Westen bekannt. Suche nach Aurobindo, Mira Alfassa ("Die Mutter", die übrigens im November 1973 verstarb), Swami Omkarananda, Yogananda, Ramakrishna, Vivekananda, Ramana Maharshi, Swami Ramdas, Goenka oder Rabindranath Tagore! Für Yogi Ramsuratkumar, den ich in Tiruvannamalai als Bettler antraf und für den ich ein zweites Mal nach Indien flog, ist längst ein Ashram erbaut worden. Alle diese Personen hatten und haben ihre westlichen Anhänger und Bewunderer. Hinzugekommen und einen Blick wert ist nun Amma (Mata Amritanandamayi).

(https://up.picr.de/43112259ly.jpg)

So sah der Schreiber der Briefe damals aus.

Zitat
Dienstag, 6.2.73, Pondicherry
                                                                                        Meine Lieben!                                                                     
Ich hoffe, dass Ihr alle gesund seid. Ich jedenfalls bin es. In ein paar Tagen werde ich Pondicherry wieder verlassen. Es ist ein sehr schöner und interessanter Ort und es kommen viele Menschen aus der ganzen Welt hierher, doch ich fand hier nicht, was ich suche, nämlich einen Guru. Ich bekam eine Adresse von einem guten Ashram in Kerala, der sehr schön in den Bergen liegen soll. Dorthin werde ich gehen. Ich glaube, niemand folgt hier wirklich dem Beispiel Aurobindos. Niemand lehrt hier Yoga. Jeder ist auf sich selbst gestellt. Doch allein und nur mit den Büchern Aurobindos und der Mutter kann man nicht Yoga betreiben. Sie haben hier sehr schöne Fabriken für hand-gemachtes Papier, Webereien, Tuchfabriken, Fabriken für Holz- und Metallarbeiten. Doch es ist nur ein Geschäft. Die armen Leute aus den Dörfern werden ausgebeutet. Es sind hier reiche Hindus aus dem Norden, die hier versuchen, die Gäste und Besucher auszubeuten. Es wurde hier eine Stadt gebaut, Auroville, die ein Beispiel für menschliche Einheit und Streben nach Vollkommenheit sein soll. Es sind viele Amerikaner, Franzosen, Kanadier, Deutsche, Australier und auch Tibetaner hier, doch sie bleiben sich fremd und Auroville wird ein Dorf für reiche Snobs. Doch ich will Pondy nicht weiter schlecht machen. Ich hoffe, dass ich eines Tages hierher zurückkommen  und retten kann, was noch zu retten ist. Auf die Antwort der Mutter werde ich nicht mehr lange warten. Heute schicke ich auch 6 Filmkassetten ab. Ihr werdet an Hand der Bilder meine Reise verfolgen können. Viele Grüße an alle in Leutkirch, besonders an Toni-Vetter und Frau Kulik. Ich werde Euch wieder schreiben, wenn ich in Kerala bin.
Viele liebe  Grüße
Euer Hans
Titel: Re: Briefe aus Indien
Beitrag von: Khun Han am 26. Dezember 2024, 13:28:09
Leider habe ich einen Brief übersprungen. Hier nun der vom 1. Februar 1973 aus Pondicherry. Ich habe mich nicht unwohl gefühlt in dieser ehemaligen französischen Enklave. Die Stadt war 2004 auch vom Tsunami betroffen. Ich empfehle den Wikipedia Eintrag dazu zu lesen und den über Auroville. Als ich in Auroville war, fand ich die Gebäude und die Menschen dort recht "fancy", wie ich es damals dort zum Ausdruck brachte.

Ich las viel auf Englisch und dadurch, dass ich gezwungen war, englisch zu sprechen, verbesserte sich meine Fähigkeit dafür auch. Ich kann mich noch an den Titel des apokalyptischen Filmes erinnern, den ich im Kino sah: "No Blade of Grass".

Zitat
   Pondicherry
   India

1.2.73

Meine Lieben,                                                                                             
Es ist Donnerstag und ich schreibe Euch aus Pondicherry. Ich wohne hier in einer Art billigem Hotel. In den Ashram konnte ich noch nicht gelangen. Gestern bin ich hier angekommen und heute sollte ich mit dem zuständigen Mann im Sekretariat sprechen, doch man sagte mir, er sei nur für kurze Aufenthalte zuständig; wenn ich länger bleiben wollte, müsste ich einen Brief an die Mutter schreiben. Das habe ich getan und nun warte ich auf ihre Antwort, ihre Erlaubnis, daß ich im Ashram wohnen darf, die Bibliothek benutzen darf, usw. Der Ashram ist hier sehr unbeliebt. Er soll die Armen ausbeuten u.a. Ich will Euch jedoch erst genauer über alles berichten, wenn ich alles selbst gesehen habe. Es ist hier sehr heiß. Die  Stadt hat neben den Bettlern, Elendshäusern und Armen auch sehr schöne Ansichten. Man kann schön und weit am Ozeanstrand spazieren gehen. Es sind sehr viele Ausländer hier, Ashrambewohner, Touristen und Hippies. Ich schloß Bekanntschaft mit einem jungen deutschen Ehepaar, das schon zum 4.Mal hier ist. Doch ich will Euch mehr von Pondicherry und dem Ashram erzählen, wenn ich länger hier bin. Macht Euch also keine Sorgen, wenn ein paar Tage keine Post kommt.
Die indischen Pallotiner-Patres in Nagpur haben mir sehr geholfen. So haben sie erreicht, dass meine Anmeldefrist hier um eine Woche verlängert wurde. In Nagpur, eine Millionenstadt mit schönen, modernen Gebäuden – natürlich ist auch hier viel Dreck und Elend, aber daran gewöhnt man sich – schloß ich gute Bekanntschaft mit dem dortigen Leiter der Deutsch-indischen Kulturgesellschaft, einem Pallotinerpater, der eine Hindu geheiratet hat, zum Zeichen, wie die Kirche sich mit den „Heiden“ verbindet. Er ist überzeugter Katholik und hat den Segen des Papstes. Er hat gute Beziehungen und wird mir einmal helfen können. Ich konnte mich angeregt über Christentum, Hinduismus und Philosophie unterhalten. Er bestärkte mich in meinem Deutschtum und in dem Glauben an Jesus. Am Dienstag hat er mich dann in den Zug nach Madras gesetzt. Nach 21 Stunden kam ich dort an und fuhr mit dem Bus hierher. Wenn ich Zeit habe, werde ich vielleicht für die Zeitung eine Schilderung über das Reisen mit der Bahn in Indien schreiben. Ich habe ein paar Kassetten voll; ich werde Euch die ganzen Kassetten schicken, weil hier in Indien die Farbfilmentwicklung umständlich und teuer ist. Es sind Bilder von Dehli (mit der Schwester), von Malkaroda (die Einweihung) und andere von der Reise und Pondicherry. Father Jacob bat mich Euch zu schreiben, dass Ihr die Negative von der Einweihungsfeier an ihn senden sollt. Nun will ich noch ein indisches Kino besuchen. Die Plakate, die riesengroß an jeder Straßenecke hängen, bilden einen großen Kontrast zum wirklichen leben hier. Viele Grüße wieder an Frau Kulik und Toni-Vetter. Ich hoffe, dass Ihr alles lesen könnt.
Viele Grüße und Küsse
Euer Hans
Titel: Re: Briefe aus Indien
Beitrag von: Khun Han am 27. Dezember 2024, 18:59:41
Zitat
c/o. Krishnamurthi
  „Sai Sudha“, S.No.4 Bromfield Estate
     Whitefield, Mainroad,   Bangalore                                                                   
                                                                                       
