Bericht in der NZZ
Der Euro ist die Lira von heute
Die europäische Gemeinschaftswährung ist auf Talfahrt – Vorsicht bei Anlagen ist angezeigt
Michael Ferber
Der Euro hat sich zum Franken und zum Dollar in jüngster Zeit deutlich abgeschwächt. Sean Gallup / Getty
1
2
Der Euro ist zum Franken und zum Dollar auf Tiefstände gefallen. Am Freitag kostete ein Euro zeitweise nur noch 0.9206 Franken. Das ist so wenig wie letztmals nach der Aufhebung der Mindestgrenze von 1.20 Franken zum Euro durch die Schweizerische Nationalbank (SNB) am 15. Januar 2015. Damals war die europäische Gemeinschaftswährung zum Franken kurzzeitig bis auf den Stand von 0.8517 Franken gesunken.
Auch zum Dollar zeigt der Euro einen beachtlichen Abwärtstrend. Am Freitag kostete ein Euro zeitweise nur noch 1.0335 Dollar. Anfang dieses Jahres waren es noch rund 1.10 Dollar. Was sind die Gründe für den schwachen Euro?
Wachstumssorgen in der Euro-Zone. Als Auslöser für den jüngsten Trend nach unten gelten die am Freitag publizierten Daten von S&P Global zur Unternehmensstimmung in der Euro-Zone. Diese hat sich im November unerwartet auf den niedrigsten Stand seit zehn Monaten verschlechtert, während Ökonomen einen unveränderten Wert erwartet hatten.
Die gedrückte Unternehmensstimmung verstärkte die Sorgen über das Wirtschaftswachstum in der Euro-Zone. «Die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung in den USA und Europa steht hinter der Euro-Schwäche», sagt Thomas Stucki, Anlagechef der St. Galler Kantonalbank (SGKB). Viele Beobachter gehen davon aus, dass die amerikanische Wirtschaft unter dem künftigen Präsidenten Donald Trump weiterhin deutlich stärker wachsen dürfte als diejenige der Euro-Zone.
Es wäre etwas anderes, wenn in der Euro-Zone ein Trend hin zu einem besseren Funktionieren der Währungsunion zu beobachten wäre. Dafür müsste der Steuerwettbewerb zwischen den Mitgliedsländern nicht eingeschränkt, sondern gestärkt werden, sagt Ivan Adamovich, Chef des Multi-Family-Office Private Client Bank. Auch flexiblere Arbeitsmärkte wären ein Schritt in die richtige Richtung, und bei den Staatsfinanzen brauche es ein komplettes Umdenken. Solche Reformen seien derzeit aber nicht zu erwarten.
Die Schwäche Deutschlands. Auch das grösste Land der Euro-Zone, Deutschland, kommt in letzter Zeit wirtschaftlich kaum vom Fleck. Wie am Freitag bekanntwurde, ist die deutsche Wirtschaft im dritten Quartal gerade einmal 0,1 Prozent gewachsen. Im zweiten Quartal war das deutsche Bruttoinlandprodukt (BIP) sogar um 0,3 Prozent zurückgegangen. Zudem hat das Land nach dem Ende der Ampelkoalition derzeit keine handlungsfähige Regierung.
Aus Sicht von Adamovich ist es eine Frage der Zeit, bis in Deutschland die Schuldenbremse fällt. Dass das Land dann voraussichtlich auch immer mehr bei Schuldenwirtschaft und «organisierter Verantwortungslosigkeit» mitmache, werde an den Finanzmärkten nicht gut aufgenommen. Zudem sprächen nötige Investitionen in das Militär sowie in die Infrastruktur dafür, dass die Staatsschulden auch in Deutschland steigen würden.
«Ein Teil der Misere Deutschlands kommt aus dem seit Jahren schwächer werdenden Euro», sagt Adamovich. Wenn die Währung eines Landes langfristig weich sei, müssten sich die Unternehmen weniger anstrengen und gewöhnten sich daran. International gesehen würden sie so aber auf Dauer schleichend weniger wettbewerbsfähig.
