Guter Kommentar aus der Schweizer Zeitschrift Bilanz
Putin als Stalin
Von Dirk Schütz,
Chefredaktor
Es war die grosse Angst in den Hochzeiten des islamistischen Terrors: Dass ein Terrorist Atomwaffen in seine Hände bekommt. Heute lautet die bittere Realität: Ein Terrorist gebietet über die zweitstärkste Atommacht des Planeten.
Wie lässt sich das Böse definieren? Die überzeugendste Antwort: Das komplette Fehlen von Empathie. Bislang unbestrittener Meister in der jüngeren Russland-Geschichte in dieser Disziplin ist Josef Stalin, den Putin bezeichnenderweise von all den Diktatoren des letzten Jahrhunderts am ehesten als Vorbild sieht. Als dessen ältester Sohn im Zweiten Weltkrieg gefangen genommen wurde, schickte er ihn statt des angebotenen Austauschs lieber in den Tod, und als Volkermörder steht er auf der Liste ganz oben: Seine ethnischen Säuberungen haben viele Millionen Menschen das Leben gekostet, über die genaue Zahl streiten die Historiker bis heute. Gewiss, von derartigen Zahlen ist Putin weit entfernt. Doch der «Killer» (US-Präsident Biden) ist Stalins Bruder im Geiste: Menschenleben sind Kollateralschäden von Machtstreben. Wie Stalin ist Putin ein Zar mit Höflingen – mit der Mimosenhaftigkeit des einsamen Despoten noch dazu: Geradezu panisch hat er sich in den letzten zwei Jahren vor dem Corona-Virus abgeschirmt. Wie Heldenmut aussieht, beweist sein Gegner auf der ukrainischen Seite.
Natürlich ist Putin ein Fall für das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag: Eine klarere Beweislage hat es selten gegeben. Und natürlich müsste der Westen gegen dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit einschreiten, auch wenn die Ukraine nicht Mitglied der Nato ist. Doch das war Bosnien im Krieg Mitte der neunziger Jahre genauso wenig, und da schritt die Nato ein. Aber eben: Da schützt den Staatsterroristen Putin sein Atomwaffenarsenal. Systemisch ist der grausame Überfall zwar der Anfang vom Ende Putins: Er wird immer der Schlächter des eigenen Brudervolks bleiben. Eine Wiederaufnahme in die Völkergemeinschaft kann es für Russland nur ohne Putin geben. Doch dieser Weg scheint lang. Und die Geschichte lehrt leider: Die schlimmsten Taten begehen Diktatoren oft, wenn sie um ihre Macht fürchten.
Maurer statt Parmelin
Besonders peinlich sind in diesen Tagen die langjährigen Putin-Hofierer aus dem rechten Lager, die ihre Biegsamkeit in neue Höhen treiben. Le Pen in Frankreich, die Lega in Italien oder die AFD in Deutschland: Eine volle Distanzierung von dem Kriegstreiber bekommen sie nicht hin, genauso wenig wie der deutsche Ex-Kanzler Gerhard Schröder, dessen wertfreier Altersstarrsinn fast schon Mitleid erregt. Die SVP hat sich bislang immer geschickt von diesen doch eher schmuddeligen Gesellen ferngehalten, aber in der Schweiz ist die Fraktion der Putin-Versteher in ihrer Partei dennoch am grössten.
Das zeigt das Herumeiern des Bundesrats am letzten Wochenende. Dass Aussenminister Cassis ernsthaft geglaubt haben will, Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien organisieren zu können, zählt dann doch zu den plumperen Kaschierungs-Versuchen von Entscheidungsschwäche. Und dass dann SVP-Wirtschaftsminister Parmelin, als welscher Weinbauer eigentlich eher der moderaten SVP-Linie verpflichtet, gegen die Sanktionen ins Feld zog, ist nicht nur moralisch ein Armutszeugnis, sondern auch ein Zeichen grosser Naivität: Ein Nein zu den Sanktionen hätte die Schweiz brutal isoliert – mit heftigen wirtschaftlichen Folgen. SVP-Finanzminister Ueli Maurer, als Zürcher sonst eher der harten Linie verpflichtet, erkannte das sofort. Ein Beleg seiner internationalen Erfahrung: Er vertritt die Schweiz beim IMF und den G20 und wusste: Ein Schweizer Ja zu den Sanktionen war alternativlos. Da rächt sich, dass der gemütliche Parmelin zu Auslandsreisen lieber Stellvertreter schickt.
Russlands Abstieg
Die Auswirkungen des Krieges auf Weltkonjunktur und Börse sind noch nebulös, doch zumindest darf es als positives Zeichen gelten, dass die Aussagen von Fed-Chef Powell die Märkte am Mittwoch trotz Kriegstreibens nach oben drehen konnten. «Obervolta mit Atomraketen», hatte einst ein anderer deutscher Bundeskanzler (Helmut Schmidt) die Sowjetunion genannt, und für die russische Wirtschaft mag es nur ein kleiner Trost sein, dass es ganz so schlimm dann doch nicht ist: Obervolta heisst heute Burkina Faso und hat mit seinen 20 Millionen Einwohnern noch nicht ganz den Anschluss an den 140-Millionen-Staat Russland geschafft.
Doch dass das grösste Land der Welt unter Putins Kleptokratie weit unter seinen Möglichkeiten bleibt, ist unbestritten. Die Wirtschaftskraft liegt weltweit nach Bruttoinlandsprodukt gerade auf Rang 12, hinter Indien, Italien oder Brasilien. Jetzt droht durch die Sanktionen ein heftiges Abrutschen hinter Mexiko, Indonesien oder die Türkei. Auch der Welthandel wird kaum massiv leiden – Russlands Anteil liegt nicht einmal bei zwei Prozent. Ja, der Krieg verstärkt die Unsicherheit, der Inflationsdruck steigt, doch das grosse Bild ist noch nicht wirklich erschüttert: Die Zinsen sind noch immer vergleichsweise tief, überzeugende Alternativen zu sicheren Dividendenpapieren gibt es nicht.