Aus dem Thema "Ölteppich im Golf von Thailand"
Es gibt auch kein "Wai" mehr bei der Begrüßung. Nur noch ein "Hallo" und fertig. Ein "Wai" hat etwas mit Respekt zu tun. Aber wer seine Umwelt so misshandelt...
Eine interessante, auf den ersten Blick willkürliche Verknüpfung zweier Themen, die aber gar nicht so abwegig ist.
Dazu muß man etwas ausholen:
1. Man kann den Thais sicher vieles vorwerfen, aber nicht den
Nicht-Gebrauch des Wai gegenüber Ausländern. Ich persönlich sehe es im Gegenteil sogar als Vorteil an, als Ausländer nicht "be-
wai-t", zu werden, denn das kann auch damit zusammenhängen, daß man ernstgenommen wird.
Das Wai gegenüber einem Ausländer z. B. durch den Grüßaugust im Hotel ist jedenfalls meistens alles andere als eine Respektsbezeugung, sondern bestenfalls Folklore.
2.
Respekt gegenüber der Umwelt:
Ein Grund dafür, warum sich gewisse allerhöchste Persönlichkeiten in Thailand nie nachdrücklich für mehr Umweltschutz eingesetzt haben, ist meiner Meinung nach der, weil der totale Gesichtsverlust für alle Beteiligten vorprogrammiert wäre... Mitglieder der hiesigen Elite kennen nämlich ihre Pappenheimer und ebenso ihre eigenen Grenzen.
Nur mit stark getönter Rosa Brille könnte man annehmen, daß die Aufforderung:
"Ihr verehrt und mögt mich doch, also macht unser Land bitte ab sofort nicht mehr zu einer Müllhalde..." in Thailand abgesehen von ein paar Zeitungsartikeln und Filmchen in der abendlichen Propagandastunde irgendwelche Konsequenzen hätte.
Die angebliche Rücksichtname des real existierenden "Buddhismus", egal ob gegen Mitmenschen oder die Umwelt, ist ein westliches Mißverständnis.
Thailands Buddhisten sind zum Beispiel nicht mal ansatzweise mit
Jainisten zu vergleichen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Jainismus#EthikDer Buddhismus zeichnet sich in Thailand selten bis gar
nicht durch Rücksichtsnahme aus, sondern ganz im Gegenteil durch Selbstgenügsamkeit -- bzw. im Klartext:
Gleichgültigkeit -- und zwar gegen alles, was einen nicht betrifft. Oder mit anderen Worten: Ein "Buddhist" in diesem Sinne leidet
nicht mit, wenn er zum Beispiel die gequälte Kreatur ansieht.
Jahrhundertelang konnten sich Menschen mit der Anlage, gewisse Dinge zu hinterfragen, im alten Siam selten fortpflanzen, sondern waren schnell schon in jungen Jahren einen Kopf kürzer. Auch solche Dinge prägen Gesellschaften...
Ein hiesiger Buddhist würde zwar in aller Regel den halbtot gefahrenen, bereits von Maden befallenen winselnden Hund auf der Straße nicht selbst den Gnadentod geben, aber wenn es ein anderer macht, ist es ihm natürlich auch recht. Wichtig ist das
eigene Karma, die
eigenen Hände müssen sauber bleiben.
Kein Zufall auch, daß man allgemein in Thailand lieber einen Geisterschrein aufsucht, wenn es ein wirkliches Problem gibt (dringend benötigter Lotteriegewinn, Prüfungsangst, Partnersuche...),
พระพิฆเนศ Phra Phikhanet ("Ganesha"),
Mae Nak Phra Khanong und andere Geister lassen sich, wie man hört, leichter durch das Versprechen von Opfergaben im Erfolgsfall (!) bestechen als der Buddha...
)
Aber nun konkret zum
ไหว้ wâi wai Je tiefer sich der Kopf herabneigt, um beide Daumen der Hand zu berühren, deren Innenflächen zusammengepreßt und deren Finger aufgerichtet sind, desto tiefer die Ehrerbietung. Der thailändische König macht seinen Untertanen deshalb niemals ein Wai, es sei denn, es handelt sich um hohe Mönche. Der Lehrling macht ein Wai gegenüber dem Direktor, der es aber nicht zurückgibt. Wenn Sie ein Kind mit einem Wai begrüßt, schenken Sie ihm am besten ein Lächeln dafür und wenn die Bedienung, der Sie ein Trinkgeld gaben, Ihnen mit einem Wai dankt, geben Sie es nicht zurück. Ein freundliches Nicken schadet jedoch nicht.