Ein weiteres Sorgenkind ist Frankreich. Dies zeigen die am Freitag publizierten Daten zur Unternehmensstimmung, die in Frankreich noch stärker als in Deutschland zurückgegangen sind. Die französischen Unternehmen berichteten von einer breiten Nachfrageschwäche, die speziell von der Bau- und der Autoindustrie ausgehe, kommentiert Daniel Hartmann, Chefökonom des Vermögensverwalters Bantleon.
Als weiterer Negativfaktor kommt die Regierungskrise in Frankreich hinzu. Auch die hohe französische Staatsverschuldung gilt als wichtiger Faktor für die Schwäche des Euro.
Zinsen in Dollar sind attraktiver als in Euro. Auch gingen die Investoren an den Finanzmärkten nicht davon aus, dass sich die Zinsdifferenz in absehbarer Zeit zugunsten des Euro entwickeln werde, sagt Adamovich. Dies hänge mit der Wirtschaftslage in Europa und den Erwartungen an die Fiskalpolitik des baldigen US-Präsidenten Donald Trump zusammen. So wird erwartet, dass unter Trump das Wirtschaftswachstum, die amerikanischen Haushaltsdefizite und auch die Staatsschulden steigen dürften. Dies könnte auch die Inflation wieder nach oben treiben. Darauf wiederum könnte die amerikanische Notenbank mit weniger starken Zinssenkungen oder mittelfristig sogar mit Zinserhöhungen reagieren, sagt Adamovich.
Für die Euro-Zone wird hingegen ein eher schwaches Wirtschaftswachstum erwartet, folglich gehen viele Marktteilnehmer von höheren Leitzinssenkungen aus als in den USA. Die Schweizerische Nationalbank hat die Leitzinsen bereits deutlich gesenkt. So sehen viele Marktteilnehmer bei der Europäischen Zentralbank (EZB) ein grösseres Potenzial für Senkungen – was wiederum ein Faktor für die Schwäche des Euro zum Franken ist.
Sorgen über die Lage in der Ukraine. Auch die Angst vor einer Eskalation im Ukraine-Krieg hat in letzter Zeit auf den Kurs des Euro zum Franken und zum Dollar gedrückt. Dies sei beispielsweise am Donnerstag zu beobachten gewesen, als Russland eine neue Mittelstreckenrakete eingesetzt habe, sagt Stucki. Der Krieg spiele sich schliesslich vor der Haustüre der Euro-Zone ab.
Der Finanzexperte empfiehlt Schweizer Anlegern, grundsätzlich kein Cash und keine Obligationen in Euro zu halten. Hier drohten aufgrund des Trends des Euro hin zu einer Weichwährung Verluste für Franken-Anleger. Bei Aktien präsentiere sich die Situation anders. Schliesslich gebe es sehr gute europäische Unternehmen, welche mit ihrer Kursentwicklung auch für Schweizer Anleger die Schwäche des Euro kompensieren könnten.
Auch Immobilien in der Euro-Zone waren für Schweizer Anleger in den letzten Jahren keine gute Investition. Neben der Abwertung des Euro zum Franken sind in Ländern wie Deutschland die Immobilienpreise deutlich gesunken.
«Als Schweizer Anleger sollte man mit Investitionen in der Euro-Zone vorsichtig sein», sagt Stucki. Schliesslich sei mittel- bis langfristig damit zu rechnen, dass der Franken zum Euro weiter aufwerte. Davon geht Adamovich ebenfalls aus. Dies liege nicht zuletzt daran, dass in der Euro-Zone niemand mehr ein Interesse an einer starken Währung habe – auch Deutschland nicht. «Die deutsche Industrie ist mittlerweile an eine weiche Währung gewöhnt», sagt er.