Samstag,den 17.2.73                                 

Meine Lieben!                                                                               
Nun will ich Euch berichten, was ich in der letzten Woche erlebt habe und was ich jetzt mache. Am Dienstagabend bin ich also von Pondicherry mit dem Bus nach Bangalore gefahren. Die Fahrt war eine Qual. Frühmorgens kam ich an und ging zum Regent´s Gesthouse. Dies ist eine Pension, in der fast nur Amerikaner logieren. Die Adresse hatte ich von einem amerikanischen Lehrerpaar in Pondy erhalten. Sie gaben mir auch Namen, an die ich mich wenden konnte. Die Amerikaner dort fahren 1 oder 2-mal am Tag mit dem Taxi nach Whitefield („Weißes Feld“) zu dem Ashram von Sai Baba, um ihn zu sehen. Doch darüber später. Nachdem ich im Regent´s Gesthouse meinen Schlaf nachgeholt hatte und gerade auf die Straße trat, kam ein Mann auf mich zu, ein Wahrsager. Er schrieb etwas auf einen Zettel und nachdem er mich eine Zahl zwischen 1 und 5 und einen Blumennamen sagen ließ, standen die Zahl und der Name auf dem Zettel. Er sagte mir, dass ich aus eigenem Antrieb nach Indien gekommen bin und nichts anderes ersehne, als Gott zu sehen, und dass ich manchmal Indien lieb und manchmal nicht. Das stimmt. Dann sagte er mir die Zukunft voraus. Er sagte, ich würde ohne Unfall und Krankheit 85 Jahre alt. An Weihnachten 1984 würde ich Gott sehen. Auch Du, liebe Oma, wirst es erleben und ein hohes Alter erreichen. Er sagte, dass ich nächstes Jahr nach Hause zurückkehren werde, dass Ihr meinen Bart nicht leiden möget und ich ihn doch behalten werde, dass ich 1975 wieder nach Indien gehen werde, jedoch mit 4 oder 5 Begleitern. Er sprach von einem glücklichen, bedeutungsvollen 27.Lebensjahr und dass ich mit 28 auf einer Schule sein werde und viele Leute kommen werden, um mich zu sehen. Dass ich in Deutschland eine Schule und eine Kirche oder Tempel bauen werde, dass ich bei meiner Rückkehr 74 einen bestimmen Geldbetrag erhalten werde und dass wir alle sehr glücklich sein werden. Es dürfte wohl leicht sein für mich, ihm zu glauben. Doch ich werde auch Gelegenheit haben, es zu prüfen. Im Juni nämlich soll ich eine Inderin treffen, die er mir beschrieben hat. Ihr Name beginnt mit S, ich werde ihr das Amulett schenken, das ich vom Wahrsager erhalten habe und sie wird mir ein anderes schenken. Sie wird mich wie einen Bruder lieben und mir überallhin folgen wollen. Auch werde ich innerhalb eines Monats einen Brief von daheim erhalten, der mich sehr glücklich machen wird. Er sagte mir auch, dass er mich wiedersehen wird, und als ich am Freitag wieder zu ihm ging, erwartete er mich bereits. Er sagte auch, dass ich meine Kleider wechseln und andere Gewänder anziehen werde. Das habe ich auch getan. Ich werde von nun an gelbe Gewänder tragen, um auch nach außen den Beginn meines spirituellen Lebens darzustellen. Ich habe mir nämlich in Whitefield für 22 DM im Monat ein schönes Zimmer gemietet, in dem ich voraussichtlich bis Ende April bleiben werde, Yoga üben, meditieren und ein spirituelles Leben beginnen werde. Als ich hierher kam, sah ich, dass ich einen ruhigen Platz brauche, um mich endlich auf mich selbst und auf mein Ziel zu besinnen. Die Landschaft ist bis auf den roten Staub grün und hügelig, sodass ich mein Allgäu nicht zu missen brauche. Es ist ein herrliches Gefühl, irgendwo auf der weiten Welt einen kleinen Platz für sich zu haben, sich selbst zu versorgen und nur zu tun, was man will. Und da ich dem Wahrsager glaube, ist es für mich möglich zu handeln, wie der Yoga es vorschreibt und auch in jeder Religion sein sollte, nämlich zu beten, zu opfern und zu handeln ohne einen Wunsch nach Lohn oder Erfolg. Ich weiß ja, dass ich das Ziel erreichen werde. Übrigens ist ganz in der Nähe eine katholische Kirche, in der jeden Tag um 17.30 Uhr Heilige messe ist. Nun zu Sai Baba. Seine übernatürlichen Fähigkeiten sind unumstritten. Er sagt den Tod voraus und lässt Dinge, Schmuck, einen Regenbogen usw. erscheinen. Zweimal am Tag geht er unter die wartende Menge und jeder kann sehen, wie er nach 3 waagrecht-kreisenden Handbewegungen das weiße Pulver in seine Hand zaubert, das seine Verehrer auf die Stirn schmieren. Seine Verehrer sehen in ihm eine neue Verkörperung des Gottes Rama und vergleichen ihn mit Jesus. Ob er aber von Gott erfüllt ist und ob er mein Guru ist, weiß ich noch nicht. Sein Hauptashram ist in Puttaparthi, 100 Meilen entfernt und er kommt nur kurze Zeit nach Whitefield. Seine Anhänger, darunter sehr viele Amerikaner, die direkt hierher kamen, um ihn zu verehren und schon bis zu 2 Jahren hier sind, ohne dass er sie beachtet hätte (sie aber verehren ihn und kriechen um ihn wie Hunde); seine Anhänger ziehen immer mit ihm. Ich jedoch werde hier bleiben. So wie ich Euch das Land und die Leute alle schildern kann, kann ich auch nicht im Einzelnen beschreiben, welche Amerikaner und Europäer ich alle treffe, die Gespräche, die wir führen, die Erfahrungen und Adressen, die wir ausgetauscht werden. Aber alle spüren, dass es keinen Zufall gibt, dass wir alle nicht allein auf dem Weg sind, sondern dass Gott mit uns geht und uns führt. In Whitefield traf ich auch zwei junge Mädchen aus Schwetzingen, die schon ein halbes Jahr von zuhause weg sind, und auf dem Pfad schon weit fortgeschritten sind. Sie gaben mir auch die Adresse des Yogi Ramsuratkumar, der nicht weit entfernt in Tiruvanamalai als Bettler lebt und Aurobindo, Ramana Maharshi und Ramdas als Lehrer hatte. Zu ihm werde ich später gehen. Nun hoffe ich, dass Ihr mir bald schreibt, auch wie die KDV-Prüfungskammer entschieden hat.
Viele herzliche Grüße an Frau Kulik und Toni-Vetter, die ja sicher meine Briefe dienstags zu lesen bekommen. Vielleicht bekomme ich jetzt Zeit, Artikel für die SZ und den Klassenrundbrief zu schreiben. Ich wünsche nun, dass Ihr mein Glück teilen könnt.
Viele liebe Grüße und Küsse
Euer Hans

In dem Gesthouse in Bangalore aß ich einen Erdbeerkuchen, der mir wunderbar geschmeckt hat. Der Handleser hatte insofern Recht, als ich 1975 tatsächlich wieder nach Indien flog. In Whitefield nahm ich mir ein Zimmer, nicht weit vom Ashram von Sai Baba (siehe Wikipedia, auch über seine Sexualdelikte!), und ich hielt da für kurze Zeit einen kleinen nachtaktiven Affen, wohl einen Maki, in einem kugelförmigen Käfig, den ich in abends im Bad nach Heuschrecken jagen ließ. Als ich weiterreiste, verschenkte ich ihn. Zuvor hatte er mir noch in einen Daumen gebissen, was mir lange Zeit eine eiternde Wunde bescherte.

Mit den beiden Mädchen, Ilse und Ute, trampte ich dann an die Westküste. Wir hatten eine wunderbare Beziehung, schrieben uns nach unserer Indienreise selbstgebastelte Briefe. Sie besuchten meine Eltern und ich besuchte sie in Heidelberg und wir vereinbarten 1975, uns wieder in Tiruvannamalai zu treffen.

Zur KDV: ich hatte noch auf dem Gymnasium den Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gestellt. Die ablehnende Entscheidung konnte mir aber nicht zugestellt werden. Nach meiner Rückkehr wurde die Gesetzeslage verändert, nach der der Antrag allein ausreicht. Dies wurde wieder zurückgenommen, sodass ich mit meiner Gattin nach Sigmaringen fahren musste, um dort mein Recht gegen die Bundesrepublik einzuklagen. Als Nachweis legte ich eine Art Tagebuch vor und mit einem mir bekannten Apotheker und Stadtrat aus meinem Städtchen als Beisitzer wurde letztlich mein Antrag anerkannt.
Titel: Re: Briefe aus Indien
Beitrag von: Raburi am 28. Dezember 2024, 10:04:40


Hallo Khun Han

Danke für die interessanten Einblicke in deine Jugendzeit.  ;}

Gruss  Raburi

Titel: Re: Briefe aus Indien
Beitrag von: Khun Han am 28. Dezember 2024, 19:51:59
Danke für die Rückmeldungen! Es freut mich, wenn meine Ergüsse Interesse oder Gefallen finden. Die Briefe haben neben den Beschreibungen meiner Reisen und Begegnungen eben stets den Bezug zur Familie mit Grüßen zu Geburtstagen und an die Nachbarn zum Inhalt. Oft wird es um Überweisungen gehen - so nach dem Motto: "Wollt ihr euren Sohn noch retten, dann schickt ihm Geld und Zigaretten!" - und sie zeugen von den Ideen und Wunschvorstellungen eines Jugendlichen, der ernsthaft nach dem Sinn des Lebens sucht. Dabei ist es für mich in dieser Inkarnation weder bestimmt in einem Kloster oder in einer Einsiedelei zu leben, noch der Vertreter einer Religionsgemeinschaft zu sein und auch nicht stundenlang in Meditation zu verharren. Sicher lebte ich in früheren Leben mal in Indien und in anderen asiatischen Ländern. Schon ein markantes Interesse an einem bestimmten Urlaubsland oder auch an einer Volksgruppe wie z.B. den Indianern kann auf eine karmische Beziehung hinweisen. Wenn ich auch auf der Suche nach einem Guru war, so folge nun doch keinem Meister und ich will niemand von irgendeiner Lehre überzeugen. Zu welchen Ergebnissen meine Suche und meine Praxis geführt hat, werde ich mal an anderer Stelle beschreiben. Meine Erziehung jedenfalls war katholisch, vom Elternhaus bis zu den 9 Jahren hinter Klostermauern im Internat. Ich bezeichne mich als Christ, obwohl ich schon längst aus der Kirche ausgetreten bin und nicht mal eine Bibel besitze. Gerne möchte ich einen Netzfund einfügen:

Einmal wurde ein weiser Mann gebeten, den Unterschied zwischen Religion und Spiritualität zu erklären.

Seine Antwort war tiefgründig:

▪️ Es gibt nicht nur eine Religion, es gibt viele.

▪️ Spiritualität ist eins.

▪️ Religion ist für diejenigen, die schlafen.

▪️ Spiritualität ist für diejenigen, die wach sind.

▪️ Religion ist für diejenigen, die jemanden brauchen, der ihnen sagt, was sie tun sollen, und die Führung möchten.

▪️ Spiritualität ist für diejenigen, die auf ihre innere Stimme achten.

▪️ Religion hat dogmatische Regeln.

▪️ Die Spiritualität fordert uns dazu auf, alles zu diskutieren und alles zu hinterfragen.