Mit anderen Worten: Das Wai ist kein gegenseitiger Gruß (auch wenn Sie es hundertmal anders gelesen haben), sondern ein Zeichen der Ungleichwertigkeit bzw. eine tiefe Respektsbezeugung, die auch Gegenständen und Orten, ja sogar Tieren entgegengebracht werden kann.
Einst lagen die Hofschranzen und andere Untertanen ausgestreckt vor dem König, das Gesicht im Staub, die Hände zum Wai so hoch wie irgend möglich über dem Kopf ausgestreckt, ohne daß die Ellbogen den Boden berührten. Es ist lehrreich, diese zugleich erniedrigende und ent-waffnende Position mal im Wohnzimmer auf dem Teppich auszuprobieren...
Das heißt natürlich nicht, daß ein Wai nicht auch ganz oder teilweise die Funktion (!) eines Grußes übernehmen kann.
Ein Wai, das sich Thais geben, akzeptiert und stärkt aber vor allem das gesellschaftliche Gefüge. Dabei gilt die ‹Höhenregel›: Der sozial Niedrigstehendere nimmt beim Wai die unterwürfigere Stellung ein und richtet sich später wieder auf als der Höherstehende.
Sie als Ausländer stehen immer außerhalb dieses Gesellschaftsgefüges. Ein Wai von Ihrer Seite bestärkt oder bezeugt insofern überhaupt nichts und wäre ohne Sinn.
Natürlich können Sie trotzdem der weißhaarigen Großmutter oder Mutter Ihres thailändischen Bekannten, den Sie zu Hause besuchen, mit einem Wai Respekt zollen und selbstverständlich einem hohen Mönch gegenüber, den Sie aus eigenem Antrieb im Tempel aufsuchen. Es schadet auch nicht, ein Wai zu machen, wenn Ihr Freund und Geschäftspartner Sie beim Seniorchef seiner Firma vorstellt. Sie machen sich jedoch lächerlich, ja stoßen Ihren Gegenüber geradezu vor den Kopf, wenn Sie der Straßenverkäuferin, der Sie eben etwas abgekauft haben, ein Wai über die Theke schicken, – oder dem Herrn an der Rezeption Ihres Hotels.
Da Sie es als normaler Reisender in aller Regel mit Thais zu tun haben, die häufig mit Ausländern umgehen, können und sollten Sie mit dieser Geste äußerst sparsam umgehen. Lassen Sie’s im Zweifel! Niemand sieht Sie als unhöflich an, wenn Sie ansonsten die Form wahren, überall freundlich ‹Hallo!› sagen und nicht als lauter Polterdeutscher auftreten.
Viel wichtiger für Sie, wenn Sie von Thais respektiert werden wollen, ist der höfliche Ton, das freundliche Lächeln, das ruhige Sprechen und – ganz besonders wichtig – die sparsame Gestik.
Bangkok von innen. 9. (letzte) Auflage 2010, 124-125.
Zusammenzufassung:
Ein Wai ist kein Gruß in unserem Sinne, sondern eine Respektsbezeugung, die überwiegend durch Kenntnis der Macht oder der Verdienste des Be-
Wai-ten ausgelöst wird. Ein Wai gegenüber einer Person, die außerhalb der gesellschaftlichen Hierarchie steht (zum Beispiel ein zufällig auf der Straße, beim Schneider oder in einer Hotellobby freilaufenden Touristen), hat keinerlei Bedeutung außer Folklore. Im besten Falle ist es
höfliche Folklore, die niemanden schadet und beim be-
Wai-ten ein gutes Gefühl hinterläßt. Ebenso ist es Folklore bzw. vor allem Sanuk für alle Anwesenden, wenn sich Thais einen Spaß daraus machen, zum Beispiel Kinder anzuweisen, dem Ausländer ein Wai zu machen.
Alles lächelt, die Umstehenden wegen des Spaßes und das zum
Wai-en verdonnerte Kind aus Unsicherheit, denn es hat keine Ahnung, warum es eigentlich vor der seltsamen Langnase nun ein Wai machen sollte...
Etwas anderes ist es mit dem Wai, wenn man hier schon sehr lange lebt, integriert (im engen Rahmen des für Ausländer der 1. Generation möglichen), und für bestimmte Leute nützlich geworden ist.
Wenn man zum Beispiel Kindern der Verwandtschaft seines Partners einen höheren Schulbesuch und ein Studium mit kräftigen Zuschüssen ermöglicht hat, kann es durchaus sein, daß man auch als Ausländer bei Familientreffen das eine oder andere ehrlich gemeinte und auch aus Thai-Sicht sinnvolle Wai vor der Begrüßung erhält.
Wenn mir das passiert, freue ich mich, lächle freundlich zurück und fertig. Man muß nicht alles nachmachen, was man sowieso nie in allen Details verstehen wird.