Das Glas Wasser zum KaffeeWas ranken sich nicht für Geschichten rund um das Glas Wasser zum Kaffee und die Entstehung dieser Gepflogenheit.
Und welche Halbwahrheiten und Weisheiten musste ich mir nicht schon dazu anhören!
Ganz oben auf der Liste steht die Behauptung, dass unser Körper das Wasser braucht, da ihn der Kaffee »austrocknet«.
Was ja nicht ganz falsch ist, denn wir müssen unseren Körper regelmäßig mit sauberem Wasser versorgen und in Bezug auf den
Kaffee mildert es wirklich die Wirkung des Koffeins etwas ab.
Aber deshalb sollte man noch lange nicht davon ausgehen, dass dieser Brauch deshalb entstanden ist, denn diese
Tatsache ist erst seit dem 20. Jahrhundert bekannt, und das Glas Wasser wird nachweislich schon seit dem
18. Jahrhundert zum Kaffee gereicht.
So müssen wir die Wurzeln dieser Praxis ganz woanders suchen, und da ich ein wenig recherchiert habe,
würde ich euch gerne auf eine kleine Reise in unsere Vergangenheit mitnehmen.
Und dabei werden wir sehen, dass dieses scheinbar unwichtige Detail der Geschichte, nämlich ein Glas Wasser zum Kaffee
zu reichen, Einflüsse auf das Leben einer ganzen Stadt und darüber hinaus Wirkung auf ganz Europa hatte!
Begeben wir uns also ins kaiserliche Wien des 18. Jahrhunderts. Wie wir wissen, war hier der Kaffee schon sehr früh bekannt
und beliebt, aber erst zu dieser Zeit sollte er so richtig populär werden.
Vor allem unter den Adeligen war er »das« neue Modegetränk, dem man regelmäßig mit reichlich Milch und Zucker zusprach,
und es kam zu einem regelrechten Aufschwung der Kaffeehauslandschaft.
Doch Adel bedeutet nicht nur Privileg, sondern auch Verpflichtung und vor allem immer auch eine gesittetere Lebensform
(nicht umsonst heißt es »Adel verpflichtet«), was in Bezug auf den Kaffeehausbesuch einige ganz spezielle Probleme
mit sich brachte.
Fast unlösbar schien vor allem die Frage zu sein, wohin man nach dem Umrühren des Kaffees den Löffel legen sollte.
Denn es wäre einfach unvorstellbar gewesen, ihn in der Öffentlichkeit abzuschlecken oder einfach nach Benutzung auf die
Untertasse zu legen.
So kamen findige Kaffeehausbesitzer schon bald auf die Idee, gemeinsam mit dem Kaffee ein Glas Wasser zu servieren,
in das man den Löffel nach Gebrauch stellen konnte.
Das Gemeine an der Sache war nur, dass das Wiener Wasser so schmutzig war, dass man es lieber vor den Gästen versteckte
beziehungsweise vor den adeligen Besuchern.
Bei der »einfachen« Bevölkerung sah die Sache natürlich ganz anders aus:
Sie waren das schmutzige Wasser gewohnt, denn sie verwendeten es sowieso zum Kochen und Waschen,
und außerdem war dem Fuhrmann oder dem Kräuterweiblein ihr Branntwein oder ein Glas Bier wichtiger als ein Kaffee,
und das Glas Wasser wurde einfach ignoriert.
Dem Adel jedoch, auf dessen Geld man angewiesen war, wollte man diesen Anblick ersparen.
So wurde es bald zum ungeschriebenen Gesetz, dass die Wiener Kaffeehäuser nur noch Wasser anbieten durften,
das bereits vor dem Kochen kristallklar und sauber war.
Und da natürlich ein Kaffeehaus dem anderen in nichts nachstehen wollte, war man auch bereit, in eine
gemeinsame Wasseraufbereitung zu investieren.
Das hatte den netten Nebeneffekt, dass Wien zu einer der ersten Städte des alten Kontinents wurde, die flächendeckend
sauberes Trinkwasser hatte. Und das alles nur, weil man es den Kunden zum Kaffee reichen wollte!
Die Idee des Wassers zum Kaffee wurde auch von der restlichen Wiener Bevölkerung begeistert aufgenommen, und auch
international sollten immer mehr Menschen darauf aufmerksam werden:
Das erste Mal wohl zur Zeit des Wiener Kongresses, und als schließlich während der österreichischen Weltausstellung 1873
halb Europa zu Besuch in Wien war, setzte sich diese Idee auch in anderen Ländern durch.
Weshalb es heute fast überall in Europa Brauch ist, ein Glas Wasser zum Kaffee zu servieren.
Erst viel später, als immer mehr Gäste begannen, dieses Wasser auch zu trinken, bekam es noch eine andere Bedeutung, denn
sobald das Glas leer war, eilte ein Kellner herbei und füllte es wieder auf.
Dies bot dann auch die ideale Gelegenheit, eine weitere Bestellung aufzugeben, ohne nochmals nach dem Ober rufen
zu müssen – eine Gewohnheit, die heute leider in Vergessenheit geraten ist.
(Thomas Stiegler)