▪️ Religion bedroht und macht Angst.

▪️ Spiritualität schenkt inneren Frieden.

▪️ In der Religion geht es um Sünde und Schuld.

▪️ Die Spiritualität sagt: „Lerne aus deinen Fehlern.“

▪️ Religion unterdrückt alles, was falsch ist.

▪️ Spiritualität überwindet alles, sie bringt dich der Wahrheit näher!

▪️ Bei Religion geht es um Gott. Sie ist nicht Gott.

▪️ Spiritualität ist alles und deshalb liegt sie in Gott.

▪️ Religion ist Erfindung.

▪️ Spiritualität ist Finden.

▪️ Die Religion duldet keine Fragen.

▪️ Spiritualität wird alles in Frage stellen.

▪️ Religion ist eine Organisation, deren Regeln von Männern gemacht werden.

▪️ Spiritualität ist göttlich, ohne menschliche Regeln.

▪️ Religion ist die Ursache der Spaltung.

▪️ Spiritualität verbindet.

▪️ Die Religion möchte, dass Sie glauben.

▪️ Die Spiritualität muss man suchen, um daran zu glauben.

▪️ Religion folgt den Konzepten des Heiligen Buches.

▪️ Spiritualität sucht in allen Büchern nach einem Feiertag.

▪️ Religion schürt Angst.

▪️ Spiritualität nährt Vertrauen und Glauben.

▪️ Religion lebt in Gedanken.

▪️ Spiritualität lebt im inneren Bewusstsein.

▪️ In der Religion geht es um die Durchführung von Ritualen.

▪️ Spiritualität hat mit dem inneren Selbst zu tun.

▪️ Religion nährt das Ego.

▪️ Spiritualität zwingt Sie, über sich hinauszugehen.

▪️ Durch die Religion trennen wir uns von der Welt, um Gott zu folgen.

▪️ Spiritualität lässt uns in Gott leben, ohne unser bestehendes Leben aufzugeben.

▪️ Religion ist ein Kult.

▪️ Spiritualität ist eine innere Meditation.

▪️ Die Religion erfüllt uns mit Träumen vom Ruhm im Paradies.

▪️ Spiritualität lässt uns in irdischer Herrlichkeit und im Paradies leben.

▪️ Religion lebt in der Vergangenheit und in der Zukunft.

▪️ Spiritualität bedeutet, in der Gegenwart zu leben.

▪️ Religion schafft Klöster in unserer Erinnerung.

▪️ Spiritualität befreit unser Bewusstsein.

▪️ Die Religion lässt uns an das ewige Leben glauben.

▪️ Spiritualität macht uns auf das ewige Leben aufmerksam.

▪️ Religion verspricht ein Leben nach dem Tod.

▪️ Spiritualität bedeutet, Gott in uns in unserem gegenwärtigen Leben zu finden, bevor wir sterben

- Wir sind keine Menschen, die eine mentale Erfahrung durchmachen.

- Wir sind spirituelle Wesen, die die menschliche Erfahrung durchlaufen.
Titel: Re: Briefe aus Indien
Beitrag von: Khun Han am 29. Dezember 2024, 19:13:59
Zitat
“Sai Sudha” S.No.4, Bromfield Estate
              Whitefield, Mainroad
                  Bangalore
                    India

                                                                                                         Whitefield, Dienstag, den 6.3.73

Meine Lieben!
Heute habe ich zwei Briefe von Euch bekommen und ich habe mich zuerst sehr gefreut. Den Brief an Fr. Jacob habe ich noch nicht, ich muss ihm zuerst meine Adresse schreiben. Ich stehe mit ihm nur wenig in Verbindung. Nach ein paar Tagen hat er mich mehr oder weniger abgeschoben, und er ist mir weniger sympathisch, als ich ihn mir vorgestellt habe. Und was glaubt Ihr, habe ich mit dem Geld gemacht? Natürlich habe ich ihm die ganzen 190 Dollar gegeben. Ich versuche hier, ein heiliges leben zu führen, und Ihr traut mir zu, dass ich lüge und stehle! Er hat mir übrigens gesagt, dass er Euch schon ein Bild von sich und seinen Eltern geschickt hat und Euch schreiben und danken wird. (Dabei wird er Euch um eine Schreibmaschine bitten.) Auf dem Bild ist er der, der steht. In ständiger Verbindung stehe ich mit Fr. Julius Moser in Nagpur. Ich gebe Euch seine Adresse unten.
Was die Zeit betrifft, so hat der Tag bei uns auch meist 24 Stunden. Nur wenn bei Euch die Shiloh-Ranch beginnt, ist es hier 22.45 Uhr, also 4,5 Stunden später.
Nun zum „Wahrsager“. Palmistry, also Handlesen, ist nicht nur in Indien eine ehrenhafte, anerkannte Wissenschaft. Der „Wahrsager“ konnte mich auch nicht vorher ausforschen, denn ich war erst am Morgen nach Bangalore gekommen. Und er wird mich nicht mit einer Inderin verkuppeln können, die ich erst im Juni und im Norden treffen soll. Ich werde Euch unten von meinem Besuch im Anandashram berichten. Dort traf ich einen Mann einen Sohn katholischer Eltern, der mir als Wissenschaftler ohne Bezahlung aus der Hand las. Ob Ihr´s glaubt oder nicht, auch er sagte mir, dass ich in kurzer Zeit eine Inderin treffen und heiraten werde. Ihr dürft mir glauben, dass ich selbst gar nicht aus dem Häuschen bin. Doch anscheinend stellt Gott mir für meine Aufgabe in der Welt eine Frau zur Seite. Und erfüllt Euch den Wunsch nach einer Schwiegertochter. Das sind die notwendigen Vorwarnungen. Ich hoffe nur, dass es Euch nichts ausmacht, dass Eure Schwiegertochter eine Inderin ist und vielleicht keine Katholikin. Für Euch mag das als Zufall oder Humbug erscheinen, doch ich weiß und spüre hier, dass nichts – gar nichts ohne den Willen Gottes – zu unserem Besten – geschieht.
Nun zu den Mädchen. Ich verstehe nicht, warum Ihr ihre Adressen braucht. Ich war mit ihnen über 2 Wochen zusammen, bin mit ihnen 3 Tage lang, barfuss, 300 km zum Anandashram getrampt, bin eine Woche mit ihnen dort gewesen und habe öfters mit ihnen in einem Zimmer geschlafen und sie haben mir nicht den Kopf abgeschnitten und auch nicht mein Geld genommen, obwohl sie selbst wenig hatten. Glaubt mir, ich kann unterscheiden zwischen solchen, die nach Indien des Haschisch wegen und Gottes wegen kommen. Die Mädchen, 19 und 20, sind fortgeschritten im Yoga und kamen übers Land und Nepal nach Tiruvanamalai, um ihren Guru zu suchen. Sie trafen dort Yogi Ramsuratkumar. Ich werde in den nächsten Tagen zu ihm gehen. Vielleicht ist er mein Guru.
Ich bin also mit ihnen zum Anandashram getrampt. Die Reise war wunderbar. Der Süden ist reicher, sauberer und billiger. Die Leute sind alle unvorstellbar freundlich und hilfsbereit. Wir fuhren über hohe, bewaldete Berge hinunter ans Meer, wo wir auch badeten. Jetzt habe ich schon die West- und die Ostküste Indiens gesehen. Es gibt hier alles: Bananen, Orangen, Äpfel, Ananas, Kokosnüsse, süße Kartoffeln und viele Arten von Nüssen. Der Aufenthalt im Ashram selbst war ein beglückendes Erlebnis. Ramdas, der Heilige, der dort lebte, starb zwar 1963, doch man sagt und spürt, dass er noch lebt und den Ort mit einem seltsamen Frieden und Freude erfüllt. Die Menschen dort sind pure Liebe. Es ist auch eine Frau dort, genannt „die Mutter“. Doch sie ist anders als in Pondicherry. Die „Westerners“ kommen jeden Abend zu ihr und sie erzählt dann eine Geschichte oder Begebenheit. Ramdas sagte, der leichteste Weg zu Gott zu kommen, sei ihn zu lieben, ihm zu dienen, sich ihm auszuliefern und sich ständig Seiner Gegenwart bewusst sein. Er konnte auch einfach aus seiner Erfahrung heraus sagen, dass er Gott ist und damit mit den Menschen und der Welt identisch ist. Das ist keine Gotteslästerung, sondern die Gottwerdung oder besser die Bewusstwerdung, dass wir kein von Gott getrenntes „Ich“ besitzen, sondern Gott in einer bestimmten Form sind, ist das Ziel der ganzen Welt, und das, was ich hier suche. Gott wäre ein bösartiger Götze, wenn er Menschen in die Welt setzen würde und zuschauen würde, wie sie ewig verdammt werden. Vielmehr ist alles, das ganze All, die ganze Vielfalt nur eine Manifestation Gottes, als Partner für seine Liebe, und doch ist er die Einheit. Dies ist die bewusst erlebte Wahrheit vieler Weisen und Heiligen hier. Ich hoffe, dass wenn ich nächstes Jahr heimkomme, ich Euch der lebende Beweis für das sein werde, was Ihr jetzt noch nicht einsehen könnt und wollt.
Natürlich nehme ich Anteil an Euren Sorgen und Schmerzen. Doch ein solcher Briefwechsel, wo ich Euch meine Freude und Glück schreibe und Ihr mit Euren Bedenken und Schmerzen antwortet, nützt weder Euch noch mir. Es wäre dann besser, wen ich Euch regelmäßig schreibe, dass ich noch lebe. Ihr müsst wissen, für mich gibt es keine Sorgen und keine Schmerzen; alles gibt, schickt und nimmt Gott und wer Sorgen empfindet, zeigt, dass er Gott nicht aus vollem Herzen liebt. Job ist ein Beispiel, wie man sich verhalten soll. „Der Name des Herrn sei gepriesen.“ Sorgen und Schmerzen erwachsen aus der Klammerung an diese Welt, an das „Ich“. Für mich gibt es keine Klammerung an das Ich, weshalb ich auch keine Gefühle wie Stolz kenne. Diese Klammerungen erwachsen aus der Unkenntnis Gottes. In Wirklichkeit ist alles ein Spiel Gottes mit sich selbst. Vor allem kenne ich keine Furcht, denn sie ist das größte Hindernis für die Weiterentwicklung. Was ich nun den ganzen Tag mache, mich der Gegenwart Gottes bewusst zu werden, und in dem Sinne: beten ohne Unterlass. Du sagst, liebe Mutter, ich soll Stoßgebete zu den Heiligen beten. Ich kenne diese Heiligen nicht, sie sind tot. Hier leben die Heiligen vor der Haustür. Wenn Du Gott um etwas bittest, etwa im Namen von Heiligen, so wird Er es Dir geben. Ich aber will Gott um nichts bitten, sondern ich gebe mich Ihm selbst. Ich will nur eins: Ihn sehen. Und um diesen Wunsch zu erfüllen, muss Er zu mir  in der Person eines Gurus kommen und mir den Schleier vom Gesicht nehmen. Ich weiß, dass Gott schon jetzt mein Guru ist, der mich aus dem großen Buch des Lebens belehrt und, dass ich nicht krampfhaft nach einem Guru suchen muss. Ich beginne in einem Gefühl der ständigen Gegenwart Gottes zu leben, das heißt seiner Liebe, seiner Macht und Weisheit und seines Glücks. Ich bin daran, zu finden, was ich suche. Ich bin Gott entgegengegangen und Er ist mir entgegengekommen. Ich bin glücklich in Ihm, in seiner Liebe und das sollt Ihr auch sein, schreibt mir deshalb nicht kleingläubig zu viel von Euren Bedenken. Nächstes Jahr werde ich heimkommen und sie von Euch nehmen. Bedenkt, dass nicht wir handeln, dass nicht ich nach Indien hab´ gehen wollen und Ihr mich habt gehen lassen, sondern dass Gott in allem handelt. Vertraut auf Gott und versucht geduldig zu sein. Ihr seid ja mit Euren Gebeten daran schuld, dass es so gekommen ist. Nun könnt und wollt Ihr die Konsequenzen noch nicht sehen. Der Mann im Ashram las aus meiner Hand, dass ich bald einen Mann treffen werde, der mich zum Besten verwandeln wird, dass ich Gott schon dieses oder nächstes Jahr sehen werde, meine erworbenen Kenntnisse nach Deutschland bringen werde und ein Guru für die Jugend sein werde. Ich plane, im Allgäu einen Ashram und ein Internat zu errichten. Doch ich schreibe Euch besser nicht mehr so viel über meine Pläne und Erfahrungen. Nächstes Jahr werdet Ihr alles erfahren und sehen.
Bei Euch liegt hoher Schnee und hier beginnt der Sommer. Es wird tagsüber so heiß, dass man nicht mehr barfuss über die Straße gehen kann. Allerdings wird es in dieser Gegend nachts recht kühl.
Für Reisen und anderes habe ich am Anfang ziemlich Geld ausgegeben. Erkundigt Euch bitte, wie Ihr mir von meinem Konto Geld schicken könnt. Es gibt hier eine Internationale Bank für solche Geschäfte, mit der man bestimmte Schecks schicken kann. 1 DM ist 2,20 Rupees. Doch bald rechnet man 1 Rupee = 1 oder 2 DM. Denn das Leben ist sehr billig hier; für 15 Pfennig kannst du gut zu Mittag essen.
Gemeldet bin ich einmal in Pondicherry und dorthin muss ich einfach mein Reisetagebuch schreiben, wenn ich Reisen mache.
Versteht bitte, dass ich Euch nicht alle Woche schreiben kann. Ich werde jetzt allen Verwandten schreiben und muss insgesamt etwa 12 Briefe schreiben. Wartet also nicht alle Tage verzweifelt auf Post, sondern freut Euch, wenn Ihr welche bekommt.
Man gewöhnt sich hier in Indien an alles, an den Dreck, die Bettler, die Moskitos und auch an die Schönheiten. Zuerst glaubte ich, alles photographieren zu müssen, doch jetzt wird es alltäglich. Ich werde Euch bald ein Paket schicken mit Bücher und anderem, das ich nicht mehr brauche und neuen Bildern.
Im Mai werde ich wahrscheinlich nach Norden gehen und verschieden Wallfahrtsorte und Ashrams besuchen. Ich werde auch einen Kurs in Hatha-Joga machen und einen 10-tägigen, wirkungsvollen Meditationskurs bei dem Buddhisten Goenka, den hier fast alle „Westerners“ kennen.
Nun will ich Euch noch die Adressen geben. Mein genaue habt Ihr ja:
Fr. Julius Moser
Indo-German Cultural Society
240 A-2, Shraddhanandpeth
Nagpur-10

Ute S.
683 Schwetzingen
...
Ilse G.
6834 Brühl

Und nun hört auf, Euch Sorgen zu machen. Ich könnte richtig böse werden. Habt etwas mehr Vertrauen zu Eurem Sohn und zu Gott! Toni-Vetter wünsche ich eine Erholung. Viele Grüße an Frau Kulik, Fam. Gramp, Keller, Fuchs, Schoß, Buchmüller und Frau Jäger. Mani werde ich gleich schreiben. Viel herzliche Grüße und Küsse von Eurem Hans
Und wartet nicht jeden Tag auf Post! (Der arme Herr Weber!)

Die Tage mit Ilse und Ute waren wunderbar, wir sind Seelenverwandte. Ich kann mich erinnern, dass wir den Palast in Mysore besichtigt haben, dass die Fahrt mit dem Bus bergab einer Achterbahnfahrt gleichkam und einige Passagiere sich dabei übergaben, wie wir im Meer badeten und dann stille Tage im Anandashram verbrachten. Auf dem Rückweg trennten wir uns in Mangalore (Ich kann das dauernde Rufen auf dem Busbahnhof in Bangalore nicht vergessen: "Bängalor-Mängalor, Bängalor-Mängalor!"), weil die Mädchen weiter in den Norden reisten und ich nach Tiruvannamalai um Yogi Ramsuratkumar zu treffen.

Ich werde meine Kiste mit Briefen durchsuchen müssen, in der ich Briefe gesammelt habe noch von vor 65 Jahren aus dem Internat heraus (wie sich ein Schriftbild verändern kann!), Briefe auch von 1975 aus Indien, Thailand und Japan, denn es müssten Briefe da sein von meinen Tagen mit Yogi Ramsuratkumar und dem Meditationskurs in Madras mit Goenka.

Dem Absender nach machte ich nochmal Stop in Whitefield. Der nächste Brief datiert vom 1. Mai, als ich in Nagpur bei P. Moser war. Vielleicht genügt es auch, wenn ich meine Erinnerungen an diese Wochen schildere.

Ich empfehle wieder die Suchmaschine oder youtube zu bemühen nach: Palast in Mysor, Anandashram bei Kanhangad, Yogi Ramsuratkumar sowie Goenka und die Vipassana Meditation.
Titel: Re: Briefe aus Indien
Beitrag von: WhiteSandBeach am 29. Dezember 2024, 19:51:43

Einmal wurde ein weiser Mann gebeten, den Unterschied zwischen Religion und Spiritualität zu erklären.
.......


Sehr schön beschrieben, hab ich so noch nicht gehört.
Das werde ich mir notieren.
Danke
Titel: Re: Briefe aus Indien
Beitrag von: Khun Han am 04. Januar 2025, 20:26:08
Ich bin noch dabei, die über Jahrzehnte gesammelten Briefe zu sichten. Tatsächlich habe ich noch welche von 1973 gefunden, die ich jetzt abschreiben muss, und auch welche aus den Folgejahren aus Indien, Japan und Thailand. Außerdem solche Sachen wie die abgetrennten Hälften von Eintrittskarten in Kinos oder zum Taj Mahal.

Derweilen werde ich weiter aus meiner Erinnerung erzählen und den Bericht mit Fotos illustrieren. Ich fuhr ja nach Tiruvannamalai, der Stadt mit dem großen Tempel am Fuße des heiligen Berges Arunachala, die auch durch Ramana Maharshi bekannt geworden ist. Ich wollte Yogi Ramsuratkumar treffen, mit dem Ilse und Ute einige Zeit verbracht hatten.

Die denkwürdige erste Begegnung fand auf freiem Feld statt. Man hatte mir gesagt, wo ich ihn finden werde. Er sprang auf, als er mich kommen sah, und wir blickten uns in die Augen. Es war mir, als ob wir uns seit Urzeiten kennen würden. Mir fiel nichts Besseres ein als zu fragen. "Do you know me?" Er antwortete: "You are myself! Nothing else!" Und fing an in seiner gewohnten Art zu lachen.

(https://up.picr.de/49113961db.jpg)

Ich nahm mir in der Stadt ein Zimmer, erkundete den Tempel, hielt mich im Ashram von Ramana Maharshi auf, besonders in der dortigen Bibliothek, und saß abends mit anderen Devotees um den Yogi. Dieser Bettler, wie er sich selbst nannte, lehrte nicht, sang seine Mantras und rauchte die Beedees, die wir ihm neben Früchten und anderem Essen jeweils mitbrachten. Es ging aber eine Kraft von ihm aus, die körperlich spürbar war, so etwa als einige politische Provokateure durch sein Singen regelrecht in die Flucht getrieben wurden. Obwohl ein Westerner ein Büchlein über ihn geschrieben hatte ("The God`s Child" oder so), war er damals wenigen bekannt. Später wurde für ihn ein Ashram gebaut und es gibt über ihn Webseiten und YouTube-Videos.

(https://up.picr.de/49113962ur.jpg)

Ich blieb allerdings nicht lange, denn ich hatte mich für einen Meditationskurs mit Goenka in Madras angemeldet. Aber im folgenden Jahr vereinbahrte ich mit Ilse und Ute
uns bei ihm zu treffen.
Titel: Re: Briefe aus Indien
Beitrag von: Khun Han am 09. Januar 2025, 20:26:33
Bis zu meiner Rückkehr im Dezember schrieb ich noch viele Briefe, traf viele Menschen und erlebte einige Abenteuer. Deshalb will ich hier nur kurz etwas zu dem Vipassana Meditationskurs unter Goenka einfügen. Ich empfehle wieder kurz dazu zu googeln.

Zu jener Zeit gab es ja kein Internet, kein E-Mail und kein Handy. Man bekam Tipps von anderen Reisenden und man schrieb Briefe. Ich ließ mir eine Liste kommen mit Orten und Kursterminen, auf der dann auch Voraussetzungen und Verhaltensweisen genannt wurden. Ich meldete mich für einen Kurs in Madras an und bekam die Zusage.

(https://up.picr.de/49113959vr.jpg)

Wir schliefen in diesen 10 Tagen alle in einem Raum, saßen tagsüber lange in einem anderen, folgten dabei der Aufmerksamkeit den Körper auf und ab und sollten dann über unsere Erfahrungen sprechen. Sonst war Schweigen angesagt, nur während der Nachmittagspause konnten wir uns unterhalten. Das Sitzen fiel mir schwer, ich musste mich anlehnen.

(https://up.picr.de/49113956ee.jpg)

(https://up.picr.de/49113973tq.jpg)

Sonst weiß ich nicht viel zu berichten, Durchbruch hatte ich keinen. Ich erlebte nur, wie schnell das Karma sich erfüllen kann. In Gedanken bezeichnete ich einen anderen Teilnehmer als Affen und kurz darauf riefen mir Kinder "Monkey!" nach.

Zitat
c/o. Fr. Julius Moser
 Indo-German Cultural Society
   240-A-2 Shraddhanandpeth
         Nagpur-10

Dienstag, 1.Mai 1973,Nagpur

Meine Lieben!                                                                         
Ich hoffe, dass Ihr alle gesund seid. Von jetzt an werde ich Euch nur noch diese Aerogramme schicken, nicht nur weil mir das Flugpostpapier ausgegangen ist, sondern auch weil Ihr, wenn ich Euch viel und ausführlich schreibe, nur mit „wunden Herzen“ herumlauft und nicht zur Ruhe kommt. Ich bin nun 1 Woche bei Pater Moser gewesen und fahre morgen zu Pater Jacob. Der Meditationskurs war sehr nutzbringend. Das Vipassana-System ist wirklich eine Methode, den Geist zu reinigen und zu stillen. Ich habe nun gesehen, welch schwierigen Weg ins Innere ich angetreten habe und wie viel Kampf und Arbeit er verlangt. Näher auf das System Buddhas einzugehen, würde Euch nur das Herz wund machen. Während der 10 Tage durften wir das Camp nicht verlassen und so merkte und wusste ich auch nicht, dass Ostern war. Also noch „Fröhliche Ostern“ im Nachhinein. Dir, liebe Oma, danke ich von Herzen für Dein Ostergeschenk. Ich kann es sehr gut gebrauchen. Ich habe mich entschlossen, nicht als Sannyasi ohne Geld weiter zu reisen und auf das äußere Zeichen, das gelbe Gewand, zu verzichten. Am 13. werde ich weiter nach Puri zum Jogananda-Ashram reisen. Bis auf weiteres könnt Ihr mich jedoch immer unter Pater Mosers Adresse erreichen. Heute wollten wir auf der Bank ein Konto eröffnen, doch da am 1.Mai alles geschlossen ist, gehen wir morgen hin. Ich werde Euch dann die Kontonummer schreiben. Den Scheck habe ich nach 1 Woche erhalten (das Geld per Postal order nach 1 Monat), konnte ihn aber nicht einlösen, da keine Bank hier mit der Laspa in Verbindung steht. Fragt bitte, mit welcher Bank in Indien, vielleicht in Kalkutta oder Delhi die Laspa Stuttgart in Verbindung steht. Hier in Indien ist nun Sommer und in Nagpur herrscht eine Temperatur von 46 Grad im Schatten(!). Viele Menschen sind schon an Hitzschlag gestorben. Und das dauert noch bis Mitte Juni; dann kommt der große Monsunregen. Ich habe Euch in 2 Paketen Bücher geschickt, die ich mitgenommen oder hier gekauft habe. Ich kann sie nicht mit mir herumschleppen. Ich lasse sowieso mein Gepäck bei Pater Moser. Ich habe mir leichte indische Kleidung machen lassen. Und reise nur mit einer Tasche. Gebt die englischen Bücher und Hefte Manfred. Er soll Euch den Inhalt der Bücher über Sai Baba und Yogananda übersetzen. Dass mich Euer Gebet nach Indien geführt hat, mache ich Euch nicht zum „Vorwurf“, ich bin Euch dankbar. Ihr habt um einen Priester gebetet, Ihr werdet mehr als das bekommen. Doch kann Gott mich das nur in Indien werden lassen. Und Ihr müsst einsehen, dass der Weg zu Ihm, der die Liebe und Freiheit ist, ein Weg der Befreiung von allen religiösen und ethnischen Einschränkungen und ein Weg der Begegnung mit den Wahrheiten in den anderen Religionen ist. Gott ist kein Europäer und kein Christ. Deshalb ist es jedoch nicht notwendig mein Christentum über Bord zu werfen; im Gegenteil ist wahres Christentum erst möglich ohne die einengende religiöse und soziale Kurzsichtigkeit anderen Religionen und Kulturen gegenüber.
Was Ihr über „meine Sachen“ und das Geld geschrieben habt, habe ich nicht verstanden. Schreibt es bitte ausführlicher. Wenn Ihr das Paket an mich noch nicht abgeschickt habt, dann tut doch auch bitte Pflaster hinein. Wurst und Maagstrudel werden wohl verderben. Oft wünsche ich mir am Sonntagmittagstisch zu sitzen oder Schwarzbrot und Speck zu essen. Sehr vermisse ich auch ein richtiges Bett mit Federkissen und –decke ohne Moskitos, Ameisen und Grillen, eine Badewanne und ein WC; auf dem man lange sitzen und lesen kann. Aufstehen tue ich wann´s mir passt und schlafen gehe ich ebendann. Essen tue ich meist Früchte. Übrigens braucht Ihr mir nicht zu schreiben, wem ich alles geschrieben habe; das kann ich mir selbst merken. Und nun hört endlich, endlich auf, Euch in irgendwelcher Hinsicht unnötige Sorgen zu machen. Betet und wartet ab, was wird.
Viele Grüße an Euch daheim und alle Bekannten von Euerm Hans
Titel: Re: Briefe aus Indien
Beitrag von: Khun Han am 10. Januar 2025, 21:36:04
Es ist mir fast peinlich, was ich über meine spirituellen Ansichten und Träume geschrieben habe, aber ich lasse alles so stehen. Vor mir lag noch ein weiter Weg und ich bereue keinen Schritt und keine Entscheidung.

Was ich nach meiner Ankunft in Puri erlebt habe, habe ich nicht nach Hause geschrieben. Ich hatte vor Jahren die "Autobiographie eines Yogi" von Yogananda gelesen, der übrigens auch die Therese von Konnersreuth getroffen hatte, und sein Ashram war einer meiner Zielpunkte. Als ich da nicht gleich Aufnahme fand, nahm ich mir in der Nähe eine Unterkunft. Während der Unterhaltung mit zwei Indern stimmte ich zu eine Droge zu nehmen, ein Getränk namens "Bang".

Als ich in meinem Zimmer war, erweiterte sich mein Bewusstsein - oder zumindest glaubte ich das - und ich konnte sehen und hören, was außerhalb des Raumes vor sich ging. Die beiden hatten demnach vor, mich zu bestehlen und um die Ecke zu bringen. In Panik packte ich meine Sachen und lief auf die Straße. Während ich die breite Straße entlang rannte, in Richtung Meer und immer wieder an Türen klopfend und nur Unverständnis erntend, spürte ich deutlich das Blut durch alle meine Adern fließen. Dieser Zustand hielt auch an, als ich schließlich im Ashram in einem Raum auf den Hauptverantwortlichen warten musste. Seine Abweisung machte mich zornig.

Ich fand ein kleines Hotel, in dem ich zur Besinnung und zur Ruhe kommen konnte. Später vermietete mir ein gutherziger Mann ein geräumiges Zimmer mit Meerblick. Er besaß ein Restaurant, in das ich regelmäßig einkehrte. Meistens aß ich Fischsuppe, auch wenn sie voller Gräten war.

Zitat
Adarsha Hindu Hotel
     Room Nr. 7
    Renuka Bhaban
  Sea Beach, Puri (Orissa)

Puri, den 8.Mai, Dienstag

Meine Lieben!                                                                               
Ich schreibe Euch aus einem Hotel in Puri. Etwas Seltsames ist passiert. Ich glaube dem Ziel einen Schritt näher gekommen zu sein. Doch ich spüre, dass es nicht gut ist, darüber zu reden. Ich kann es Euch nicht erklären; Ihr würdet es nicht verstehen; ich verstehe es selber kaum. Es ist wie wenn man in ein neues Gebiet tritt, man sucht immer Halt am Alten, bis man schließlich im Neuen Fuß gefasst hat und auch das vertraut wird. So folgt ein Schritt dem anderen. Ich weiß nun, was es bedeutet, den Pfad zu gehen. Es ist wie ein Weg zu suchen im Moor. Es gibt viele Gefahren, Irrlichter und Sumpflöcher. Ich gehe diesen Pfad allein, nur mit der Hilfe Gottes, ohne Führung eines Gurus. Ich werde sieben Tage im Hotel bleiben und nur meditieren. Ich kam hier zum Yogoda-Ashram in Puri und glaube gefunden zu haben, was ich suche. Doch der Guru hier, Swami Hareharananda, kommt erst in 2 Wochen zurück. Es sind auch 2 Deutsche im Ashram, die Einführung in den Kriya-Joga erhalten haben.
Wir, P.Moser und ich, waren in Nagpur auf der Bank. Man sagte uns dort, dass eine Kontoeröffnung mit vielen Schwierigkeiten, Formalitäten und Fragen verbunden ist. Ich müsste über jeden Paise Rechenschaft ablegen, woher er kommt und wofür ich ihn ausgegeben habe. Es ist also besser, mir das Geld in einem undurchsichtigen, eingeschriebenen Brief an meine jeweilige Adresse zu schicken, oder wenn ich keine bleibende Adresse habe, einfach per British Postal Order direkt an P.Moser.
In Malkaroda blieb ich nur bis Sonntag. Es liegt am Ende der Welt und es ist so heiß, dass man nichts unternehmen kann. Pater Jacob war nicht da. Hier in Puri, am Golf von Bengalen, ist es angenehm. Es weht immer ein kühler Wind vom Meer har. So – ich will jetzt schließen. Jedes Wort macht mir Schwierigkeiten. Ich habe bereits für sieben Tage von der Außenwelt, der sogenannten Realität abgeschlossen.
Macht Euch keine Sorgen und betet weiterhin für mich.
Viele Grüße an alle Bekannten.
Euer Hans
Titel: Re: Briefe aus Indien
Beitrag von: Khun Han am 12. Januar 2025, 20:45:43
(https://up.picr.de/49113957hj.jpg)

Zitat
  c/o. Sambhu Nath Ghose       
Swargadwar – Puri (Orissa)                                                                                                         
Puri, Sonntag, den 20.5.1973

Meine Lieben!                                                                               
Wie geht es Euch? Ich hoffe, dass Ihr alle so gesund seid wie ich. Ich habe mir in Puri ein Zimmer gemietet und werde wahrscheinlich mindestens 2 Monate bleiben. Meine Adresse ist: c/o. Sambhu Nath Ghose, Swargadwar – Puri. Es ist mir, als hätte ich bisher geschlafen oder geträumt und bin hier erst aufgewacht. Hier hat es mich gepackt. Ich sehe, dass ich ohne Gott nicht mehr weiterleben kann und mein einziges Verlangen ist, Ihn zu sehen. Ich kann jetzt einen großen Teil des Tages in Meditation und Betrachtung und Lesen verbringen und auch das Sitzen mit gekreuzten Beinen macht mir immer weniger Schwierigkeiten. Es ist, als wäre ich nicht hierher gegangen, sondern versetzt worden. Puri ist eine herrliche, alte indische Stadt, mit engen Gassen, vielen Tempeln und etwa 70 Ashrams. Mein Zimmer im ersten Stock ist wenige Meter vom Strand entfernt und ich habe eine herrliche Aussicht aufs Meer. Manchmal wimmelt es vor Touristen. Nicht weit von Puri ist auch der berühmte Sonnentempel von Konark. Das Wetter ist sehr warm, doch weht stets ein kühler Wind. Es hat auch schon ein paar Mal geregnet, während in anderen Teilen Indiens eine Ofenhitze herrscht. Es werde hier Schuhe, Taschen usw. aus Schlangen- und Alligatorhäuten, sowie Antilopen- und Tigerfellen hergestellt, und Muschel- und Hornarbeiten. (Natürlich habe ich nicht widerstehen können und muss mich jetzt etwas einschränken.) Erich könnte hier mit einem Freund (oder Freundin), der englisch spricht, schöne Ferien verbringen (Flug: Amsterdam – Delhi – Kalkutta). Man merkt natürlich hier nicht, dass Sonntag ist. Ein Tag vergeht wie der andere. Ich habe erkannt, dass mir alles, was ich gelesen und philosophiert habe, nicht weiterhilft, sondern nur mit Praxis ans Ziel komme. Ich werde den Swami des Yogoda-Ashrams um Einweihung in Khriya-Yoga bitten und ich habe keine Zweifel, dass ich sie nicht bekomme. Jetzt sind es genau 4 Monate, dass ich in Indien bin. Wie schnell doch die Zeit vergeht. Ich hoffe, dass auch Ihr es kurz findet, denn ich habe noch 8 Monate vor mir. Allerdings sehen mein Leben und mein Aufenthalt in Indien seit 2 Wochen anders aus. Wenn Ihr mir Geld schicken wollt, müsst Ihr es per Einschreiben tun.
So das wäre alles. Viele Grüße an alle in L...!
Seid herzlich gegrüßt von
Eurem Hans
Titel: Re: Briefe aus Indien
Beitrag von: Khun Han am 17. Januar 2025, 15:46:13
Zitat
    Swargadwar, Puri (Orissa)
 Puri, Donnerstag, 24.Mai 1973           

Meine Lieben!

Vielen Dank für Euren Brief vom 15.. Inzwischen werdet Ihr ja meinen Brief vom 20. erhalten haben und vernommen haben, wie es mir geht. Und was ich mache. Anscheinend jedoch habt Ihr meinen Brief vom 2. aus Nagpur nicht erhalten, in dem ich Euch alles über Pater Moser und das Geld erklärt habe. Die 100 DM habe ich nach einem Monat bekommen. Die Landessparkasse aber hat mir einen Scheck für 200 DM geschickt, den ich aber in Nagpur nicht einlösen konnte, da keine Bank dort mit der Laspa in Verbindung steht. Deshalb bat ich Euch, die Laspa zu fragen, mit welcher Bank, am besten in Kalkutta oder Bhubhaneswar oder einer anderen Stadt in Orissa, sie in Verbindung steht. Am besten ist es also, wenn Ihr mir das Geld über England per Britisch Postal Order oder in DM – Noten in einem undurchsichtigen Brief per Einschreiben schickt. Das Geld per Br. Post. Ord. Erhalte ich auf jeden Fall, auch wenn ich meine Adresse geändert habe. Die 100 DM kamen auch nach Nagpur und P. Moser konnte sie in Empfang nehmen. P. Moser ist der deutsche Pallotinerpater, der in Nagpur die deutsch-indische Kulturgesellschaft leitet und eine Hindu geheiratet hat. Wie ich Euch kenne, werdet Ihr ihm ja schreiben. Die Gedanken für einen Reisebericht trage ich schon lange mit mir herum und ich bin dabei, sie in die Tat umzusetzen. Vielleicht wird ihm ein zweiter folgen, aber kein Fortsetzungsbericht. Das Paket habe ich noch nicht erhalten. P. Moser wird es mir nachschicken. Ich hoffe jedoch, dass Ihr meine 2 Pakete erhalten habt, oder? Die Frage mit der Rückflugkarte hat noch lange Zeit. Ich weiß ja auch nicht, ob ich allein zurückkomme und wann genau.
Dir, liebe Mutter, wünsche ich nachträglich alles Gute, Gesundheit und Gottes Segen zum Muttertag. Die Tage vergehen hier ohne Sonn- und Feiertag, doch das ist für meinen Zweck nur nützlich. Ich sehe nun, wie notwendig es war, für ein Jahr alle Bindungen aufzugeben. Ich mache von Tag zu Tag auf dem Weg zu Gott Fortschritte. Ich wollte Swami Hariharananda um Einweihung in Khrija-Joga bitten, doch vor seiner Tür kehrte ich wieder um. Ich erkannte, dass ich sie nicht brauche. Endlich bin ich frei von dem Zwang, innerhalb eines Jahres einen Guru finden zu müssen und muss nicht mehr alle möglichen Ashrams und Städte besuchen. Ich weiß nicht, ob ich schon Mitte Juni oder erst Juli zu einem anderen ruhigen Ashram fahre, der ziemlich ruhig und unbekannt am Meer liegt. Dort wird kein System gelehrt, sondern einfach Lesungen in und über die verschiedenen heiligen Indiens gehalten.
Soviel für heute. Ich will ja bald wieder schreiben.
Viele Grüße aus Puri
Euer Hans

Pater Julius Moser hat mir sehr geholfen, er war wie ein väterlicher Freund. Wir spielten auch Schach zusammen und blieben lange in Briefkontakt.
Titel: Re: Briefe aus Indien
Beitrag von: Khun Han am 04. Februar 2025, 14:50:02
Es waren im Übrigen Amerikaner, mit denen ich das "Bang" trank. Das kann ich in einem der Briefe nachlesen, die ich an Pater Julius Moser geschrieben habe. Vielleicht hatte er diese an meine Eltern geschickt oder mir zurückgegeben; das weiß ich nicht mehr. Ich werde zwei davon unten einfügen. Ich hoffe, sie sind lesbar.

Wenn ich nach Fr. Julius Moser im Internet suche, finde ich neben diesem Tagebucheintrag hier eigentlich nur zwei Hinweise: einen Beitrag der Gomantak Times, einer Zeitung in Goa, vom 22. April 2023, in dem über die 60-Jahr Feier der dortigen Pallotiner Mission berichtet wird. Pater Moser, als ein Priester von "valour, courage and fortitude", landete demnach als Missionar aus Australien kommend im September 1959 in Goa und baute dort die Pallotiner Mission mit Schulen und Kindergärten auf. Von dort ging er - und das konnte ich in der Badischen Zeitung lesen, die mir freundlicherweise ihren Artikel vom 7. Juni 2011 auf meine Nachfrage per Mail zur Verfügung stellte - nach Raipur und war dann ab 1968 in Nagpur tätig. In diesem Artikel wird sein ganzes Leben und sein Wirken in Nagpur beschrieben, wo er 2011 im Alter von 84 Jahren Verstarb und beerdigt wurde.

Unklar bleibt, warum nicht erwähnt wird, dass er als Pallotiner Pater eine Inderin geheiratet hatte, wie ich es in Erinnerung habe. Jedenfalls halte ich das Andenken an ihn in Ehren, er war mir eine große Hilfe und ein väterlicher Freund.

(https://up.picr.de/49227434qf.jpg)

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Titel: Re: Briefe aus Indien
Beitrag von: Khun Han am 04. Februar 2025, 15:15:11
Leider haben die Briefwechsel mit Pater Moser, mit Ute und Ilse, mit meinem Freund Susanta Roy in Kalkutta und mit den Oyamas in Tokyo bald nach meiner Heirat aufgehört. Übrigens können wir heuer unsere Goldene Hochzeit feiern. Damals stand vor allem unser gemeinsames Leben mit der endlich gefundenen Arbeitsstelle, der Einrichtung der Wohnung und neuen Freunden im Vordergrund.

Somit konnte ich auch nicht meinen phantasievollen Plänen nachgehen, wie ich sie in dem folgenden Brief an meinen Vater zum Ausdruck brachte. Ich bereue aber keinen Schritt in dem meinem Leben. Sie waren alle notwendig, damit ich hier stehen kann, wo ich heute bin.

Zitat
c/o. Sambhu Nath Ghose
          Swargadwar, Puri (Orissa)
                         
  Puri, Montag, 28.Mai 1973

Mein lieber Vater!                                                                           
Zu Deinem 62. Geburtstag wünsche ich Dir von Herzen alles Gute, Gesundheit und Gottes Segen und die Erfüllung aller Deiner Wünsche. Ich denke jeden Tag an Dich und werde es an diesem Tag besonders tun. Sei deshalb nicht traurig, dass wir nicht zusammen feiern können. Es wird nicht lange dauern, bis wir uns wiedersehen, und dann wird alle Zeit der Trennung und des Wartens vergessen sein.
Lieber Vater, ich weiß sehr wohl um den Schmerz, den Dir mein Abschied bereitet hat. Und von allen Gründen, die mich an der Reise hätten hindern können, waren Deine Tränen die stärksten. Ich kenne auch die Bedeutung meiner Geburt nach dem Krieg und die Hoffnungen, die Dein Vaterstolz in mich gesetzt hatte. Doch ich versichere Dir heute, dass sie in einem Maße erfüllt werden, das Du nicht erträumt hättest. Ich weiß nicht, ob ich noch studieren werde oder muss, wenn ich zurückkomme, jedenfalls werde ich im Allgäu einen Ashram gründen und ein Heimgymnasium. Doch bin ich nicht mehr der, den Du bisher gekannt hast. Nicht nur, dass ich mich durch meine Erfahrungen in den letzten Monaten und auch an Jahren erwachsen fühle, nein mein Ganzes Ich-Gefühl hat sich geändert. Ich bin dabei, mein wahres Selbst zu entdecken, d.h. meine Seele, die ewig ist, allgegenwärtig und allmächtig, wesens- und seinsgleich mit dem göttlichen Absoluten. Daheim waren mir diese Dinge nicht richtig bewusst gewesen, und es war mehr eine göttliche Kraft, die mich nach Indien zog. Hier bin ich frei von allen Hindernissen auf dem Weg zu Gott, habe Zeit zur Meditation und Zugang zur englischen Fachliteratur. Doch das Lesen ist nicht mehr ein Philosophieren und Argumentieren, sondern nur ein Vertiefen und das Bewusstmachen meiner täglichen inneren Erfahrungen. Ich will noch einmal versuchen, meine Tätigkeit hier zu erklären. Ich habe kein Recht zu sagen, dass es einen Gott gibt, solange ich ihn nicht gesehen habe. Jesus, die Propheten und die Heiligen haben Gott erfahren, und eine solche Erfahrung muss für jeden zu jeder Zeit wiederholbar sein. Der Weg führt über eine Beherrschung des Körpers, der Sinne und selbst des Geistes zur Erkenntnis der Seele und damit zur Erkenntnis Gottes. Gott zu erkennen ist aber gleichbedeutend mit Gott sein, sich seiner Identität mit Ihm bewusst werden. Ich habe diesen Weg beschritten, und es kann nur Sieg oder Fallen geben. Der Weg ist keine Illusion, sondern Wissenschaft, die Wissenschaft des Joga. Und diese Wissenschaft werde ich nach Deutschland bringen. Und dieses Werk gelingt – ich zweifle nicht, dass Gott dies vorhat und durchführen wird – dann wird auch Dein Name damit verbunden sein und in Ehre und Achtung genannt werden. Versuche deshalb, Dich in der kurzen Zeit des Wartens und der Trennung mit diesem Ausblick zu trösten und mache sie Dir nicht unnötig schwer. Ich hoffe, dass Dir dies gelingt und wünsche Dir einen fröhlichen, hoffnungsvollen Geburtstag.
In Liebe und Dankbarkeit
Dein Hans
Titel: Re: Briefe aus Indien
Beitrag von: Khun Han am 06. Februar 2025, 14:39:50
Wer möchte, kann mal suchen nach "Jesus in Indien" und "Jesus in Japan" und "Jesus in Amerika". Da wird über die Möglichkeit und gar über Beweise berichtet, dass Jesus in seinen "verlorenen Jahren", also zwischen seinem 12. und dem 30. Lebensjahr sich in Indien, Kaschmir und Tibet und sogar in Japan aufgehalten hat oder nach seiner Auferstehung dort und in Amerika aufgetreten und zum Teil begraben ist. Für den, der das Wort "Auferstehung" nicht einordnen kann oder mag, schlage ich den Begriff "Ausstieg aus der Matrix" vor. In dem Fall kann man dann einiges mit seinem Körper anstellen.

Ich verweise deshalb darauf, weil erzählt wird, dass Jesus 6 Jahre lang im Jagannath Tempel in Puri studiert haben soll. Der Tempel soll schon seit 2500 Jahren existieren, der Eintritt ist allerdings nur Hindus gestattet.

Als ich in Puri mit Freunden im Meer baden ging, erfasste mich eine große Welle, die mich über den Grund schleifte, und als ich wieder hochkam, war meine Badehose voller Sand und meine Brille weg.

Zitat
c/o. Sambhu Nath Ghose
      Swargadwar, Puri
     (Orissa) Indien

     Puri, Samstag,  2.6.73                                                                               

Meine Lieben!
Wie geht es Euch. Hoffentlich habt Ihr den Geburtstag schön gefeiert. Das Paket habe ich noch nicht erhalten und auch sonst keine Post über Pater Moser.
Anbei schicke ich Euch meinen Brillenpass. Lasst bitte sofort beim Optiker dieselbe Brille machen, mit denselben kolorierten Gläsern und denselben oder wenigstens ähnlichen silbernen Gestell. Meine Brille hat das Meer geholt. Es hat hier sehr große Wellen, und als ich mit ein paar indischen Freunden zum Schwimmen ging, hat mich eine Welle erfasst und ich schlug einpaar kräftige Purzelbäume und ließ dem Meer meine Brille. Die Ersatzbrille hat eine kleinere Stärke und auch das kleinere Format ist ungewohnt, sodass sie auf die Dauer wohl schaden würde. Für morgen habe ich eine Besichtigungsfahrt zu dem alten, berühmten Sonnentempel von Konark und anderen Sehenswürdigkeiten gebucht, doch leider ist die Kamera kaputt. Ich kann den Film nicht weiterdrehen. So werde ich Euch die Kamera mit anderen Andenken in einem Paket schicken.
Meine Lieben, mit dem Geld bin ich etwas (sehr) knapp geworden. Den Scheck konnte ich noch nicht einlösen. Schickt mir deshalb von meinem Geld 100 DM in einem eingeschriebenen Brief. Nehmt auch das Geld für die Brille von meinem Konto und schickt sie möglichst bald, eingeschrieben und per Luftpost. Leinmüller wird sich ja an meinen Kopf erinnern können und das Gestell ungefähr anpassen können.
Nun viele Grüße und schreibt auch mal. Antwort macht Freude, wie E.-Tante mir geschrieben hat.
Viele herzliche Grüße
Euer Hans
Titel: Re: Briefe aus Indien
Beitrag von: Khun Han am 10. Februar 2025, 15:24:42
Zitat
          Mistimukh
       Swargadwar, Puri (Orissa)

Puri, Dienstag, den 12.6.1973

Meine Lieben!                                                                                     
Zunächst möchte ich Euren lieben Brief beantworten. Vielen Dank für die 100 DM. Sonst habe ich weder von London noch über Pater Moser - (natürlich kann er deutsch, er ist ja Deutscher). Ich habe es Euch schon geschrieben. Ich schrieb Euch am 20., am 23. und am 27. einen Brief) - etwas erhalten, und ich stehe jetzt auf dem Trockenen. Die Bank in Puri will den Scheck nicht eintauschen, da sie keine Verbindung mit der Laspa hat, die Unterschrift nicht kennt und es ihr über die Bank in Bombay zu unsicher ist. Außerdem hat der Scheck (ich weiß nicht warum) den Vermerk, dass das Geld nicht direkt in bar, sondern nur über ein Konto auszuzahlen ist, und es ist für mich unmöglich oder jedenfalls sehr schwierig ein Konto zu eröffnen. Verlangt also bitte, dass die Laspa oder die Würth. Landeskommunalbank Stuttgart-Girozentrale, die den Scheck ausgestellt hat, sofort an die Indian State Bank of Puri die Anweisung schickt (am besten beglaubigt durch die Vertretung der Indian State Bank in Stuttgart oder Frankfurt), mir das Geld unter Vorlegen des Schecks in bar auszuzahlen. Anderenfalls müsste ich Euch den Scheck zum Umtauschen zurückschicken. Ich werde also noch bis zum 13.Juli in Puri bleiben.
Das mit dem Kriya-Joga habt Ihr total missverstanden; das hat nichts mit Soldaten zu tun. Und dass es in Indien viele unerfreuliche Dinge gibt, werdet Ihr auch meinem Reisebericht lesen können. Die Flugkarte hat noch einige Monate Zeit, doch werde ich sicher nächstes Jahr oder vielleicht schon an Weihnachten wieder bei Euch sein. – Meine Lieben, ich bin jetzt sehr glücklich. Ich habe den Stein der Weisen gefunden. Mit jedem Tag komme ich der Wahrheit, und damit mir selbst, und damit Gott nicht nur an Wissen, sondern auch an Realisation weiter. Ich weiß, große Erlebnisse liegen noch vor mir und Ramakrishna und Dakschineswar, der Ort, an dem er lebte, scheinen Schlüssel zu sein. Man spricht hier über den Deutschen, der auf seinem Zimmer sitzt und liest und meditiert und dem alle Hunde nachlaufen, und so kommen manche, um mit mir zu reden. Ich habe schon 4 Einladungen. Ich weiß nicht, was die Leute an mir finden. Jedenfalls kam ein Mann aus Kalkutta, der sagte, dass sein Guru Ramakrishna selbst in einer Wiedergeburt sei und dass ein Deutscher kommen werde, den sein Guru unterrichten würde. So bin ich also voller Hoffnung und Energie. Ich habe ein Geheimnis des spirituellen Wachstums entdeckt: Fühle dich als Jesus und du wirst Jesus, oder wenn Ihr es lieber hört: Fühle dich als Heiliger und du wirst ein Heiliger! Alle Großen wussten vorher, dass sie zum Großsein bestimmt waren.
So sollt auch Ihr glücklich sein und Euch keine Sorgen machen. Viele Grüße an Frau Kulik und Toni-Vetter, Fam. Kramp und Keller, Fuchs und Buchmüller!
Viele Grüße und Küsse
Euer Hans

Der angesprochene Mann aus Kalkutta, Susanta Roy, wurde mir ein lieber Freund und ich verbrachte anschließend einige Zeit bei ihm. Er schrieb mir in seiner schönen Handschrift viele Briefe, auch noch Jahre nach unserem Kennenlernen.

(https://up.picr.de/49113963jt.jpg)

Zuletzt sahen wir uns, als ich 1975 bei meinem 2. Indienaufenthalt von Kalkutta aus über Bangkok nach Tokyo flog.

(https://up.picr.de/49113972eq.jpg)
Titel: Re: Briefe aus Indien
Beitrag von: Khun Han am 20. Februar 2025, 16:21:19
Zitat
c/o. Sambhu Nath Ghose
     Mistimukh
   Swargadwar – Puri

Puri,Freitag, 22.Juni 1973

Meine Lieben!
Gestern habe ich Euern Brief vom 12. und heute den vom 18. erhalten. Vielen Dank für das Geld. Es hat mir wenigstens vorläufig aus den Schwierigkeiten geholfen. Ihr könnt ruhig mehr hineintun in den Brief, Sambhu Nath Gose ist ein ehrlicher Mann. Wenn Ihr die 100 DM noch nicht über London geschickt habt, dann wartet noch, bis ich Euch meine Adresse in Kalkutta gebe.
Bei Euch ist ja anscheinend allerhand los. Doch auch bei mir ist es nicht anders. An dem Tag, an dem ich zuvor das Gefühl hatte, dass es passieren wird, traf ich ein Mädchen, das ich lieben könnte. Wenn nicht alles ein Spiel war, glaube ich, habe ich auch bei ihr einen Eindruck hinterlassen. Sie erfüllt alle Voraussetzungen hinsichtlich Bildung und Religiosität, und sie würde auch sicher Euch gefallen. Wir trafen uns nur 2mal kurz, doch ich will versuchen sie in Kalkutta wiederzusehen. In Kalkutta werde ich dann auch den Scheck bei der dortigen Allgem. Bank Neederland einlösen. Ich schrieb Euch von einem Mann aus Kalkutta, Susanta Roy, und seinem Guru. Beide sind nun zurück nach Puri gekommen. Der Guru ist wirklich ein Mann von Gewalt und Gottrealisation und er sagte mir, er würde mich Gott sehen lassen. Ich kenne ihn noch zuwenig, um Euch mehr über ihn zu schreiben. Jedenfalls erwarte ich in den nächsten Tagen große Dinge und werde Euch dann mehr schreiben. Seid also nicht böse, wenn ich hier aufhöre. Susanta ist ein wirklicher Freund, er will mit mir jetzt zum Essen gehen.
Viele Grüße
Euer Hans


Zitat
c/o. Sambhu Nath Ghose 
               Mistimukh
  Swargadwar, Puri (Orissa)

 Puri, Donnerstag, den 28.Juni 1973

Meine Lieben!                                                                   
Eben habe ich die Brille erhalten, doch zu meinem Leid hat sie nicht die getönten Gläser wie die alte, sondern komisch grüne. Jedenfalls vielen Dank, auch für das Pflaster und den Kaugummi. Das Geld dafür nehmt Ihr hoffentlich von meinem Konto. P. Moser hat mir geschrieben, dass mein 3.Brief aus Puri der erste gewesen sei, den er erhalten hat. Und so hat er gleich die 100 DM geschickt. Ich danke Euch herzlich dafür. Er sandte auch Euren lieben Brief vom 9.Mai. Er hat auch das Päckchen erhalten, doch da er 200 Rupien Zoll hätte zahlen müssen, hat er es zurückgehen lassen. Nun wissen wir nicht, was damit geschah. Ich werde Euch bald meine letzten 4 vollen Filme schicken, doch werden viele Bilder verdorben sein, da am Apparat der Verschluss herausgebrochen ist und damit auch der Drehmechanismus beschädigt worden ist. Ich werde versuchen, ihn in Kalkutta reparieren zu lassen. Wenn Ihr mir wieder Filme schicken wollt, dann tut es bitte per Luftpost und Einschreiben und besorgt auch den Zoll.
Ich bin zurzeit erkältet, da in Puri langsam der Regen beginnt. Die Erkältung vom kalten Winterdeutschland schleppe ich immer noch herum. – Heute hat auch (wie erwartet) das Mädchen aus Kalkutta mir einen Brief geschrieben.
Ich schrieb Euch von Susanta Roy, der wie ein Bruder zu mir ist, und seinem Guru. Dieser kehrte nun nach Kalkutta zurück und erwartet mich dort, um mich weiter hin zu Gott zu führen. Er ist verheiratet und hat einen Sohn. Er ist ein Mann voll göttlicher Kraft und wenn er über Gott spricht, gerät er häufig in Ekstase. Meine Lieben, eigentlich ist der Zweck meiner Indienreise erfüllt. Ich habe gefunden, was ich suchte: den Urgrund allen Seins. Ich bin da angelangt, wo Vernunft nichts mehr aussagen kann. Durch diesen Guru begann ich nun, den Ursprung allen Seins oder Gott, wie Ihr es nennen mögt, zu fühlen. Man sagte mir, dass sich mein Gesicht verändert hat, dass es leuchtender geworden sei. Doch Gott ist so gewaltig, dass das menschliche Auge Ihn nicht sehen kann. Ein Stromstoß von 16000 Volt kann nicht durch einen Draht fließen, der nur 200 V verträgt. Es gilt nun, sich langsam auszudehnen, höhere Schwingungen zu entwickeln, d.h. Schritt für Schritt Gott ähnlicher werden, denn nur wer Gottähnlich ist (und im Letzten sind wir alle Gottgleich), kann Gott (und das ist das Sichselbst) schauen. Den Schüler dahin zu führen, ist die Aufgabe des Gurus. Und dieser Mann, der ganz zurückgezogen lebt und in einer Fabrik arbeitet, kann und will mich (wenn nicht ganz zur Vollendung bringen, so doch) einen gewaltigen Schritt der Gottrealisation näher bringen. Nun hoffe ich, dass Ihr alles glücklich vernehmt und auch jemand zum Arbeiten findet. Ich werde ja bald wieder schreiben.
Viele Grüße an alle!
In Dankbarkeit und täglicher Erinnerung
Euer Hans